Gegen den weltweiten Klassenterror - die internationale Rote Hilfe
Das Ende des 1. Weltkriegs, der Untergang der
II. Internationale und die Oktoberrevolution läuteten nicht nur in vielen Staaten Europas, Asiens und Südamerikas den Beginn
zahlreicher Revolutionen und nationaler Befreiungskämpfe ein, sondern markiert auch eine Phase von bis
dahin ungekannten Terrors gegen die werktätige Bevölkerung durch die Bourgeoisie, oftmals unter Mithilfe von sozialdemokratischen
Regierungen oder faschistischer Regimes, der weiße Terror.
In zahlreichen Staaten Nord- und Osteuropas wurden schon 1918 Konzentrationslager eingerichtet, in denen allein in Finnland
mehr als 26.000 Menschen durch Hunger, Krankheit oder Erschießungen ums Leben kamen, in Bulgarien und
Bessarabien wurden ca. 30.000 Menschen erschossen, ertränkt oder mit Bajonetten niedergestochen, in Polen wurde mit Giftgas gegen
streikende Arbeiter vorgegangen. Mit Beginn der 30er Jahre wurde vor allem
China im Zuge der Auseinandersetzung zwischen der chinesischen Roten Armee und der Kuomintang Schauplatz beispielloser
Greueltaten: allein in den ersten vier Monaten des Jahres 1931 wurden 106.915 Menschen durch die Kuomintang hingerichtet.
Die Gründung der IRH
Aus dieser Situation heraus entstanden in mehreren Ländern, u.a. Deutschland, Bulgarien und Polen, erste lose Hilfsorganisationen,
in denen vor allem die Angehörigen der getöteten, verhafteten oder geflohenen RevolutionärInnen wirkten. Der tobende Klassenkrieg
machte aber eine internationale revolutionäre Organisation zur Unterstützung der politisch Verfolgten immer notwendiger. Die
Initiative ging schließlich von Julian Marchlewski sowie der Gesellschaft der ehemaligen politischen Zuchthäusler und Verbannten
und der Gesellschaft der alten Bolschewiki aus. Um das Ziel, die Gründung einer internationalen, strömungsübergreifenden Schutz-
und Verteidigungsorganisation der Opfer der revolutionären Klassenkämpfe, zu erreichen, wandten sich diese an den IV. Weltkongreß
der Kommunistischen Internationale. Dieser beschloß am 22. November 1922 die Gründung eines Politischen Roten Kreuzes, der
Internationalen Roten Hilfe (IRH) und rief die kommunistischen Parteien auf, beim Aufbau nationaler Rote-Hilfe-Sektionen
mitzuarbeiten. Diese Schutz- und Verteidigungsorganisation, nach der russischen Bezeichnung MOPR genannt, konnte schon 1924 22
nationale Sektionen zählen und entwickelte sich in den nächsten Jahren rasch, so daß 1932 weltweit 71 Sektionen und
Schwesterorganisationen, die, wie z.B. die RHD, nicht formelles Mitglied der IRH waren, aber ständig in ihr mitarbeiteten, zur IRH
gerechnet
werden konnten, in denen 13,8 Millionen Menschen organisiert waren. Neben den Sektionen der europäischen Staaten gab es u.a.
Organisationen in China, den USA, El
Salvador, Guatemala, Südafrika usw., in denen zum Teil nur wenige hundert Mitglieder organisiert
waren. Von den Sektionen mußten 1932 45 illegal oder halblegal
arbeiten, so war z.B. die Sektion
Madagaskar zeitweise fast komplett inhaftiert.
Aufgaben und Ziele der IRH
Aus der konkreten Situation
leitete die IRH folgende Aufgaben und Ziele für sich ab:
Den Opfern des revolutionären Klassenkampfes, der Befreiungskämpfe nationaler Minderheiten, der antikolonialen Bewegungen
und anderen verfolgten RevolutionärInnen und deren Angehörigen wird materielle, moralische und juristische Unterstützung
gewährt
Ein ständiger Kampf wird gegen kapitalistische Reaktion, imperialistische und faschistische
Gewalt, Klassenjustiz und Folter, kurz gegen jede Form des weißen Terrors geführt.
