Die Rote Hilfe Deutschlands (RHD) hatte in der Weimarer Republik durch ihre gut organisierte, unermüdliche Kampagnentätigkeit
stetig an Bedeutung gewonnen.
Mit ihren 1932 über einer Million Mitgliedern (360000 Einzelmitglieder und 651281 Kollektivmitglieder) und 3770 Ortsgruppen
war sie zu einer der größten proletarischen Massenorganisation in Deutschland geworden
[1]. Wie keiner anderen Organisation gelang es
ihr, fortschrittliche Teile des Bürgertums und der Intellektuellen, KleinbürgerInnen, BäuerInnen und ProletarierInnen für gemeinsame
Aktionen und Kampagnen zu gewinnen.
Überhaupt war die Politik der RHD kampagnenorientiert, somit sehr konkret und leicht nachvollziehbar für breiteste Teile der
Bevölkerung, wodurch die statuarisch festgeschriebene und gewollte Überparteilichkeit ermöglicht wurde.
Zu den bekanntesten Kampagnen gehörten die für Sacco und Vanzetti, Max Hölz, Erich Mühsam, für die schwarzen Jungen von
Scottsborough, für die Amnestie der politischen Gefangenen und gegen Klassenjustiz, sowie die regelmäßigen Winterhilfskampagnen
für die Angehörigen der politischen Gefangenen und die Opfer der Klassenjustiz. So wurden »allein von 1925 bis 1934 () 215
internationale und 1185 nationale Solidaritätsaktionen durchgeführt« [2].
Bei vielen Kampagnen kam es zum Zusammenwirken der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH), der Internationalen Roten Hilfe
(IRH) und der RHD. Dadurch war eine bessere Organisation möglich, und eine breitere Basis konnte erreicht werden. Aufgrund ihrer
Politik gelang es der Roten Hilfe in zunehmenden Maße, Akzeptanz und Unterstützung bis in die Reihen der Intellektuellen und des
Bürgertums zu erreichen.
Der straffe, arbeitsteilige Aufbau dieser Organisationen ermöglichte nicht nur ein Reagieren auf die herrschende Klassenjustiz,
sondern versetzte sie in die Lage, selbst die Initiative zu ergreifen, Widersprüche des kapitalistischen Systems benennen zu können und
daraus politische Aktionen abzuleiten.
Welche Stoßrichtungen diese Kampagnen hatten, wie der Ablauf und Aufbau waren, läßt sich anhand von einigen Beispielen
verdeutlichen.
Winterhilfskampagnen
Alljährlich startete die RHD ab Oktober Winterhilfskampagnen für politische Gefangene und deren Angehörige sowie für die
Hinterbliebenen der Opfer der Klassenjustiz. Hierzu wurden nahezu alle Mitglieder der RHD verpflichtet, ihren Teil zum Erfolg der
Kampagne beizutragen.
Gesammelt wurden Lebensmittel, Kleidung, Kohlen, Geld, Spielzeug und Süßigkeiten für Kinder und alles andere, was zum
täglichen Leben benötigt wurde. Grundsatz war, daß alle politischen Gefangenen ein Weihnachtspaket der RHD erhielten und deren
Familien materiell und finanziell unterstützt wurden. Letzteres wurde von Jahr zu Jahr eine immer größere und schwierigere Aufgabe
für die RHD, nahm doch die Verfolgung des klassenbewußten Proletariats infolge der Zuspitzung der gesellschaftlichen Widersprüche
immer mehr zu. Durch die wachsende Basis der RHD konnte diese Aufgabe aber bewältigt werden. Überall in Deutschland sah man
Rote HelferInnen, die Kartoffeln, Kohlen, Kleidung, Geld etc. sammelten, notfalls mit Handwagen von Haus zu Haus zogen, um diese
Hilfsgüter zu sammeln. Diese wurden dann in Rahmen von Weihnachtsfeiern den betroffenen Familien übergeben. [3][4]
Mitglieder wurden dazu verpflichtet, den Eingesperrten Briefe zu schreiben, die mitsamt den Solidaritätspaketen ins Gefängnis
geschickt wurden. So ist beispielsweise im Sturmplan der Württemberger Rote Hilfe Pioniere während der Winterhilfskampagne
1932-1933 nachzulesen: »Jede Pionierabteilung liefert [3]. Briefe, die wir den Paketen beifügen, welche den Gefangenen zu
Weihnachten zugesandt werden. Lieber Onkel (lieber Bruder, lieber Vetter) muss darüber stehen, sonst lässt die
Gefängnisverwaltung die Briefe nicht durch, nur nahe Verwandte dürfen schreiben! () Auch Briefe an die Familien der
eingekerkerten Klassengenossen, an entlassene Genossen und Genossinnen, an frisch verurteilte Proletarier sind sehr nötig und
erwünscht«.
