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Von Scheinasylanten und Wirtschaftsflüchtlingen - Die Angst der Ossis vor den Ausländern

Ergebnis der Wiedervereinigung war eine gespenstische Situation. Die selbstverschuldete Enttäuschung verschaffte sich im klassischen Mobverhalten Luft, denn statt den nur aus dem Geschichtsunterricht bekannten Klassenkampf mal auszuprobieren, was seit Einzug kapitalistischer Verhältnisse die erste sinnvolle Betätigung gewesen wäre, haben die Ossis nach einem Sündenbock gesucht und ihn schließlich auch gefunden. Am 7. April 1991 forderte der im Osten tobende Haß auf Ausländer sein erstes bekanntgewordenes Todesopfer, als der Mosambikaner Jorge Gomondai in Dresden zusammengeschlagen und aus der Straßenbahn geworfen wurde. Hoyerswerda und Rostock waren seither nur die pogromartigen Höhepunkte, die Highlights einer nur schwer auseinanderzuhaltenden Einheitsfront von Ossis und Rechtsradikalen, von übriggebliebenen Nazis, Parteispießern und jugendlichen Schlägern, eines Mobs auf Bündnissuche nach der Elite, die ihn nicht bloß vor der Öffentlichkeit in Schutz nimmt, nicht bloß entschuldigt, bedauert und als unschuldiges Opfer präsentiert, was die zu Posten und Ämtern gekommenen ehemaligen Pflugscharenoppositionellen seitdem ja auch tun, sondern die endlich seine Führung übernimmt, um seine ungezügelte Mordlust in geordnete Bahnen zu lenken.

Obwohl der Osten Deutschlands mal gerade soviel Ausländer hat wie Frankfurt am Main und »Fremde« mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit von nur einem Prozent auftauchen, glauben die Ossis ernsthaft daran, daß dieses eine Prozent den restlichen 99 Prozent Ossis Arbeitsplätze und Wohnungen wegnimmt. Auf die Idee, daß der Mangel an Arbeitsplätzen mit den Segnungen des westlichen Wohlfahrtsstaats zusammenhängt, kommen sie nicht, und ihre vergleichsweise komfortablen Plattenbauwohnungen würden sie auch nicht mit den abbruchreifen und überfüllten Unterkünften oder Wohncontainern der Asylsuchenden tauschen.

Geheimnisvolle, gar überirdische Kräfte dichten sie dabei den Ausländern an, einen gigantischen Wohnungsverschleiß und eine sagenhafte Arbeitswut, werden aber nie müde, über die Faulheit der Ausländer zu schimpfen. Sagt der TV-gewordene Westspießer Motzki das gleiche von den Ossis, fühlen sie sich verunglimpft und sind schwer beleidigt. Dabei muß man ziemlich bescheuert sein, um die pädagogische Absicht der ARD-Serie nicht zu merken, die jede noch so spärlich gesäte Wahrheit in ein Vorurteil verbiegt, das den Ossi in Gestalt der pfiffig dargestellten Ost-Schwägerin Edith zum Sieger über das arme Würstchen aus dem Westen macht. Immerhin wurde man Zeuge einer der seltenen Gelegenheiten, wo die aus dem Osten glaubten, sich wehren zu müssen, aber die Serie für Dumpfbacken und Hohlköpfe war ungefähr so berauschend wie die Doppeldeutigkeit, die im Namen der Sendung »Trotzki« anklingen sollte. In Sachen Vorurteil wollte man sich vom Westen nichts vormachen lassen, und das ist denen da drüben auch gelungen.

Verunreinigte Grünflächen gehen den Ossis schwer an die Nieren, und die unerträglichen sanitären Zustände steigern ihr Herzinfarktrisiko, als ob sie wegen hygienischer Probleme mit ihren eigenen Toiletten besonders dazu verpflichtet seien, die Klos anderer zu inspizieren. Statt den Ausländern menschenwürdige Wohnmöglichkeiten zu gewähren, wie sie den Ossis nach ihrer Flucht aus der DDR zugebilligt wurden, vertreiben sie die Ausländer erfolgreich aus ihren Städten und Gemeinden.

Verfolgten aus den ehemals sozialistischen Bruderländern, wie den Sinti und Roma aus Rumänien, wollen sie kein Asyl gewähren, hielten sich aber selbst einmal für Verfolgte und nahmen als tatsächliche Scheinasylanten das ihnen überhaupt nicht zustehende Recht wie selbstverständlich in Anspruch. Als Wirtschaftsflüchtlinge beschimpfen sie die Opfer von Regimen, über deren repressive Qualität die Ossis doch am besten Bescheid wissen müßten, und gaben selbst das beste Beispiel für einen Wirtschaftsflüchtling ab.

Ein Vorzeigeossi mit Filzwolle im Gesicht, wie Thierse, behauptet, daß sich seine Stammesgenossen nur langsam und vorsichtig an die Fremden gewöhnen könnten, ohne auf die Idee zu kommen, daß man umgekehrt nur vorsätzlich und mit böswilliger Absicht jemandem die Ossis an den Hals wünschen kann.

