Die Arbeit der Roten Hilfe im Zeichen der verschärften
Klassenjustiz
Die Weltwirtschaftskrise von 1929 führte zu einer verschärften Situation der ArbeiterInnen, zum einen durch die immer schlechter
werdende materielle Versorgung und zum anderen durch die zunehmende Verfolgung antifaschistischer ArbeiterInnen durch die
Polizei. Sowohl Überfälle durch die Prügelkommandos der Nazis als auch Auseinandersetzung mit ihnen nahmen in dieser Zeit immer
mehr zu. Während die Gerichte faschistische Aktivitäten deckten, wurden AntifaschistInnen von den Gerichten verurteilt.
Polizei, Gerichte und Faschisten arbeiteten Hand in Hand, wie die Vorgänge am 17. Juli 1932 in Hamburg zeigten. Dort
veranstalteten SA, SS und Polizei gemeinsam im ArbeiterInnenstadtteil Altona einen bewaffneten Aufmarsch, bei dem es zu 17 Toten
und 70 Verletzten kam.[1] Es gab keine Verhaftungen geschweige denn Verurteilungen von Faschisten.
Auch die Vorfälle um den
1. Mai 1929 in Berlin bewiesen die reaktionäre Ausrichtung des Staates, wobei die Funktionsträger der SPD eine aktive Rolle spielten.
Am 1. Mai 1929 war es in Berlin auf Veranlassung des Polizeipräsidenten Zörgiebel (SPD) zu schweren Attacken gegen
demonstrierende ArbeiterInnen gekommen. Bilanz waren 30 Tote, 81 Schwer- und viele Hundert weitere Verletzte. Bei diesem
Polizeieinsatz wurde auch mit Waffen aus Militärbeständen in die Menge
geschossen.[2] Keiner der verantwortlichen Polizeipräsidenten
ist zur Rechenschaft gezogen oder gar von
einem Gericht verurteilt worden.
Parallel mit dem Anwachsen des Straßenterrors der SA und der Polizei wurden die juristischen Instrumentarien für den
verschärften Klassenkampf von oben vor dem Hintergrund der kapitalistischen Krise geschaffen. Die sogenannten Schnellgerichte
wurden eingeführt.
Die Verschärfung des Strafprozeßrechts in Form von schnellen Aburteilungen hatte schon 1924 begonnen, als der Justizminister
Dr. Emminger (Zentrumspartei) dafür sorgte, daß ohne Zustimmung des Reichtages der §212 StpO auch
gegen ArbeiterInnen angewendet werden konnte. Den Übergang zu einer vermehrten und dauerhaften Schnelljustiz bildete die
Verfügung des preußischen Justizministers vom 6. Juni 1930. Ursprünglich war dieser Paragraph über die Regelung von
Schnellgerichten nur für Bagatelldelikte vorgesehen. Mit der Verfügung des preußischen Justizministers wurde die Grundlage für eine
massenhafte und schnelle Aburteilung von politisch aktiven ArbeiterInnen geschaffen.
[4]
In ihr wurde die Justiz angewiesen, die Verfolgung politischer Straftaten mit so kurzen Fristen durchzuführen, daß innerhalb von
vier Wochen der Erlaß des Urteils zu erfolgen hatte.[3] Die wichtigste Neuerung dieser Verordnung war das Schöffenschnellgericht.
Diese
Gerichte konnten nun in allen politischen Strafsachen ohne Anklageschrift und ohne ZeugInnenladung
innerhalb von 24 Stunden, ArbeiterInnen zu schweren Gefängnisstrafen verurteilen. Die Schöffenschnellgerichte arbeiteten zeitweise
rund um die Uhr mit wechselnden Schichten von Richtern und Staatsanwälten.
[5]
1931 kam es zu einer weiteren Verschärfung: Die Notverordnungen vom 28. März. Diese wurden in den Präsidialkabinetten von
Brüning, von Papen und Schleicher beschlossen.[6]
Neben der Zulassung von Schnellverfahren für grundsätzlich alle Zuwiderhandlungen gegen den Staat wurde mit diesen
Verordnungen auch die Pressefreiheit und das Demonstrationsrecht eingeschränkt. Angeschuldigte konnten nun ohne Frist abgeurteilt
werden in Abwesenheit von Anwälten, Zeugen oder sonstigem Beistand. Die Auswirkungen für die AntifaschistInnen waren
verheerend.[8]
Die SPD nahm diese Notverordnungen ohne nennenswerten Widerstand stillschweigend
hin.[7] Diese Verordnungen ebneten den
Faschisten den Weg und waren somit letztendlich auch für die SPD vernichtend.
Die Rote Hilfe Deutschland beschloß für alle Ortsgruppen die Bildung von Rechtsschutzkommissionen zur Beratung und
Verteidigung aller politisch Verfolgten, Verhafteten, Angeklagten und bereits Abgeurteilten. Die Mitglieder der Roten Hilfe
Deutschland arbeiteten auch in Gefangenen-Beiräten mit, um den Gefangenen durch die Besuche und die Einwirkung auf die
Gefängnisleitung, die Haft zu erleichtern.[9]
Angesichts der Flut von Prozessen, die aufgrund der verschärften Rechtslage durch Schöffenschnellgerichte und Notstandsgesetze
immer mehr anwuchs, sah sich die RHD dazu gezwungen, ihre Hilfe auf die wichtigsten Fälle und vor allem auf die materielle
Unterstützung zu konzentrieren. Für diese Entscheidung gab es auch einen Erlaß der IRH, indem die Verstärkung der
Selbstverteidigung des Angeklagten ausdrücklich betont wird.
Vor diesem Hintergrund sind die meisten Aufklärungsbroschüren der Roten Hilfe entstanden. Sie erschienen in Massenauflage, mit
Titeln wie z.B. Deine Verteidigung vor dem Schnellgericht oder Haussuchung Wie verhältst Du Dich?. Autor dieser Broschüren
war meist der Berliner Rechtsanwalt Felix Halle, der für die Rote Hilfe bereits 1921 den Rechtsschutz der RHD durch die Juristische
Zentralstelle (JZ) der KPD-Reichstagsfraktion organisierte.[10] Die bekannteste und wichtigste Schrift Felix Halles war die Broschüre:
Wie verteidigt sich der Proletarier in politischen Strafsachen vor Gericht?. Sie wurde in der Weimarer Republik zu einem Klassiker
der Rechtsliteratur von unten. Dieser fast hundertseitige Rechtsanwalt im Hause wurde laufend aktualisiert und in einer
Gesamthöhe von 76.000 Exemplaren aufgelegt. Wie erfolgreich diese Rechsberatung durch die Rote Hilfe war, zeigt am
besten die Bewertung der Stuttgarter Polizei (1929) : »Diese Broschüre enthält eine genaue, bis ins einzelne gehende Anleitung, wie sich der politisch Kriminelle den Maschen des
Gesetzes entziehen kann.«[12] Noch während der Verfolgung durch die Nazifaschisten nach 1933 richteten sich AntifaschistInnen nach
den Empfehlungen Halles.[11]
Wenn die Rote Hilfe einen Prozeß aktiv unterstützte, wurde die politische Dimension des Verfahrens als eine Form des
Klassenkampfes betont. Die Rote Hilfe und der Angeklagte bereiteten sich auf den Prozeß gemeinsam vor, indem sie versuchten, die
drohende Strafe abzuwehren, ohne jedoch von politischen Aussagen Abstand zu nehmen.
»Die Haltung des Angeklagten vor Gericht ist also von entscheidender Bedeutung, und dieser muß als Vertreter der Arbeiterklasse
auftreten, deren Interessen er durch seine politischen Aktivitäten verteidigt hat, für die er alle Verfolgungen auf sich nimmt. Natürlich
darf der Angeklagte dem Richter durch seine Verteidigung niemals eine Handhabe zur Verurteilung oder für andere Personen Grund
zur Beunruhigung geben. Dies bedeutet aber nicht, daß er darauf verzichten soll, seine Handlung und seine politische Überzeugung zu
verteidigen. Im Gegenteil, je würdiger der Angeklagte auftritt und je mehr er die Interessen der Klasse, deren Vertreter er ist,
verteidigt, umso leichter wird die Mobilisierung der breiten werktätigen Massen für seine Verteidigung
sein.«[13]
Parallel mobilisierte die Rote Hilfe Solidaritätskampagnen zur moralischen Unterstützung des Angeklagten. Der Prozeß als solches
sollte sich also keineswegs nur auf die bloße Verteidigung des Angeklagten beschränken:
»Sobald Werktätige, Soldaten oder Matrosen usw. verhaftet und vor Gericht gestellt werden, sei es wegen ihrer Streikkämpfe, ihrer
Teilnahme an Demonstrationen und ökonomischen oder politischen Kämpfen oder ihrer antimilitaristischen und Antikriegs-Tätigkeit,
haben die IRH-Organisationen die Aufgabe, sofort eine Verbindung mit den Angeklagten selbst, ihren Familien, Freunden, usw.
herzustellen. Mit ihrer Hilfe leiten die IRH-Organistaionen eine Solidaritätsaktion zugunsten der Angeklagten ein. Man muß z.B. damit
anfangen, in der Gegend, wo der Angeklagte und seine Angehörigen wohnen, wo er bekannt und von allen geschätzt ist,
Versammlungen zu organisieren. Dies muß auch in dem Betrieb, wo der Angeklagte arbeitet oder wo er gearbeitet hat und alle Arbeiter
ihn gut kennen geschehen. Schließlich muß noch, falls der Angeklagte Mitglied einer Gewerkschaft, einer Sportorganisation, einer
Genossenschaft, einer Kulturorganisation usw. ist, dort die Solidaritätsaktion zu seinen Gunsten entfacht werden.«
[14]
Um die in den Rechtsschutzkommissionen aktiven Mitglieder auf diese Aufgaben vorzubereiten, führte die RHD Schulungen
durch. Doch nicht nur bei den Rote Hilfe Funktionären sollten die juristischen Kenntnisse verbreitet werden. Durch die Arbeit der
Funktionäre und die Verbreitung der Broschüren sollten die juristischen Kenntnisse massenhaft verbreitet werden.
[15]
Eine Fallbeschreibungen erfolgreicher juristischer Arbeit der Roten Hilfe an einem Prozeß gegen 35 ArbeiterInnen in Frankfurt,
1932: Während eines Zusammenstoßes mit Faschisten wurden 35 ArbeiterInnen verhaftet. Darunter waren sozialdemokratische,
kommunistische und parteilose ArbeiterInnen. Von den 35 wegen Störung der öffentlichen Ordnung angeklagten ArbeiterInnen ließen
sich 23 durch die RHD verteidigen, während die Übrigen dem Rat der sozialdemokratischen Organisation folgten und einen
Abgeordneten von der SPD mit ihrer Verteidigung beauftragten. Die Verteidigung durch den Abgeordneten der SPD verlief dermaßen
passiv und unpolitisch, daß die 12 von ihm verteidigten zu 3 Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Die 23 ArbeiterInnen, die sich unter
den juristischen Schutz der RHD begeben hatten, sind freigesprochen worden.
[16]
Fußnoten: