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Inhaltsverzeichnis Inhalt Der Intellektuelle als Kriegshetzer - Humanität Aufwärts

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Blut und Tränen

Anhänger nationalistischer O-Töne, früher das Privileg Rechtsradikaler, finden sich nicht nur in Frankreich unter den neuen Philosophen. In Deutschland heißen die Serbenhasser u.a. Eva Quistorp, Freimut Duve, Herta Müller, Peter Schneider und Daniel Cohn-Bendit. Unermüdlich schrieben sie die »Todes- und Vernichtungslager«-Artikel Roy Gutmans um und schmückten sie mit beachtlichen Details aus.

Als Abgeordnete für die Grünen im Europaparlament zeichnete Eva Quistorp für ein Heft mit dem Titel »Die bosnische Tragödie« verantwortlich, in der die Herausgeberin die Vertreibung der europäischen Juden mit der Vertreibung der europäischen Muslime gleichsetzt. Auch sie tritt für eine Aufhebung des »einseitig die bosnische Republik benachteiligenden Waffenembargos« ein und beschwört die UNO, »Menschenrechte und eine europäische Zivilisation zu retten«. Ganz im Sinne Alexandra Stiglmayers, die damit Karriere machte, gehören die bis heute nicht nachweisbaren Massenvergewaltigungen natürlich zur strategischen Kriegsführung der Serben (siehe dazu den äußerst aufschlußreichen Artikel von Martin Lettmayer in Serbien muß sterbien, Berlin 1994).

Freimut Duve schreibt in der taz vom 28.4.94: »Wenn aber je rechtsradikale Burenköpfe auch nur verbal gefordert hätten, was die serbische selbstmitleidige Soldateska seit zwei Jahren in jedem Dorf, in jeder Stadt, in jedem Flüchtlingslager betreibt: den tagtäglichen tödlichen Trennungsterror - der Aufschrei wäre weltweit gewesen. Soviel Apartheid, wie Mladi´c und KaradŠzi´c herbeischießen und herbeiquälen, hat es in den 30 Jahren der südafrikanischen Variante nicht gegeben. Die bosnischen Serben haben seit zwei Jahren mit jedem Wort und jedem Schuß erkennen lassen, daß Menschen anderer Religion in ihrem Herrschaftsbereich keine Überlebenschance haben. Nicht einmal als Arbeitssklaven.« Und weil ihm das alles noch zu harmlos ist, weil Duve unbedingt Klassenbester sein will in »Empörung und Engagement«, dem Pflichtfach für Gutmenschen, unterstellt er den Serben die Vernichtungsphantasien, die er bei sich selbst kaum zügeln kann: »Das Terrorziel ist eindeutig: das völlige Verschwinden der Menschen muslimischer Herkunft.«

In einer Replik auf einen Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom 9. Mai '94, in dem der Propagandakrieg der Medien am Beispiel der Kämpfe um GoraŠzde aufgezeigt wurde, als Tausende von Leichen angeblich die Straßen bedeckten, die Opferzahlen sich dann jedoch auf wundersame Weise immer mehr reduzierten, als die taz vom 22.4.94 ganzseitig mit dem Appell des Bürgermeisters der Stadt aufmachte, der die UNO aufforderte, GoraŠzde zu bombardieren, bevor die Serben die Stadt erobern würden, in einer Replik also auf den kritische und aufklärende Information anmahnenden Artikel erhebt Freimut Duve eine Forderung, die eine gewisse Tradition in Deutschland hat, Abschwören oder Sippenhaftung für die Serben: »Bei allem Mitgefühl mit der Trauer vieler Serben in Belgrad oder in München, sich nun an den Pranger gestellt zu sehen: Mit diesen Verbrechen in den besetzten Gebieten werden sie solange identifiziert, wie sie nicht radikal und erkennbar ihre Stimme dagegen erheben« (SZ vom 25.5.94).

Herta Müller stellt in der FAZ vom 27.4.94 Vermutungen darüber an, daß die Serben einer »Gehirnwäsche« unterzogen worden sein müssen: »Ein grausig nationalistisches Selbstverständnis wurde zugeschnitten, das so aussieht wie die Landkarte von Großserbien, die MilosŠevi´c eine Weile in der Schublade hatte und seit drei Jahren über Friedhöfe legt. MilosŠevi´c, KaradŠzi´c - zwei Gesichter, die uns jeden Tag von neuem das Fürchten lehren. Zwei Massenmörder, die nur durch die Position des Kriegsherrn zu ''Ansehen'' gelangen konnten vor dem ausgelöschten Verstand einer Bevölkerung, die für sich die Definition der Rasse braucht, um sich als Volk zu spüren.« Der Sinn dieser kruden und gestelzten Prosa läßt sich ungefähr dahingehend entschlüsseln: »Gehirnwäsche« und »ausgelöschter Verstand« müßten eigentlich zur Folge haben, daß die Serben hilflos umherirren auf der Suche nach einer Antwort auf Fragen wie »Wer bin ich?«, »Woher komme ich?«. Stattdessen ist die »Rasse« der Serben in GoraŠzde wie vorher in Sarajevo dem »Blutrausch« verfallen. Weil Herta Müller überraschenderweise mit ihrem »eigenen Kopf« denkt und nicht etwa mit einem anderen, kann man es sich fast denken, worauf ihre Geistesanstrengung hinausläuft. »Was kann man da noch denken mit seinem eigenen Kopf? Immer das gleiche wie eine Mühle hin und her drehen: Es muß sofort gewaltsam gestoppt werden, was da geschieht.«

