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Tue Oct  7 23:10:45 1997
 

Erklärung von Andreas Baader

Der Ablauf war genau: Trakt - und als es nicht klappte, das Geständnis nicht kam, aber die Folgen der Isolation sichtbar wurden - der Versuch, Ulrike für acht Wochen in eine geschlossene psychiatrische Abteilung - "zur Beobachtung", so Götte im Auftrag der Bundesanwaltschaft - zu bringen. Als das nicht klappte - der Versuch der Zwangsnarkose und Zwangsszintigraphie 1: der Einfall des Bundesgerichtshofs, ihren Kopf aufzumachen, um festzustellen, woher die Gedanken der Menschen kommen - das konkrete Projekt der Bundesanwaltschaft war der stereotaktische (2) Eingriff ins Hirn; Witter sollte Zwangsnarkose und Zwangsszintigraphie machen, und für den gehirnchirurgischen Eingriff bot sich Löw an - beide Universität Homburg/Saar. Nachdem die Mobilisierung das Projekt verhindert hat - wieder Trakt. Der Hungerstreik, die Kampagne. Als Reaktion auf die Kampagne das Gesetz, das es möglich macht, Verteidiger auszuschließen und ohne Gefangene zu verhandeln, d.h. den Rest öffentlicher Kontrolle zu beseitigen; denn der "Anhörungstermin", bei dem die Verhandlungsunfähigkeit festgestellt wird, ist nicht öffentlich. Das Gericht kommt in den Trakt - wie in Stammheim.
Daß bei der Zwangsuntersuchung zu diesem Termin Gefangene verhandlungsunfähig gemacht werden können, ist vorige Woche in Zweibrücken an Carl (Manfred Grashof) bewiesen worden.
Wir wollen sicher nicht mit der Argumentation zu Folter, wie sie Schilys Antrag entwickelt, identifiziert werden. D.h. wir machen uns nicht zu ihrem Objekt. Über den, der gefoltert wird, zum Begriff der Folter zu kommen, ist ein ambivalenter Versuch, und es ist unmöglich, weil es sich hier nur folgenlos auf das Entsetzen eines liberalen Staatsverständnisses über die Deformation seines Staates beziehen kann, die zwangsläufig ist, weil sie in den Widersprüchen der Kapitalbewegung selbst bedingt ist. In der staatlichen Counterbewegung gegen revolutionäre Politik, die foltern muß, muß der imperialistische Staat nur deutlich werden. Sie wird durch die Empörung des verkommenen bürgerlichen Antifaschismus nur verschleiert. Er ist schon so schwach in seiner Korrumpierung in der Sozialdemokratie oder im Revisionismus gefesselt, daß er sich nicht mal mehr relevant artikulieren kann.
Ein Beispiel für das alte Elend - wie er sich dem Staat angedient hat in der Hoffnung, ihn zu verändern - hat ihn der Staat verändert. Ihn instrumentalisiert, solange es opportun war, um einer Radikalisierung zu entgehen, und schließlich liquidiert als einen Ausdruck der tradierten bürgerlichen Ideologie, bürgerlichen Humanismus, bürgerlicher Freiheiten, der den erweiterten Reproduktionsprozeß des Kapitals im Bereich der ideologischen Staatsapparate stört.
Über Folter ist nur zu sprechen mit den Inhalten und der Strategie, die sie abschaffen wird: denen revolutionärer Politik. Vom Standpunkt des bürgerlichen Antifaschismus aus wird das Gerede darüber zur Klage, die den Gefolterten denunziert.
Sicher, Isolation ist Folter. Wie sie der, der ihr ausgesetzt wird, erlebt, ist sie als der langsame und so reflektierbare Prozeß der Zerstörung revolutionärer Identität fürchterlicher als jeder physische Schmerz - mit dem wir Erfahrung haben. Politisches Bewußtsein ist in der Falle der Warengesellschaft - der Falle aus entfremdeter Produktion und entfremdetem Konsum mit ihren komplexen kulturellen und psychologischen Vermittlungen, gegen die sich Identität nur entwickeln kann, immer ein Prozeß, der erkämpft wird. In der Agonie 3 der Isolation soll dieser Prozeß gebrochen und revidiert werden - durch den Entzug seiner Bedingung: Praxis, bewußter sozialer Interaktion, wird dem Gefangenen seine Geschichte genommen. Seine, insofern sie seine bewußte, seine politische Geschichte ist.
Das ist auch das Ende seiner Persönlichkeit.
Wie Geschichte der Prozeß ist, der und in dem sich Persönlichkeit konstituiert, verliert er mit ihr sich, nicht weil er sein Gedächtnis verliert (obwohl auch das eine Erscheinung ist), sondern weil die Fähigkeit, sie nachzuvollziehen, sie zu reflektieren, sie wiederzuerkennen, zerstört ist. Er wird unfähig, sich zu dem, was an ihm vollzogen wird, sich vollzieht, zu verhalten.
