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Nachrichten aus dem Ossi-Land - Aus | Die Wiederbelebung nationaler Gefühle |
»Ein Wiener: Die Sache ... ist eine gerechte, da gibt's keine Würschteln, und darum sage ich auch, Serbien - muß sterbien!
Stimmen aus der Menge: Bravo! So ist es! - Serbien muß sterbien! - Ob's da wüll oder net! - A jeder muß sterbien!
Der Intellektuelle: Wer hätte das für möglich gehalten, wie sich die Zeiten geändert haben und wir mit ihnen.«
Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit
Daß Medien dazu neigen, im Gegensatz zu ihrem eigenen Anspruch der »objektiven Berichterstattung«, parteiisch zu sein und politisch opportune Vorurteile aufzugreifen, ist nichts Neues. Bereits 1918 beschreibt der amerikanische Journalist Ben Hecht, der drei Tage vor der Novemberrevolution als Auslandskorrespondent Berlin aufsuchte, dieses Phänomen, das sich aus Gerüchten, Ressentiments und Lügen zusammensetzt und abweichende Meinungen nicht mehr zuläßt.
»Einen Bericht gab es, den ich aus allen drei Quellen erhielt, dem Gehrock, dem Kellner und dem herumtändelnden weibischen Lustknaben. Dies war der Bericht von einer russischen Invasion, die bevorstehe. Trotzki sei dabei, auf einem Rappen eine Million Bolschewiken nach Deutschland zu führen, es niederzubrennen und mit seinen moskowitischen Horden nach Frankreich hineinzustürmen. In Deutschland gab es keine Armee, um den siegreichen Trotzki aufzuhalten, und die Alliierten, die in Versailles versammelt waren, um Deutschland die Friedensbedingungen zu diktieren, waren dabei, sich durch die Entwaffnung Deutschlands selbst zu ruinieren. Deutschland war das einzige Bollwerk gegen die östliche Unterjochung Europas.
Zwei Punkte an dieser Geschichte erstaunten mich. Einmal die Tatsache, daß die Deutschen, die sie mir erzählten, selbst nicht daran glaubten. Sie erzählten mir die Geschichte ausgelassen und unsinnig wie so viele durchsichtige Schwindler, die einen hochnehmen. Sie gaben nicht einmal vor, sie zu glauben. Sie wiederholten sie fröhlich, hoffnungsvoll und mit zynischer Gewitztheit. Es war ihre letzte Waffe gegen die siegreichen Alliierten.
Die andere Tatsache, die mich verwunderte, war die, daß außerhalb Deutschlands es jeder zu glauben schien. Meine Chefs vom Daily News Auslandsnachrichten-Syndikat - Charles Dennis in Chicago und Edgar Price Bell in London - glaubten es. Sie verlangten Berichte über die deutsche Angst vor der kommenden russischen Invasion von mir. Die alliierten Staatsmänner in Paris schienen es zu glauben. Und die amerikanischen Spione in Berlin, die Daten für den Armee-Nachrichtendienst sammelten, schickten Berichte über Trotzki und seine Bolschewiken, die bereit seien, über den Kontinent herzufallen.
Ich telegraphierte keinen derartigen Bericht, wie man forderte. Ich schickte private Nachrichten an Dennis und Smith und versuchte sie zu überzeugen, daß die bolschewikische Invasion deutsche Propaganda sei. Mein Wissen war unzureichend, mein politisches Verständnis war fast gleich Null, und meine Informationsquellen beschränkten sich zur Zeit auf Rauschgiftsüchtige, Nymphomaninnen und einen Kellner. Aber die Lügen über Rußland waren so offensichtlich auszumachen wie ein Scheißhaus im Nebel.
Ich schrieb keine derartigen Berichte, aber andere taten es, und die Lüge wuchs und wurde zur fixen Idee der alliierten Welt, teilweise injiziert von einer deutschen Spritze und teilweise durch die dem Kapitalismus eigene Furcht vor den marxistischen Buhmännern, die über seinen Profiten schwebten. Es war diese Lüge, die ausgelassen und zynisch in Berlin lanciert wurde, die die deutsche Infanterie, den deutschen Panzer, die deutsche Luftwaffe und schließlich den ursprünglichen Krieg unter einem neuen Namen zurückbringen sollte - als Zweiten Weltkrieg.«
Es geht hier gar nicht darum, die Konflikte in Jugoslawien und dem damaligen Deutschland gleichzusetzen, aber die psychologischen und propagandistischen Mechanismen, die im nachhinein primitiv und lächerlich wirken, weisen trotz Aufklärung doch erstaunliche Ähnlichkeiten auf. War es früher die Furcht vor »Trotzkis bolschewistischen Horden«, die noch kurz vor dem Zusammenbruch nur auf ein Zeichen warteten, um über Deutschland herzufallen, sind es heute die serbischen Kommunisten, wahlweise Nationalisten, denen so ziemlich alles unterstellt wird, was die Phantasie westlicher Journalisten hergibt. Damals gab es die PR-Firmen Ruder Finn und Hill & Knowlton noch nicht, die die Sache der Deutschen vor der Welt hätten vertreten können, wie sie es für die amerikanische Regierung im Golfkrieg und IŠzetbegovi´c in Bosnien getan haben, aber die »Quellen« sind die gleichen geblieben, und wie Ben Hecht beschrieben hat, sind es in der Regel sehr unzuverlässige Zeitgenossen, die heute vielleicht ein größeres schauspielerisches Talent an den Tag legen, aber nicht gerade als glaubhaft bezeichnet werden können. Entscheidend jedoch ist - und da hat sich im Abstand von einem dreiviertel Jahrhundert nichts geändert - die Bereitschaft der Medien, diese Quellen zu kolportieren.
Etwas anderes ist es beispielsweise, auf staatliche Fehlinformationen oder Ehrenerklärungen hereinzufallen, was sich wieder gutmachen läßt, wenn man der Regierung auf die Schliche kommt. Das bringt der Zeitung Ruhm und Ehre ein, weshalb ihre Qualität nach der Anzahl der Regierungsbeamten bemessen wird, die sie zu Fall brachte. Hier jedoch handelt es sich um ein vorgefaßtes Urteil. Die Motive der Medien, Ressentiments statt Nachrichten zu verbreiten, sind unterschiedlich und hängen davon ab, aus welchem Blickwinkel sie den Konflikt betrachten, welche »Weltanschauung« sie vertreten oder welche Ideologie dahintersteckt. Bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sind es historische Motive, man verzeiht den Serben nicht ihren Widerstand gegen die Nationalsozialisten, bei der als links geltenden tageszeitung glaubt man, sich auf die Seite der Unterdrückten und Opfer schlagen zu müssen. In beiden Fällen ist das Ergebnis das gleiche, weshalb sich Journalisten wie Reißmüller und Rathfelder auch nicht mehr auseinanderhalten lassen. Die »Zeitung für Deutschland« und ihre in Berlin erscheinende Schülerausgabe sind in der Balkanfrage zu Kampfblättern für die nationale und völkische Sache geworden.
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