Für Asylrecht und die Befreiung der proletarischen revolutionären Gefangenen zu kämpfen, die
gefangenen RevolutionärInnen weitestgehend zu unterstützen und politisch weiterbildende
Arbeit, z.B. durch das Beschaffen von Literatur, zu ermöglichen.
Nationalismus, Rassismus und Glaubenshass muß in jeder Ausprägung bekämpft werden.
Gegen die imperialistischen Kriegsvorbereitungen, insbesondere gegen die SU, vorzugehen.
Größtmögliche Unterstützung der politischen EmigrantInnen durch Beschaffung von Arbeit und Wohnraum, Versorgung durch
Literatur in ihrer Landessprache.
Bereitstellung von Wohn- und Pflegeplätzen für die Kinder gefallener oder verhafteter RevolutionärInnen.
Eine umfangreiche Propagandaarbeit soll in vielfältigster Form für die Arbeit der IRH werben.
Es ist eine größtmögliche Zusammenarbeit mit der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) und anderen Organisationen anzustreben.
Die Arbeit der IRH
Die konkrete Arbeit der RH-
Sektionen und der IRH konnte sowohl aufgrund der politischen Lage als auch des Umfangs der Aufgabenstellung ihren eigenen Zielen
nur selten vollständig gerecht werden. Die Hilfe für politische EmigrantInnen konnte nur unzureichend gewährt werden, Ausnahmen
waren Österreich, wo die RH-Sektion ein Heim für politische Flüchtlinge aufbauen konnte, und die SU, hier
stellte aber das Beschaffen von landessprachlicher Literatur ein großes Problem dar. Um einiges besser gestaltete sich die
Unterstützung der Kinder der Opfer des Klassenkampfs. Unter anderem konnten in Italien, Deutschland, Polen und China (z.T. illegale)
Kinderheime eingerichtet werden, diese wurden u.a. durch Patenschaften von BürgerInnen der SU finanziert. Auf dem Gebiet der
Propaganda verfügte die IRH in den kapitalistischen Staaten über ein ausgebautes Pressewesen, in den Kolonialgebieten und auf dem
Balkan war es ihr aber kaum möglich, ein solches aufzubauen. Weiterhin wurde mit auf politische Schwerpunkte ausgerichtete
Kampagnen gearbeitet. Mit Demonstrationen, Versammlungen, Entsendung von Delegierten, Aufstellung von
Untersuchungskommissionen, parlamentarische Interventionen und Pressearbeit wurden z.T. große Teile des internationalen
Proletariats und des Kleinbürgertums mobilisiert, wie z.B. bei der Sacco und Vanzetti-Kampagne. Mit AgitProp-Gruppen,
Aufführung von Theaterstücken, RH-Filmen und Fotodokumentationen wurde die Propagandaarbeit vervollständigt. Die angestrebte
Zusammenarbeit mit der IAH konnte in der Praxis aufgrund der verschiedenartigen Zielsetzungen (die IAH begriff sich als
Solidaritätsorgan der gesamten proletarischen Klasse während die IRH vor allem auf die Unterstützung der politisch verfolgten
Revolutionäre ausgerichtet war) nicht in der gewünschten Weise erreicht werden. Besser funktionierte die Zusammenarbeit u.a. mit
dem Antifaschistischen Weltkongreß, der Antiimperialistischen Konferenz der Kolonialvölker, der Organisationen der rassisch
Verfolgten und dem Europäischen Bauernkongreß.
Aufgrund der angespannten finanziellen Lage waren die RH-Sektionen der kapitalistischen Staaten oft auf die Unterstützung durch
die RH der SU angewiesen. Diese Unterstützung erfolgte z.B. durch Patenschaften, in denen die Belegschaften ganzer Betriebe oder die
Bevölkerung eines Ortes versuchten, die politischen Häftlinge eines westeuropäischen Gefängnisses materiell und moralisch zu
unterstützen. Desweiteren wurden in landwirtschaftlichen Genossenschaften Parzellen und Viehbestände für die
Rote Hilfe ausgewiesen, in Fabriken Extraschichten gefahren, umfangreiche Spendenaktionen durchgeführt, die jeweiligen Erlöse
kamen der IRH zugute.
