»So lange es Unterdrückte gab, die sich gegen das Joch der Herrschenden aufbäumten, kann man in der Geschichte dieser Kämpfe die Ansätze zu einer Organisierung praktischer Solidarität verfolgen.«
Diesen einleitenden Passagen der Broschüre ist zu entnehmen, in welche Tradition sich die RHD stellte, und es wird deutlich, daß die Geschichte einer Roten Hilfe in Deutschland (und nicht nur dort) weiter zurück reicht, als es das Gründungsjahr 1924 zunächst vermuten läßt. Im folgenden soll es um diese Vorgeschichte gehen, ohne die weder die Entstehung noch die Entwicklung der RHD und das gilt für die Weimarer Republik wie für die Bundesrepublik gleichermaßen historisch richtig zu erfassen und politisch angemessen zu bewerten wäre.
Sei es zur Zeit der Sklavenaufstände im alten Rom, sei es während der Bauernaufstände im Mittelalter, immer schon gab es die solidarische Unterstützung der Kämpfenden und Verfolgten durch GesinnungsgenossInnen doch erst mit der Geburt des industriellen Proletariats setzten die ersten Versuche ein, organisierte Solidaritätsarbeit zu leisten. Dabei wurde von vornherein sowohl das Prinzip der proletarischen Solidarität als auch der revolutionäre Charakter solcher Hilfe betont. Die von der Klassenjustiz Verfolgten sollten unterstützt werden, um sie letztlich wieder für den Klassenkampf zu stärken; dazu schreibt Johannes Zelt in seinem Buch und nicht vergessen die Solidarität:
»Die Solidarität gebührte allen revolutionären Kämpfern und politisch Verfolgten und wurde ohne Ansehen der Person und der Anschauung auch gewährt. Entscheidend war lediglich die revolutionäre Betätigung.«
Neben anderen betätigten sich auch Marx und Engels an internationalen Solidaritätskampagnen: Als eines der ersten Beispiele ist hier die Hilfe für die Verfolgten und EmigrantInnen nach der Zerschlagung des Bundes der Communisten in Brüssel 1848 zu nennen. So gründete Karl Marx in England ein Komitee zur Unterstützung der deutschen politischen Emigranten, 1852 übernahm er die Verteidigung der Angeklagten im sogenannten Kölner Kommunistenprozeß, und gemeinsam mit Engels organisierte er 1871 die Hilfe für diejenigen, die nach der Niederschlagung der Pariser Kommune flüchten mußten. Während schon damals der Kampf um das Aufenthaltsrecht im Zufluchtsland eine große Rolle spielte, wurde den Inhaftierten zugleich durch Unterstützungsaktionen der bereits verbannten oder geflüchteten GenossInnen geholfen.
»Hilfekomitees und Vereine wurden gegründet, Sammlungen ohne behördliche Erlaubnis durchgeführt. In Berlin bildete sich sogleich in den ersten Tagen des Sozialistengesetzes ein Unterstützungskomitee zur Hilfeleistung für die Ausgewiesenen und Verfolgten, sowie für ihre Frauen und Kinder. Kurze Zeit später entstand dann in Leipzig () eine Zentralstelle für die im Reich gesammelten Gelder unter Leitung von August Bebel, Wilhelm Liebknecht u.a.«
Dabei war die politische Bandbreite der Unterstützung, die weit über die sozialdemokratischen Parteigrenzen hinausging, wohl ein Grund für den Erfolg dieser organisierten Soldaritätsarbeit. Neben der Gewährung praktischer Hilfe (Unterschlupf etc.) wurden große Summen von Unterstützungsgeldern zusammengetragen, so daß für die damalige Zeit recht hohe Geldbeträge an die Verfolgten und ihre Angehörigen ausgezahlt werden konnten. Aus den aufgezeichneten Erinnerungen des Arbeiters Molkenbuhr wird deutlich, daß hier erstmals jene Solidaritätsstrukturen entwickelt wurden, die später das Bild der Roten Hilfe prägen sollten:
»Hunderte Familien waren ihres Ernährers beraubt. Für die Ausgewiesenen und deren Familien mußte gesorgt werden. Das war
für jeden Genossen selbstverständlich.
Jede Woche mußten Unterstützungsgelder vorhanden sein. Jetzt wurde gesammelt. Die Sammler erzogen bald ihr Publikum. Sie sagten:
Es muß jede Woche eine große Summe vorhanden sein. Sie kann nur beschafft werden, wenn sich eine große Anzahl Genossen findet,
die sich verpflichtet, jede Woche oder
jede 14 Tage einen bestimmten Betrag zu geben. Einerlei ob der Genosse sich erbot, 10 Pfg oder sonst eine Summe zu geben, sie wurde
prompt abgeholt. So kam man bald dahin, regelmäßig mehr zu erhalten, als wir vorläufig brauchten.«
Das Sozialistengesetz
1878-1890, S. 61f
Gleichwohl blieb die Haltung der Sozialdemokratie gegenüber der staatlichen Repression gegen links ambivalent. Neben zahlreichen Bemühungen, das Sozialistengesetz zu unterlaufen und die Gegenwehr zu organisieren, entwickelte sich die Partei zunehmend legalistisch und parlamentarisch. Bereits in dieser Zeit wurden die Grundlagen für die Spaltung der proletarischen Klasse gelegt, die nur wenig später vollendet sein sollte: Mit dem Aufstieg der SPD zur staatstragenden Volkspartei und mit ihrer Zustimmung zur Bewilligung der Kredite für den I. Weltkrieg war die Einheit der ArbeiterInnenbewegung endgültig zerbrochen. Als der SPD auf den Trittbrettern der Revolution von 1918/19 der entscheidende Schritt an die Macht gelang, wurde die Sozialdemokratie mehr und mehr vom Opfer zum Täter: In dem Maße, in dem sie sich in den Folgejahren an der staatlichen Repression gegen Links beteiligte, verschwand auch die Notwendigkeit, die eigenen Reihen vor Verfolgung zu schützen bzw. eine entsprechende Solidarität zu organisieren. Die roten Hilfestrukturen des Kaiserreichs fanden ihre Fortsetzung nicht in der Sozialdemokratie der Weimarer Republik, sondern in der revolutionären ArbeiterInnenbewegung der Kommunistischen Partei Deutschlands.
Das Sozialistengesetz 1878 1890. Illustrierte Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse gegen das Ausnahmegesetz, hrsg. vom Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Dietz Verlag Berlin 1980
Johannes Zelt, und nicht vergessen die Solidarität!, Berlin 1960
Hiltrud Limpinsel/Doris Hasper-Steeger, Vorwärts und nicht vergessen, Die Rote Hilfe Deutschlands als Gefangenenhilfsorganisation in den Jahren 1924-33, Diplomarbeit Universität Duisburg 1993