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»Überall Stimmen der Menschlichkeit« - Über gute Absichten und edle Gesinnung

Jeder Protest gegen Ausländerverfolgung ist richtig, weshalb auch niemand seine Motive rechtfertigen muß. Wenn jemand die Taten der Rechtsextremisten in irgendeiner Weise stört, verurteilt, öffentlich macht, dann spielen die Gründe, warum er das tut, keine Rolle, jedenfalls solange er sie nicht an die große Glocke hängt. Ganz gleich also, ob er Schriftsteller, Arbeitgeberpräsident oder Chefredakteur ist, seine Hintergedanken müssen weder ehrenwert noch lauter sein. Wenn sich der Protest jedoch zur Motivforschung wandelt und Schriftsteller, Arbeitgeberpräsident und Chefredakteur sich unbedingt gegenseitig mitteilen müssen, warum sie gegen Ausländerverfolgung sind, dann wird es meistens peinlich.

Wenn die guten Deutschen empört sind, dann tun sie sich zusammen und machen ein Buch. Aber muß es unbedingt ein Buch sein? Müssen sie sich unbedingt ihre gute Absicht und edle Gesinnung bestätigen? Sie müssen. Stoppt die Gewalt - Stimmen gegen den Ausländerhaß, herausgegeben von Michael Jürgs und Freimut Duve im Luchterhandverlag. Die Herausgeber haben unter ihresgleichen »viele Stimmen der Menschlichkeit« gesammelt, die von »vielen prominenten und nicht so prominenten Zeitgenossen« stammen.

Beschlichen von der heimlichen Ahnung der Vergeblichkeit ihres Tuns, schreiben die Herausgeber: »Natürlich, viel wird auch dieses Buch nicht ändern am alltäglichen Rassismus in Deutschland« und: »Nein, dieses Buch wird nicht viel ändern an der Seelenlage der Nation«. Man könnte sogar noch weiter gehen und fragen: »Wird dieses Buch überhaupt etwas ändern?« Doch, es wird etwas ändern, nicht bei den Neonazis, aber immerhin bei dem einen oder anderen Ausländer, der sich von den in diesem Buch versammelten Prominenten und Weisen in diesem Land was auch immer versprochen hat und nun einsehen muß: Gott beschütze mich vor meinen Freunden, mit meinen Feinden werde ich selber fertig.

Während nämlich Asylbewerberheime abgefackelt werden und Neonazis auf den Straßen randalieren, fangen besonders sensible Seelen in diesem Sammelbändchen »an zu erzählen, ... um über meine Scham hinwegzukommen«. Bei dieser Gelegenheit erinnern sie sich lieber daran, wie es ihnen selbst einstmals ergangen ist. Wie sie »als Flüchtling in dieses Land gekommen« sind, wie schrecklich es war, als »niemand glaubte«, »daß wir mal was besessen, mal eine Heimat hatten, obwohl wir sogar Deutsche waren«. Man ahnt es bereits, wer sich da durch Nacht und Nebel sülzt. Das kann nur Peter Härtling sein, der egal bei welchem Thema mit der Regelmäßigkeit der Elektrizitätsrechnung sein Vertriebenentrauma ausbreitet, um sich auf Kosten anderer zu therapieren und damit zu beweisen, daß in Wirklichkeit er das arme Würstchen ist. Wer wollte ihm da widersprechen.

Nun könnte man einwenden, daß ein Sülzkopf noch keinen Sommer macht, aber auch die anderen »Stimmen der Menschlichkeit« sprechen am liebsten von ihrer Betroffenheit, ihrer Scham und sie sind geplagt von der Angst, ihre Enkel könnten sie fragen, was sie denn eigentlich damals gegen Ausländerhaß und die »ruchlose Schreckensherrschaft« der Rechtsradikalen getan hätten. Und geplagt sind sie auch von der »Angst, daß die Frage an unsere Eltern ''Wie konnte es damals bloß soweit kommen?'' gerade beantwortet wird: Genauso wie jetzt.« Keinem Ausländer wird man guten Gewissens empfehlen können, auf solche um sich selbst am meisten besorgten und vor betulicher Eitelkeit zerfließenden Wesen zu setzen, wenn es mal hart auf hart kommt, wenn Ausländer also Schutz benötigen und nicht nur ein paar schöne Worte.

Aus dem breit getretenen Betroffenheitsquark formen sich dann einige merkwürdige Ideen, warum die vielen netten und gebildeten Leute auf die »ausländischen Mitbürger und Gäste« auf keinen Fall verzichten mögen. Ohne sie wäre es nämlich viel »langweiliger«, »wenn sich an einem Sommersonntagmorgen nicht von irgendwoher arabische Musik unter das Glockenläuten der katholischen Kirche mischte. Wenn zum Straßenbild nicht Frauen mit Kopftuch oder im Sari und Männer mit Turban oder in afrikanischer Tracht gehörten«. Und nicht zu vergessen: »Vom italienischen Essen bis zur schwarzen Musik haben Ausländer den Deutschen geholfen, etwas lockerer zu werden.« Der Ausländer als kulturelle »Bereicherung«. Man kann es nicht mehr hören, das Pizza-, Kebab- und Sirtaki-Gefasel, aber die Begeisterung über die exotischen Volksstämme mit ihren fremden Sitten und Gebräuchen, Trachten und Folklore hält sich hartnäckig. So möchten sie den guten Ausländer haben, und man begreift, daß es den Fans fremder Kulturen nicht um die Sicherheit normaler Lebensbedingungen geht, sondern um Artenschutz.