Alle SpenderInnen wurden zu den Weihnachtsveranstaltungen eingeladen, damit sie sehen konnten, daß ihre Spenden auch an die
richtigen Adressen gelangten. [5]
Amnestie für politische Gefangene
Desweiteren setzte sich die RHD immer für eine Vollamnestie der politischen Gefangenen ein. So wurden seit 1923 auf Beschluß
des Zentralkomitees der IRH alljährlich zum
18. März, dem Jahrestag der Pariser Kommune, Solidaritäts- und Hilfsaktionen für die inhaftierten politischen Gefangenen und deren
Familien in allen Sektionen der IRH durchgeführt. Die RHD beteiligte sich ebenfalls an diesen Aktionen. »Bei der Aufziehung der
Aktion ist den einzelnen Komitees weitester Spielraum gelassen. Ihr Charakter als proletarische Protest- und Solidaritätsaktion ist
jedoch streng einzuhalten. Die Versammlungen oder Massenfeiern des 18. März müssen möglichst ausmünden in Demonstrationen,
deren Zielpunkt die Gefängnisse und die Gedenkstätten
gefallener Revolutionäre zu sein
hätten. Die Hauptsammeltätigkeit muß an diesem Tage stattfinden und ist gut und breit genug vorzubereiten«.[6]
Einzelne Erfolge konnten erzielt werden, so wurden 1925 500 Gefangene freigelassen, doch das Ziel der Amnestie für tausende
von Inhaftierten wurde nie erreicht. Einer der Hauptgründe war sicherlich die Verweigerungshaltung der SPD gegenüber
Amnestiebestrebungen und der latente Antikommunismus der SPD. Folgerichtig wurden sämtliche Initiativen und Anträge der KPD-
Fraktionen, selbst Anträge, die von der SPD eingebracht wurden, in den Landtagen und im Reichstag abgelehnt.
[7][8]
Frauen und § 218
Auch der Kampf um die Gleichberechtigung der Frauen spielte bei der RHD eine wichtige Rolle. Exemplarisch ist hier der Kampf
gegen den Abtreibungsparagraphen 218 und für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs zu nennen.
Jährlich geschätzte 1.000.000 illegale Schwangerschaftsabbrüche, 20.000 aufgrund des Abbruchs gestorbene Frauen und 6.000 bis
7.000 Verurteilungen zu Gefängnistrafen wegen illegaler Schwangerschaftsabbrüche sprechen eine deutliche Sprache. Die Argumente
der Gegner der Abtreibung waren damals wie heute nahezu dieselben.
KPD und RHD verwiesen immer wieder auf die Situation in der noch jungen Sowjetunion, in der Schwangerschaftsabbrüche legal
waren, gesundheitliche und sexuelle Aufklärung gefördert wurde und sich die soziale Situation der Menschen und insbesondere die der
Frauen schon merklich seit der Revolution von 1917 verbessert hatten. So wurden solche Standardargumente der konservativen Kräfte,
daß gesundheitliche und sexuelle Aufklärung sowie Schwangerschaftsabbrüche zu Geburtenrückgängen führe anhand von europaweiten
Statistiken widerlegt. Der natürliche Bevölkerungszuwachs war demnach in der Sowjetunion dreineinhalb mal so groß wie im
Durchschnitt für ganz Westeuropa.
Insbesondere gelang es der KPD und der RHD, die Frage der Aufklärung, des Schwangerschaftsabbruchs und des
Geburtenrückganges mit der sozialen Frage zu verknüpfen und sie nicht isoliert zu betrachten.
Sacco und Vanzetti
In den Jahren 1921 bis 1927 spielte der Kampf um das Leben der in den USA arbeitenden Italiener Sacco und Vanzetti eine
bedeutende Rolle in der internationalen ArbeiterInnenbewegung.
Deutlich wie selten zuvor versuchten die Herrschenden mit den Mitteln der Klassenjustiz an den beiden klassenbewußten Arbeitern
ein Exempel zu statuieren. Überall auf der Welt gab es regelmäßige, massenhafte Proteste der unterschiedlichsten Formen. So machte
der Kampf um Sacco und Vanzetti auch vor der deutschen ArbeiterInnenbewegung nicht halt. Seit die RHD die Solidaritätsaktionen
Anfang 1926 stärker zu koordinieren begann und sie auch anführte, stießen sie auf immer größer werdende Resonanz.