Es gebe keine »rechtlichen, politischen oder humanitären Gründe«, sagte der ehemalige Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns Lothar Kupfer, den als Vertragsarbeitern angeworbenen Vietnamesen ein generelles Bleiberecht einzuräumen. Bedauerlich auch, daß man »die nicht alle einsperren könne, leider«. Nicht deswegen mußte Kupfer zurücktreten, nicht einmal eine Anzeige wegen Volksverhetzung bekam er, sondern den Beifall der Ossis, denen er ruhig noch etwas radikaler hätte sein können.

Als »Störfaktor in den zwischenmenschlichen Beziehungen« gelten dem Ossi die Ausländer, während er nichts dabei fand, Familie und Freunde bei der nächsten Stasidienststelle zu verpfeifen.

Als »Umweltverschmutzer« werden Ausländer in einem Land bezeichnet, in dem es gar nichts mehr zu verschmutzen gibt und durch das man am besten mit Vollgas und geschlossenen Fenstern fährt.

Weil Asylbewerber in den Augen der Ossis unberechtigterweise Sozialhilfe beziehen, halten sie es für legitim, diese zu malträtieren. Betrug schreien sie, während sie beim Begrüßungsgeld ihre Kinder mehrere Male losschickten, um abzukassieren, und ihnen bei der Währungsunion das Zehnfache ihres Spielgeldes in den Rachen gestopft wurde. Wäre die Höhe des der Volkswirtschaft dadurch entstandenen Schadens ein Freibrief für die Jagd auf die Betrüger, würde sich wahrscheinlich jede weitere Beschäftigung mit den Ossis erübrigen.

Schließlich würden sie die Ausländer nicht verstehen, weil die aus einem anderen Kulturkreis kommen, und gehen dabei wie selbstverständlich davon aus, daß man ihr genuscheltes Sächsisch nicht als Ergebnis einer »verwachsenen Kinnlade« (Michael Kröher) ansieht, sondern für Hochdeutsch hält, mit der sich normal kommunizieren ließe.

Ein anderer Vorzeigeossi wie Harald Ewert, der Mann mit dem Deutschlandhemd und der vollgepinkelten Jogginghose, dem der Arm zum Hitler-Gruß »ganz automatisch« hochgeht, aber der deshalb noch lange »kein Nazi« ist, verlangt, »die Ausländer sollen sich anständig benehmen«. Das sagt er, während ihm das Photo aus Lichtenhagen unter die Nase gehalten wird, das ihn auch im Ausland berühmt gemacht hat und das seitdem keinen Zweifel mehr darüber aufkommen läßt, was die Ossis unter »anständigem Benehmen« verstehen.

Für Opfer halten sie sich, die glauben zur Notwehr greifen zu müssen, und sind doch nur Täter von der schlimmsten Sorte, die vorsätzlich und aus niedrigen Beweggründen handeln.

Im Schein brennender Asylbewerberunterkünfte klatschen sie Beifall und bekunden anschließend ihre Angst vor den Ausländern und den Rechtsradikalen. Bisher wurde allerdings kein Fall bekannt, wo Ausländer Wohnungen der Ossis angegriffen und in Brand gesteckt hätten, weshalb ihre Angst nur einer Phobie entspringen kann, die vergleichbar mit der Angst der Deutschen vor den Juden ist.

Ist die Angst der Ossis vor den Ausländern schon merkwürdig, so ist ihre Angst vor den Neonazis auch nicht gerade leicht nachzuvollziehen, denn ihre bekundete Furcht vor den Schlägertruppen hat nichts mit der Sorge zu tun, sie selbst könnten ein Opfer rechtsradikaler Gewalt werden. Die Sorge der Ossis ist ganz anderer Natur: Ausländer, so sagen sie, würden die Rechtsextremisten anlocken und das gute Verhältnis belasten, das die Ossis zu den Neonazis haben. Wer also gedacht hat, die Angst der Ossis vor den Rechten ließe auf einen Gesinnungswandel schließen, sieht sich getäuscht. Der Unterschied besteht lediglich darin, daß die Ossis die Rechten nicht mehr bloß anfeuern, sondern selbst zur Tat schreiten und mit »Mitteln friedlichen Protests« verhindern wollen, daß Asylbewerber Aufnahme in trostlosen Käffern wie Goldbach finden, um die man auch ohne die netten Bewohner mit dem gesunden Volksempfinden einen weiten Bogen macht. In vorauseilendem Gehorsam haben sich die devoten und bücklingsgeübten Helferlein der Neonazis als freiwillige Feuerwehr gemeldet, um beim freudig erwarteten Einmarsch der Glatzen eine von Ausländern gesäuberte Stadt präsentieren zu können.

Was der alten Staats- und Parteiführung also tatsächlich vorzuwerfen ist, daß unter ihrer Regierungsverantwortung nichts Besseres herauskam als diese widerwärtigen Ossis.



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