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70 / 20 Jahre Rote Hilfe

 

 


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Die Entwicklung der Roten Hilfe von 1975 bis heute

Wie im vorangegangenen Kapitel ausgeführt, war die Politik der Roten Hilfe zunächst stark auf die KPD/ML ausgerichtet. Die sich aus Statut und Programm der RHD [1] von 1975 ergebende Politik wurde in den folgenden Jahren innerhalb der Organisation zunehmend als sektiererisch kritisiert. Kritisiert wurden auch Bestrebungen, die RHD zur Parteiersatzorganisation umzufunktionieren. Hiermit waren Bestrebungen gemeint, sich als RHD über die Aufgaben einer Schutz- und Solidaritätsorganisation hinaus an verschiedenen Bewegungen, wie z.B. Mieterkämpfen und der Anti-AKW-Bewegung zu beteiligen, oder die damals vielgeübte Praxis, in jedem RH-Flugblatt alle Forderungen der KPD/ML unterzubringen.
Diese Kritik führte zur Verabschiedung einer neuen Satzung auf der Delegiertenkonferenz 1978 [2], die keine allgemeinpolitische Programmatik mehr enthielt. Im neuen §2 (Zweck der RHD) hieß es dann: »Die Rote Hilfe Deutschlands ist die Solidaritätsorganisation der Werktätigen in ganz Deutschland. Sie organisiert die Solidarität mit denen, die in der Deutschen Bundesrepublik, in Westberlin oder in der Deutschen Demokratischen Republik verfolgt und unterdrückt werden, weil sie gegen Ausbeutung und Unterdrückung, für die soziale und nationale Befreiung des deutschen Volkes, gegen Faschismus und Reaktion oder gegen die imperialistische Kriegspolitik im Kampf stehen. Sie tritt insbesondere ein für die Freilassung der politischen Gefangenen.«

Öffnung der RHD

Die Jahre 1978 bis 1980 brachten eine Umorientierung der Roten Hilfe mit sich. Zwei Faktoren spielten dabei eine Rolle. Zum einen verlagerte ein großer Teil der bis dahin sehr aktiv in der RH arbeitenden KommunistInnen ihre Aktivität auf andere Gebiete, wie z.B. die antifaschistisch-demokratische Bewegung und die Arbeit in den Gewerkschaften. Dies führte zu einem Rückgang der Aktivitäten dieser Menschen in der RHD, sie blieben nur noch zahlende Mitglieder, und die RHD war gezwungen, ihre Basis zu verbreitern. Zum anderen zeigte sich auch spätestens bei den großen Demonstrationen der Anti-AKW-Bewegung (Brokdorf, Grohnde), daß die Verbindung zu den in den neuen sozialen und alternativen Bewegungen Aktiven, folglich auch zu den deshalb politisch Verfolgten, fehlte. Durch die Beteiligung der RH mit Sanitrupps u.ä. an diesen Demonstrationen und Unterstützung von verfolgten AKW-GegnerInnen kam es zu ersten Kontakten mit anderen politischen Gruppierungen.