Nicht auszudenken, wenn »die kulturelle Blutzufuhr« ausbliebe, und wie schmerzlich, wenn man »den Glauben an eine deutsche Kulturnation« aufgeben müßte, weil eine »Welle von Ausländerfeindlichkeit« über Deutschland schwappt, die natürlich aufs schärfste als »Angriffe ... gegen die Grundpfeiler abendländischer Kultur« verurteilt werden. Womit wir uns »im Kern des ältesten Kulturproblems« befinden, welches die »Fremden« sind. Da hilft nur, »eine Schutzkultur um die Bedrohten« zu bauen. Bei soviel Kultur kann es keine schlechten Menschen geben. Aber interessieren tut es einen schon, was es mit der »kulturellen Blutzufuhr« auf sich hat? Eine Art Vampirismus? Und wenn Menschen in Asylbewerberheimen überfallen werden, dann möchte man gerne wissen, warum die »Stimmen der Menschlichkeit« statt Menschenleben die »abendländische Kultur« gefährdet sehen?

Ausländer braucht man jedoch nicht nur, weil man seinen Glauben an die »deutsche Kulturnation« nicht verlieren will, sondern vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. »In vielen Bereichen, besonders auf dem Dienstleistungssektor, sind nichtdeutsche Mitbürger im Laufe der Jahrzehnte geradezu unentbehrlich geworden.« Und: »Jeder Politiker, jeder Wirtschaftler kann bestätigen, daß die Bundesrepublik ökonomisch zusammenbrechen würde, wenn uns alle Ausländer auf einen Schlag verließen.« Vielleicht doch besser nacheinander?

Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, als ob ein von Existenzängsten gebeutelter Mittelständler verzweifelt zu begründen sucht, warum er es für keine gute Idee hält, wenn Deutschland demnächst wieder ausländerfrei ist. Das heißt, er anerkennt einen noch gar nicht existierenden Zustand, indem er unermüdlich darauf hinweist, daß das »unserer politischen Kultur« schade, »unserer Wirtschaft« oder dem »Ansehen unseres Landes, das in 40 Jahren aufgebaut wurde«. In diesem Denken ist nicht etwa der Ausländer der an Leib und Leben Geschädigte, sondern der Deutsche. Schlimm genug, schlimmer noch, daß die politisch herrschende Klasse, die als »prominente Zeitgenossen« in diesem Bändchen schreibt, so denkt wie der schäbigste Kleinbürger.

Wenn einer es besonders gut meint, versetzt er sich »in die Lage der Menschen, die hier leben«. Oder er behauptet, »auch ich bin ein Ausländer«. Diese Anbiederei mag man ärgerlich finden, vielleicht sogar peinlich, aber was ließe sich sonst so schön und so völlig sinnlos daherreden, ohne ein blaues Auge zu riskieren. Solidarität von der Stange, oder - noch besser - aus dem Bauch. Aber auch andere Vorschläge, den »häßlichen Erscheinungen der vergangenen Monate« mutig in den Weg zu treten, hören sich nicht vielversprechend an. »Auf jeden Fall muß vermittelt werden.« Vielleicht so:

»Zum Beispiel wird der Neger an sich akzeptiert, wenn er Tore schießt, am besten allerdings im eigenen Verein, denn wenn er beim Gegner spielt, dann wirft der echte Sportfan mit Bananen oder übt sich im Affengebrüll. Auch da allerdings gilt die Regel, daß nur der ein guter Bimbo ist, der mit einem Zimmer im Sportlerheim zufrieden ist, also nicht zu uns in die Stadt in die besseren Gegenden ziehen will, was er sich ja leisten könnte, und daß er seine braunen Finger von deutschen Frauen läßt.« Das sollte uns »vielleicht doch Anlaß zum Nachdenken geben«. Die ehrenwerte Absicht jedenfalls, durch die Wiedergabe von Stammtischgeschwätz zur Aufklärung beizutragen, geht in diesem Fall daneben, weil nach der Lektüre des Buches nicht mehr ausgeschlossen werden kann, daß dem Autor die Anklage zum Bekenntnis geraten ist.

Aber das kommt eben davon, wenn Journalisten glauben, wieder »in Ausübung ihrer Pflicht« schreiben zu müssen. In diesem Fall ein Delikt, das sich adäquat nur als Vereinigungskriminalität beschreiben läßt.

Zitiert wurden: Michael Jürgs, Freimut Duve, Marion Gräfin Dönhoff, Emanuel Eckardt, Eberhard Fechner, Barbara Franck, Peter Härtling, Hamburger Museumsdirektoren, Hellmuth Karasek, Hardy Krüger, Jobst Plog, Gregor von Rezzori, Michael Schirner, Franz Steinkühler, womit die Liste der Autoren allerdings noch lange nicht zu Ende ist.



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