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70 / 20 Jahre Rote Hilfe

 

 


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Klassenjustiz

Der Begriff der Klassenjustiz bezeichnet neben der moralischen Anprangerung der Repression gegen die ArbeiterInnenbewegung den Charakter der Justiz im Kapitalismus. Rechtsprechung und Gesetzgebung haben sich historisch mit den gesellschaftlichen Bedingungen entwickelt, es ist daher auch kein Wunder, daß die Rechtspraxis, oft auch die Gesetze selbst, unmittelbar zur Durchsetzung von Kapitalinteressen eingesetzt wird. Das bürgerliche Recht ignoriert einerseits die Ungleichheit der Eigentumsverhältnisse, andererseits setzt es diesen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit voraus.
Es geht hier also um einen umfassenden Klassenjustizbegriff, der nicht allein die gerechtfertigte Anprangerung von Terrorurteilen und politischer Verfolgung zum Inhalt hat, sondern außerdem aufzeigt, inwieweit das Recht ein Teil gesellschaftlicher Machtstrukturen ist.
Was hieß nun Klassenjustiz in der Weimarer Republik und welche Möglichkeiten gab es für die ArbeiterInnenbewegung, den Maßnahmen von Polizei und Justiz entgegenzuwirken?
Der Beamtenapparat des Kaiserreiches wurde 1918 nahezu vollständig in Justiz- und Staatsbeamtenschaft der Weimarer Republik übernommen. Mit den gleichen Beamten wurden aber auch deren konservativ-monarchistische Einstellung übernommen.
Was hingegen nicht erreicht und auch nicht versucht wurde, war die Durchsetzung demokratischer Vorstellungen. Statt dessen wurden Polizei und Justiz als zuverlässige Mittel zur Zerschlagung revolutionärer Bestrebungen eingesetzt, nicht zuletzt durch sozialdemokratische Minister wie Noske und Severing (preußischer Innenminister). Formale Grundlage für die Verfolgung der Linken bildete, von wenigen Änderungen abgesehen, das alte Strafrecht des Kaiserreichs. 1922 wurde kurz nach der Ermordung des Außenministers Walter Rathenau ein Sondergesetz gegen den faschistischen Terror mit großer Mehrheit im Reichstag beschlossen. Mit diesem Gesetz wurde der Staatsgerichtshof neu eingerichtet, der sich in der Folge über seine formale Bestimmung hinwegsetzte und ausschließlich gegen die Linke vorging. Der Staatsgerichtshof wurde von der Roten Hilfe bereits 1924 als Tribunal der Republik (F. Halle) kritisiert, das außer gegen die Mörder Rathenaus niemals gegen Faschisten tätig wurde. Deutlich wurde der Charakter an den Äußerungen des Senatspräsidenten, der die Lynchjustiz an KommunistInnen offen billigte. Die Rechtspraxis des Staatsgerichtshofs war aber nicht nur personell bedingt, sondern auch durch seinen Status als Sondergericht. Gegen seine Urteile konnten keine Rechtsmittel eingelegt werden, d.h. er war erste und letzte Instanz zugleich. Es handelte sich damit um eine reine Zweckjustiz, die in großem Umfang Zuchthausstrafen und auch Todesstrafen verhängte. Im Faschismus wurde der Staatsgerichtshof in Volksgerichtshof umbenannt.
Eine Äußerung des Reichsgerichtsrates Mittelstaedt zeigt beispielhaft die Funktion der damaligen Justiz:
»Noch haben wir, die Vertreter heutiger Staats- und Gesellschaftsordnung, die richterliche Gewalt in den Händen: Machen wir davon rücksichtslos Gebrauch gegen die Todfeinde unseres Staates und unserer Gesellschaft, ehe die soziale Revolution uns ans Messer liefert! So etwa denken die bewußtesten und ehrlichsten Köpfe des deutschen Richterstandes«[1]
Die Erscheinungsformen der Klassenjustiz sind die Klassengesetzgebung und eine klassenmäßige Rechtsprechung. Unter den Juristen der Weimarer Republik gab es nur wenige, die nicht der Bekämpfung der Arbeiterbewegung in politischen Prozessen höchste Priorität einräumten.
Angesichts der massiven Repressionen gegen die revolutionäre Linke, besonders im Zusammenhang mit den Aufstandsbewegungen nach dem sogenannten Kapp-Putsch 1920 und in Sachsen-Thüringen 1921, wurde die Notwendigkeit einer politischen Rechtshilfeorganisation deutlich. Die Rote Hilfe wurde aus diesem Zusammenhang heraus gegründet als eine Möglichkeit, auf weltanschaulicher Grundlage überparteilich aber nicht unpolitisch Solidaritätsarbeit zu leisten. Bereits Karl Marx setzte sich für die Gründung von Solidaritätskomitees ein, die, in Abgrenzung zu bürgerlicher Wohltätigkeit, ihre Unterstützungsaktionen nicht zersplittern sollten.
Die Tätigkeit der auf dem rechten Auge blinden Justiz führte allein von 1923 bis 1925 zu Freiheitsstrafen von insgesamt 5000 Jahren, während die Sozialistengesetze des 19. Jahrhunderts in zwölf Jahren nur 1000 Jahre Freiheitsentzug erbrachten. Aufgrund der engen Zusammenarbeit mit kommunistischen Organisationen, vor allem aber wegen der Unterstützung für politische Gefangene, wurde schließlich auch die Rote Hilfe verfolgt. Durch Agitation in der Öffentlichkeit, aber auch durch Vorführung von Filmen und Lichtbildern, versuchte die Rote Hilfe auf den Terror der Justiz aufmerksam zu machen. Die Kampagnen der RHD wurden immer wieder durch die Behörden behindert.
So wurde ein Film über die Kinderheime der Roten Hilfe verboten, da die Organisation angeblich wegen Hochverrats verfolgte GenossInnen unterstützte. In einem anderen Fall wurde in Nürnberg ein Plakat wegen der politischen Ausrichtung der Roten Hilfe verboten. Nach dem Verbot des Roten Frontkämpferbundes 1929 wurde ein Verbot auch für die RHD vom Reichsinnenminister Severing in Erwägung gezogen, aber nicht umgesetzt.
Ein großes Problem der Antirepressionsarbeit war der Mangel an demokratischen Juristen. Dennoch arbeiteten 1930 insgesamt 72 Anwälte für die Rote Hilfe, davon sind 15-20 als ausgesprochen politische Verteidiger anzusehen. Das Verteidigermandat wurde von der RHD direkt an diesen Personenkreis vergeben. Im Dezember 1929 wurde die Internationale Juristische Vereinigung (IJV) auf Initiative von RHD und KPD gegründet. Dahinter stand die Vorstellung eines strömungsübergreifenden Zusammenschlusses linker und bürgerlich-demokratischer Anwälte. Der Vorsitzende der IJV, Ferdinand Timpe, war gleichzeitig Leiter der Rechtsabteilung der RHD.
Dessen Stellvertreter Felix Halle verfaßte seit Gründung der Roten Hilfe zahlreiche Rechtshilfebroschüren, darüberhinaus einige Schriften über das Wesen der Klassenjustiz und die sich daraus ergebenden Folgerungen für die Solidaritätsarbeit.

Die Auseinandersetzung unter den linken Juristen entwickelte sich besonders entlang der Frage des taktischen Umgangs mit Prozessen. Eine Position bestand darin, sich im Prozeßverlauf auf die Anprangerung des Klassencharakters der Justiz zu beschränken und vor Gericht rein politisch aufzutreten. Demgegenüber stand eine etwas differenziertere Position, die die Ausnutzung aller formalen Möglichkeiten im Prozeß befürwortete, und zwar unter Betonung demokratischer Anteile des Rechts. Es ging nicht darum, idealistische Illusionen über das Recht im Kapitalismus zu verbreiten, sondern um die Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten für den Prozeßverlauf und die dazugehörige Öffentlichkeitsarbeit. In den Veröffentlichungen der Roten Hilfe wird ausführlich auf die Notwendigkeit eingegangen, politische Prozesse zu führen, die nicht allein auf Konfrontation setzen, sondern möglichst breit getragenen öffentlichen Druck auf die Gerichte erzeugen.
In den Rechtshilfebroschüren, die regelmäßig aktualisiert und neu aufgelegt wurden, wird sehr ausführlich auf richtiges Verhalten bei Verhaftung, Vernehmung und im Prozeß eingegangen. Ziel dieser Hinweise ist es, eine möglichst günstige Ausgangsposition für die Verteidigung zu erreichen. Die Autoren betonen, daß der oder die Angeklagte dem Prozeß durch entsprechende Erklärungen einen politischen Charakter geben sollte. Dennoch soll aber nicht auf die Ausnutzung von Rechtsmitteln verzichtet werden, im Anhang von Rechtshilfebroschüren finden sich Muster für die Formulierung von Beschwerden, Wiederaufnahmeanträgen und anderen Rechtsmitteln. Über die konkrete Rechtshilfe hinaus wurden Schriften über neue Gesetze und ihre Hintergründe veröffentlicht. So wurde in der Broschüre Das neue Strafgesetzbuch von 1927 die damaligen politischen Straftatbestände vorgestellt und kritisiert. 1925 wurde in Die politischen Flüchtlinge und das Asylrecht auf die rechtliche Situation politischer EmigrantInnen eingegangen, was nach der Niederschlagung revolutionärer Bewegungen in einigen Ländern Europas bereits ein wichtiges Thema war.


Fußnote:
  1. zitiert in: Zelt, Johannes, 1960, »und nicht vergessen die Solidarität«, S. 48 f.

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