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Inhaltsverzeichnis Inhalt Die Gespensterwelt der Ossis - Über Aufwärts

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Der Freiheitskämpfer bei Aldi - Die Bananen-Revolution und ihre peinlichen Folgen

Mit der beschaulichen und durchaus friedfertigen Stimmung, die eine Regierung und ein Volk, die perfekt zueinander passen, eben erzeugen, war es 1989 vorbei. Wie der Esel, der aufs Eis geht, wenn es ihm zu gut geht, waren die Ossis von einem unstillbaren Heißhunger nach Westware getrieben. Schuld daran war ihre Raffgier, die sich schon zu DDR-Zeiten im unentwegten Organisieren von Gegenständen herausgebildet hatte. Dabei drehte es sich bei diesem Spiel weniger darum, daß die Ossis etwas brauchen konnten, sondern darum, daß sie es besaßen. Im Vergleich der Systeme stellten sie fest, daß es im Westen noch viel mehr zu holen gab, die BRD mithin das Land war, das ihre unersättliche Sucht nach Plunder befriedigen konnte.

Deshalb flüchteten die Ossis massenhaft in die BRD-Botschaften von Budapest, Prag und Warschau und stellten die örtlichen Behörden vor erhebliche sanitäre und humanitäre Probleme. Ohne Not und Gefahr fürs eigene Leben führten die Ossis rücksichtslos gegen sich und andere unhaltbare und chaotische Zustände herbei. Im Gegensatz aber zur Toleranz, mit der man den Wirtschaftsflüchtlingen in Prag begegnete, haben die Ossis für Flüchtlinge, die aus wirklichen Krisengebieten kommen und deren Leben tatsächlich auf dem Spiel steht, nichts übrig.

Das Kleinliche, Stickige, Miefige der DDR-Zeit hatte sich Luft verschafft. Zunächst in einer Flucht, die der von einem sinkendem Schiff glich, nach dem Motto »Rette sich wer kann«, ganz gleich, wer dabei auf der Strecke bleibt, den letzten beißen eben die Hunde. Für die Stabilität der Psyche schien es nicht mehr auszureichen, sich gegenseitig und außerdem noch folgenlos bei der Stasi zu verpetzen, weil Elfriede mal wieder über das Waschpulver gemeckert hatte. 17000 Familienväter suchten das Weite und überließen die verlassenen Frauen und Kinder ihrem Schicksal. Man hätte als unbeteiligter Beobachter den Eindruck gewinnen können, in der DDR wäre der Bürgerkrieg ausgebrochen, marodierende Banden und Killerkommandos auf ständiger Suche nach dem nächsten unschuldigen Zivilopfer, welches unter Hunger und Seuchen schon genug zu leiden hat, weshalb sich alle zivilisatorischen Mechanismen und familiären Bande in Auflösung befanden. Nichts dergleichen ließ sich beobachten, und wenn von Krieg überhaupt die Rede sein konnte, dann von dem Krieg in den Familien, der den westlichen Verwandten während ihrer Besuche als zutiefst quälend und deprimierend in Erinnerung ist.

Weil die DDR-Regierung, bekannt aus Film, Funk und Fernsehen für massenhaft begangene Greueltaten, die humane Größe besaß, die verantwortungslosen Ossis mit der Schlußverkaufsmentalität und dem Bananenhunger gehen zu lassen, durften sich die Zurückgebliebenen ermutigt fühlen, die »erste friedliche Revolution auf deutschem Boden« zu begehen, von der heute kaum jemand mehr etwas wissen will und die so peinlich ist wie früher die ganze DDR. Obwohl die Staats- und Parteiführung vor ihrer eigenen Politik kapitulierte und freiwillig das Feld räumte, hielten sich die Ossis ernsthaft für Freiheitskämpfer, die eine Regierung gestürzt hatten. Gegenüber diesem Aberglauben kann sogar eine gewagte These wie die, daß die Regierung von den duckmäuserischen und opportunistischen Ossis die Nase voll hatte und deshalb kampflos das Feld räumte, mehr Plausibilität für sich in Anspruch nehmen.

Sich selbst zum Befreiungshelden zu stilisieren, hieß, die Verhältnisse in der DDR als Willkürregime zu denunzieren, das die Menschen massenweise hinter Gitter sperrte und zu Dutzenden vor die Erschießungskommandos stellte, während die Ossis an dieser Diktatur doch selbst fleißig mitgewirkt hatten, unter der man Karriere gemacht oder zumindest ein erträgliches Auskommen gefunden hatte.

Daß sie sich mit den Verhältnissen arrangierten, ist ein menschlicher Zug und ihnen nicht vorzuwerfen. Weil die Ossis aber den sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat nicht etwa durch passiven Widerstand mürbe machten, sondern sich nach Kräften bemühten, das Staatssicherheits- und andere Plansolls zu erfüllen, wird im nachhinein auch klar, warum der Sturm auf das MfS-Gebäude so harmlos verlief. Die Wut auf die »Zentrale des Terrors« hielt sich in Grenzen, weil diese für die Ossis viel mehr eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bedeutete als ein Instrument der Unterdrückung. Daß die ostdeutsche Variante vom Sturm auf die Bastille überhaupt stattfand, läßt sich aus dem Ärger darüber erklären, daß die einst so übermächtigen staatlichen Organe von selbst ihren Geist aufgegeben hatten, mithin die Einsicht, daß man Jahrzehnte lang auf einen Pappkameraden hereingefallen war, nicht gerade erhebende Gefühle hervorrief.

Sich als einen die SED-Diktatur furchtlos beiseitefegenden Revolutionär feiern zu lassen, aber bloß gegen Windmühlen gefochten zu haben, als politisch verfolgtes Opfer bedauert zu werden, aber nur den neuen Mittelklassewagen von Opel im Kopf zu haben, konnte nicht lange gut gehen. Selbst dem gutwilligsten Trottel im Westen wurde der Kaufrausch der Ossis schnell zuviel, und durch das massenhafte Einfallen in Westberlin und den grenznahen Bezirken waren sie obendrein zu einer schwer zu ertragenden Belästigung geworden. Die sogenannte Wiedersehensfreude nach vierzig Jahren Trennung hatte wenig mit der Liebe zum Nächsten zu tun, sondern mit der Liebe der Ossis zu Beate Uhse, Bananen und Aldi. Die Ossis zeigten sich ohne Scheu von ihrer ungemütlichen Seite. Es gab also keinen Grund, die Ossis zu mögen, weshalb dann auch die offiziellen Wiedervereinigungsfeiern ziemlich trostlos verliefen. Der Lack vom Freiheitskämpfer war ab, die Verwicklungen mit der Stasi wurden immer offensichtlicher. Der Ossi hatte sich als ziemlich jämmerliche Gestalt entpuppt.

Und er litt zunehmend an Realitätsverlust. Konnte er die Einheit zuerst nicht schnell genug bekommen, fühlt er sich jetzt von den Wessis überfahren und betrogen. Als bemitleidenswerte und arme Kreatur halten es die Ossis für selbstverständlich, daß die Wessis ihnen unter die Arme greifen. »Nicht über die Kosten aufregen, wir haben mit vielen Jahren verlorenen Lebens bezahlt«, sagen sie und glauben allen Ernstes daran, daß ihnen der Westen eine Art Wiedergutmachung schulde. »Nicht immer ans Geld denken«, halten sie den Wessis vor und denken selbst immer nur an das eine. Jede Mark, die nicht in den »Aufschwung Ost« fließt, halten sie für Verschwendung und eine ihnen unrechtmäßig vorenthaltene Unterhaltszahlung. Bitter beschweren sie sich darüber bei den Wessis: »Sie tun, als ob wir ihnen was wegnehmen, könnte ja eine Mark in der Lohntüte fehlen.« Selbst auf eine Mark in der Lohntüte zu verzichten zugunsten von Leuten, die noch weniger haben als sie, käme einem Ossi jedoch zu allerletzt in den Sinn.