Ende oder Neubeginn

1980 verabschiedete die III. zentrale Delegiertenkonferenz eine neue Satzung und neue Leitsätze. Die Leitsätze wurden von vielem befreit, was nach Auffassung der Delegiertenkonferenz über Sinn und Zweck einer Solidaritätsorganisation hinausging und inhaltlich von vielen (möglichen) RHD- Mitgliedern nicht geteilt werden konnte, wie z.B. die Einschätzung der DDR. Auch die Satzung wurde entsprechend geändert; der Schwerpunkt wurde auf die Unterstützung politisch Verfolgter in der BRD gelegt, die Unterstützung von Menschen aus der DDR trat in den Hintergrund. Damit wurde ein weiterer Schritt zur Schaffung einer breiteren Basis für die Mitarbeit in der Roten Hilfe gemacht. In §2 der Satzung hieß es nun: »Die Rote Hilfe Deutschlands ist eine überparteiliche Solidaritätsorganisation. Sie handelt nach dem Grundsatz: Einer für alle alle für einen. Die Rote Hilfe Deutschlands organisiert die Solidarität für alle, unabhängig von der Parteizugehörigkeit, Religion oder Weltanschauung, die in der Bundesrepublik Deutschland und in Westberlin ihren Arbeitsplatz verlieren, Berufsverbot erhalten, vor Gericht gestellt und zu Geld- oder Gefängnisstrafen verurteilt werden oder sonstige Nachteile erleiden, weil sie für die Ziele der Arbeiterbewegung eintreten, weil sie sich im antifaschistischen, demokratischen oder gewerkschaftlichen Kampf einsetzen oder weil sie gegen die Kriegsgefahr kämpfen. Entsprechend diesen Grundsätzen unterstützt die Rote Hilfe Deutschlands gleichermaßen im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch politisch Verfolgte in und aus der Deutschen Demokratischen Republik. In anderen Ländern gilt die Solidarität der Roten Hilfe Deutschlands den von der Reaktion politisch Verfolgten.«
Anfang der 80er Jahre nahmen Einfluß und Stärke der kommunistischen Parteien und Organisationen, auch der KPD/ML, langsam ab; neue Bewegungen waren entstanden. Bis Mitte der 80er Jahre stammte jedoch der Großteil der Mitglieder der RHD immer noch aus der KPD/ML; obwohl als proletarische Massenorganisation gegründet, sahen einige die RHD als Parteiorganisation an. So gab es mit dem Niedergang der Partei auch Bestrebungen, die RHD aufzulösen. Einige der GenossInnen meinten, daß es für eine Organisation wie der Roten Hilfe keine Existenzgrundlage mehr gäbe.
Diese Position fand jedoch auf der V. Delegiertenkonferenz 1984 keine Mehrheit. Die GenossInnen und Ortsgruppen, die die weiterhin bestehende Notwendigkeit der Roten Hilfe erkannten und eine breite Solidaritätsorganisation schaffen wollten, setzten sich durch. Es wurde beschlossen, daß der Bundesvorstand sich verstärkt um Zusammenarbeit mit anderen Gruppen und Organisationen bemühen und nach seinen Kräften vor allem Öffentlichkeitsarbeit unter Linken leisten sollte.

Ein neuer Anfang

Ein erster Durchbruch zur Erweiterung des Spektrums in der Roten Hilfe gelang 1985 in Kiel: Das langjährige Bemühen zweier in Kiel aktiver Bundesvorstandsmitglieder hatte zum Aufbau guter Kontakte mit Menschen aus dem HausbesetzerInnen- und autonomen Spektrum geführt. Dies zahlte sich jetzt bei einer gemeinsamen Mobilisierung zur Unterstützung des großen Streiks der britischen Bergarbeiter (von denen Hunderte inhaftiert wurden) aus. Resultat der guten Zusammenarbeit war nicht nur, daß komplette politische Zusammenhänge (Knastgruppe, autonome Gruppen, Aktive des Jugendwerks der Arbeiterwohlfahrt, Ermittlungsausschuß) in den Jahren 1985-1987 in die Rote Hilfe eintraten, sondern sich fortan auch an der politischen Arbeit der RH beteiligten.
Auf der Bundesdelegiertenkonferenz 1986 wurde unter anderem beschlossen, daß die RHD in Rote Hilfe (RH) umbenannt und die Delegiertenversammlung durch eine Bundesmitgliederversammlung ersetzt wurde. Damit wurde einerseits dem Zustand der Organisation Rechnung getragen, die mittlerweile aus nicht einmal mehr 600 Mitgliedern bestand, von denen der größte Teil Einzelmitglieder und nicht in einer Ortsgruppe zusammengefaßt war. Andererseits gab es unter vielen an der Mitarbeit in der RH Interessierten Bedenken gegen das Delegiertenprinzip vor allem vor dem Hintergrund der früheren KPD/ML-Gebundenheit und der faktischen Mehrheit tatsächlicher und ehemaliger KPD/ML-Mitglieder in der RH.

