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Ende 1992 berichtete der Tagesspiegel von einer »repräsentativen Umfrage« unter Ossis zwischen 14 und 18 Jahren: 58% sind der Überzeugung: »Die Wessis bescheißen die Ossis, wo sie nur können.« 54% haben Angst vor einer »Überschwemmung des Landes mit Ausländern«. 41% bekennen sich zur Parole »Deutschland den Deutschen. Ausländer raus!«, unwesentlich weniger finden, daß man die Ausländer »aufklatschen und raushauen« müßte. 75% der Befragten sind für den Frieden zwischen allen Völkern.
Götz Aly in der taz vom 15.1.93: »Während sich Politiker bemühen, die gewalttätigen Übergriffe und Mordanschläge gegen Ausländer als ''gesamt-deutsches Phänomen'' einzuplanieren, zeigt die Statistik deutliche und bedenkenswerte Differenzen. Nach den für die Bundesländer spezifizierten Zahlen der Kölner Verfassungsschützer ist festzuhalten: In Ostdeutschland geschehen - pro 100000 Einwohner gerechnet - weit mehr als doppelt so viele rassistische Verbrechen als im Westen der Republik (5,7 : 2,4). Da der Ausländeranteil dort 14 mal höher liegt als im Osten, ist die Gefährdung für den einzelnen Fremden in Leipzig mindestens 30 mal größer als in Hannover, in Rostock mindestens 100 mal größer als in München.«
Über den Ossi als Blockwart berichtete Holger Gertz in der taz vom 11.2.93: »Wenn Herr Heinze ... seinen täglichen Rundgang durch den Bezirk unternimmt, muß er regelmäßig Dinge registrieren, ''die es früher bei uns nicht gegeben hat''. Seitdem vor zehn Wochen in der benachbarten Magazinstraße eine Unterkunft für 400 Asylbewerber eröffnet worden ist, hat Heinze nicht nur ''an jeder Ecke Schmutzberge'' entdeckt, auch der Verkehr gebe Anlaß zur Beunruhigung. Zu einer Rennstreke habe sich die Magazinstraße entwickelt, ''besonders an den Wochenenden und alltags ab 20 Uhr''. Dann brettern die Asylsuchenden mit ihren größtenteils schrottreifen Fahrzeugen über den Asphalt und störten die Ruhe der Bevölkerung. Woher sie die Autos haben, ''wo die Asylanten doch alle zu den Ärmsten zählen sollen'', hat Heinze noch nicht ermitteln können. Dafür ist er der Polizei gern behilflich, die Kisten aus dem Verkehr zu ziehen: ''Ich habe bereits zwölf Wagen nummernmäßig erfaßt.'' Heinze ist der Star bei der Bürgersprechstunde im Bezirksamt Mitte, wo die Anwohner ihre Erfahrungen mit den Asylsuchenden aus 28 Nationen austauschen sollen. Keiner der bestimmt fünfzig anderen Diskutanten hat sich so intensiv wie er auf die Diskussion mit Bürgermeister Gerhard Keil, der Ausländerbeauftragten Christine Bartels und Vertretern vom Landesamt für soziale Aufgaben und der Polizei vorbereitet. Als Sprecher der ganzen Region fühlt sich Heinze, wenn er sagt, ''daß keiner von uns was gegen Ausländer hat. Aber wir haben Probleme mit der ungeordneten Situation.'' Einige berichten ausführlich über diese Probleme. Eine Frau aus der Schillerstraße hat beobachtet, ''daß bei den Asylanten bei Regen, Sturm und Schnee die Fenster offenstehen. Und wir sollen sparen.'' Ihr Nebenmann, ein Rentner, hat für vieles Verständnis, ''schließlich bin ich selber aus Schlesien rausgeworfen worden''. Aber nachts mit Musik und Gesang die ganze Straße beschallen, ''das ist bei uns nicht drin''. Herr Heinze nutzt die Gelegenheit, noch mal auf sein bevorzugtes Problem mit den Autos einzugehen: Auf einer Wiese fand er neulich eine ausgebaute Autobatterie, ob ''die Säure schon ausgelaufen war, konnte ich nicht feststellen''.«
Im Tagesspiegel vom 15.11.92 berichtet Martin Gehlen unter dem Titel »Eine schleichende Vergiftung der Gesellschaft«: »Seit zwölf Jahren lebt Sara L. in Deutschland. Was sie jetzt erleben muß, läßt sie verzweifeln. ''Wir sind in ständiger Angst'', bekennt die zierliche Frau aus Mosambik. ''Wenn es dunkel wird, bin ich froh, wenn ich in meiner Wohnung bin. Fast alle von uns fragen sich, ob sie noch weiter hier leben können. Wenn ich den Haß gegen die Ausländer sehe, sehe ich für uns hier keine Zukunft mehr.'' Einkaufen geht sie nur noch sonnabends, denn an den kurzen Wintertagen traut sie sich nicht mehr, ihre Besorgungen nach Feierabend zu machen. Neulich haben sie sogar zwei Jugendliche an der Haltestelle angespuckt; die verbalen Beschimpfungen, die sie ständig über sich ergehen lassen muß, kann sie schon nicht mehr zählen. ''Es passiert mindestens jeden zweiten Tag, daß in der Straßenbahn Leute zu mir sagen, Ausländer sollte man alle vergasen.'' Jeden Morgen, bekennt sie, wenn sie daran denke, daß sie heute wieder mit der Straßenbahn zur Arbeit fahren müsse, beschleiche sie von neuem Furcht.
