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Kulturoffensive an der Heimatfront | Wie die Identität unter die Deutschen |
Seitdem die Ostblockstaaten zusammengebrochen sind und damit auch die Gefahr verschwunden ist, die von ihnen ausging, haben sie vor allem in der ehemaligen Linken und deren Sympathisanten ihre erbittertsten Feinde gefunden. Während die früheren Renegaten ihr Leben riskierten, wenn sie öffentlich auf die Verbrechen des Stalinismus hinwiesen, wird heute niemand mehr verfolgt, wenn er unter den Fittichen der freien Marktwirtschaft den Kommunismus verteufelt. Und während die früheren Renegaten noch allen Grund dazu hatten, verzeihen die heutigen dem Kommunismus nicht, daß es ihn nicht mehr gibt, weshalb sie fast pathisch auf jeden reagieren, der damit einmal in Berührung stand und nicht inzwischen abgeschworen hat. Die Altlinken versichern dem Sieger im Wettstreit der Systeme ihre unbedingte Loyalität, jedoch zu einem Zeitpunkt, an dem die westliche Demokratie kein Interesse mehr daran hat, weil der Kommunismus nur noch als Schreckgespenst taugt, aber kein Gegner mehr ist, dessen Bekämpfung Ehre und Anerkennung einbringen würde.
So lächerlich also das Spreizen und Balzen auf den Seiten des Feuilletons sein mag, wenn Biermann und Broder zusammen mit Hrdlicka als trio infernale auftreten, so ist ihr Gebaren als moralische Saubermänner auch ziemlich deprimierend. Biermann hat Gysi einen »Verbrecher« und Heym einen »Feigling« genannt, und zwar nicht deshalb, weil Gysi ein gemäßigter Sozialdemokrat und Heym ein besonders eitler Schriftsteller ist, sondern weil er in ihnen die kommunistische Gefahr wittert, denn unter Gesetzen, die Gysi mitbestimmt hat, möchte Biermann nicht leben. Wären Gysi und Heym nur das, was sie tatsächlich sind, und nicht das, was ohne ihr Verschulden in sie hineinprojiziert wird, könnte man sich beruhigt zurücklehnen, weil man weiß, Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Weil dem aber nicht so ist, hat Hrdlicka einen »Offenen Brief« im Neuen Deutschland veröffentlicht, in dem er die von Biermann eröffnete Rumpelstilzchen-Debatte fortführt. Hrdlickas Invektiven jedoch sind nicht nur deshalb treffend und genau, weil er auch Biermann meint, wenn er Biermann sagt, sondern auch weil sie gegenüber den »DDR-Dissidenten« sehr plausibel klingen, wenn man weiß, daß deren einzige Existenzberechtigung darin liegt, die Öffentlichkeit mit ihren Stasiakten zu belästigen und die Bedeutung ihrer Person mit einem »Auschwitz in den Seelen« aufzublasen, wie es der Führungsoffizier Biermanns, Jürgen Fuchs, gerne tut.
Hrdlicka hat Biermann aber auch »die Nürnberger Rassengesetze an den Hals« gewünscht. Henryk M. Broder hat dies wiederum zum Anlaß genommen, Hrdlicka im Tagesspiegel und im Wiener Profil als »linken Nazi« zu denunzieren, dessen »Mahnmal für die verfolgten Wiener Juden sofort abgerissen werden« sollte, worauf sich Sigrid Löffler in der Süddeutschen Zeitung fragte, was Broder wohl gefordert hätte, wenn Hrdlicka Schriftsteller wäre: eine neue Bücherverbrennung? Aber auch die Bezeichnung als »linker Nazi« hat der Wiener Rechtspresse gut gefallen, die wie die Kronenzeitung schon bei der Aufstellung des Denkmals Amok lief und deshalb Beifall von allen Altnazis erhielt. »Doch bevor dies geschieht«, schrieb Die Presse, »sollte man es verhüllen, um so ein Mahnmal gegen die Heuchelei zu schaffen.« Und die Salzburger Nachrichten setzte noch eins drauf: »Dieser Mann [Hrdlicka] muß aus dem öffentlichen Leben verschwinden.« Schwer entrüstet ist die Rechtspresse über die »Nürnberger Rassengesetze«, aber ganz entschieden tritt sie für deren Anwendung ein. Und man möchte dem Fachmann in dieser Frage zurufen: Broder, übernehmen Sie!