Der Apparat wird das Verhältnis. Er regrediert 4 und zappelt sich zu Tode zwischen den Mystifikationen bürgerlicher Sozialisation, die ihn einholen und ihn, wie er ist - allein - als totale, feindliche, nicht mehr begreifliche Macht belagern.
Er wird weiß, wie wir gesagt haben, Opfer (und so wird er vielleicht auch unschuldig), in dem Moment, in dem er aufhört zu kämpfen - nicht mehr kämpfen kann.
Wobei das Wesen seines Elends ist, daß er diesen Moment lange kommen sieht und weiß, daß Isolation über Jahre so eindeutig ist wie ein Schuß, nur unvorstellbar und - auch das gehört zur Methode - die Unvorstellbarkeit - viel qualvoller.
"Der Mensch ist im wörtlichsten Sinn ein zoon politicon 5, nicht nur ein geselliges Tier, sondern ein Tier, das nur in der Gesellschaft sich vereinzeln kann. Die Produktion der vereinzelten Einzelnen außerhalb der Gesellschaft - eine Rarität, die einem durch Zufall in die Wildnis verschlagenen Zivilisierten wohl vorkommen kann, der in sich dynamisch schon die Gesellschaftskräfte besitzt - ist ein ebensolches Unding als Sprachentwicklung ohne zusammen lebende und zusammen sprechende Individuen." (Marx, Grundrisse)
Wir haben ziemlich lange gebraucht - im Trakt, um die Methode und die Absicht der Isolation zu erkennen. Ich würde sagen, die Maßnahme hat ihre Logik in der Perspektive des ganzen Systems: den Zwang, auf den Widerspruch, den es hervorbringt, mit Vernichtung reagieren zu müssen, weil es in ihm seine endliche Vernichtung begreift. Denn was "umerzogen" werden könnte, zerstört der Trakt. Er ist kein Projekt der Zwangssozialisation - obwohl auch sie das Problem, das sie zeigt: den sozialen Mangel, nur durch Zerstörung im Gefangenen lösen kann.
Der Versuch, das Ding und die Tortur dadrin so zu verstehen und zu rechtfertigen, kommt von Klug, inzwischen Justizsenator in Hamburg. Ganz natürlich - weil er eine korrumpierte liberale Maske ist - die ihren dreckigen Job mit der Illusion von Werten, die auch Umerziehung verlangen würde, verklärt, über die diese Gesellschaft nicht mehr verfügt.
Ihr Grundproblem ist auch in diesem Detail des Antagonismus, daß Umerziehung oder Gehirnwäsche als Projekt Legitimation vom Apparat verlangt. Das heißt, um es zu unterwerfen, muß der Apparat das Subjekt konstituieren 6 können. Sache zwischen repressivem Staatsapparat und (gefangenem) Revolutionär ist aber, daß beide wissen, daß sie in ihrer Unversöhnlichkeit (wie ihrer Beziehung) Ausdruck der Tendenz sind, in der die Legitimation des bürgerlichen Staates zerfallen ist. Die Ahnung der Potenz dieses Zerfalls entwickelt die staatliche Vernichtungsstrategie gegen uns. Posser als Sozialdemokrat meint das - (und er erfuhr sie konkret an der Wirkungslosigkeit seiner panischen Dementis). Er war gar nicht erst auf Umerziehung aus, sondern auf die Zerstörung Ulrikes und die reibungslose propagandistische Verwertung des zerstörten Gefangenen im Prozeß, die ihm das Geständnis verschaffen sollte: der Zusammenbruch. Als Funktionär der staatstragenden Partei ist er pragmatischer: Das "reibungslose" Ritual der Macht ist der Inhalt, den er vermitteln will, um das Loch zu stopfen, das auf den Abgrund gerade seiner Clique verweist. Als Reibungen auftraten - weil der Sache die Diskretion, die sie noch braucht, durch die Mobilisierung der Ärzte entrissen war - verfiel er so etwa analog der Wahrheit der Sozialdemokratie, ihrer Käuflichkeit - schließlich ist die ganze Parteispitze Brandt/Schumacher '45 vom amerikanischen Kapital gegen das deutsche Proletariat gekauft worden - darauf, dem Staat einen Zeugen zu kaufen. Natürlich auf Regierungsebene ("gegen" ist nicht genau genug. Die strategische Funktion der Sozialdemokratie ist, die Initiative des Kapitals in der Krise zu sichern).
Also den Kronzeugen, den Staatszeugen, der als Institution die Verfassung des ganzen ideologischen Begründungszusammenhangs Rechtsstaat allerdings bezeugt, und sicher für unsere Politik. Auch, wenn er nur ein beiläufiger Ausdruck des Bruchs ist, in dem unsere Bestimmung der staatlichen Reaktion auf bewaffnete Politik zu begreifen ist.
Denn die strategische Bestimmung ist in dieser Phase - die Krise des Kapitals und die ökonomische Krise des Staates - deren politische Interpretation jede Guerillaaktion ist - durch die Kontinuität des Angriffs in einem sicher langen und widersprüchlichen Prozeß in die endliche politische Krise des Staates zu verwandeln, den Bruch.
Darüber werden wir hier noch sprechen.

Naja, ich kann auch nicht über den, der gefoltert wird, reden. An ihm beweist sich schließlich auch nur in der endlich offenen Liquidierung der Fiktion des Subjektstatus des Objekts staatlicher Repression, daß die Werte bürgerlicher Rechtsideologie für den imperialistischen Staat lästige Antiquitäten sind, wenn sie den Verwertungsbedingungen des Kapitals nicht mehr entsprechen.
Zu reden ist über den, der foltert, den Staat, und den Prozeß, in dem die staatliche Counterstrategie auf Folter angewiesen ist und sich entsprechend der Entwicklung eines neuen Faschismus im Staatsapparat die Technologie, die Apparate und immer etwas hinterherhinkend die Gesetze (und schließlich die strukturelle und organisatorische Voraussetzung in der Massenkommunikation - die Reflexe neutralisiert) schafft, die Folter institutionell voraussetzt.
Wir sagen hier noch mal:

Folter ist kein revolutionärer Kampfbegriff.
Aufklärung darüber hat vielleicht eine Schutzfunktion - aber die Mobilisierung, die sie braucht, muß sich gegen die Politik wenden, auf die der Staat mit Folter reagiert (und damit zuletzt gegen die Gefangenen selbst), solange das Vehikel ihrer Politik der moralische Reflex derer ist, die in diesem Staat noch zu Hause sind - und sei es, weil sie ihn als Revisionisten übernehmen wollen - das heißt, die Mobilisierung muß gegen uns laufen, wenn sie nicht mit der Propaganda bewaffneter Politik vermittelt ist - ihre Moral und Strategie propagiert, was immer heißt, selbst zur bewaffneten Aktion zu kommen.

(Quelle: Nr. 1, S. 89ff)


aus: Ausgewählte Dokumente der Zeitgeschichte: Bundesrepublik Deutschland (BRD) - Rote Armee Fraktion (RAF), GNN Verlagsgesellschaft Politische Berichte, 1. Auflage Köln Oktober 1987

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Anmerkungen der Redaktion:

1 Szintigraphie: Untersuchung und Darstellung innerer Organe mit Hilfe von Leuchtbildern, die durch die Einwirkung der Strahlung radioaktiver Stoffe auf eine fluoreszierende Schicht erzeugt werden

2 stereotaktisch: bezieht sich auf Stereotaxie, d.i. punktförmig genaues Berühren eines bestimmten Gebietes im Gehirn durch ein kleines Bohrloch in der Schädeldecke

3 Agonie: Gesamtheit der vor dem Eintritt des klinischen Todes auftretenden typischen Erscheinungen; Todeskampf

4 regredieren: auf Früheres zurückgehen, zurückgreifen

5 zoon politicon: nach Aristoteles: der Mensch als soziales, sich in der Gemeinschaft handelnd entfaltendes Wesen

6 konstituieren: einsetzen, festsetzen; gründen