Das denkt auch Daniel Cohn-Bendit, weshalb er die Geschichte bemüht, um eine Intervention zu begründen. Am 24.6.93 richtet er in der taz einen flammenden Appell an die Öffentlichkeit, der es verdient, ausführlich zitiert zu werden: »Ich schäme mich. Wir, eine Generation, die im Namen einer solidarischen Utopie die Generation unserer Eltern für ihr politisches Versagen so verachtet hat, schauen hilflos, machtlos und scheinheilig zu, wie die bosnischen Muslime vertrieben werden. Nun stehen wir genauso nackt vor dem ''Urteil der Geschichte''. Erinnern wir uns: 1936 schauen französische und englische Demokraten zu, wie der spanische Faschismus, unterstützt von Hitlers Wehrmacht, die spanische Republik in Blut ertränkt. 1938 ''retten'' diese gleichen Demokraten ''den Frieden'', indem sie Hitlers ethnischen Feldzug zur Unterstützung der Sudetendeutschen in der Tschechoslowakei gewähren lassen. 1943 schaut die Welt immer noch zu, als der jüdische Widerstand im Ghetto von Warschau ohne Unterstützung untergehen muß. 1944 lehnen es die Alliierten ab, die Bahnlinien nach Auschwitz und Treblinka zu bombardieren, weil es sich nicht um ''sinnvolle Kriegsziele'' handelt. Wir reihen uns in diese glorreiche Tradition ein.«

Im Ausdruck »politisches Versagen« steckt bereits ein Nolte. Die Deutschen wollten Auschwitz verhindern, aber sie haben versagt. Dann haben es die Alliierten probiert, aber aus irgendwelchen Gründen hatten sie keine rechte Lust dazu.

Welches Grundmuster solchen inflationären historischen Parallelen zugrunde liegt, drückte Peter Schneider, ebenfalls als »Reporter ohne Grenzen« unterwegs, im Spiegel 7/94 so aus: »Was dort vonstatten geht, ist ein faschistisch inspirierter Eroberungs- und Vernichtungsfeldzug gegen ethnisch gemischte Gemeinschaften.« Damit sind die Serben gemeint. »Die einzige ''Bürgerkriegspartei'', die nicht für ethnische Ziele und territoriale Erweiterung, sondern für den Erhalt des gewachsenen multiethnischen, multikulturellen, multireligiösen Gemeinwesens kämpft, sind die Bosnier.« (Gern wüßte man natürlich, wie Schneider das beispielsweise mit einer Rede IŠzetbegovi´cs zusammenbringt, wonach der bosnische Präsident das »multinationale Zusammenleben« als Lüge bezeichnet, oder auch mit der Behauptung Vladimir Pistalos, Germanist und Sohn des Bibliotheksdirektors in Sarajevo, daß in der Stadt unter dem Namen der Regierung die »nationale Mafia« an der Macht ist, siehe Freitag vom 29.4.94.) Darauf kommen kann man jedenfalls nur, wenn man wie Cohn-Bendit »mit Tränen in den Augen« alles glaubt, was in den Tagesthemen, der FAZ und der taz behauptet wird, weil nur wahr sein kann, was berichtet wird, und berichtet wurde fast ausschließlich über die Kriegsverbrechen der Serben. Kriegsverbrechen der Bosnier gab es in dieser mediengläubigen Sichtweise schon deshalb nicht, weil es keine Meldungen darüber gab und weil es offensichtlich keinen der Intellektuellen interessierte, daß die bosnische Armee auch mal ihre eigenen Leute unter Beschuß nahm, um das Ergebnis anschließend den Serben in die Schuhe schieben zu können, wie es sich beispielsweise nach späteren Untersuchungen der UNO beim »Brotschlangenwartemassaker« herausstellte.

Typisch war auch der Fall, als am 5. Februar 1994 eine Granate auf dem Marktplatz von Sarajevo das größte einzelne Gemetzel anrichtete. Alle Welt und die Intellektuellen waren sich noch am gleichen Tag darüber einig, daß das Massaker auf das Konto der bosnischen Serben ging, und weil sich alle einig waren, wurden die ersten Luftangriffe der NATO gegen serbische Stellungen geflogen. Die innerhalb von Minuten gefilmten Bilder, die rund um die Welt ausgestrahlt wurden, markierten einen Wendepunkt im Kampf um Bosnien. Bis heute ist es jedoch fraglich geblieben, von wem die Granate abgefeuert wurde, denn keine der insgesamt zehn von Unprofor angestellten Untersuchungen konnte den Urheber zweifelsfrei feststellen (siehe dazu den sehr aufschlußreichen Artikel von David Binder, Auslandsredakteur der New York Times, in der Weltwoche vom 16. Juni 1994).

Von einem Beispiel über die Funktionsweise der Medien, über die sich Intellektuelle eigentlich keine Illusionen machen dürften, berichtet der Leiter des außenpolitischen Ressorts der BBC John Simpson in der Zeit vom 20.1.95: »Im Zweifel hat Bildmaterial, das keine dramatischen Szenen enthält, gegen Gewaltträchtiges keine Chance. Ein schlagendes Beispiel dafür lieferte unlängst die Erfahrung eines freien Kameramanns. Ihm war es gelungen, sich in die Enklave von Biha´c in Westbosnien durchzuschlagen. Entgegen den Schreckensmeldungen der Weltpresse geht es dort offenbar recht friedlich zu. Über Eurovision wurde der exklusive Biha´c-Bericht der Welt angeboten; die meisten Fernsehgesellschaften aber winkten ab. Die Bilder aus Biha´c paßten nicht in die vorgefaßte Meinung, vor allem aber entbehrten sie der Schreckensszenarien.« Im Westen griff man lieber auf die Greuelberichte zurück, die aus der Küche von Ruder Finn stammten, der von IŠzetbegovi´c angestellten Werbeagentur.



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