Was es mit Broders Empörung über Hrdlickas inkriminierten Fluch auf sich hat, hat der Wiener Philosoph Rudolf Burger als eine Methode kommentiert, die man ansonsten gerne Stalinisten zur moralischen Herabsetzung des politischen Gegners unterstellt. »Wie man einen Nazi konstruiert« heißt der Artikel und erschien zuerst am 12.12.94 im Wiener Standard. Burger zeigt, daß der besorgte Kommentar Broders eine merkwürdige Allianz von Empörten hervorrief, von denen man bisher lediglich wußte, daß sie nicht denken können, die jetzt aber bewiesen haben, daß sie auch nicht lesen können. Um lesen zu können, muß man kein Verständnis für Hrdlicka aufbringen, man muß seinen Text auch nicht interpretieren, man muß auch nicht besonders unvoreingenommen sein, und auch sonst benötigt man keine besondere Qualifikation, um zu wissen, was da steht: Unsinn. Ein Unsinn jedoch, der im Unterschied zu Broders Interpretation keinen Wunsch enthält, sondern eine Verwünschung, und »insofern bewahrt Hrlickas Pamphlet einen Kern von Solidarität mit seinem Gegner: Er erinnert ihn an ihren gemeinsamen Feind, den Nazi« (Rudolf Burger). Hrdlickas ordinäres Gestammel ist dumm und unzurechnungsfähig, eine Retourkutsche auf Biermanns Geschrei, aber antisemitisch ist es nicht. »Das Pamphlet ist eine Krakeelerei zwischen verfeindeten Freunden, wie in einer schlechten, unauflöslichen Ehe.«
In Wien würde man sagen, Hrdlicka ist ein bißchen »deppert«, ein ernstzunehmender Gegner ist er jedoch nicht. Vielleicht, um den Verdacht der bürgerlichen Presse in der BRD zu entgehen - die nicht versäumte, auf Hrdlickas Neigung zum Alkohol hinzuweisen -, Broder hätte sich ein leichtes und unzurechnungsfähiges Opfer ausgesucht, schreibt er: »Die Frage wäre müßig und keiner Erörterung wert, stünde Hrdlicka nur für Hrdlicka und nicht für ein ganzes Milieu, das mit seiner eigenen Lebenslüge konfrontiert wird und damit nicht fertig wird.« Weil es aber die Salonkommunisten, die Broder meint, nicht mehr gibt, weil sie a.) entweder Broder schon längst gefolgt und ins andere Lager gewechselt sind und b.) keine gesellschaftliche Rolle mehr spielen, weshalb von »Milieu« zu reden unsinnig ist, deutet vielmehr alles darauf hin, daß sich Broder einen Gegner erst basteln muß, um ihn als Attrappe erlegen zu können. Aus diesem Grund nennt Broder das Neue Deutschland auch eine »totalitäre Zeitung« und hat sogleich mit Konrad Weiß einen Freund gewonnen, der es Broder nachplappert und die »totalitäre Geisteshaltung dieser Zeitung« anprangert. Nun kann man das Neue Deutschland als alles mögliche bezeichnen, z.B. als Vereinsblatt der »Partei des demokratischen Selbstmitleids« oder als etwas schrullige Postille, die krampfhaft Anschluß an das schöne und gute Deutschland sucht, aber eine »totalitäre Zeitung« ist das ND nicht mal zu Zeiten Ulbrichts oder Honeckers gewesen, denn als offizielles Mitteilungsorgan war es nur langweilig, während es heute außerdem noch den Befindlichkeitskitsch für den Osten liefert.
Broder lobt Biermann dafür, daß er sich von »seiner Lebenslüge verabschiedet« hat, die darin bestand, »an den Sozialismus geglaubt« zu haben, und mit diesem Lob dürfte sich Broder auch auf die eigene Schulter geklopft haben. Nun ist gerade von Biermann bekannt, daß seine Liebe nicht dem DDR-Sozialismus galt, und auch Broder hat einmal beschrieben, wie kurzlebig seine Affäre mit dem Staatssozialismus war. Gemeint ist deshalb der Verrat an den eigenen Jugendidealen, an einer Haltung, die gegen die herrschenden Verhältnisse opponierte und dafür jede Menge guter Gründe für sich reklamieren konnte, und sie begehen den Verrat, weil sie es nicht ertragen, wenn auch bloß mit ihren Wünschen und Hoffnungen, einmal außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft gestanden zu haben. Leute also, deren Beitrag zur Kritik der Verhältnisse rein ideeller Natur war, werfen sich heute von Schuldgefühlen geplagt ihre Vergangenheit in einer Weise vor, als hätten sie früher mit der Waffe in der Hand auf die Abschaffung der Gesellschaft gedrängt. Ist es schon nicht gerade schön, wenn Leute unter Zwang oder für ein Butterbrot sich von der Stasi anwerben ließen, so ist es auch nicht gerade appetitlich, wenn sich gutverdienende Herren mittleren Alters freiwillig dafür hergeben, eine Haltung zu denunzieren, der angesichts des überall grassierenden Opportunismus geradezu Größe und Würde zukommt.
Wenn Broder Hrdlicka vorwirft, er würde sich gern den Herrschenden anbiedern, »wenn es nur die richtigen Herrschenden wären«, so kommt er nicht umhin, im Konjunktiv zu schreiben, während Broder und Biermann nichts anderes tun, als ihre Anbiederung faktisch unter Beweis zu stellen. Hätten Jörg Haider oder Franz Schönhuber irgendjemand die Nürnberger Rassegesetze an den Hals gewünscht, »gäbe es einen Aufschrei der Empörung im ganzen Land«, schreibt Broder in nur wenig unterschiedlichen Varianten im Tagesspiegel, im Profil, in der Süddeutschen und in der Woche, und er findet das ungerecht, als müßten Rechtsradikale und Altnazis, d.h. rechte Nazis im Unterschied zu »linken Nazis«, vor öffentlicher Kritik ausgerechnet von Broder in Schutz genommen werden. Als ob Broder nicht wüßte, daß der beste Schutz solcher Leute darin besteht, daß die meisten Politiker nicht anders denken oder reden als Schönhuber und Haider, aber im Unterschied zu diesen das richtige Parteibuch haben. Offensichtlich eingedenk dieses in der Behandlung des politischen Gegners angemahnten Gleichheitsgrundsatzes, auf dem Broder herumreitet, hat er mit ungeheuer viel Einfühlungsvermögen im Mai 1992 Schönhuber für die taz interviewt und für ihn viel Verständnis aufgebracht mit Fragen wie »Wird Schönhuber gelegentlich von seinen Anhängern mißverstanden? Das ist auch Marx passiert.« Oder: »Marx war ein Visionär, Hitler ebenso. Visionär heißt, daß einer weit nach vorne blickt ...« Auch nicht schlecht. Und dann gibt Broder Schönhuber Gelegenheit, sich von den Überfällen Rechtsradikaler auf Asylbewerberheime zu distanzieren mit der Frage: »Was haben Sie dabei empfunden?« »Ganz schrecklich« hat es Schönhuber natürlich empfunden. Kein Nachhaken, kein Insistieren, im Gegenteil, Broder gibt sich viel Mühe, Schönhuber nicht mit seinen eigenen Anhängern in einen Topf zu werfen, die zugegebenermaßen nicht immer die höflichen Umgangsformen des ehemaligen SSlers pflegen. So wie Broder jedenfalls hat noch kein Journalist Schönhuber die Möglichkeit gegeben, sich raus- und schönzureden. Und als das Geplauder schließlich auf die Stasi kommt, wird klar, daß sich da zwei Brüder im Geiste getroffen haben, die im Duett das Lied von den »zwei Diktaturen« singen können.