Problematik einer Bündnisorganisation

In den folgenden Monaten gründeten sich in Schleswig-Holstein einige neue RH-Gruppen, viele Menschen traten in die Rote Hilfe ein. Relativ schnell zeigte sich, daß die Mitgliederwerbung und Neugewinnung Aktiver ihre Tücken hatte: Die Ortsgruppen in Schleswig-Holstein waren auch zu einem Sammelbecken für Menschen geworden, die auf der Suche nach einer allgemeinpolitischen Gruppe waren.
Neben einer Fraktion des proletarischen Klassenkampfes, die sich in Kiel innerhalb der Roten Hilfe organisierte und die RH als Parteiersatz funktionalisieren wollte, waren dies vor allem Menschen aus dem autonomen Spektrum, die in der Roten Hilfe einen Ersatz für eine allgemeinpolitische Organisation suchten.

Eine Zeit lang blockierte die interne Auseinandersetzung fast vollständig die Arbeit der Roten Hilfe. Obwohl 1987 fast 200 Menschen in die RH eintraten, neue Ortsgruppen gegründet worden waren, kam die Arbeit fast ganz zum Erliegen, weil unterschiedliche Spektren versuchten, ihre allgemeinpolitischen Ziele durchzusetzen. Erst im Anschluß an die Bundesmitgliederversammlung im Juni 1988 konnte der neue Bundesvorstand die Auseinandersetzungen zumindest teilweise beenden oder in für die RH produktive Bahnen lenken.

Ein besonderes Verdienst kam hier der Berliner Ortsgruppe zu, die früh die Bedeutung einer klaren und eindeutigen Definition der RH als Schutz- und Solidaritätsorganisation ohne allgemeinpolitische Betätigung erkannte und für diese Vorstellung warb.

