In den ersten Jahren bestimmten die Rote Hilfe (RH)-Gruppen das Bild der Organisation. Sie organisierten Straßensammlungen,
Flohmärkte, Basare und Solidaritätsfeste, um Geld zusammenzubringen. In der Zeit vor Weihnachten, wenn die Spendenfreudigkeit
größer ist, wurden nach dem Vorbild der alten RHD besondere Kampagnen zur Weihnachtshilfe durchgeführt. Die GenossInnen der
Roten Hilfe gingen regelmäßig von Haus zu Haus, sammelten für einen bestimmten Fall Geld und informierten dabei über diesen Fall
und über die Rote Hilfe. Die Gruppen bereiteten mit den Angeklagten gemeinsam deren Prozeß vor. Politische Gefangene wurden, so
gut es ging, auf ihre Knastzeit vorbereitet und während der Haft betreut. Sani-Trupps der RHD begleiteten in einigen Fällen
Demonstrationen und leisteten Erste Hilfe. Die Ortsgruppen sammelten selber das Geld, um ihre Fälle unterstützen zu können.
Natürlich gab es auch bundesweite Kampagnen und einen bundesweiten Unterstützungsfonds. Dies alles konnte nur deshalb geleistet
werden, weil in den ersten Jahren jedes Mitglied der RH zumindest moralisch verpflichtet war, aktive Rote Hilfe-Arbeit zu leisten.
Die Mitglieder wurden durch KassiererInnen aus der Aktivengruppe betreut. Das heißt, einE KassiererIn betreute mehrere
Mitglieder, sammelte ihre Mitgliedsbeiträge, brachte die RH-Zeitung vorbei, informierte über Aktivitäten und Diskussionen in der RH
und sammelte Spenden für bestimmte Anlässe. Der Ortsvorstand erhielt die Beiträge und Spenden der KassiererInnen und führte diese
an den zentralen Vorstand ab. Die Delegierten für die zentrale Delegiertenversammlung wurden auf Ortsmitgliederversammlungen
gewählt.
Dieses Konzept hatte natürlich Vor- und Nachteile: Auf der einen Seite bot das Kassierersystem die Möglichkeit, engen politischen
und persönlichen Kontakt zu den Mitgliedern zu pflegen, Diskussionen transparent zu machen und die passiven Mitglieder immer
wieder mit einzubeziehen. Außerdem bot dieses System einen gewissen Schutz vor staatlicher Repression, da die Beschlagnahme von
Mitgliedskarteien quasi unmöglich war und das Sperren von Bankkonten nur kurzfristig Erfolg bringen konnte. Auf der anderen Seite
war das Kassierersystem mit einem enormen Aufwand für die KassiererInnen verbunden, die absolut diszipliniert und zuverlässig
arbeiten mußten, wenn das System funktionieren sollte. Fiel ein Kassierer oder eine Kassiererin aus, war es für den Ortsvorstand und
erst recht für den zentralen Vorstand unmöglich, den Kontakt zu den Mitgliedern zu halten. Einzelmitglieder, die an Orten ohne
Ortsgruppen lebten, konnten auf diese Weise nicht betreut werden und waren nicht an der demokratischen Entscheidungsfindung
beteiligt.
Da viele Rote Hilfe-Mitglieder ihre Aktivitäten auf andere Bereiche verlegt hatten, änderte sich die Arbeit der Organisation ab
Ende der 70er Jahre; viele Ortsgruppen lösten sich auf oder leisteten keine aktive RH-Arbeit mehr. Die übriggebliebenen Ortsgruppen
betreuten weiterhin ihre Fälle und arbeiteten zu Repressionsthemen am Ort. 1984 gab es nur noch 11 Kontaktadressen und noch
drei aktive Ortsgruppen. Bundesweit prägten nicht mehr die Ortsgruppen das Bild der RHD, sondern die Einzelmitglieder. Beiträge
wurden jetzt direkt an den Bundesvorstand in den Solidaritätsfonds eingezahlt, der Bundesvorstand entscheidet seitdem über
Unterstützungsleistungen.
Ortsgruppen und der Zentralvorstand bemühten sich verstärkt, Verbindungen zu anderen politischen Bewegungen zu knüpfen, zu
Initiativen, Kernkraftgegnern, Ermittlungsausschüssen und zu verschiedenen Solidaritätskomitees. Dies geschah z.B. bei den
Nürnberger KOMM-Prozessen 1981. Die Kontakte blieben jedoch bis Mitte der 80er Jahre punktuell und zeitweilig.
Ab 1985 kam es an einzelnen Orten zur Zusammenarbeit mit Menschen aus anderen politischen Bewegungen, die auch begannen,
aktive Rote-Hilfe-Arbeit zu machen. Daraufhin begann 1985/86 die Reorganisation der Roten Hilfe. Der Bundesvorstand führte seine
vierteljährlich stattfindenden Sitzungen nun immer in unterschiedlichen Städten durch, um dadurch die örtliche RH-Arbeit
kennenzulernen und diese zu unterstützen. Der erste Vorsitzende reiste quer durch die Republik, um an der RH-Arbeit Interessierten die
Organisation vorzustellen; er wurde dabei immer stärker durch weitere Kieler Mitglieder unterstützt. In Lübeck und Elmshorn
entstanden neue und mitgliederstarke Ortsgruppen.
Bis 1988 kamen weitere Ortsgruppen in Berlin und Rendsburg dazu. Zumindest in Schleswig-Holstein entstand in den Jahren 1986-
1988 eine optimistische Aufbruchstimmung. Angesichts von vier Ortsgruppen wurden mehrmals Landeskonferenzen durchgeführt; auf
den wöchentlich stattfindenden RH-Aktiventreffen in Kiel waren z.B. einige Monate regelmäßig mehr als 20 Menschen, die sich an der
Antirepressionsarbeit beteiligten, nicht zuletzt, weil diese aufgrund diverser politischer Aktivitäten dringender wurde als zuvor.
Zur Erinnerung: 1986 war nicht nur nach Tschernobyl das Strommastumsägen zum Volkssport geworden, es ging auch um die
Volkszählung, später um den Volksaufstand in Palästina, Kurdistan, Südafrika, den britischen Fährarbeiterstreik und den Prozeß gegen
Ingrid Strobl, um hier nur einige Stichworte zu nennen.
Vor allem den Ortsgruppen in Berlin und Kiel gelang es, Arbeitsgruppen zu Schwerpunkten der Antirepressionsarbeit zu bilden
(politische Gefangene, §129a, Europäische Vereinheitlichung des Sicherheitsapparates). Von 1989 an gab es nun zu bestimmten
inhaltlichen Fragen, wie Vereinheitlichung des Repressionsapparates in Europa, §129a, Repression gegen Antifas, Amnestie für
politische Gefangene bundesweite Aktiventreffen, so daß immer auch Einzelmitglieder mit in die Arbeit einbezogen werden konnten.
Bei den neugegründeten Ortsgruppen zeigte sich bald das Problem, daß vielerorts nur über eine bestimmte Zeit aktive Arbeit
aufrecht erhalten werden konnte. So schliefen die Ortsgruppen in Lübeck und Elmshorn 1989/90 wieder ein, während neue in Hamburg
und Heilbronn entstanden.
Seit Mitte der 80er Jahre hatte die Rote Hilfe viele neue Mitglieder aus anderen politischen Spektren gewonnen, die zunehmend die
Politik der Roten Hilfe bestimmten. Erfahrungen aus vielen politischen Strömungen kamen zusammen. Auf dem Gerüst der alten
Organisation wurde eine neue, der politischen Situation angepaßte Struktur aufgebaut.
Letztendlich wurden die Hauptaktivitäten der RH von knapp zwei Dutzend GenossInnen bewerkstelligt. Neben der
Verwaltungsarbeit, den Treffen des Bundesvorstands und der Redaktion, der Vorbereitung von Bundesaktiventreffen, der Betreuung
neuer Ortsgruppen und Interessierte, wurde vier mal im Jahr die RH-Zeitung produziert, die Berliner OG gab darüberhinaus noch ein
monatliches Info heraus. Daneben wurden nicht nur Informationsveranstaltungen, Büchertische und Spendensammlungen organisiert,
sondern allein 1989 noch drei Broschüren produziert: zum Hungerstreik der politischen Gefangenen in der BRD, zum Prozeß gegen die
KurdInnen in Düsseldorf und zur politischen Repression in Nordirland.
