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Der Kampf um die Meinungsführerschaft

Unbeirrt von diesem Trend und ungeachtet der Tatsache, daß von nationaler Identität, wenn sie zur Erscheinung kommt, zu allerletzt die Linke profitiert, versuchen die guten und fortschrittlichen Kräfte im Lande, die im Vereinigungsgetümmel verlorene Meinungsführerschaft wieder zurückzugewinnen. Tilman Fichter, der »für die Freiheit der Andersdenkenden« eintritt, wenn sich an Rainer Zitelmann selbst konservative Freunde nicht mehr die Hände schmutzig machen wollen, pocht unverdrossen darauf, die »Frage der nationalen Identität offensiv« anzugehen. Weil das andere schon lange vor ihm gesagt haben und ranziges Gerede nicht dadurch genießbarer wird, indem man es ständig neu auftischt, erinnert sich Fichter wehmütig an die guten alten revanchistischen Zeiten unter Schumacher und Ollenhauer, als deren rüde nationalistische Phrasen Adenauer noch gemäßigt erscheinen ließen.

Die Grübeleien in Form von Colloquien, Symposien, Aufrufen, Mahnungen, Podiumsdiskussionen und Denkschriften nehmen kein Ende, und wenn dies ein Anzeichen dafür wäre, daß von Identität bald niemand mehr hören mag, würde man Tilmann Fichter und seinen Freunden das Spielzeug gerne lassen. Klaus Hartung hatte in der Zeit eine »Vision«, und die hieß: »Die Nation gehört nicht den Rechten«. Darin nähert er sich der »nationalen Identität« in einer Weise, die man nur als lüstern und zudringlich bezeichnen kann. Noch ist das Objekt seiner Begierde herrenlos und jungfräulich, aber wie lange noch? Die Rechten, denen Hartung die nationale Identität nicht gönnt, stehen bereits Schlange und warten offensichtlich nur darauf, von ihr Besitz zu ergreifen. »Auch die Lichterketten gegen Fremdenfeindlichkeit mit ihrer noch nie dagewesenen Allianz zwischen Daimler-Benz und linkem Protest beweisen die Definitionsmacht der Linken: Warum darf das nicht als Ausdruck einer neuen nationalen Identität verstanden werden?« fragt Hartung und bringt das Kunststück fertig, die Linke dahin zu drängen, wo sie doch schon längst steht: an die Seite der »nationalen Identität«, gegen die Daimler-Benz noch nie etwas einzuwenden hatte.

Schon 1990 machte Karasek im Spiegel der »intellektuellen Linken« den Vorwurf, sie würde die Fragen der »Einheit, der Nation, der Wiedervereinigung« den Rechten und Konservativen überlassen. Anläßlich des 75jährigen Jubiläums des Schauspielhauses in Bochum im April '94 kauten Claus Peymann und seine Mitdiskutanten auf einer Vortragsveranstaltung immer noch auf diesem Vorwurf herum und waren sich mit Hartung schließlich darin einig, »daß die Frage der nationalen Identität nicht verdrängt und nicht den Rechten überlassen werden dürfe« (taz vom 20.4.94), und man darf sich schon heute auf den Tag freuen, an dem Peymann, Fichter und Hartung (Leggewie läßt sich bestimmt auch dazu überreden) bei einem Aufmarsch von Skinheads am Straßenrand stehen mit einem Transparent, auf dem steht: »Hände weg von unserer nationalen Identität«. Das wäre zu schön, um wahr zu sein, aber wenn es noch eine Gerechtigkeit gibt, müßten sie dazu eigentlich zwangsverpflichtet werden.

In einem »Plädoyer für eine Besinnung auf die Kulturnation« dringt Wolfgang Thierse auf einen »für den Zusammenhalt einer zivilen Gesellschaft notwendigen Raum von Identitätswahrung und Identitätsfindung«, und vorsichtig tastet sich auch Hildegard Hamm-Brücher an das heikle Thema »Neue Identitäten braucht das Land« heran: »Wir müssen unsere Identität schon ernsthaft versuchen neu zu beschreiben« als »ein Gefühl für unsere geistigen und kulturellen Leistungen«. Ohne Gefühl, d.h. unter vorsätzlichem Ausschalten jeglichen Denkens, wäre die »geistige Leistung« beispielsweise eines »der Zukunft zugewandten« Schäubles auch gar nicht zu ertragen, der laut eines mir bekannten Gewährsmannes in seinem 254 Seiten umfassenden Buch ungefähr hundert Mal »Rückbesinnung auf nationale Identität« fordert, d.h. zweimal alle fünf Seiten. Da hilft es auch nicht, daß sich Schäuble auf S. 189 mit einem Zitat des Autors schmückt, weil der Leser anschließend wieder in Tiefschlaf verfällt und selbst starke GeisterInnen mürbe werden, wie Alice Schwarzer, die immer wieder mal »stolz« darauf ist, »Deutsche zu sein«, was deutlich macht, daß sich selbst in etwas abseitigen gesellschaftlichen Parzellen wie dem »Emma«-Feminismus die politisch korrekte Wortwahl herumgesprochen hat.



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