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»Mein Freund ist Ausländer« oder auch | Gerade wir als Deutsche |
Als man bei den Nürnberger Prozessen in Ermangelung einer Kategorie, mit der sich der Völkermord der Deutschen juristisch fassen ließ, den Begriff »crime against humanity« einführte, wurde er offiziell als »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« übersetzt. »Wahrhaftig das Understatement dieses Jahrhunderts«, schrieb Hannah Arendt, »als hätten es die Nazis lediglich an ''Menschlichkeit'' fehlen lassen, als sie Millionen in die Gaskammern schickten.«
Mit dieser euphemistischen Sprachregelung haben die Deutschen die Alliierten in ähnlicher Weise hereingelegt wie später bei der Entnazifizierung. Carl Schmitt höhnte: »Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden von Deutschen begangen. Die Verbrechen für die Menschlichkeit an Deutschen. Das ist der ganze Unterschied.« Weil es sich aber in Wirklichkeit um einen Unterschied aufs Ganze handelte, hätte »Menschlichkeit« eigentlich abdanken müssen. Aber statt der pejorativen Bedeutung inne zu werden, hatte »Menschlichkeit« auch im Nachkriegsdeutschland Konjunktur. In der Rede von »Menschlichkeit« war im historischen Kontinuum die Fortschreibung der Barbarei enthalten. »Menschlichkeit« haftete immer noch der Geruch an, den die Nazis verbreitet hatten, als sie »unwertes Leben« ausrotteten und damit einen Akt der Gnade und Nächstenliebe meinten. Die »Menschlichkeit« in den 50er Jahren war immer noch ihr genaues Gegenteil, sie war hohles Pathos, klebrige Idylle, ranziger Eintopf, sie war stickig und roch nach Bohnerwachs.
Als bloßer, nichtssagender Appell hat sie selbst die Nierentischatmosphäre überstanden, denn sie hatte den Vorzug, sich mit Argumenten nicht herumschlagen zu müssen. »Menschlichkeit« wurde zum Zauberwort auf evangelischen Kirchentagen, auf Friedensbewegungskundgebungen, für die Neujahrsansprache des Bundeskanzlers, für Niemöller und Albertz, für Nachbarschafts- und Schrebergärtnervereine, für den Blauen Bock, Walter Jens und Petra Kelly, also für Hinz und Kunz. Im Gegensatz zu jeder anderen Karriere war es für die Karriere von »Menschlichkeit« nicht abträglich, daß man tief hinabsteigen mußte, dorthin, wo es vor Verpflichtung zur Wahrheit, wahlweise Gerechtigkeit, Freiheit und Nächstenliebe wabert und dampft, wo es schwül und nur in narkotisiertem Zustand auszuhalten ist, dorthin also, wo schriftstellernde Pastoren und pastorale SchriftstellerInnen ihre verbalen Zeitschleifen drehen.
»Menschlichkeit« ist immer gut, wer will schon ein Unmensch sein? Uta Ranke-Heinemann empfiehlt: »Was wir brauchen, ist ein Mut zur Menschlichkeit, der alle Menschen einschließt«, und Rainer Eppelmann beteuert in Wendewege, einem »subtilen Zeugnis menschlicher Auseinandersetzung«, aufrichtig und menschlich waschecht: »Wir haben uns immer für mehr Nähe und Menschlichkeit, für eine offenere und menschlichere DDR stark gemacht.« Offen und menschlich war die DDR, daß sie aber nicht noch offener und menschlicher war, hat ihr den Todesstoß versetzt. »Weil das Land sich ändern muß«, glauben Dönhoff und Helmut Schmidt in der »Menschlichkeit« ein geeignetes Rezept gegen die »Raffsucht« gefunden zu haben.
Auch in preisgekrönten Schüleraufsätzen über das Thema: »Welche Bedeutung hat Martin Luther Kings Botschaft für mich«, die anschließend in der Zeit veröffentlicht werden, ist Menschlichkeit Trumpf. »Die Menschlichkeit wurde wach, als Demütigung und Gewalt öffentlich wurden«, durfte da eine Henrike Wenzel für Theo Sommer in die Bresche springen und einen Begriff aufblasen, der so schwammig und schwiemelig ist wie das Wort zum Sonntag.
