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Die Wiederbelebung nationaler Gefühle

Dummheit konnte man ihnen nicht vorwerfen, vielmehr vorsätzliche Absicht, denn von ehemals linken Intellektuellen sollte man erwarten können, daß sie in der Lage sind, Propaganda und Nachricht auseinanderzuhalten. Der einseitigen Medienberichterstattung waren sie also nicht einfach aus Unfähigkeit auf den Leim gegangen, sondern sie betrieben selbst das Geschäft der Medien. Von Journalisten wie Roy Gutman, Maria von Welser und Alexandra Stiglmayer, die den Jugoslawienkonflikt auf ein rührseliges Stück reduziert hatten, in dem die Muslime als unschuldige Opfer und die Serben als massenmordende Täter die Hauptrollen spielten, unterschieden sie sich nicht. Um diesen Unterschied, der einmal bestanden hat, vergessen zu machen, mußten sie bestimmte Einsichten und schlichte Wahrheiten, die ihnen einmal geläufig waren, ignorieren.

Früher waren Intellektuelle links und ganz selbstverständlich Internationalisten, die Nation war Gegenstand ihrer Kritik. Im Namen der Nation waren Völker ausgerottet worden, wurden Kriege geführt und Menschen gefoltert. Mord, Totschlag und Vergewaltigung sind ihr Wesen, welches nur deshalb nicht immer zur Entfaltung kommt, weil weder staatliche noch gesellschaftliche Interessen grundsätzlich mit dem Nationalismus identisch sind. Der Zusammenhang zwischen Nation und Nationalismus mußte niemandem erklärt werden, und selbstverständlich war es, die nationalistisch gesinnte Rechte zu bekämpfen. Grob vereinfacht sei das, außerdem nicht mehr auf dem neuesten Stand, heißt es, mittlerweile habe sich viel verändert. »Nationale Gefühle« seien schließlich nichts Verwerfliches, Internationalismus und Universalismus haben in die Sackgasse geführt, und der Nationalismus könne auf keinen Fall den Rechten überlassen werden.

»Ein großer Teil der französischen Intellektuellen«, so behauptet Alain Finkielkraut, »macht heute den Fehler, die Neubelebung der nationalen Gefühle als Nationalismus abzulehnen. So entstand die negative Beziehung zu den Kroaten bei einem Teil der Intellektuellen. Im Namen des Universalen wird das Nationale negiert. Das ist keine Vorliebe für Serben, sondern Verachtung für die Nation, fürs Nationale« (taz vom 13.1.92). Genau darin aber besteht die Wandlung vom Intellektuellen, der Verstand besitzen muß statt »nationaler Gefühle«, zum Demagogen, dessen Wahn Methode hat. Mit dieser Methode liebäugelt auch Daniel Cohn-Bendit, der seine »nationalen Gefühle« »heimatliche Identifikation« nennt und dafür plädiert, daß »Deutschland nicht permanent in antifaschistischer Zwangsquarantäne gehalten« (Spiegel 1/94) wird. Was will uns der Autor damit sagen? »Für mich zum Beispiel ist jeder, der gegen eine Militärintervention in Bosnien ist, rechts«, und man würde ihm um des lieben Friedens willen recht geben, wenn es tatsächlich nur eine Frage der sich an Bosnien entscheidenden Definition wäre, denn mit Cohn-Bendit und dem zum Linken gekürten ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Stefan Schwarz möchte man nicht im gleichen Verein sitzen.

Seine Philosophie des Nationalen bastelt Finkielkraut aus den unappetitlichsten ideologischen Versatzstücken zusammen, die die kommunistische Lehre zu bieten hat. Als das Konzept »Klassenkampf« nämlich vor sich hin kränkelte, weil die Arbeiter nicht daran dachten, sich an etwas anderem als an Tarifauseinandersetzungen zu beteiligen, setzte man seine Hoffnungen in die Befreiungsbewegungen der »3. Welt«. Man wurde Anhänger der maoistischen Kulturrevolution und des Vietcong, und die Parolen hießen »nationaler Befreiungskampf« und »Sieg im Volkskrieg«. Auf diese nationale Rhetorik greift Finkielkraut wieder zurück, und wie ein Kaderkommunist alter Schule plappert er die Phrasen der Komintern nach, als ob er den FAZ- und taz-Kommentatoren nachträglich recht geben wollte, für die zwischen Kommunisten und Nationalisten kein Unterschied besteht. (In einem taz-Kommentar am 27.1.94 schwafelt Rathfelder über einen »neuen Totalitarismus rot-brauner Provenienz« in Jugoslawien.) Früher standen die Intellektuellen damit immerhin in Opposition zur größten imperialistischen Macht, und während sie damals die USA aus Gründen der »nationalen Selbstbestimmung« aus den Ländern der 3. Welt hinausbefördern wollten, fordern sie heute aus den gleichen Gründen deren Engagement. Aber die Staaten sind aus ihrem Schaden in Vietnam und Algerien klüger geworden, klüger jedenfalls als die Intellektuellen, wenn sie dem früheren Gegner ungefragt zu einem Zeitpunkt ihre Unterstützung anbieten, als der vorsichtig und zurückhaltend geworden ist und zumindest vorläufig ein militärisches Abenteuer in Jugoslawien meidet.

Im staatstragenden Ton eines Oberlehrers der Nation, der jedem oppositionellen Gedanken abhold ist und den nur die Sorge um nationale Werte umtreibt, verkündet Finkielkraut: »Frankreich vergißt eigene Traditionen, es vergißt, daß im Jahre 1848 Paris die Hauptstadt der freien Völker war. Alle Patrioten hatten in ihr ihre Heimat.« Diese »Patrioten« ließen im Juni 1848 diejenigen Arbeiter abschlachten, die ihnen im Februar den Weg zur Macht geebnet hatten, als sie den »Bürgerkönig« Louis-Philippe stürzten. Weil Finkielkraut von »Frankreich« spricht und nicht von herrschenden Cliquen, von Bourgeoisie, Kapital und Staat, rechtfertigt er auch jene Verbrechen, die jeder Gründung einer Nation vorausgehen. Genausogut hätte er sich auf 1793 berufen können, als der Aufstand in der Vendée niedergemetzelt wurde und in Nantes Massenhinrichtungen stattfanden.

Finkielkraut, der seinem Kollegen Lévy vorwirft, zum Aggressor in Belgrad gegangen zu sein, läßt sich stattdessen lieber von Tudjman einladen. Es bleibt Finkielkrauts Geheimnis, warum es ausgerechnet die kroatische Nation ist, zu deren Verteidigung er sich berufen fühlt, und weshalb er in Frankreich inzwischen Finkielkroat genannt wird. Vielleicht, weil Tudjman, ein glühender Bewunderer des Ustasche-Führers Ante Paveli´c, im Wahlkampf 1990 verkündete: »Ich bin stolz und glücklich, daß meine Frau keine Jüdin und keine Serbin ist.«?



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