Dieses Verständnis kann Broder für Hrdlicka nicht aufbringen, weil Hrdlicka ein »linker Nazi« ist und gerade »linke Nazis« Broders besondere Verachtung auf sich ziehen. »Die verfolgten Wiener Juden«, schreibt Broder, »sind genug verhöhnt worden und brauchen sich nicht von einem linken Nazi post mortem weiter verhöhnen zu lassen.« Ein interessanter Satz, weil Broder versucht, daß von ihm erfundene Feindbild des »linken Nazis« mit den historischen Nazis auf die gleiche Ebene zu zerren, demzufolge die Nazis die Wiener Juden nicht etwa verfolgt, vertrieben und in die Gaskammern deportiert, sondern lediglich »verhöhnt« hätten, genauso wie es der »linke Nazi« Hrdlicka tut. Man kann Broder nicht unterstellen, daß ihm dieser kleine Unterschied unbekannt ist, denn schließlich müssen die Juden irgendwie umgekommen sein, um sie »post mortem weiter verhöhnen« zu können. Aber Broder schreibt es trotzdem, und er schreibt es deshalb, weil er wie seine Freunde von Report, Focus, den DDR-Bürgerrechtlern plus Gauck die Denunziation von allem, was nach Opposition riecht oder was Broder dafür hält, für politisch korrekt und opportun hält.
In Österreich schlug diese reichlich dünne Kontroverse hohe Wellen, während in der BRD die Berichterstattung eher flau war. Zwar wurde Broder in der Sache recht gegeben, aber man roch den Braten, den inszenierten Skandal, mit Broder als Retter des christlichen Abendlandes. Nur Ignatz Bubis, der Hrdlicka in der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung als »rotlackierten Nazi« titulierte, und Konrad Weiß eilten dem »Biermann ohne Klampfe« (Wiglaf Droste) zu Hilfe. In der FAZ spuckte Weiß Gift und Galle gegen das Neue Deutschland. Im heiligen Eifer erstattete er gegen das ND sogar Strafanzeige beim Generalbundesanwalt wegen »Volksverhetzung, Aufruf zum Völkermord und möglicherweise Unterstützung der Ziele einer verbotenen und verfassungsfeindlichen Organisation der NSDAP«. Gespreizt, tantenhaft und stark weizsäckerverdächtig war die Replik des Kulturredakteurs Peter Berger: Das »kann uns weder einschüchtern noch davon abhalten, auch diesmal von unserem Recht auf Pressefreiheit Gebrauch zu machen ...« Wenn einer das schreibt, dann meint er, daß sie, die Redaktion, allen Grund hätte, eingeschüchtert zu sein, weshalb er hiermit betont, daß sie es nicht ist, denn anderenfalls ergibt der Satz keinen Sinn. Insofern muß man es schon fast wieder bedauern, daß die von Weiß eingereichte Klage genauso blödsinnig wie chancenlos ist. Schön an dieser Schmierenkömodie ist immerhin, daß sich die Chefredaktion jahrelang bei Konrad Weiß eingeschleimt hat, um ihn zur Mitarbeit in ihrem Vereinsblättchen zu bewegen.