Die Entwicklung seit 1990

Ende der 80er Jahre wurde es erforderlich, die Struktur der Roten Hilfe zu überdenken. Die Rote Hilfe wuchs und an verschiedenen Orten entstanden neue Aktivitäten. Die Organisation der Ortsgruppen war aber nur unzureichend geregelt. Es war nicht klar, welchen Status die Arbeit vor Ort überhaupt hatte, so daß entsprechende Anfragen nicht befriedigend beantwortet werden konnten. Die Vergrößerung der Organisation drohte die Rote Hilfe zu lähmen.
Auf mehreren Mitgliederversammlungen war es zu der Situation gekommen, daß die ausrichtenden Ortsgruppen die Versammlungen in Abstimmungen und Diskussionen dominieren konnten. Dies wurde als undemokratisch kritisiert, weil die Mitgliedschaft aus den anderen Orten in den Abstimmungen nicht repräsentiert wurden und Abstimmungsergebnissse nach der Wahl der Tagungsorte willkürlich zustande kamen.
Vor diesem Hintergund wurde auf der Mitgliederversammlung 1990 in Berlin eine Satzungskommission ins Leben gerufen, die bis zur nächsten Versammlung ein neues Satzungskonzept vorlegen sollte. Es wurde ein völlig neuer Satzungsentwurf entwickelt, der wieder eine Delegiertenversammlungen vorsah. In diesem Zusammenhang wurden erstmals die Strukturen der Ortsgruppen definiert und die Rechte der Einzelmitglieder geregelt, so daß ein umfassendes Konzept zur demokratischen Beteiligung aller Mitglieder entstand. Die Ortsgruppen bekamen einen klaren Rahmen, in dem sie sich organisatorisch und politisch bewegen können und sind dadurch in ihren Rechten und Aufgaben sehr gestärkt worden. Diese Satzungsänderungen wurden auf der Bundesmitgliederversammlung 1992 verabschiedet. Seither werden die Delegierten auf Orts- und Regionalmitgliederversammlungen gewählt.
Auf dieser Bundesmitgliederversammlung (BMV) 1992 sollte nicht nur darüber entschieden werden, ob es weiter Mitglieder- oder wieder Delegiertenversammlungen geben sollte. In diversen Papieren und Diskussionsbeiträgen wurde im Vorfelde der BMV deutlich, wie weit die inhaltlichen Vorstellungen nach wie vor auseinandergingen. Die Diskussion spitzte sich um die Ausgestaltung des §2 der Satzung, in dem es um den Zweck der Roten Hilfe geht, zu. Auf dem Tisch lagen unterschiedliche Vorschläge, an denen sich zwei Grundlinien abzeichneten: Während ein Teil der RH die Satzung noch enger fassen wollte, um eine Entwicklung als Parteiersatz, Richtungsorganisation oder karitatives linkes Rotes Kreuz zu verhindern, ging es anderen darum, sich entweder Spielräume offen zu halten oder neue Tätigkeitsfelder der RH zu definieren, wie beispielsweise die Unterstützung von Opfern rassistischer Gewalt oder allgemeinpolitische Stellungnahmen in bestimmten Situationen.
In der Auseinandersetzung um die inhaltliche Ausrichtung der RH konnte sich mit knapper Mehrheit die Richtung durchsetzen, die die RH eher noch eindeutiger auf die Antirepressionsarbeit festlegen wollte. Die Debatte um die inhaltliche Orientierung wurde vor allem an den Punkten Unterstützung von Nebenklagen vergewaltigter Frauen und allgemeinpolitische Betätigung geführt. Aufgrund der auf der BMV gefaßten Beschlüsse löste sich eine Ortsgruppe, die schon vorher keine aktive Rote-Hilfe-Arbeit mehr geleistet hatte, endgültig auf.
Die Debatte war mit der BMV allerdings nicht beendet, in den folgenden Monaten entspann sich eine heftige und polemische Diskussion zwischen den beiden Richtungen, die zu einer neuen Zerreißprobe für die RH wurde.
Zunächst blieben - trotz unterschiedlicher Auffassungen - fast alle Beteiligten weiter in der RH, bzw. beteiligten sich weiter an der aktiven Arbeit. Schließlich führte die Debatte 1994 dazu, daß ein Teil der Berliner AktivistInnen sich aus der Bundesorganisation löste.
Die Auseinandersetzung wurde auf der ersten Bundesdelegiertenversammlung (BDV) 1994 in der Diskussion um neue Leitsätze für die Rote Hilfe weitergeführt. Die solidarisch geführte Diskussion ist auf dieser BDV nicht beendet worden.
Die Neustrukturierung der RH 1992 dürfte jedoch dazu geführt haben, daß die sich gründenden Roten Hilfen sich als Ortgruppen in der bundesweiten Roten Hilfe organisierten und nicht versuchten, separate Fonds aufzubauen. Die klaren Aufgaben und Rechte der Ortsgruppen haben bewirkt, daß sich neue Ortsgruppen gründeten, die wiederum ihre Arbeit langfristig und verbindlich anlegten. Mit der Neustrukturierung der Roten Hilfe wuchs auch die Anforderung an den und die Kontrolle des Bundesvorstands. Auch die erste Delegiertenkonferenz nach der Satzungsänderung im Frühsommer 1994 war ein Erfolg. Es war seit Jahren das erste Mal, daß aus fast allen Orten und Regionen Delegierte zur Versammlung erschienen. Die Rote Hilfe hat mit der Satzungsreform einen organisatorischen Neuanfang gemacht und ist seitdem dabei, von einer informellen Struktur zu einer funktionierenden Organisation heranzuwachsen.
Fußnoten:
    RHD - Rote Hilfe Deutschlands, Name der heutigen RH e.V. bis 1986 Statt Programm und Statut erhielt die RHD nun eine Satzung, weil sie als Verein eingetragen werden sollte.
Quellen:
Die Arbeit der RHD verbessern, 1977
Satzung der Roten Hilfe Deutschlands, verabschiedet auf der II. Zentralen Delegiertenkonferenz 1978
Leitsätze und Satzung, verabschiedet auf der III. Zentralen Delegiertenkonferenz 1980
Dokumente der III. Ordentlichen Zentralen Delegiertenkonferenz (1980)
Anträge an die III. Ordentliche Zentrale Delegiertenkonferenz
Anträge und Beschlüsse der Bundesmitglieder- versammlung 1992
Anträge und Beschlüsse der Bundesdelegiertenversammlung 1994
Verschiedene Rote Hilfe-Zeitungen, Rote Hilfe-Mitteilungsblätter und Mitgliederrundbriefe
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