Sara L. war, wie Tausende anderer Mosambikaner, Vietnamesen und Angolaner mit ihr, von der Ost-Berliner Führung im Rahmen von sogenannten Regierungsabkommen als Arbeitskräfte ins Land geholt worden ...
''Ich bin inzwischen daran gewöhnt, beschimpft zu werden'', bekennt die Vietnamesin Phan Thi Thanh Son. Das geschehe jetzt fast jede Woche. Als sie kürzlich abends einen kranken vietnamesischen Asylbewerber in die nahegelegene Klinik begleiten mußte, seien sie vor dem Eingang von drei Jugendlichen angepöbelt worden. ''Deutschland den Deutschen. Ausländer raus'', skandierten die drei und ''Deutsche Klinik nur für Deutsche''. Im Juni 1982 kam Frau Son in die DDR, seit 1988 lebt sie in Magdeburg. Zur Arbeit fährt sie nur noch mit dem Auto, das sie für 3000 DM erstanden hat. Den Einkauf macht tagsüber ihr Mann. Weil er arbeitslos ist, kann er alle Besorgungen erledigen, solange es hell ist.
Alle Ausländer bleiben jetzt abends in ihren Wohnungen, ergänzt ihre Freundin Vu Ha, die seit 1978 im Lande lebt. ''Wenn wir etwas ganz Dringendes am Abend erledigen müssen, fahren wir schnell mit dem Auto hin und sofort wieder zurück, aber nie mit der Straßenbahn.'' Keinesfalls dürfe man sich abends auf der Straße sehen lassen, meint sie: ''Wir versuchen, so gut wie möglich den Leuten auszuweichen.'' Insgesamt sei das Leben noch isolierter geworden als vor der Wende. In der DDR-Zeit verhinderten Wohnghettos und Aufpasser Kontakte zur Bevölkerung. Das gebe es zwar jetzt zum Glück nicht mehr, doch nun könnten sie das Haus wegen der Schlägertrupps nicht mehr verlassen.
Wird ein Ausländer in der Stadt angegriffen, so die Erfahrung von Vu Ha, gehen die Leute meist wie unbeteiligt weiter, schauen weg oder weigern sich aus Angst vor den Jugendlichen, bei der Polizei als Zeugen auszusagen. ''Wir wissen genau, wenn uns was passiert, mischt sich niemand ein. Deshalb versuchen wir immer, so höflich wie möglich zu den Leuten zu sein, um mit ihnen in Frieden zu bleiben.''
Im Theater, Kino oder Konzert, ja selbst in einem Restaurant sind beide schon lange nicht mehr gewesen. Selbst eine einfache Eisenbahnfahrt wird angesichts der chronischen Bedrohung zu einem komplizierten Unterfangen. ''Wenn ich auf Dienstreise fahre, suche ich immer Züge zwischen 6 Uhr früh und 18 Uhr abends heraus'', erläutert Vu Ha. ''Kommt der Zug erst später in Magdeburg an, verzichte ich lieber und übernachte auswärts.''