»Es gibt genügend ostdeutsche Künstler zu entdecken«, nörgelte Konrad Weiß in eigener Sache, »um die es still sein mußte in der DDR und die auch im wiedervereinigten Deutschland fast unbekannt geblieben sind.« Dieses Lamento war sogar der FAZ zuviel, die ihm einen Tag später antwortete: »Die östlichen Moralisten nerven und erpressen nun schon seit Jahren unser ästhetisches Gewissen mit Märtyrern, Ausnahmefiguren, Winkelpoeten oder gar mit Patriarchen, die angeblich die eigentliche Kunst der DDR geschaffen haben.«
Überhaupt war die FAZ die einzige Zeitung, die sich über den »Konflikt« angemessen lustig machte, als sie ihn als einen »pubertären Streit unter Rauschebärten« (Erhard Busek in der FAZ) beschrieb. Daß nicht alle Konservativen die Anbiederei Broders mit Beifall honorierten und »um der Freiheit der Kunst willen ... ihre Anarchie, ihre Immoralität und ihre traumtänzerische Inkorrektheit« in Gestalt des »rabiaten ''Antifaschisten''« Hrdlicka verteidigten, ist der einzige Lichtblick in dieser »Affäre«, sieht man von Wiglaf Drostes konstruktivem und vorbehaltlos zuzustimmendem Vorschlag zur Güte ab, ein »Zwergenwerfen« mit den Protagonisten des Streits zu veranstalten. Nein, es gab noch einen Lichtblick, nämlich daß Broder in seiner Kampagne gegen Hrdlicka sogar Bundesgenossen von links bekam, wie den Chefredakteur vom Irmgard Möller-Solidaritätsblatt Junge Welt Oliver Tolmein, der im Leitartikel der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung über »das Herabzerren der Scham- und Hemmschwellen« durch Hrdlicka schwadronierte. Doch, daß Broder nun in der gleichen Empörungsfront wie Tolmein steht, das ist eine gute Nachricht.
Bereits vorher hatte sich Tolmein in seinem eigenen Blatt ähnlich geäußert. Auf diese »geheuchelte Empörung« schrieb Eike Geisel u.a. eine Erwiderung, die jedoch nicht abgedruckt wurde, weshalb sie hier in Auszügen zitiert sein soll: »Vor einer Woche erschien ein Text (''Bruder Broder''), der den deutsch-jüdischen Pas de deux als Lachnummer vorführte. Und neben diesem Text, sozusagen als Abmahnung, erklärte der Chefredakteur der ''Jungen Welt'', die Zeitung verteidige das Ansehen von Auschwitz, es dürfe nicht ''herabgewürdigt'' werden. Staatstragend und kirchentagsmäßig betroffen sinnierte Oliver Tolmein über die Gefahr der ''sprachlichen Einebnung der NS-Verbrechen''. Und seine Abmahnung schloß: ''Der Streit zwischen ihm (Hrdlicka) und Broder ist ... eben doch einer zwischen einem, der im Nationalsozialismus aufwachsen ... konnte, und einem, der vom NS-Regime ermordet worden wäre.'' Eine berühmte Publizistin, die im Unterschied zu Tolmein etwas von der jüngeren deutschen Geschichte verstand, reagierte auf derlei dämliche Konstruktionen immer mit derselben Auskunft: ''Wenn meine Großmutter Räder hätte'', pflegte Hannah Arendt zu sagen, ''dann wäre sie ein Autobus''. Man könnte nämlich ähnlich zurückfragen, was aus dem nach dem deutschen Reinheitsgebot gezeugten Oliver Tolmein geworden wäre. Wahrscheinlich Chefredakteur der Jungen Welt.«
Nichts kann Broder selbstverständlich dafür, was Kritiker über seine Bücher schreiben, aber verdient hat er es allemal, daß ihm von einem in die Konsistenz des Schleimigen übergehenden guten Menschen wie Friedbert Pflüger Schonungslosigkeit und Sarkasmus bescheinigt wird und daß er dafür gelobt wird, »scharf mit der Linken ins Gericht« zu gehen. Und verdient hat er es auch, wenn Günter Schabowski ihn als »Querulant« und »Querdenker« bezeichnet, der nicht nur am Fließband »Denkanstöße liefert«, sondern seine »Feder« »gnadenlos ... in den Speck der Selbstgefälligkeit« rammt. Fast schon möchte man Erbarmen mit Henryk Broder haben, wenn man nicht wüßte, daß er sich in diesen Kreisen wohl fühlt. Es war ein langer Weg, aber Broder ist endlich angekommen in seiner neuen Heimat, und aus dieser Ecke der ranzigen alten Herren wird man noch öfter von ihm hören. Nun hat sich Broder mit seinen Publikationen, die in der Regel schon ein bißchen zurückliegen, auch unbestreitbar Verdienste erworben, die ihm das Recht geben, auch mal etwas Bescheuertes zu veröffentlichen. Seitdem er jedoch das Thema von den »zwei Diktaturen« entdeckt hat, ist er auf dem besten Weg dazu, als Fachmann in Sachen »linke Lebenslügen« Klaus Rainer Röhl Konkurrenz zu machen. Fachmann auf diesem Gebiet wird man jedoch nur, wenn man, als Schwein beschimpft, dies nicht als Beleidigung versteht, »sondern als Aufforderung zu grunzen« (Wolfgang Pohrt).