Der Aufbau der IRH
Höchstes Organ der IRH stellte das Exekutivkommitee dar, die IRH gliederte sich in die verschiedenen nationalen Sektionen auf,
die sich in der Regel Rote Hilfe unter Zusatz des Landesnamens nannten, Ausnahmen hiervon waren die sowjetische Sektion, die sich
MOPR nannte, sowie einige verfolgte Sektionen, die sich zum Selbstschutz unverfängliche Namen gaben. Einige RH-Sektionen
gründeten Jugend- und Kinderorganisationen, die Jungen Freunde der Roten Hilfe. Die meisten RH-Sektionen kannten zwei Formen
der Mitgliedschaft, das
Individualmitglied, das direkt in die RH-Sektion eintritt und dort seine Beiträge entrichtet, und das Kollektivmitglied, das aufgrund der
Mitgliedschaft in einer Organisation, die sich der RH angeschlossen hatte, automatisch der jeweiligen RH-Sektion angehörte. Zu diesen
Organisationen gehörten vor allem
Frauen-, Sport-, Kultur- und sonstige Vereine sowie Genossenschaften und Gewerkschaften, die Kollektivmitgliedschaft war vor allem
in den kapitalistischen Staaten mit einer entsprechend entwickelten ArbeiterInnenbewegung und ArbeiterInnenkultur vorhanden.
Ausnahme hiervon war China, diese Sektion besaß einen hohen Anteil an Kollektivmitgliedern, deren Großteil sich aus der Roten
Armee rekrutierte. Mit der Form der Kollektivmitgliedschaft besaßen die RH-Sektionen externe Strukturen, die für die konkrete
politische Arbeit verfügbar waren, so war es möglich, schnell für Aktionen eine große Anzahl Menschen zu mobilisieren. Die konkrete
Arbeit der RH-Organisationen wurde in der Regel von den Individualmitgliedern
getragen, die in den Sektionen Wahl- und Stimmrecht innehatten und
mittels Schulungen und anderen Maßnahmen einen Funktionärskader bildeten.
Epilog
Wie oben bereits angedeutet, entwickelte sich die IRH sehr schnell, aber die Entwicklung fand in dem I. Weltkongreß der IRH
1932 einen Höhepunkt. Fast in jedem Staat konnten sich Sektionen der IRH bilden, diese hatten aber zum einen mit der politischen
Verfolgung durch die Reaktion, zum anderen mit dem ideologischen Einfluß der Sozialdemokratie zu kämpfen. Die weltweite
Expansion rückte Fragen der Organisation immer mehr in den Mittelpunkt der IRH und stellte diese vor fast unlösbare Aufgaben.
Wie die Komintern wurde die IRH 1943 liquidiert, als Gründe für ihr Scheitern können folgende Punkte in Betracht gezogen
werden: Der faschistische Terror, insbesondere in Europa, zerschlug die ArbeiterInnenbewegung, wichtige Funktionäre mußten
emigrieren oder wurden inhaftiert und ermordet, viele Sektionen mußten illegal arbeiten oder waren nicht mehr arbeitsfähig. Das
weltweite Agieren der IRH brachte erhebliche organisatorische Probleme mit sich. Ende der 20er Jahre geriet auch die IRH unter den
Einfluß der stalinschen Politik und wurde von dieser auf Kurs gebracht, sprich: das Postulat der strömungsübergreifenden
Organisation wurde de facto über Bord und unliebsame Mitglieder aus den Rote-Hilfe-Sektionen geworfen, so galt z.B. in Deutschland
der Kampf den SympathisantInnen der KPO, in den USA wurde gegen die sogenannten TrotzkistInnen vorgegangen.
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