Mitte 1990 war die Mitgliederzahl der RH auf 900 gestiegen. Die Neustrukturierung der Roten Hilfe 1992 hatte die angenehme
Folge, daß erstmals seit Jahren eine
systematische Aufbereitung und Pflege der Mitgliederdatei folgte. Es wurden zunächst zwar zahlreiche Karteileichen aus der
Mitgliederdatei entfernt, seitdem zählt die Rote Hilfe nur noch zahlende Mitglieder. Trotzdem ist die Mitgliedschaft seitdem um mehr
als das Doppelte gewachsen.
Nachdem am Tiefpunkt 1985 nicht einmal mehr 21.000 DM eingenommen worden waren, waren es 1990 wieder fast 50.000 DM
an Mitgliedsbeiträgen. Trotzdem war die finanzielle Siuation angespannt und die Bundesmitgliederversammlung in Berlin beschloß,
den Mindestbeitrag auf 5, DM pro Monat zu erhöhen, der sich bis dato seit 1975 auf 2, DM pro Monat belief.
1992 kamen neue Ortsgruppen in Delitzsch die erste OG auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und Göttingen hinzu. Gerade der
Göttinger Ortsgruppe, die in den folgenden Monaten einen ungeheuren Mitgliederzuwachs in ihrer Stadt erreichen konnte und sich an
den bundesweiten Aufgaben beteiligte, kam eine wichtige Funktion zu. Die staatliche Repression richtete sich immer
stärker gegen AntifaschistInnen, die GöttingerInnen waren zum Teil selbst durch die §129a-Ermittlungen gegen die Autonome Antifa
(M) betroffen und konnten durch ihre antifaschistische Arbeit die RH in antifaschistischen Kreisen bekannt machen. Vor allem aus
diesem Bereich kamen in der Zeit von 1992-1995 die neuen Mitglieder, vor diesem Hintergrund konstituierten sich ein großer Teil der
neuen Ortsgruppen in Bremen, München, Nürnberg, Passau, Plauen und im Raum Münster.
Alleine 1994 traten über 300 Menschen der RH bei, die Mitgliederzahl liegt Mitte 1995 bei 1500. Das Beitragsaufkommen stieg 1993
auf fast 74.000 DM und 1994 auf über 85.000 DM. In noch größerem Maße wie die Mitgliederzahlen und Beitragszahlungen stiegen
allerdings auch die Unterstützungsfälle der RH (vor allem im Antifa-Bereich), so daß die Reserven aus vergangenen Jahren 1994
erstmals mit herangezogen werden mußten.
Im August 1995 gab es wieder 13 Ortsgruppen und zwei Regionalgruppen. Die Anzahl der Mitglieder ist in den letzten Jahren
stetig gestiegen; es gibt eine Vielzahl von Mitgliedern, die keiner Ortsgruppe angehören. Die Orts- und Regionalgruppen arbeiten zu
Antirepressionsthemen am Ort, führen Veranstaltungen durch, organisieren Soli-Partys, betreuen Prozesse am Ort und vieles mehr. An
einzelnen Orten wird eine eigene Zeitung herausgegeben. Unterstützungsleistungen werden in der Regel nicht mehr von den
Ortsgruppen, sondern aus der Bundeskasse getätigt. Die Rote Hilfe organisiert und beteiligt sich bundesweit an Kampagnen zu
Antirepressionsthemen, erstellt zentrale Flugblätter zu aktuellen Anlässen und gibt vierteljährlich die Rote Hilfe Zeitung heraus.
Neben der Zeitung Die Rote Hilfe hat die Rote Hilfe in den letzten 20 Jahren eine ganze Reihe von Broschüren,
Dokumentationen und Flugblättern zu aktuellen Ereignissen herausgegeben. 1991 erschien erstmals die Rechtshilfebroschüre Was tun
Wenns brennt, von der mittlerweile über 50.000 Exemplare in deutsch und türkisch gedruckt und verteilt worden sind.
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