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Wie die Identität unter die Deutschen kam - Die Linke als Geburtshelfer nationaler Gefühle

Abbildung 5.1: »Das ist ein sehr interessantes Foto: der falsche Hitler vor der Reichskanzlei. Viele Deutsche waren einfach dumm, anders kann man das nicht nennen. Der Krieg war zu Ende, Hitler war ''kaputt'', und dennoch trugen einige noch diesen Schnauzbart und den Scheitel wie Hitler. Unsere Soldaten, die solch einem Menschen begegneten, sagten: ''Oh, seht mal, das ist Hitler.'' Der falsche Hitler flüchtete, und die Soldaten schossen auf ihn. In die Kommandatur wurden täglich zwölf bis fünfzehn ''Hitler'' gebracht, alle mit Schnauzbart und dem schrägen Scheitel. Dummköpfe, was soll man sonst dazu sagen.« Jewgenij Chaldej
Foto mit falschem Hitler, 15.47k

»Die Trostlosigkeit der Quellen gerade, aus denen sich die nationale Identität oder das Nationalgefühl der Deutschen speist, gewährleistet dessen Dauerhaftigkeit, dessen Stehvermögen. Es kann weder altern noch in Vergessenheit geraten oder verderben, denn jeder Tag, den Gott werden läßt, ist wie ein Jungbrunnen, fast wie ein Geburtstag für dasselbe. Die großen Augenblicke der Menschheitsgeschichte - der Sturm auf die Bastille, die Magna Carta, die Erklärung der Menschenrechte, der 8. Mai 1945 - sind demgegenüber bloß ephemer, Zeiterscheinungen, Eintagsfliegen, einmalig, flüchtig und vergänglich, Dinge also, die nicht dauern, und von denen am Ende nur die Erinnerung übrigbleibt. Sie und ihr Ruhm können mit der Zeit verblassen und mit ihnen die nationale Begeisterung, die sie zu wecken verstanden. Der deutsche Nationalismus hingegen zehrt nicht von der Erinnerung ans herausspringende historische Datum, sondern er nährt sich, er ist gesättigt vom Alltagserlebnis, von der Lebenserfahrung, er regeneriert sich in jedem Familienkrach, in jedem Zank zwischen Nachbarn, er profitiert von zahllosen kleinen Bürointrigen wie von der einen großen Arbeitslosigkeit. Weil sich der Bürger ums Eigentliche, Wesentliche im Leben letzten Endes doch stets betrogen fühlt, denn entweder war man glücklich oder erfolgreich, nie beides und meist weder noch; weil es zum Schicksal des Bürgers gehört, nicht von den großen, sondern von den unzähligen kleinen Niederlagen zur Strecke gebracht zu werden; und weil sich schließlich in dies trübe Lebensgefühl hier keine störende Erinnerung an heroische Augenblicke, Bruchstellen in der Geschichte und im Alltag gewissermaßen mischt, deshalb wird es eine nationale Identität oder ein Nationalgefühl der Deutschen geben, solange die bürgerliche Gesellschaft dauert. Basierend auf ihren Mißhelligkeiten, dem Einzigen, worauf im Leben wirklich Verlaß ist, was täglich wiederkehrt und ewig dauert, ist dieser Nationalismus gleichsam auf Granit gebaut. Das Unspezifische, Ahistorische ist gerade seine Besonderheit, seine Eigenart, und sie erklärt, wieso er unter wechselnden Bedingungen immer derselbe bleiben konnte und dabei so zeitlos wie modern, von gleichbleibender Antiquiertheit und Aktualität in einem.« Wolfgang Pohrt, 1984



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