Auch wenn die Rote Hilfe stets den Anspruch vertreten und sich bemüht hat, eine parteiübergreifende Organisation zu sein, war sie
doch überwiegend von der KPD geprägt und verstand ihre Aufgabe im Zusammenhang mit der proletarischen Revolution. Noch 1933
wurde von der Roten Hilfe ein Wahlaufruf für die KPD gestartet. Die Zusammenarbeit der Roten Hilfe mit SozialdemokratInnen ist
immer sehr schwierig gewesen und hat sich oft nur im lokalen Rahmen abgespielt.
Dies änderte sich auch unter den Bedingungen des Faschismus zunächst nicht. Zahllose kommunistische und sozialdemokratische
Kader saßen in den Kerkern. Allerortens drohte der faschistische Terror, der keine Unterschiede zwischen reformistischen oder
revolutionären, zwischen sozialdemokratischen oder kommunistischen Linken machte.
Die politischen Linien der KPD- und SPD-Führungen gingen allerdings weiterhin diametral auseinander. Der Riß zwischen
KommunistInnen und SozialdemokatInnen war zu tief, selbst um unter dem Bedingungen des Faschimus zu kooperieren.
Die sozialdemokratische Führung dachte nicht daran, sich in der Roten Hilfe zu organisieren, sondern schuf eigene
Unterstützungsfonds. Im Juni 1933 kritisierte der MOPR, die Zeitung der Internationalen Roten Hilfe, die Spaltung der internationalen
Solidarität durch den sozialdemokratisch dominierten internationalen Gewerkschaftbund (IGB) und den Matteotti-Fond. Der IGB hatte
beschlossen, einen Unterstützungsfond für politische Flüchtlinge zu gründen. Ebenfalls rief der Matteotti-Fond dazu auf, Sammlungen
für die Opfer des deutschen Faschismus durchzuführen, und sie an die zweite Internationale abzuliefern.
Die Internationale Rote Hilfe
kritisierte die Kampagne des IGB und Matteotti-Fonds scharf, denn sie fürchtete wohl nicht zu unrecht eine Schwächung und Spaltung
ihrer eigenen gerade gestartetet Hilfsaktion.
»Die Schaffung separater Unterstützungsfonds bedeutet daher nicht die Stärkung, nicht die Förderung der proletarischen
Solidarität, sondern Zersplitterung und Schwächung der proletarischen Kräfte, es bedeutet die Spaltung der internationalen Solidarität
der Werktätigen.«[1]
Die Kritik an der sozialdemokratischen Politik richtet sich aber nicht nur gegen die Spaltung. Sie war gleichzeitig eine Abrechnung
mit der SPD und stand noch ganz im Zeichen der Sozialfaschismus-These. »Der Aufruf des Matteotti-Fonds soll die wahre
Verantwortung der SPD an der Entwicklung in Deutschland, ihren Verrat an den Arbeitern, die jetzt Opfer des blutigen Terrors
wurden, die Hilfe des Wels und Konsorten für Hitler und das Ueberlaufen Leiparts und anderer SPD- und Gewerkschaftsführer zum
Faschismus vertuschen.«[2]
Ziel dieser Politik war zweifellos, die KPD und die Komintern als
legitime Vertreterinnen der arbeitenden Klasse herauszustellen. Die
Rote Hilfe hatte in dieser Politik unter anderem die Aufgabe, als proletarische Massen- und Solidaritätsorganisation ein Bindeglied
zwischen der KPD und anderen organisierten und nicht organisierten ArbeiterInnen zu sein. Somit konnten zwar einzelne
SozialdemokratInnen gewonnen werden, aber es gab weiterhin eine scharfe Abgrenzung zur Führung und Politik der SPD.
Die Ausrichtung der Roten-
Hilfe-Kampagnen war eher auf die KPD zugeschnitten, wie in der Kampange zu Ernst Thälmann, in der
SozialdemokratInnen kaum oder nur am Rande Platz fanden.
Im Zeitraum um 1935 kam in den Diskussionen der Komintern über die Optionen und Perspektiven kommunistischer Politik ein
Umbruch der bisherigen Linie. Für die KommunistInnen waren die sozialdemokratischen Parteien zwar indirekt an der Durchsetzung
des Faschismus schuldig. Angesicht der weltweiten Bedingungen unter Faschismus und imperialistischer Reaktion sahen sich die
kommunistischen Parteien jedoch nicht mehr in der Lage, sich allein als revolutionäre Kraft
durchzusetzen. »Der Faschismus konnte
vor allem deshalb zur Macht kommen, weil die Arbeiterklasse durch die Politik der Arbeitsgemeinschaft mit der Bourgeoisie, die von
den Führern der Sozialdemokratie betrieben wurde, gespalten, gegenüber der angreifenden Bourgeoisie politisch und organisatorisch
entwaffnet war. Die kommunistischen Parteien waren aber nicht stark genug, um ohne und gegen die Sozialdemokratie die Massen in
Bewegung zu bringen und den entscheidenden Kampf gegen den Faschismus zu führen.«
[3]
Als Konsequenz besann sich die kommunistische Internationale auf die Losung der Einheitsfront zurück.