Seitdem steckt ganz tief in ihm eine Verletzung, eine »Wut über die grobe Vereinnahmung des Ostens durch die westdeutschen Sieger«. Das im Chor vorgetragene Lamento ist dabei so einfach gar nicht zu verstehen. Hinter der bedrohlichen Forderung nach Anschluß mit der Parole »Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, dann ...« kroch unterwürfig die völlige Selbstpreisgabe hervor. Der so unter Druck stehenden BRD-Regierung blieb da gar nichts anderes übrig, als ihre Skrupel abzulegen und der Einladung der Ossis nachzukommen. Einer Regierung, der man solche Avancen macht, kann man später nicht vorwerfen, sie hätte sich unrechtmäßig an der Unschuld einer Bevölkerung vergriffen, selbst dann nicht, wenn sie in der DDR wie in einem Selbstbedienungsladen zugegriffen hätte. Aber in den Regalen herrschte bis auf ein paar Dosen mit radioaktivem Müll gähnende Leere, und in der einen oder anderen verstaubten Ecke stehen immer noch die vergammelten Betriebe, die die Treuhand lange Zeit auf dem internationalen Kapitalmarkt wie Sauerbier anbot und wenn überhaupt, dann nur mit riesigen Verlusten losschlagen konnte, mit Zugeständnissen und Gepflogenheiten obendrein, die man bislang nur aus der Planwirtschaft kannte.

Waren es früher nur Bohnenkaffee und Schokolade, fordern die Ossis jetzt quengelnd und gebieterisch zugleich Milliardenzuschüsse für eine Investitionsruine. Dabei hätten die rudimentärsten Kenntnisse im Pflichtfach Politische Ökonomie auch etwas Minderbemittelten zur Einsicht verhelfen können, daß eine Wirtschaft, ganz gleich wie potent sie sein mag, nicht 16 Millionen trübe Tassen verkraften, genausowenig wie sie aus einer abbruchreifen eine international konkurrenzfähige Volkswirtschaft machen kann. Als der Wirtschaft dann auch im Westen langsam die Luft ausging, konnten nur 21 Prozent der Ossis einen Zusammenhang herstellen zwischen den Milliardenzuschüssen für den Osten und einer Gefährdung von Wirtschaft und Wohlstand im Westen. Kein Wunder auch, denn 80 Prozent der Schreihälse wissen nicht, wie hoch die jährlichen Transferzahlungen von Westdeutschland in den Osten sind, wenn sie überhaupt wissen, daß es sie gibt, und nur ganze acht Prozent von ihnen tippen auf über hundert Milliarden, immerhin nur um lumpige fünfzig Milliarden verschätzt.

Dennoch glaubten die Ossis nur zu gerne an die vom Kanzler versprochenen »blühenden Landschaften« im Osten Deutschlands. Diesem Schlaraffenlandglauben, der die gegen ihre Führung angeblich so skeptischen Ossis ziemlich dumm aussehen ließ, denn selbst Honeker hatte nicht so dick aufgetragen, folgte nun ein Lehrstück in marxistischer Krisenökonomie. Jahrelang wurde den Ossis in den DDR-Schulen eingetrichtert, wie verheerend sich der Kapitalismus auswirkt; im beliebten Westfernsehen wurden sie über die steigenden Arbeitslosenzahlen informiert, und nun können sie es nicht fassen, daß sie nicht etwa einer plumpen Propagandalüge aufgesessen waren, sondern die Marktwirtschaft tatsächlich so funktioniert, wie »Sudel-Ede« immer behauptet hatte. Aber statt, wie angekündigt, der Regierung wegen der auslaufenden Beschäftigungsgarantie oder der Schließung ganzer Wirtschaftszweige einen heißen Sommer, Herbst oder Winter zu bereiten, gingen sie auf die Ausländer und Asylanten los. Nur wenn keine zur Verfügung standen, versuchte man es zur Abwechslung mal mit einem Arbeitskampf, aber selbst den verwechselten sie mit einem Hungerstreik. In einer ostdeutschen Kleinstadt mit einem so häßlichen Namen, daß man ihn nicht in den Mund nehmen möchte, wurde ein Kalibergwerk geschlossen, welches nicht nur ökologisch unverträglich, sondern auch ökonomisch unrentabel war. Und obwohl den Kali-Kumpeln Beschäftigungsgarantien in anderen Bereichen angeboten wurden, machten die Ossis auf diese widerliche Mitleidstour, die im Westen gut ankam, weshalb man den Fernseher nicht anschalten konnte, ohne daß sie ständig den Bildschirm okkupierten. Wenn man sie dann auf Pritschen liegend sah, mußte man feststellen, daß noch nie jemandem, soviel Medienaufmerksamkeit zuteil wurde, der nichts weiter tat als eine dringend nötige Abmagerungskur.



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