Delegationen von ArbeiterInnen aus allen Teilen Deutschlands suchten die US-Botschaft und Konsulate auf, um ihrem Protest
Nachdruck zu verleihen. Bekannte Persönlichkeiten der bürgerlichen Intellektuellen protestierten gegen Verfahren und Todesurteil von
Sacco und Vanzetti, z.B. Egon Erwin Kisch, Dr. Max Liebermann, Heinrich und Thomas Mann, Prof. Heinrich Zille, Johann Graf
Bernstorff (ehem. dt. Botschafter in den USA) und viele andere.
Außerdem unterzeichneten alle Gewerkschaftsführer, die gleichzeitig Reichstagsabgeordnete waren, ein Protesttelegramm, unter
ihnen Abgeordnete der SPD, Zentrumspartei und der Demokratischen Partei, das an den Gouverneur von Massachusettes gerichtet war.
Selbst der reaktionäre sozialdemokratische Reichstagspräsident Paul Löbe schloß sich mit einem entsprechenden Telegramm der
Protestbewegung an.
In dieser Zeit wurde die RHD ein einziges Mal im Vorwärts (Tageszeitung der SPD) wegen ihrer Aktivitäten um Sacco und
Vanzetti positiv bewertet. Die Redaktion dieser sonst antikommunistischen Zeitung sah sich offensichtlich dazu genötigt, da zur selben
Zeit die Rote Fahne (Tageszeitung der KPD) verboten war.
Im Oktober/November 1926 intensivierte die RHD ihre Kampagne nochmals. Nach der Veröffentlichung der Adressen sämtlicher
US-Vertretungen in Deutschland in den Presseorganen der RHD gab es einen regelrechten Ansturm auf diese. Zahlreiche Delegationen
verschiedener Gruppen, Organisationen und Betriebe wurden vorstellig, um Protestnoten und Unterschriftenlisten gegen das Todesurteil
von Sacco und Vanzetti zu überreichen. Informationsveranstaltungen vielerorts waren ausgesprochen gut besucht und
Protestdemonstrationen wurden zehntausendfach unterstützt.
Leider verhielten sich die Führer der SPD und des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) auch kurz vor der
Vollstreckung des Urteils noch passiv und sprachen im Vorwärts Nr. 162 vom 6. April 1927 vom »Gerechtigkeitssinn der
amerikanischen Justiz« und »das letztere (die Vollstreckung, d. Verf.) klingt kaum glaubhaft, weil es gar zu toll wäre«. Durch diese
katastrophale Fehleinschätzung der gesellschaftlichen Verhältnisse trugen die SPD und der ADGB sprich die Sozialdemokratie
politische Mitverantwortung am Justizmord an den beiden Arbeitern. Sacco und Vanzetti wurden schließlich am 22. August 1927 auf
dem elektrischen Stuhl hingerichtet.[10][11]
Die schon näher beschriebenen sowie die unzähligen anderen Kampagnen haben alle Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten in ihrer
Form, Agitation und Aktivierung von Mitgliedern:
Mitgliederversammlungen beschlossen Kampagnen und Aktionen
Die Leitungen organisierten arbeitsteilig ihre Umsetzung, so gab es verbindliche Zuständigkeitsbereiche
Wettbewerbe unter den Gliederungen der RHD motivierten die Mitglieder zu mehr Mitgliederwerbung und zu mehr Sammel- und
Verkaufstätigkeit
Öffentliche Veranstaltungen, Presseerzeugnisse, Bücher, Broschüren u.a. informierten über die Zusammenhänge
Agit-Prop-Aktionen, Sprechchöre und Musikgruppen verstärkten die Kampagnen
Demonstrationen und Kundgebungen rundeten die Aktionen ab
Die Kampagnen der RHD trugen zur Schärfung des Klassenbewußtseins der ArbeiterInnenbewegung bei und halfen mit ihrer auch
materiellen Hilfe die Existenzen von eingesperrten ArbeiterInnen und deren Familien zu sichern. Ein hoher Grad an Politisierung und
Organisierung wurde erreicht. Letzteres wäre ohne die gute Schulungsarbeit der Mitglieder der RHD unter der Führung von
KommunistInnen und die Verpflichtung zur aktiven Mitarbeit nicht möglich gewesen.
Auch das Bemühen der Führung, fortschrittliche Menschen anderer Weltanschauung zur Mitarbeit zu gewinnen, trug zur
Kampagnenfähigkeit bei und führte dazu, daß die RHD zu einer der größten proletarischen Massenorganisation werden konnte.
Fußnoten:
- Revolutionäre Traditionen der Roten Hilfe Deutschlands, Solidaritätskomitee der DDR (Hrsg.), Berlin 1984, S.18