»Das erste was getan
werden muß, ist die Schaffung einer Einheitsfront (...) das ist die mächtige Waffe nicht nur zur erfolgreichen Verteidigung befähigt,
sondern auch zur erfolgreichen Gegenoffensive gegen den Faschismus, gegen den Klassenfeind. (...) Gemeinsame Aktionen der
Parteien der beiden Internationalen[4] gegen den Faschismus würden jedoch nicht nur einen Einfluß auf ihre gegenwärtigen Anhänger,
auf die Kommunisten und Sozialdemokraten haben. Sie würden auch einen mächtigen Einfluß auf die katholischen, anarchistischen und
unorganisierten Arbeiter ausüben, sogar auf diejenigen, die vorübergehend ein Opfer der faschistischen Demagogie geworden sind.«
[5]
Aus dieser veränderten Einschätzung folgte auch eine veränderte Politik der Roten Hilfe. Das Tribunal veröffentlichte bereits im
August 1935 unter dem Titel Einheit im Kampf gegen faschistischen Terror einen gemeinsamen Appell der Bezirksleitung der SPD
und des Bezirksvorstands der Roten Hilfe Berlin-Brandenburg. In dem Appell verpflichten sich SPD und Rote
Hilfe »in der
Erkenntnis, daß die Lage äusserst ernst ist und nur einheitliche Aktionen der Arbeiterklasse erfolgreich sein können« und »unbeschadet
ihrer sonstigen politischen und weltanschaulichen Einstellungen«[6] zu gemeinsamen Kampfaktionen, gemeinsamer Unterstützung und
Aufbringung der Mittel für
Opfer des faschistischen Terrors. Zielsetzung war die Schaffung organisatorischer Strukturen, in der »die untergeordneten Gruppen
und Leitungen« ebenfalls dazu verpflichtet wurden, »alle Anweisungen der bezirklichen Instanzen in Bezug auf die gemeinsame Arbeit
Folge zu leisten und auch ihrerseits die größtmögliche Initiative auf dem Gebiet einheitlicher Kampfmaßnahmen zu entfalten«.
[7] Vom
Zentralvorstand der Roten Hilfe wurde dieses Abkommen ausdrücklich begrüßt.
Bereits in der nächsten Nummer des Tribunals hieß es schon Vorwärts im Zeichen der Einheitsfront!
Die Erfolge dieser Politik reduzierten sich jedoch weitestgehend auf regionale Annäherung. Der Durchbruch zur Einheitsfront
erfolgte nicht und wurde vor allem durch die sozialdemokratische Führung verhindert. So wurde im Januar 1936 das Resümee gezogen
und festgestellt, »Das Jahr 1935 hat kein Abkommen mit dem SP-Vorstand über einheitliche Solidarität im Reich gebracht. Es endete
mit hoffnungsvollen Ansätzen zu gemeinsamen Hilfsaktionen, wie in Berlin und
anderen Teilen des Reiches. Dort
gelang es, eben auf Grund des
gemeinsamen Vorgehens, in größerem Umfange, die Hilfe für die Gefangenen und ihre Familien durchzuführen. Trotzdem haben sich
die Genossen des Prager Parteivorstandes nicht entschließen können, ihre ablehnende Haltung gegen die Einheitsfront auch nur in dem
Punkt gemeinsamer Hilfe aufzugeben.«[8]
Dennoch wurde von Seiten der Roten Hilfe die Linie, die 1935 festgelegt wurde, weiter betrieben.