In einem Interview mit Broder in Focus scheint es soweit zu sein. Genüßlich läßt ihn Focus apportieren, daß das »Vierte Reich ... die Wichsvorlage der Linken« und in Deutschland »anormal nur der Ladenschluß« ist. Zeugt dieser doppelte Hrdlicka auf Small-talk-Niveau nicht gerade von der feinen Ironie, für die Broder immer gelobt wird, so scheint er über Stefan Heym nur noch mit Schaum vor dem Mund reden zu können: »Heym würde nur hungern, wenn er dafür bezahlt würde ... Einen derart charakterlosen, geldgeilen Opportunisten wie Heym hat es vorher nicht gegeben. Für so kleine Summen auch noch! ... Heym ist ja schon für 1000 Mark käuflich. Der Mann hat überhaupt nichts zu sagen, aber er möchte gern anderen vorschreiben, was für sie gut ist.« Ist es schon pikant, jemandem Geldgeilheit vorzuwerfen, wenn es kein Geheimnis ist, daß Broder seine Artikel nicht aus Nächstenliebe verfaßt, und schon gar nicht aus Überzeugung, so hat es sich Broder selbst zuzuschreiben, wenn sich der Leser die Haßtirade aus dem Neid gegenüber dem Besserverdienenden erklärt. Nur unzureichend läßt sich deshalb Broders ordinäre Häme mit seinem eigenen Verdikt über den »deutschen Humor« beschreiben, für den er selbst das beste Beispiel geliefert hat: »Einfallslos. Grausam. Uncharmant. Unsexy. Dumm.«
Dieser in Konkret 2/95 gekürzt zum Abdruck gekommene Text veranlaßte Ingrid Strobl zu einer Antwort, in der sie mir vorwirft, daß ich über all diejenigen herfallen würde, »die Hrdlicka als ''linken Nazi'' oder einfach ''nur'' als Antisemiten verdächtigen«, könnte »dann aber auch nicht so genau sagen, warum das seiner Meinung nach nicht stimmt«, und sie empfiehlt, »darüber nachzudenken, wie es möglich ist, daß einer wie Hrdlicka sich so verhält, wie er sich verhält«.
Warum wohl tut er das? Vielleicht, weil er sich für einen Querdenker hält? Vielleicht, weil er sich gerade mal wieder langweilt? Oder aus Gründen der Publizität? Je schwachsinniger nämlich die Statements, desto eifriger werden sie vom Feuilleton aufgegriffen. Zuletzt war es Castorf, der sich ein »Stahlgewitter« wünschte. Wieder ein Fall für Strobl, die auch in diesem Fall »wichtige Denkanstöße zu einem bedrohlichen und beunruhigenden Thema« (Betroffenheits-O-Ton Strobl) liefern könnte.