Der Begriff, der einmal zur Entlastung der Täter diente und dem deshalb etwas Zwielichtiges anhaftete, was heute noch in der drohenden Redewendung »rein menschlich gesehen« enthalten ist, war niveaulos geworden, d.h. ohne Widerspruch oder Gegensatz. Man war ihm für die schlichte Tatsache dankbar, daß es ihn gab. Aber Menschlichkeit ist auch altbacken und tantenhaft geworden, weshalb sie auch gern zum Adjektiv abgespeckt wird und als »menschlicher Umgang« mit den »Sorgen und Nöten der Menschen draußen im Lande« (Stolpe, PDS u.a.) ringen darf. Großer Beliebtheit erfreuen sich folgende Kombinationen: »Menschliche Nähe« (Stolpe u.a.), »Mitmenschlichkeit«, »menschlich miteinander leben« (Ranke-Heinemann), »menschliches Solidaritätsgefühl« (Schorlemmer), »menschliche Aufarbeitung der Stasi- und SED-Vergangenheit« (Thierse). »Unmenschlich« und »menschenverachtend« stehen jedoch als universelle Alleskleber auf der Beliebtheitsskala ganz oben, dort, wo Klaus Bednarz, Antje Vollmer und Ralph Giordano mit dem besonderen Betroffenheitsschmelz in der Stimme das Gewissen der Nation spielen.
Während »menschlich« im ideologiefreien Gebrauch auf Schwächen und Laster des Menschen hinweist, also eine Eigenschaft beschreibt, die den Einzelnen liebenswert oder auch hassenswert und abstoßend macht, benutzen es die Schaumsprachler als Aufforderung, als moralischen Imperativ, dem sich zu entziehen mindestens »menschenverachtend«, wenn nicht sogar »zynisch« ist. Der Appell ans Gewissen soll die Menschen anrühren und betroffen machen, sie zum spendenwilligen und hörigen Publikum erziehen, das den bösen Mächten mit Kerzen heimleuchtet. Kein von Interesse und Vernunft geleitetes Wesen soll der Mensch sein, sondern empörungskompatibel mit einer moralisch einwandfreien Gesinnung.
Seit neuestem soll die »Mitmenschlichkeit« sogar ins Grundgesetz eingeführt werden. Der Zusatzartikel 2a lautet dann: »Jeder ist zu Mitmenschlichkeit ... aufgerufen.« Das konnte sich nur ein aus Ostdeutschland stammender SPD-Abgeordneter ausgedacht haben, der früher ein oppositioneller Studentenpfarrer gewesen war. Und tatsächlich: »Initiator des Vorschlags ist der aus Ostdeutschland stammende SPD-Abgeordnete Elmer ... früher oppositioneller Studentenpfarrer aus der DDR« (FAZ). Lange hat der Hinterbänkler gebrütet, bei der Pfründevergabe wurde er vergessen, als Kassenwart seines Ortsvereins fiel er durch, aber einen Beitrag zur »inneren Einheit« in Deutschland wollte er leisten, ein »Korrektiv zum ausufernden Individualismus unserer Zivilisation«, wie die FAZ berichtet.
Während beim nackten Interesse aber wenigstens nachvollziehbar ist, welche Motive den Einzelnen bewegen, muß man beim Gutmenschen darauf gefaßt sein, daß seine Empörung auch mal in eine andere Richtung ausschlägt. Dann geht es vielleicht wieder gegen die Amerikaner oder auch gegen die Juden. Dann muß im Namen der Menschlichkeit eingegriffen werden, so wie man es gegen die Serben schon längst hätte tun sollen. Carl Schmitt würde gar nicht mehr so schief liegen: Verbrechen für oder gegen die Menschlichkeit, was ist das schon für ein Unterschied.
P.S. Das Schlußwort zu »menschlich« hat nun Philip Roth: »Besonders ihre Verwendung der Wörter ''Fotze'' (modifiziert durch ''heiß'') und ''Schwanz'' (modifiziert durch ''groß'' oder ''herrlich'' oder beides) konnte so maniriert und aufdringlich, in einem Wort, so sentimental sein wie der Gebrauch respektive Mißbrauch des Adjektivs ''menschlich''.«
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