»an vielen Stellen werden
Schritte eingeleitet, diese Bewegung der Solidarität organisatorisch zu erfassen, die Hilfe planmäßiger zu organisieren, in
kameradschaftlicher Einheitsfront Solidaritätsauschüsse zu schaffen und die Keimzelle einer einheitlichen wirklich ueberparteilichen
Hilfsorganisation zu bilden. Die RHD erklärt hierzu feierlichst, dass sie bereit ist, ihre Organisation in einer solchen überparteilichen
Hilfsorganisation aufgehen zu lassen. () Wie wir im Interesse des Aufbaus der freien Gewerkschaften auf die Fortführung der RGO
verzichteten, so halten wir nicht fest am bestehen der Roten Hilfe in ihrer gegenwärtigen Form. Es muß und es wird möglich sein, auf
diesem Wege über lose Solidaritätsausschüsse und Solidaritätsgruppen, mit Hilfe solcher Abkommen mit dem Berliner Bezirksvorstand
der SPD auch zu einer einheitlichen Hilfsorganisation zu
gelangen.«[9]
Die Konsequenz bedeutete, daß die Rote Hilfe als eigenständige Organisation nach und nach aufgelöst wurde und in anderen
Organisationen aufging. »Ende 1936 gründeten sieben deutsche Hilfsorganisationen den überparteilichen Hilfsausschuß für die Opfer
des faschistischen Terrors in Deutschland. Zu den Gründern gehörten neben der Roten Hilfe Deutschlands die Liga für
Menschenrechte, die Arbeiterwohlfahrt Deutschlands und andere bereits entstandene Hilfskomitees und
Vereinigungen.«[10] Damit hatte
die Rote Hilfe Deutschlands als Organisation aufgehört zu bestehen. Die letzten eigenständigen Publikationen der Roten Hilfe sind
1936, vereinzelt noch bis 1938, erschienen.
Daß die Rote Hilfe in Deutschland aufgelöst wurde, ist nicht allein auf den Faschismus zurückzuführen. So wie auch andere
Strukturen und Organisationen zwölf Jahre Faschismus überleben konnten, wäre dies auch für die Rote Hilfe möglich gewesen.
Sicherlich hatte im faschistischen Deutschland auch die enorme Schwächung der antifaschistischen Kräfte einen erheblichen Anteil
daran, daß viele GenossInnen nicht mehr als Rote Hilfe agieren konnten. Wie sich gezeigt hat, war die organisatorische Arbeit der
Roten Hilfe in der Illegalität äußerst schwierig, aber möglich. Die Roten HelferInnen konnten trotz aller Probleme, auch aufgrund ihrer
taktischen Maßgaben, reale Unterstützung für die
Opfer des Hilterfaschismus leisten. So waren also andere Gründe für die Auflösung der Roten Hilfe im Zeitraum von 1936 bis 1938
maßgeblich.
So konnten sich lediglich kleine Rote Hilfe Gruppen mit einer kaderähnlichen Struktur schützen und überleben. Doch unter den
Bedingungen der Illegalität war es unmöglich, eine Massenpolitik fortzuführen. Die Rote Hilfe war aber als Massenorganisation
konzipiert und hat auch stets als solche gearbeitet. Mit Massenorganisationen wie der Roten Hilfe sollte die ArbeiterInnenklasse an die
KPD herangeführt werden. Mit dem Durchsetzen der Einheitsfronttaktik bestand nicht mehr die Notwendigkeit, die Rote Hilfe als
Massenorganisation aufrecht zu erhalten.
Entscheidender war jedoch, daß die Rote Hilfe im Zuge der Einheitsfrontpolitik als Organisation immer mehr an Bedeutung verlor.
Dies erscheint zunächst widersprüchlich, war die Rote Hilfe doch als Organisation konzipiert, die in sich eine Einheitsfront darstellen
sollte. Doch die faktische Lage war eine andere. Die Rote Hilfe und die sie prägenden politischen Verantwortlichen haben es nicht
geschafft, tatsächlich parteiübergreifend zu wirken. Sie konnte zwar Mitglieder aus anderen Parteien und Organisationen an die Rote
Hilfe binden, doch war die Rote Hilfe auch international eindeutig durch kommunistische Parteien dominiert. So war
bezeichnenderweise als Fazit der RHD 1935 nachzulesen, daß sie sich mit der Auflösung der Roten Hilfe zu einer wirklich
überparteilichen Organisation zusammenschließen wollte, womit auch die Selbsteinschätzung zeigt, daß die Rote Hilfe diesbezüglich
nie den selbst gesteckten Ansprüchen ganz gerecht wurde.
Trotz dieser Argumente erscheint dieses Vorgehen aus heutiger Sicht unverständlich. Die Rote Hilfe besaß als Organisation für
Verfolgte und Opfer staatlichen und faschistischen Terrors einen eigenständigen politischen Ansatz und eine unabhängige
Existenzberechtigung. Diese Existenzberechtigung hätte sie zu
einer wirklich übergeordneten Organisation werden lassen können. Doch die Spaltung in der ArbeiterInnenbewegung an den Positionen
zum I. Weltkrieg, über den Weg zur Umgestaltung der Gesellschaft (Revolution oder Reform) und die Weichenstellungen, die Mitte der
zwanziger Jahre das Gesicht der Roten Hilfe und ihre Politik prägten, ließen dies nicht zu.
Fußnoten: