Black Power - Interview mit Mumia Abu-Jamal
nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Mon Jan 22 12:03:49 2001
 

BLACK POWER
| nadir | home | inhalt | << | >> |
Vorbemerkung

Interview

Fußnoten

Interview mit Mumia Abu-Jamal

Todeszelle, Huntington-Gefängnis, Pennsylvania, September 1992

Mumia wurde 1969 mit 16 Jahren Informationslieutenant des BPP- Ortsverbandes in Philadelphia. Er arbeitete eine Zeitlang im nationalen Büro der BPP-Zeitung The Black Panther in Oakland, Kalifornien und kehrte dann an die Ostküste zurück. In den 70er Jahren arbeitete Mumia als Journalist für mehrere Schwarze Radiosender in Philadelphia und schrieb Artikel für überregionale Zeitungen. 1980 wurde er zum Präsidenten der Vereinigung Schwarzer JournalistInnen in Philadelphia gewählt. 1981 wurde er nach einem Schußwechsel mit der Polizei des Mordes an einem Polizisten angeklagt und zum Tode verurteilt. Nach der Ablehnung seiner Berufungsanträge kann der Gouverneur von Pennsylvania jederzeit Mumias Hinrichtungsbefehl unterschreiben.
Mumia Abu-Jamal
Mumia Abu-Jamal, AM-8335, Huntingdon SCI
1100 Pike St., Huntingdon, PA 16654-112
UnterstützerInnenkomitee:
Concerned Family and Friends of Mumia Abu-Jamal
P.O. Box 19709, Philadelphia, PA 19143


| anfang |

Vorbemerkung

Sie haben doch schon vor drei Jahren einen Antrag auf ein Interview mit Jamal gestellt. Das wird auch diesmal nichts werden. Sie brauchen es erst gar nicht noch einmal zu versuchen. Der Public-Relations-Direktor des Huntingdon Gefängnisses in Pennsylvania hatte offensichtlich ein gutes Namensgedächtnis und die feste Absicht, jedes Interview und jeden Pressekontakt mit Mumia Abu-Jamal zu verhindern. Wenige Wochen und viele nervenaufreibende Telefonate später gibt er plötzlich ohne weitere Begründung die Zustimmung für das Interview.
Der Weg zum Huntingdon-Gefängnis durch das ländliche Pennsylvania ist ein unmittelbarer Beweis dafür, daß die Politik der informellen Apartheid auch im liberalen Norden ungebrochen weiter existiert. Der Schwarze Genosse, mit dem wir unterwegs sind, wird in Restaurants und Tankstellen bewußt ignoriert.
In den benachbarten Kleinstädten von Huntingdon rekrutiert der Ku-Klux-Klan zusammen mit faschistischen Skinheads weiße Jugendliche, um Jagd auf die wenigen, schon seit mehreren Jahrhunderten dort lebenden Schwarzen Familien zu machen. Parallel zu den Pogromen in Rostock belagerten im September 1991 in Hannover, Central Pennsylvania 300 Weiße Rassisten unter der Führung des KKK mehrere Tage lang das Haus eines bi-nationalen Ehepaares. Das Ehepaar verließ die Kleinstadt schließlich, nachdem sich die örtliche Polizei weigerte, einzuschreiten.
Auch die überwiegend Weißen Schließer des Huntingdon-Gefängnisses hegen offenbar mehr als nur Sympathien für den Ku-Klux-Klan; bei einer Kundgebung des Klans vor dem Haus eines bekannten örtlichen NAACP-Mitgliedes identifizierte dieser Mann mehrere der vermummten Klan-Mitglieder anhand ihrer Stiefel als Schließer des Huntingdon-Gefängnisses.
Für die Weiße Bevölkerung der Stadt Huntingdon und der umliegenden Kleinstädte und Dörfer ist das Gefängnis noch vor der Eisenbahngesellschaft und dem College der größte Arbeitgeber der Region. Auf 1 500 Gefangene zu 90% African Americans aus den Großstädten Pennsylvanias wie Philadelphia, Pittsburgh und Harrisburg kommen 2 000 Schließer.
Direkt neben dem hundert Jahre alten roten Backsteinbau des Gefängnisses, der von weitem wie eine riesige Fabrik aussieht, beginnt das bürgerliche Wohnviertel der Stadt. Im November 1989, als es zu einer zweitägigen Gefangenenrevolte gegen die rassistische Brutalität der Schließer im Huntingdon-Gefängnis kam, standen die ehrbaren BürgerInnen der Stadt mit ihren Jagdgewehren auf den Dächern dieser Häuser und warteten auf Ausbruchsversuche von Gefangenen.
Das Huntingdon-Gefängnis ist auch dadurch bekannt, daß sich hier der größte Todestrakt des Bundesstaates Pennsylvania befindet. Insgesamt gibt es in Pennsylvania 126 zum Tode verurteilte Gefangene. Seit 1962 hat es in dem Bundesstaat keine Hinrichtungen mehr gegeben. Wenn es allerdings nach Pennsylvanias Gouverneur Robert Casey, einem katholischen Demokraten und selbsternannten Lebensschützer ginge, wird sich das demnächst ändern. Allein im Jahr 1992 unterschrieb er neun Hinrichtungsbefehle, deren Vollzug nur aufgrund von Gerichtsentscheidungen vorerst aufgeschoben wurde.
Bei unserer Ankunft auf dem Parkplatz des Gefängnisses erwartete uns zu unserer Überraschung schon der Gefängnisdirektor, Mr. William Love, persönlich. Unsere Fragen nach den Sonderhaftbedingungen für Mumia beantwortete er mit der Beteuerung, daß Mumia für ihn ein ganz normaler Gefangener wie alle anderen auch sei und daß es ihm egal sei, wieviele Briefe er zu Mumias Haftbedingungen erhalten würde. Denn schließlich müsse Mumia sich ja nur seine Dreadlocks abschneiden lassen, um aus der Disziplinarhaft in den normalen Todesstrafenvollzug verlegt zu werden. Daß Direktor Love in dem Gefängnis offensichtlich nicht viel zu sagen hat, nach Mumias Worten ein Alibi-African American ist, der Huntingdon nur als Zwischenstation für seine weitere Karriere ansieht, wurde in dem Moment offensichtlich, als der Weiße Public-Relations-Direktor, Steryl Grove, das Büro betrat. Sichtlich erleichtert verabschiedete sich Direktor Love mit den Worten, daß Mr.Grove unsere Fragen ohnehin viel besser beantworten könne.
Die Interview-Bedingungen unterschieden sich nicht von Mumias üblichen Besuchsbedingungen: Vor und nach Besuchen muß sich Mumia am ganzen Körper durchsuchen lassen, obwohl aufgrund der raumhohen Trennscheibe ohnehin kein direkter Kontakt möglich ist. Mumia trägt außerdem während des gesamten Besuchs Handschellen. Durch Mumias präzise Anweisungen, wo wir seine Kommentare und das Interview zu schneiden hätten, den Gebrauch eines schnurlosen Mikrofons und die entsprechenden Berge von technischen Geräten, die wir mitgebracht hatten, entstand in dem winzigen, fensterlosen Besuchsraum für wenige Momente fast die Atmosphäre eines Radiostudios. Die Interview-Situation wurde auch dadurch einfacher, daß mit fast 4 Stunden vergleichsweise viel Zeit zur Verfügung stand und daß schon seit längerem Kontakt und Diskussionen mit Mumia existieren.


| anfang |

Wie bist Du zu Deinem politischen Engagement gekommen, was war der Auslöser dafür?

Mumia:Eigentlich begann mein politisches Leben mit der Black Panther Party (BPP). Auf gewisse Weise bin ich der Polizei von Philadelphia dafür dankbar, daß sie mich in die BPP getreten und geschlagen hat.
Ich erinnere mich an den Präsidentschaftswahlkampf von 1968, in dem George Wallace [ 1 ] als Präsidentschaftskandidat einer rassistischen, rechtsgerichteten dritten Partei, der American Independence Party, aufgestellt worden war. Ich war damals noch ein Jugendlicher und noch nicht Mitglied in der BPP. Ein paar andere junge Schwarze und ich fühlten, daß etwas an dieser Kandidatur nicht richtig war. Und als wir hingingen, um bei einer seiner Wahlkampfveranstaltungen im Sportstadium von Philadelphia, dem Spectrum, gegen ihn zu demonstrieren, wurden wir nach einer sehr kurzen Demonstration von den Leuten dort rausgeworfen. Danach griff uns die Polizei an, schlug und verhaftete uns. Wir endeten schließlich alle im Krankenhaus. Diese Erfahrung öffnete mir die Augen für die Existenz militanter Bewegungen. Ich war nicht Mitglied einer Organisation, aber von da an fand ich es notwendig, Teil einer Organisation zu werden, um zu versuchen, diese Realität zu verändern. Die Leute reden von Grundrechten, aber wenn du geschlagen wirst, während du diese Grundrechte ausübst, dann existieren diese Rechte in Wirklichkeit nicht. Denn Terror und Angst halten dich von der Notwendigkeit zu demonstrieren oder dem Gefühl, daß du die Möglichkeit dazu hast, ab.
Als Mitglied der BPP war ich im Ministerium für Information aktiv. Das Informationsministerium war der Teil der Partei, der für die Propaganda zuständig war, für die Veröffentlichung der Parteizeitung, die Herstellung von Flugblättern und für die Aufrechterhaltung der Kommunikation zwischen den Ortsgruppen in New York, Philadelphia, Chicago etc. Man könnte sagen, daß ich, nachdem ich die Partei verließ, diese Propagandabemühungen fortsetzte, indem ich auf journalistischem Gebiet tätig wurde. Ich arbeitete in Radiostationen und schrieb für verschiedene Zeitungen.

Warum hast Du die Partei verlassen, und wann war das?

Mumia:Ich weiß nicht mehr genau wann, so ca. 1971 oder 1972. Die Gründe für meinen Austritt waren einerseits persönlich, andererseits gab es auch politische Gründe. Ungefähr ab 1970, den Beginn der Auseinandersetzung zwischen den Panthern an der Westküste und den Panthern an der Ostküste, fühlte ich, daß es nicht meine Funktion war und daß ich nicht Mitglied der Partei geworden war, um andere Panther zu bekämpfen. Ich finde es richtig, das System zu bekämpfen. Aber wenn das System dich dahingehend manipulieren kann, daß wir uns gegenseitig bekämpfen, dann gewinnt das System und die Menschen verlieren.
Diese Periode Anfang der 70er Jahre spiegelte die Zerstörung der US-weiten Präsenz der Partei wieder. Denn von dem Zeitpunkt an, als die Spaltung zwischen dem Zentralkomitee und führenden Parteimitgliedern an der Westküste auf der einen Seite und einigen der aktivsten und militantesten Ortsverbänden an der Ostküste auf der anderen Seite unwiderruflich war, verlor die Partei ihre Effektivität trotz aller guten Absichten und Vorsätze.
Obwohl die Partei 1966 an der Westküste begonnen hatte, befanden sich einige ihrer größten Ortsverbände an der Ostküste. In diesem Teil der USA existieren einige der größten Schwarzen Communities, deren soziale Bedingungen äußerst miserabel sind. Daher war dort die Notwendigkeit für und der Ruf nach einer Black Panther Party sehr stark. Und diese Bedingungen spiegelten sich dann eben auch in der Arbeit von Ortsverbänden der BPP wie in Philadelphia, New Haven, Baltimore und New York City wieder. Nachdem die Spaltung einmal vollzogen war, konnten die Ortsverbände nicht mehr als eine Black Panther Party funktionieren, unabhängig davon, welcher Name benutzt wurde. Es gab nicht mehr eine gemeinsame Schwarze revolutionäre politische Organisation, deren Ziel es war, Schwarze politische Macht zu erlangen, bzw. revolutionäre Schwarze politische Macht.

Wie würdest Du Deine Situation beschreiben, nachdem Du die BPP verlassen hattest? War Journalismus für Dich ein Weg, um politische Ziele zu verwirklichen?

Mumia:In einem gewissen Maß stimmt das. Ich glaube, daß es in dem Maß zutreffend ist, als daß Journalismus ein Mittel ist, um das Bewußtsein von Menschen zu verändern und ihnen Erkenntnisse zu vermitteln, sowie ihnen die Bestätigung dafür zu geben, daß ihr Leben einen Wert und einen Sinn hat. Wenn man die Tagespresse liest oder die Programme der normalen weißen Radiostationen und Fernsehsender hört, wird dir ein verzerrtes Bild vom Schwarzen Leben vermittelt. Aber wenn die Medien und die Propaganda dazu benutzt werden, um die positive Seite von Menschen wiederzugeben, die sich gegen ihre Unterdrückung wehren und um deutlich zu machen, daß jedes Menschenleben unabhängig von der ökonomischen Stellung eines Menschen einen Wert hat, dann ist das an sich revolutionär.
Diese Art von Bewußtsein war es, die mich zum Journalismus brachte. Abgesehen natürlich von der Tatsache, daß ich von der Partei im Medienbereich ausgebildet worden war und daß ich gelernt hatte, aus einer radikalen revolutionären Perspektive zu schreiben.

Dein Name wird oft in Verbindung mit der radikalen Organisation MOVE genannt. MOVE wurde 1970 in Philadelphia zu einem Zeitpunkt gegründet, als die BPP schon eines der Hauptangriffsziele des staatlichen Aufstandsbekämpfungsprogramms geworden war. MOVE war für viele junge Schwarze, aber auch für Weiße und Latinos sehr anziehend, weil MOVE z.B. ein Drogenentzugsprogramm anbot, in dem selbstbestimmt entzogen werden konnte. MOVE beschreibt sich selbst als eine Familie und als eine revolutionäre Organisation, deren Ziel es ist, für das Leben und gegen ein System, das Leben und Natur zerstört, zu kämpfen. Wann bist Du MOVE zum ersten Mal begegnet?

Mumia:Als Radiojournalist in Philadelphia hatte ich das erste Mal Mitte der 70er Jahre mit MOVE Kontakt. Davor hatte ich, wie die meisten EinwohnerInnen von Philadelphia, in den Zeitungen über sie gelesen und war einigen von ihnen auf der Straße begegnet.
Aber als die staatlichen Angriffe auf MOVE in Philadelphia 1977 und 1978 eskalierten, konnte ich gar nicht anders, als für sie durch meine journalistische Arbeit Öffentlichkeit herzustellen. Der damalige Bürgermeister von Philadelphia, Frank Rizzo [ 2 ], und seine Polizei begannen 1977 eine Belagerung des MOVE-Hauses im Stadtteil Powelton Village. Diese Belagerung dauerte über ein Jahr. Gegen Ende hatte die Polizei dem Haus Wasser und Strom abgedreht, aber die Nachbarn und UnterstützerInnen aus der Stadt versorgten MOVE mit dem Allernötigsten. Am 8. August 1977 stürmten dann mehr als 700 Polizisten das Haus, in dem sich ungefähr 20 MOVE-Mitglieder und ihre Kinder aufhielten. Während der Erstürmung wurde ein Polizist im Kreuzfeuer seiner Kollegen getötet. Neun MOVE-Mitglieder, die in dem Haus gewesen waren, wurden verhaftet und später wegen gemeinschaftlichen Polizistenmordes zu 30100 Jahren Gefängnis verurteilt. Obwohl der Richter öffentlich zugab, daß er nicht wüßte, wer den Polizisten erschossen hatte.
Angesichts meines quasi sozialistischen Hintergrunds und der teilweise paramilitärischen Organisierung in der BPP waren meine ersten Eindrücke von MOVE ausgesprochen negativ. Ich konnte sie nicht als revolutionär ansehen, weil sie z.B. anders als die Panther keine Uniformen trugen. Sie redeten im Gegensatz zu den Panthern nicht über Marxismus-Leninismus oder die Gedanken von Mao Tse Tung. Sie redeten nicht davon, eine sozialistische Gesellschaft als Lösung für die in den USA existierenden wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Probleme aufzubauen.
Es war die staatliche Repression, die Repression der Polizei von Philadelphia gegen MOVE, die mich, ähnlich wie zuvor zu den Panthern, zu MOVE hinzog. Weil MOVE trotz der außergwöhnlichen Härte und Brutalität der Repression weiterhin Widerstand leistete. Und wie MOVE-Gründer John Africa sagen würde: Stärke und Zusammenhalt sind anziehend. [ 3 ]

Der damalige Bürgermeister von Philadelphia, Frank Rizzo, hat ja mehr als einmal zu Deiner Berichterstattung über MOVE und die Brutalität der Polizei von Philadelphia gesagt, er hoffe, daß dieser Art von Journalismus ein baldiges Ende bereitet würde, da die Leute Dir glauben würden, was Du schreibst. Denkst Du, daß die Polizei von Philadelphia Dir in jener Nacht am 9.Dezember 1981, in der Du lebensgefährlich angeschossen wurdest und ein Polizist starb, eine Falle gestellt hatte?

Mumia:Meiner Ansicht nach ist es nicht zu leugnen, daß die ganze Situation geplant war und daß meine Geschichte als Panther und dem, was einige Leute als MOVE-Journalismus oder MOVE-Unterstützung bezeichneten, eine Rolle darin spielten. Die Polizei tat ja nie weder vorher noch nachher so, als wenn sie nicht wüßten, wer ich war. Im ganzen Jahr davor arbeitete ich in einer Radiostation, die sich direkt neben dem Polizeipräsidium von Philadelphia befand. Ich mußte mehrmals täglich daran vorbeigehen und wurde dabei oft von Polizisten beschimpft. Im gleichen Jahr erhielt ich auch mehrere offene Morddrohungen. Ich denke, daß meine Arbeit mich zum Angriffsziel machte, das neutralisiert werden sollte. Man muß sich noch einmal die Berichterstattung während und nach der Belagerung des MOVE-Hauses 1977 und 1978 ansehen, um zu begreifen, wie dämonisierend und entmenschlicht MOVE dargestellt wurde. Wenn Interviews mit MOVE-Mitgliedern gemacht wurden, die zeigten, daß sie gute, anständige und engagierte Menschen waren, stellte das die öffentliche Wahrnehmung von MOVE in Frage. Ich machte diese Interviews, weil ich sie für notwendig hielt und weil ich der Meinung war, daß jedeR andere JournalistIn sie auch hätte machen müssen. Wenn das andere gemacht hätten, hätte ich es nicht machen müssen.
Ich erinnere mich daran, daß ich einmal, nachdem ich einmal im MOVE-Hauptquartier gewesen war und von dort aus einige Telefonate geführt hatte, nach der Rückkehr in die Radiostation von meinem Chef dafür kritisiert wurde. Als ich nach den Gründen fragte, sagte er, daß Abhörgeräte im Telefon des MOVE-Hauses ans Licht gebracht hätten, daß ich von dort aus telefoniert hatte. Seiner Ansicht nach schadeten diese Telefonate meiner Objektivität, zumal mich andere JournalistInnen schon Mumia Africa nennen würden er meinte das als eine Beschimpfung. Es war ziemlich klar, daß nicht nur die Polizei, sondern auch die Radiostationen mich als MOVE-Aktivisten einordneten, obwohl das einfach nicht stimmte. Ich war nur ein Journalist, der eng mit seinen Subjekten zusammenarbeitete.

Glaubst Du, daß Rassismus bei dem Todesurteil gegen Dich wegen Polizistenmordes eine Rolle spielte?

Mumia:Es ist unwesentlich, was ich hier glaube. Die Fakten sprechen für sich selbst. Der Staat hat mit voller Absicht überwiegend weiße, vorwiegend ältere Geschworene für meinen Prozeß ausgesucht, die zum größten Teil aus dem Nordosten Philadelphias einem sehr weißen Stadtteil kamen. Einige der Geschworenen waren mit Polizisten verwandt, andere sogar mit Polizisten befreundet. Und wenn Du dann noch den bewußten Ausschluß von African Americans [ 4 ] aus innerstädtischen Stadtvierteln bei der Geschworenenauswahl in Betracht ziehst, kann ich mir kein anderes Ergebnis vorstellen.

Ist es denn so, daß sich Rassismus allgemein bei der Verhängung der Todesstrafe niederschlägt? Und woran wird das deutlich?

Mumia:Von den ca. 2 800 zum Tode verurteilten Gefangenen in den Todeszellen in der ganzen USA sind ca. 40% African Americans. Die Mehrheit sind Männer; unter den 2800 Todesstrafengefangenen sind nur 28 Frauen. Der prozentuale Bevölkerungsanteil von African Americans in der US-Gesellschaft beträgt ca. 12%. Aber wenn Du das nach Geschlechtern trennst, kommst Du zu dem Ergebnis, daß ca. 40% der Todeskandidaten aus einer Bevökerungsschicht kommen, die gerade einmal 6% der Gesamtbevölkerung ausmacht. Ich glaube nicht, daß ohne Rassismus ein derartiges Ergebnis möglich wäre.
Auf allen Ebenen des Justizsystems in den Ermittlungsbehörden, den Staatsanwaltschaften, den Gerichten und den Berufungsinstanzen entscheiden weiße Männer in Machtpositionen wie Richter, Staatsanwälte, Berufungsrichter und Rechtsanwälte über den Wert einer Person und ihres Lebens. Meistens haben African Americans in diesen Situationen keine Chance.

In diesem Zusammenhang stellt sich ja auch die Frage nach der Einschätzung der Rebellion in Los Angeles (L.A.) im Mai 1992. Denkst Du, daß das nur ein einmaliger Funke war, der ziemlich schnell gelöscht wurde, oder siehst Du die Möglichkeit, daß es ähnlich wie zu Zeiten der BPP wieder eine Organisierung gegen die Polizeibrutalität in der Schwarzen Community geben wird?

Mumia:Meiner Ansicht nach hat eine Organisierung als Reaktion auf L.A. schon auf mehreren Ebenen begonnen. Aber die Rebellion in L.A. war vor allem ein Ausdruck von Hoffnungslosigkeit. Wenn Menschen an Riots teilnehmen, dann machen sie das aus Verzweiflung; weil sie glauben, daß sie nichts mehr zu verlieren haben. Riots werden nicht geplant. Ich denke, daß der Fall von Rodney King, der von mehreren Polizisten zusammengeschlagen wurde, die später von einer rein weißen Geschworenenjury freigesprochen wurden, alle Bedingungen sichtbar gemacht hat, mit denen African Americans in den USA konfrontiert sind.
Die Menschen in L.A. haben darauf gefühlsmäßig reagiert, weil dieser Fall eine Ungerechtigkeit und ein Schlag ins Gesicht für alle African Americans war.
Hat L.A. die Leute dazu gebracht, aktiv zu werden und sich zu organisieren? Ich denke, in gewisser Hinsicht, ja. Der Fall Rodney King hat gezeigt, daß dieses System nicht unser System ist. Der Prozeß hat gezeigt, daß das System sich überschlägt, um seine Beamten, seine Polizisten auch bei schweren Anklagen wie Körperverletzung oder auch Totschlag zu schützen, wenn die Opfer dieser Übergriffe arm, African Americans, machtlos und ohne Einfluß sind. Der Fall Rodney King zeigt meiner Ansicht nach auch, wie arrogant das System ist. Es wäre doch anzunehmen, daß staatliche Stellen sich angesichts von so offensichtlichen Beweismaterialien wie der Videoaufnahme anders verhalten hätten. Aber das Video hatte absolut keine Bedeutung.
Einige Leute sind jetzt erleichtert angesichts der Tatsache, daß die US-Bundesregierung in Washington D.C. nach den Rebellionen interveniert und angekündigt hat, daß sie jetzt ein eigenes Ermittlungsverfahren einleiten wird. Aber bei genauerem Hinsehen sind das die gleichen staatlichen Stellen, die schon vor Jahren versprochen hatten, eine US-weite Untersuchung in bezug auf rassistische Übergriffe von Polizeikräften durchzuführen. Und dann herrschte jahrelang Schweigen. Außerdem planen die gleichen Politiker, die jetzt eine Untersuchung des Falls Rodney King durch die Bundesregierung fordern, die Abschaffung der Berufungsmöglichkeiten für zum Tode verurteilte Gefangene vor Bundesgerichten. Dabei wäre es doch nur logisch, wenn Bundesgerichte eine Person anklagen können, die von einem Landesgericht freigesprochen worden ist, daß dann die Bundesgerichte auch die volle Autoriät haben sollten, die Fälle von zum Tode verurteilten Gefangenen zu überprüfen, die von Landesgerichten verurteilt wurden.

Viele der Städte, in denen es zu rassistischen Übergriffen von staatlichen Kräften gegen Schwarze und Latinos kommt, wie z.B. New York City oder auch L.A., werden inzwischen von Schwarzen Bürgermeistern und Schwarzen Polizeipräsidenten regiert, die auch schon seit einigen Jahren an der Macht sind. Offensichtlich unterscheiden sich Schwarze und Weiße Politiker in Machtpositionen nicht mehr in ihren Methoden. Gibt es denn am Vorgehen dieser Schwarzen Politiker Kritik innerhalb der African American Community?

Mumia: Ich denke, daß die meisten Menschen in der African American Community sehr genau zwischen dem Anschein von Macht und tatsächlicher Macht unterscheiden. Sie wissen, daß politische Führungspersönlichkeiten aus der African American Community Bürgermeister, Polizeipräsidenten oder auch Gefängnisdirektoren sein können daß sie Machtpositionen haben können und ihnen gleichzeitig die tatsächliche Macht fehlt. Macht ist die Fähigkeit, den eigenen Willen durchzusetzen. Wenn man sich die Ereignisse vom Mai 1985 in Philadelphia unter dem Schwarzen Bürgermeister Wilson Goode und die Ereignisse im Sommer 1992 in New York unter dem Schwarzen Bürgermeister David Dinkins ansieht, dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß beide Bürgermeister in gewisser Hinsicht absolut machtlos waren. In bezug auf Goode spreche ich von der Bombardierung des MOVE-Hauses am 13. Mai 1985 durch die Polizei von Philadelphia. Dabei starben 11 MOVE-Mitglieder, darunter 5 Kinder, in den Flammen einer Phosphorbombe, und ein ganzes Stadtviertel wurde niedergebrannt. Bürgermeister Goode akzeptierte die volle Verantwortung für diesen Polizeieinsatz, aber wies alle Vorwürfe von sich. Vor kurzem schrieb er über diese Ereignisse in seiner Autobiographie In good Faith (In gutem Glauben), daß der Grund für seine Abwesenheit vor Ort des Geschehens, als die Polizei die MOVE-Leute bombardierte, verbrannte und abknallte, gewesen sei, daß er eine Morddrohung erhalten hatte. Seinen Angaben zufolge wurde ihm gesagt, daß die Polizei von Philadelphia ihn umbringen wolle, wenn er vor Ort erschienen wäre. Ich schenke seinen Aussagen Glauben, insbesonders angesichts der Ereignisse in New York im September 1992. Nachdem Bürgermeister David Dinkins angekündigt hatte, daß er eine zivile Überwachungskommission für Beschwerden über rassistisches Verhalten der Polizeikräfte in New York einrichten wolle, randalierten 10 000 Polizisten bei einer Demonstration vor dem Rathaus und schrien rassistische Sprüche gegen ihren Oberkommandierenden, den Bürgermeister. Mir ist der Titel egal wenn 10 000 Polizisten vor deinem Büro stehen und dich mit allen nur denkbaren rassistischen Schimpfwörtern belegen können, dann beweist das absolute Ohnmacht.
Beide Ereignisse zeigen die Machtlosgkeit derjenigen Leute, die mit Machtbefugnissen ausgestattet sind, aber ihren Willen nicht durchsetzen können. Es ist undenkbar, daß irgendein euroamerikanischer Bürgermeister oder führender Politiker von Leuten, die seine Untergebenen sind, mit dem Tod bedroht werden könnte und daß dieser Weiße Politiker nicht die Möglichkeiten, Kontakte oder die exekutive Macht hätte, diese Bedrohung zu isolieren und sie zu beseitigen. Weder Dinkins noch Goode waren dazu in der Lage, obwohl sie durchaus erfahrene Politiker sind. Aber sie sind nun mal African American-Politiker, die den Anschein von Macht besitzen, aber keine tatsächliche Macht.

Aber vor 20 Jahren haben African Americans in der Bürgerrechtsbewegung und der Black Power Bewegung dafür gekämpft, in der politischen Arena repräsentiert zu sein; sie verlangten die Kontrolle über ihre eigenen Communities. Oberflächlich betrachtet scheint diese Forderung nun doch erfüllt zu sein?

Mumia:Vor zwanzig Jahren war ein Ziel der BPP das Erringen von Schwarzer revolutionärer politischer Macht. Die Partei versuchte eine Unterscheidung zwischen Schwarzer revolutionärer und Schwarzer politischer Macht zu machen; daß es keine Lösung ist, ein schwarzes Gesicht in einer hohen Position zu haben. Wenn ein African American in eine Machtposition plaziert wird, repräsentiert er oder sie nicht die Interessen der Armen, der Machtlosen; er oder sie repräsentiert die Interessen des Systems und nicht der Menschen. Die Aussicht auf einen Schwarzen Bürgermeister von New York City oder Philadelphia oder auch eines Polizeidirektors war vor zwanzig Jahren undenkbar und von der BPP auch nicht gewollt. Jetzt ist sie denkbar, aber die Realität ist, daß sich für die Menschen auf der Straße das Leben nicht zum Besseren, sondern in vieler Hinsicht zum Schlechteren verändert hat.

Um mal das Thema zu wechseln, wie sieht eigentlich Deine momentane rechtliche Situation aus?

Mumia:Wir bereiten seit einiger Zeit einen Antrag auf Wiederaufnahme meines Verfahrens vor. Ich arbeite zusammen mit meinen Anwälten an diesem Antrag. Zumindest einer meiner Anwälte, Len Weinglass [ 5 ] aus New York City, hat gesagt, daß ich in jeder Hinsicht nie einen wirklichen Rechtsbeistand hatte. Wenn du einen Pflichtverteidiger hast, der vom Gericht ernannt ist, der dich nicht vertreten will und dem die elementarsten Mittel zu deiner Verteidigung vom Gericht verweigert werden, dann hast du zwar einen Anwalt aber nur auf dem Papier.
Die größte bürgerliche Tageszeitung Philadelphias, der Philadelphia Inquirer, hat vor kurzem eine zweiseitige Reportage über die rechtliche Situation von Leuten veröffentlicht, die in Philadelphia wegen eines Kapitalverbrechens angeklagt wurden. Die Reportage enthüllte, daß die Bedingungen in Philadelphia im US-weiten Vergleich ganz unten rangieren. In Cleveland, Ohio oder in San Francisco werden mittellosen Angeklagten im Rahmen der üblichen Maßnahmen vom Gericht zwei AnwältInnen zur Verfügung gestellt einE AnwältIn für die Phase der Urteilsfindung und einE AnwältIn für die Strafmaßphase, in der entschieden wird, ob die Todesstrafe verhängt wird. Darüber hinaus werden SpezialistInnen in der Frage der Geschworenenauswahl, einE PsychologIn, WaffenexpertInnen etc. durch Prozeßkostenhilfe bei Fällen, in denen die Todesstrafe verhängt werden kann, abgedeckt. Pflichtverteidiger in diesen Städten, die Gefangene in Todesstrafenfällen verteidigen, erhalten ein Minimum von 10 000 Dollar an aufwärts. Pflichtverteidiger in Philadelphia erhielten zu Beginn der 80er Jahre maximal 2500 Dollar für einen derartigen Fall. Inzwischen liegt die Summe bei maximal 4500 Dollar.
In Philadelphia werden die Pflichtverteidiger immer vom Richter bestimmt, und damit ist das Verhältnis zwischen Richter und Anwälten von vornherein klar: Wenn ein Richter den Anwalt für den jeweiligen Fall aussucht, und der Richter darüber hinaus bestimmt, wieviel Geld der Anwalt erhält und wann er es erhält, dann sollte der Anwalt den Richter besser nicht zu sehr verärgern, seine Entscheidungen lieber nicht zu sehr in Frage stellen und besser nichts tun, was den Richter fragwürdig oder in einem schlechten Licht erscheinen läßt.

Du befindest Dich seit einigen Jahren zusätzlich zu Deinem Status als zum Tode verurteilter Gefangener auch in Disziplinarhaft, weil Du dich aus religiösen Gründen weigerst, Dein Haar abzuschneiden. Der Leiter der Gefängnisbehörde von Pennsylvania, Joseph Lehmann, hat im September 1992 zwei neue Direktiven herausgegeben, die die Haftbedingungen von Todeskandidaten und der Gefangenen in Disziplinarhaft in allen Gefängnissen des Bundesstaats betreffen. Wie verändern sich durch diese Direktiven Deine Haftbedingungen?

Mumia:Zusammenfassend läßt sich zu diesen neuen Direktiven sagen die schlechtesten Bedingungen in den US-Todestrakten sind dabei, noch mieser zu werden.
Die beiden Direktiven 801 und 802 schränken die Besuche, den Briefwechsel, den Zugang zu Zeitschriften, Zeitungen und Büchern noch weiter ein. Für diejenigen, die in Harrisburg [ 6 ] Bestimmungen ausarbeiten, ist es anscheinend eine Stunde zuviel, wenn Gefangene bei 22 Stunden Einschluß pro Tag zwei Stunden Hofgang in einem Stahlkäfig haben. So daß es jetzt 23 Stunden Einschluß und eine Stunde Hofgang sind; am Wochenende gibt es gar keinen Hofgang mehr. Für diejenigen Gefangenen, die wie ich in Disziplinarhaft sind, bedeuten die neuen Direktiven unter anderem

ein Trennscheibenbesuch im Monat anstatt wie bisher vier bis sechs Trennscheibenbesuche monatlich; weiterhin kein Radio oder Fernseher, überhaupt keine Telefongespräche mehr, sowie die Reduzierung von Zeitungs- und Zeitschriftenabos auf eine juristische Zeitung anstatt wie bisher ein relativ freier Zugang zu Tageszeitungen. Das einzige, was ich nach den neuen Direktiven im Knasteinkauf erhalten kann, sind zwei Päckchen Zigaretten im Monat. [ 7 ]

Wie sieht es mit Briefmarken und Schreibpapier aus? Kannst Du das über den Knasteinkauf beziehen?

Mumia:Nein, weder Briefmarken, Papier oder Briefumschläge. Nach dem Wortlaut der Direktive ist das einzige, was ein Gefangener in Disziplinarhaft im Knasteinkauf erhalten kann, ein Päckchen Zigaretten alle zwei Wochen oder zwei Päckchen Zigaretten im Monat. Das war's keine Seife, kein Schampoo, nichts.

In den letzten zwei Jahren hat es in den Gefängnissen von Pennsylvania immer wieder Aufstände von Gefangenen gegeben, die damit gegen die Überfüllung der Knäste, die Haftbedingungen und die rassistischen Übergriffe von Schließern, die im Ku-Klux-Klan organisiert sind, protestiert haben. Werden diese neuen Direktiven Deiner Ansicht nach Widerstand hervorrufen?

Mumia:Das läßt sich im Knast immer schwer vorhersagen, weil diese neuen Direktiven nur diejenigen Gefangenen betreffen, die in den Trakten mit verschärften Haftbedingungen gefangengehalten werden. Sie sind ohnehin schon sehr in ihren Bedingungen und Möglichkeiten eingeschränkt, und daher ist es selten, daß es in diesen Trakten offenen Widerstand gibt. Als die Aufstände in den Knästen von Pennsylvania stattfanden, begannen sie in einem Gefängnis mit mittlerer Sicherheitsstufe. Es ist daher immer etwas schwierig vorherzusagen, wie Leute reagieren werden. [ 8 ] Die Knastbehörde hat die Gefangenen schon im September darauf hingewiesen, daß es eine Veränderung geben wird, und dann wurde vor einer Woche der Wortlaut der Direktiven an die betroffenen Gefangenen verteilt meiner Ansicht nach, um die Durchführung zu erleichtern. Anstatt den Leuten von einem Tag auf den nächsten einen Schock zu versetzen, wissen sie so schon vorher, was kommen wird. In diesem Zusammenhang ist es vielleicht noch bemerkenswert, daß der schwarze Direktor dieses Gefängnisses behauptet, er würde den Wortlaut der Direktiven noch gar nicht kennen ...
Mich hat diese Entwicklung zu einem Rückblick auf die Geschichte von African Americans veranlaßt, insbesondere auf den Fall von El Haji Malik El-Shabbaz, der allgemein als Malcolm X bekannt ist. Als Malcolm X im Gefängnis war, war sein Verhalten so destruktiv, daß er von vielen Leuten Satan genannt wurde. Malcolm X war nur durch die Möglichkeit, die Lehren von Elijah Muhammad [ 9 ] und ein Wörterbuch zu studieren, in der Lage, sich aus dem dunklen Loch der Destruktivität zu befreien und ein positives inneres Selbstverständnis aufzubauen. Daß es ihm gelungen ist, etwas anderes zu werden als das, was die Gesellschaft ihm vermittelte, das er sei, ist entscheidend für die Entwicklung seiner Lehren und seiner spirituellen Größe. Unter diesen neuen Direktiven wäre Malcolm X niemals in der Lage, ein Wörterbuch zu besitzen oder Zugang zu diesen Lehren zu erhalten. So daß jemand, der Satan genannt wurde, niemals in der Lage gewesen wäre, sich zu entwickeln und sich in einen Malcolm X und später in El Haji Malik El-Shabbaz zu verwandeln; weil er die Mittel nicht erhalten hätte, um sich zu entwickeln, um zu wachsen, zu lesen, zu lernen, seinen Blick zu erweitern.
Wenn man verfolgt, wie dieser Staat sein neues Hochsicherheitsprogramm [ 10 ] durchführt, dann sieht es so aus, als wenn es beabsichtigt wäre, diese Art von Entwicklung zu verhindern und tatsächlich, wenn nicht Satane, so doch verbitterte, wütende, einfach ausgebrannte Menschen zu schaffen anstelle von sensiblen, einsichtigen, besseren Menschen.
Ein System, das es wagt, sich Department of Corrections [ 11 ] zu nennen, hat meiner Ansicht nach die Aufgabe, Menschen zu verbessern, anstatt sie bitter zu machen.

Deine Anwälte und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen haben sich vor kurzem mit dem obersten Berater des Gouverneurs von Pennsylvania, Robert Casey, getroffen ohne ein konkretes Ergebnis. Der Berater wies allerdings darauf hin, daß die Unterzeichung des Befehls für Deine Hinrichtung vom Gouverneur im Sommer 1992 aufgrund der großen Öffentlichkeit verschoben wurde. Gouverneur Casey hat allerdings nur wenige Wochen nach diesem Treffen öffentlich behauptet, daß er nichts über Deinen Fall wüßte. Wie beurteilst Du diese Verhandlungen im nachhinein?

Mumia:Es war schockierend und bestenfalls überraschend, zu hören, daß der Gouverneur nichts über meinen Fall weiß. Immerhin haben tausende von Menschen in den USA und aus aller Welt Kongreßabgeordnete, Mitglieder des Europaparlaments, Menschenrechtsorganisationen und ganz einfache, normale Menschen Petitionen unterschrieben oder Briefe an den Gouverneur geschrieben. Die Antwort des Gouverneurs er wisse nichts über diesen Fall-, und er habe neulich zum ersten Mal aus der Zeitung davon erfahren spiegelt meiner Ansicht nach die politische Distanz von Politikern wieder. Sie können so weit von den Menschen entfernt sein, daß sie tatsächlich nichts hören oder nur das hören, was sie hören wollen oder vielleicht nur das hören, was ihre Berater sie wissen lassen wollen. Aber ich war schon schockiert über die Reaktion des Gouverneurs auf die Fragen nach meinem Fall, die ihm bei einer öffentlichen Veranstaltung in New York Ende September 1992 gestellt wurden.

Viele Leute scheinen davon auszugehen, daß sich die Lebensbedingungen in den USA verbessern werden, sobald Clinton Präsident wird. Wie siehst Du das aus Deiner Perspektive?

Mumia:Nun ja, ich bin da etwas voreingenommen. Als ein African American in der Todeszelle stimme ich mit diesen Leuten nicht überein. Ich vermute mal, daß die meisten Schwarzen und Weißen Gefangenen in den Todestrakten von Arkansas und nicht nur dort das ähnlich sehen. Clinton ist ein überzeugter Vertreter der Todesstrafe. Er ist für die Vollstreckung von vier Hinrichtungen in Arkansas während seiner Amtszeit verantwortlich. Clinton plant außerdem den Ausbau des Polizeiapparats sowie den Bau von weiteren Gefängnissen. Und das trotz der Tatsache, daß schon jetzt über 1,5 Millionen Menschen in den USA in Gefängnissen sind. Damit steht die USA weltweit hinter Südafrika an zweiter Stelle in bezug auf den Anteil von Gefangenen gemessen an der Gesamtbevölkerung.
In bezug auf die Lebensbedingungen der Mehrheit der African American Community werden die Veränderungen meiner Meinung nach minimal sein. Es ist ziemlich egal, welche Partei die Wahlen gewinnt ob Demokraten oder Republikaner: Big Business wird jede Regierung wie Marionetten am Gängelband halten. Die PolitikerInnen handeln nicht im Interesse der Menschen, der Millionen von Erwerbslosen oder der drei Millionen Obdachlosen, sondern im Interesse von Big Business. Die Politik in den USA richtet sich nach den Anweisungen aus der Wall Street. [ 12 ]

Siehst Du denn momentan in den USA eine politische Bewegung oder Organisation, die eine revolutionäre Strategie und die Stärke hat, um die Menschen zum Handeln zu bewegen?

Mumia:Es gibt momentan mehrere Organisationen mit unterschiedlichen ideologischen Richtungen in den USA, die revolutionäre Theorien haben, von denen sie glauben, daß sie die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Realität verändern können. Haben sie die Stärke, um diese Theorien umzusetzen und die Realität jetzt zu verändern? Nein. Diese Organisationen sind winzig im Vergleich zur Größe des Landes.
Mehr als alles andere wäre jetzt ein Zusammenkommen vieler Kräfte und Bewegungen zu einer revolutionären Massenbewegung notwendig, um diese Realitäten zu verändern. Es gibt keine einzelne Organisation oder Bewegung, die diese Stärke hätte. Die BPP hatte zu ihren Hochzeiten 1516 000 Mitglieder und arbeitete mit anderen revolutionären Organisationen zusammen. Trotzdem gab es keinen Durchbruch. Es wird keine sofortige Veränderung geben, wenn nicht ein Zusammenkommen vieler politischer Bewegungen und Kräfte stattfindet. Ich spreche dabei von positiven Veränderungen denn es wird sicherlich noch jede Menge negative Veränderungen geben.
Eine dieser negativen Veränderungen ist die Zunahme der Hochsicherheitstrakte und -programme in den gesamten USA sowie die zunehmende Verknastung der Gesellschaft. Damit meine ich nicht nur die ca. 1,5 Millionen Menschen hinter Gittern, sondern auch die Tatsache, daß in dem Maß, in dem dustriezweige ihre Produktion aus den USA abziehen, viele Menschen damit konfrontiert sind, daß ihre eigenen Überlebensmöglichkeiten nur noch darin bestehen, ein Teil dieser Festungswirtschaft [ 13 ] zu werden. Das bedeutet, daß insbesondere in ländlichen Gebieten ein Großteil der vorhandenen Arbeitsplätze im Sicherheitsbereich zu finden sind als PolizistInnen, SchließerInnen, WachschützerInnen etc. Damit werden die USA von außen und innen zur Festung.

Viele Menschen in den USA, auch in der African American Community, wissen nichts von der Existenz der über 150 politischen Gefangenen aus der Black Panther Party, der Black Liberation Army, der Puertoricanischen Unabhängigkeitsbewegung, dem Indianischen Widerstand oder der Weißen Stadtguerilla. Wo sind die Ursachen dafür zu suchen?

Mumia:Einer der Gründe dafür ist sehr einfach. Im amerikanischen Bewußtsein, und auch im African American Bewußtsein, ist etwas erst dann real, wenn es im Fernsehen gezeigt wird. Wenn etwas nicht auf NBC, CBS oder CNN [ 14 ] gezeigt wurde, dann hat es auch nicht existiert. Und die Zerschlagung des Schwarzen Widerstands, überhaupt die Existenz eines militanten Widerstands, wurde und wird von der herrschenden Klasse und ihren Medien natürlich verschwiegen. Politische Gefangene wie Abdul Majid, Bashir Hamed, Geronimo ji-jaga Pratt, Chuckie Africa und Delbert Africa [ 15 ] sind für Millionen von US-AmerikanerInnen unsichtbar.

Gibt es etwas, das Du insbesondere den Menschen in der BRD, die Dich auf unterschiedliche Weise unterstützen, sagen willst?

Mumia:Ja, ich möchte mich bei meinen FreundInnen in der BRD bedanken; ihre Arbeit ist sehr hilfreich.


| anfang |

Anmerkungen

[ 1 ]
Ehemaliger Gouverneur von Alabama während der 60er und Anfang der 70er Jahre, der in den USA für seinen rassistischen und offen faschistischen Terror gegen die Bürgerrechtsbewegung bekannt wurde. 1968 kandidierte er als Präsidentschaftskandidat der rassistischen American Independence Party.

[ 2 ]
1984 wurde Frank Rizzo von der Demokratischen Partei nicht mehr als Bürgermeisterkandidat zu den Wahlen aufgestellt, sondern durch Wilson Goode ersetzt. Rizzo wurde danach einfacher Stadtverordneter. Während eines erneuten Versuchs, 1992 noch einmal als Bürgermeisterkandidat der Demokraten aufgestelllt zu werden, erstickte Rizzo bei einem Wahlkampfessen an einem Hamburger.

[ 3 ]
Rebellion

[ 4 ]
African American ist ein Begriff, der von vielen Schwarzen in den USA gewählt wird, um ihre afrikanische Herkunft auszudrücken.

[ 5 ]
Len Weinglass war u.a. Rechtsanwalt von Angela Davis und verteidigt momentan mehrere puertoricanische Kriegsgefangene.

[ 6 ]
Landeshauptstadt des US-Bundesstaats Pennsylvania und bekannt geworden durch den fast-GAU im Atomreaktor von Three Mile Island 1979.

[ 7 ]
Mumia wurde Anfang Januar 1993 in den sog. Normalvollzug für zum Tode verurteilte Gefangene verlegt, d.h. er hat jetzt einen Fernseher und Radio auf der Zelle und kann Bücher erhalten. Diese Verlegung war das Ergebnis einer breiten Kampagne gegen seine verschärften Isohaftbedingungen.

[ 8 ]
Am 4. Dezember haben 26 Gefangenen aus dem Todestrakt von Huntingdon eine Petition gegen ihre Haftbedingungen unterschrieben. Alle Gefangene, darunter Mumia Abu-Jamal, wurden dafür von der Gefängnisleitung mit 30 Tagen Disziplinarhaft bestraft.

[ 9 ]
Elijah Muhammad war der Gründer der Nation of Islam.

[ 10 ]
Das sog. Marionization-Program, benannt nach dem Hochsicherheitsknast für Männer in Marion, Illinois; siehe: Repression und Knast in den USA.

[ 11 ]
Wortspiel im Englischen: wörtlich bedeutet Department of Corrections Besserungsbehörde, gemeint ist die Gefängnisbehörde; und to make people better instead of bitter.

[ 12 ]
Die Börse, internationaler Kapitalknotenpunkt in New York City.

[ 13 ]
Fortress Economy, gemeint ist damit u.a., daß der gesamte Sicherheitsapparat zu einem entscheidenden Wirtschafts- und Arbeitsplatzfaktor für die US-Ökonomie geworden ist und einer der wenigen Bereiche ist, in dem Zuwachsraten zu verzeichnen sind.

[ 14 ]
US-weiter Fernsehsender

[ 15 ]
Politische Gefangene der BPP, BLA und von MOVE.

BLACK POWER
| nadir | home | inhalt | anfang | << | >> |