Ganz gleich aber, was das Motiv Hrdlickas gewesen sein mag, bei einem, der dumm ist, wird auch langes Nachdenken nicht viel mehr an den Tag bringen als seine Dummheit. Hrdlicka hat keine Gelegenheit ausgelassen, das sowohl im Neuen Deutschland als auch in einem Interview in der Frankfurter Rundschau (»daß es Rassen gibt, ist doch evident«) unter Beweis zu stellen, und auch in der Dresdener Semperoper gab er in freier Rede Kostproben davon, als er »das Bild vom gefräßigen Westen, der den Osten schluckte« wiederkäute (FAZ vom 31.1.95). Leichte Beute also für Broder und Strobl, die in ihm einen »linken Nazi« bzw. einen linken Antisemiten entdeckt haben.
Hrdlicka behauptet, er wäre Kommunist. Das ist eine glatte Lüge, für die die Kommunisten, sollte es noch welche geben, nichts können, aber es ist gerade diese Sippenhaftung, weshalb Broder das von »Kommunisten« wie Hrdlicka bedrohte Vaterland verteidigt: »Die Frage wäre müßig und keiner Erörterung wert, stünde Hrdlicka nur für Hrdlicka und nicht für ein ganzes Milieu, das mit seiner eigenen Lebenslüge konfrontiert wird und damit nicht fertig wird.«
Weil Broder sich aber mit einem harmlosen Trottel angelegt hat, blieb die Debatte letztlich eine Feuilletondebatte, und wichtig an ihr war nicht der hirnlose Quatsch, den Hrdlicka daherredete, sondern das Anschleimen ans schöne neue Deutschland von Broder, der es einmal besser wußte. Beispielsweise in Der ewige Antisemit, und aus diesem Buch hätte Strobl lernen können, was es mit dem Antisemitismus der Linken wirklich auf sich hat. Aber das kommt eben raus, wenn man Selbstbewältigungsprosa schreibt und Strobl sich auf die »Suche nach den Ursprüngen ihrer politischen Identität« begibt (Verlagsankündigung zu Strobls neuem Buch).
Rudolf Burger hat darauf aufmerksam gemacht, wie nahe sich eigentlich Broder, Biermann und Hrdlicka stehen. Zu diesem Freundeskreis gesellt sich nun auch Strobl mit ihrem garantiert argumentfreien Text, in dem sie darüber entsetzt ist, daß ein »prominenter Linker sich antisemitisch äußert«. Vermutlich, weil sie früher selber einmal dieses antisemitische Geblöke mitgemacht hat, ist sie auf Hrdlicka besonders schlecht zu sprechen, denn in seinen Äußerungen guckt sie ihre eigene Vergangenheit an. Inzwischen ist sie unheilbar gesund, und deshalb ruft Hrdlicka bei ihr keinen Gedanken, sondern nur einen Reflex hervor. Sie vergißt, daß im Unterschied zu ihrer aktiven Zeit bei Emma, als sie zusammen mit Alice Schwarzer im Geiste der Nürnberger Gesetze einer Kollegin Kontaktsperre mit dem »militanten Juden« H.M. Broder erteilte, Hrdlicka nur für sich selbst spricht.
Im Profil vom 20.2.95 wurden einige Intellektuelle zur Diskussion über die Morde an den Roma in Oberwart geladen. Unter anderem auch Ingrid Strobl und Rudolf Burger, dem sie in ihrer Erwiderung in Konkret vorwirft, Hrdlicka in Schutz genommen zu haben. In einigen knappen Sätzen erläutert Burger, was das Problem bei Strobl ist: »Sie haben Gesten der Betroffenheit gefordert. Dazu möchte ich folgendes sagen: Ich bin nicht betroffen, das ist eine Heuchelei. Betroffen sind jetzt Roma. Betroffen sind, fürchte ich, immer wieder Juden. In diesem Sinne bin ich nicht betroffen. Ich bin beunruhigt, und mir ekelt vor solchen Dingen. Aber wir sind hier, um über Mechanismen zu reden, nicht, um uns gegenseitig zu versichern, daß uns das, was passiert ist, schmerzt.« Daraufhin Strobl: »Das ist eine unfaire Polemik.« Wird wohl so sein.
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