Ibrahim R. ist seit Monaten nicht mehr abends auf der Straße gewesen. Seit anderthalb Jahren lebt er in Magdeburg. In München, erzählt er, sei es kein Problem gewesen, nachts auszugehen. In Ostdeutschland jedoch sei das anders. In Halberstadt hätten ihn drei Skins am hellichten Tag angegriffen und so erheblich verletzt, daß er ins Krankenhaus mußte. In Magdeburg sprühten ihm Jugendliche in der Straßenbahn Tränengas ins Gesicht. ''Ich habe mich daran gewöhnt'', sagt er verlegen. ''Morgens fahre ich mit der Straßenbahn zur Arbeit, und abends komme ich mit dem Taxi zurück.'' Ein Drittel seines kargen Lohns geht dafür drauf. Den restlichen Abend sitzt er in seinem Zimmer. ''Ich möchte so gerne mal in eine Disco gehen, aber ich weiß, das ist nicht möglich, weil wir dort zusammengeschlagen werden'', sagt er und fügt hinzu: ''Ich habe nur zwei Orte, wo ich hingehen kann - mein Zimmer und die Küche in dem Restaurant, wo ich arbeite.''«
Die taz vom 29. August 1994 berichtet über »Zwei Jahre nach den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen«. Dabei veröffentlichte sie ein Interview mit drei Jugendlichen über ihre Ansichten zu den Pogromen und den Ausländern. Daraus wurden folgende Zitate entnommen, wobei auf die Namen der Jugendlichen verzichtet wurde:
»Schön war das nicht, aber dadurch hat sich auch viel zum Positiven verändert. Die zentrale Aufnahmestelle ist weg ... Die Ausländer sind doch jetzt in Hinrichshagen viel besser aufgehoben. Da sind sie wenigstens unter sich ... Ne, das war nicht toll. Ausländer sind ja auch Menschen ... Aber sie müssen sich anpassen. Das war doch unmöglich hier, mit dem Dreck und dem Krach von den Zigeunern und so. Wie sonst hätte man gegen die vorgehen sollen? Ich war damals nicht zu Hause; aber meine Eltern waren auf der Straße dabei und auch froh, daß endlich was passiert ist ... Kennt ihr die vietnamesischdeutsche Begegnungsstätte? ... Stören tut die mich nicht. So kann man die Mentalität kennenlernen. Es sollte damals ja nicht gegen die Vietnamesen gehen. Die sind eigentlich immer sehr höflich. Nur lästig, daß sie einem die Parkplätze wegnehmen. Ansonsten hat man nichts gegen die.«
Anfang 1995 erschien in der taz folgender Kurzbericht: »Ossis wollen Kapitalismus nicht. Die Zustimmung der Ossis zur Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik hat dramatisch nachgelassen. Nach einer im Dezember vorgenommenen Allensbach-Umfrage haben nur noch 35 Prozent der Befragten dort eine gute Meinung vom marktwirtschaftlichen System. Im Februar 1990 waren es noch 77 Prozent gewesen. Es werde nicht die Effizienz der Marktwirtschaft bezweifelt, wohl aber ihre Menschlichkeit. Der Ruf nach einem dritten Weg, der Effizienz mit Menschlichkeit verbinde, nehme zu. 90 Prozent der Ossis forderten zudem, der Staat müsse stärker in die Wirtschaft eingreifen.«
Warum wohl fallen mir die Ossis ein, wenn ich folgende Stelle aus Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft von Hannah Arendt lese, in der sie den Prozeß der Barbarisierung bei den Buren beschreibt: »Entscheidend ist, daß diese neuen Abenteurer und Glücksritter nicht von ihrer Natur, sondern von den Ereignissen getrieben waren; leibhaftige Symbole für die menschliche Absurdität sozialer Institutionen und gleich flüchtigen Schatten, welche ein sehr realer Prozeß geworfen hatte, waren sie keine abenteuernden, ungewöhnlichen Individuen. Gerade dies machte sie besonders abstoßend. Wie Herr Kurtz in Conrads Herz der Finsternis waren sie ''durch und durch leer und hohl, leichtsinnig und weichlich, grausam und feige, voller Gier, aber ohne jede Kühnheit''. Sie glaubten an nichts und waren so leichtgläubig, daß jeder sie dazu bringen konnte, ganz gleich was zu glauben. ... die einzigen Begabungen, die unter diesen Umständen gedeihen konnten, waren die des Demagogen, des ''Führers extremistischer Parteien'', Ressentimentsbegabungen im weitesten Sinne ... so wie sie selbst nur flüchtigen Schatten der Ereignisse glichen, mit denen sie nichts zu tun gehabt hatten, so galt ihnen das Leben ihrer Mitmenschen ''nicht mehr als das einer Fliege''. In ihnen war bereits jener moderne Sittenkodex für Mörder angelegt und ausgebildet, demzufolge es nur eine Sünde gibt: die Selbstbeherrschung zu verlieren.«
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