Inhalt | Maria Mies: Die Krise als Chance |
... und sie hat schon angefangen | Karl Heinz Roth: Auf dem Glatteis |
M.M.: In Indien sind es immerhin mindestens eine Million Menschen, welche die Produktionsweise der Subsistenzwirtschaft verteidigen. Das würde ich nicht als kleine Gruppe bezeichnen.
In Europa ist eine Mehrheit der Leute an ökologisch sauberen Nahrungsmitteln interessiert; wie diese aber produziert werden, interessiert nicht viele. Eine Beteiligung am Produktionsprozeß wie beispielsweise bei Ernten - wie es die Seikatsu-Clubs in Japan tun - wäre bei uns zur Zeit undenkbar. In Japan haben sich die Leute auch mit Erfolg gegen einen verstärkten Nahrungsmittelimport, vor allem aus den USA, gewehrt und z.B. darauf gepocht, daß der Export der Computer und Autos zugunsten der Nahrungsmittelsicherheit für das eigene Land gedrosselt wird.
Das sollte man einmal im »Industriestandort Deutschland« fordern - das wäre die reinste Blasphemie! Außerdem ist es zunächst nicht eine Frage der Zahl, ob in der Krise, die das Kapital schafft, eine Chance gesehen wird. Es kommt vielmehr darauf an, ob in diesen Bewegungen und Initiativen die Grundstruktur des Kapitalismus ansatzweise überschritten wird.
M.M.: Die Auslagerung von Arbeitsplätzen folgt der Logik der Kapitalakkumulation. Darum wird auch eine Sozial- und Umweltklausel der WTO nicht durchgesetzt werden, sollte sie überhaupt kommen. Aber die Solidarität der Arbeiter wird dabei zerstört; Arbeiter werden gegen Arbeiter gesetzt, die dadurch in zwei antagonistische Lager gespalten werden.
Wenn die einen Arbeitsplätze haben, haben die anderen keine - mal so platt ausgedrückt. Am meisten Sturm gelaufen sind die französischen Gewerkschaften gegen diese neue internationale Arbeitsteilung. Die Folge dieser Entwicklung ist, daß die traditionelle Gewerkschaftspolitik, die sich nur auf die Lohnarbeiter im eigenen Land bezog, nicht mehr adäquat ist, um dieser Globalisierungsstrategie zu begegnen.
M.M.: Bisher wurden die Ereignisse in den Kolonien jedoch aus der gewerkschaftlichen Diskussion völlig ausgeblendet. Die Gewerkschaften in England und Japan waren sogar gegen die Entkolonialisierung. Sie fürchteten, daß die Unabhängigkeit Indiens oder Koreas ihre Situation verschlechtern würde. Die Frage einer materiellen Basis für die internationale Solidarität ist bis dahin in der Linken generell vernachlässigt worden und sollte endlich in die politische Auseinandersetzung miteinbezogen werden.
M.M.: Ich erzähle diese »Erfolgsstories«, weil ich an die Möglichkeit einer Veränderung glaube. Die Frauenbewegung hat einiges erkämpft, wie spezifische Frauenräume, um nur ein Beispiel zu nennen. Innerhalb der Kooperativen in Japan wurde die Hausarbeit in die öffentliche Diskussion der Arbeitsverteilung miteinbezogen. Die Bauernbewegung in Südindien stellt durchaus einen ernst zu nehmenden Störfaktor für die Multis dar. Die Karnataka Rajya Ryota Sangha (KRRS) hat das Büro des Saatgut- und Lebensmittelmultis Cargill in Bangalore gestürmt, die Papiere auf die Straße geworfen und verbrannt. Sie fordert, daß Cargill und andere Multis Indien verlassen, weil sie, wie die alte East India Company der Engländer, Indien wie eine Neo-Kolonie behandeln. Die indische Regierung kann nichts gegen eine so große Bauernbewegung unternehmen, selbst, nachdem sie den GATT-Vertrag unterschrieben hat und die Freihandelspolitik unterstützt. Immerhin hat u.a. diese Bewegung gegen die GATT und die Wirtschaftsliberalisierung in Indien im letzten Dezember zu einer Niederlage der Kongreßpartei in den zwei indischen Staaten Karnataka und Andhara Pradesh beigetragen, und die Regierung von Narasimha Rao muß heute um ihr Überleben fürchten.
Ich habe noch keine weiteren Rückmeldungen über die Selbstorganisation der armen Frauen in Brasilien bekommen. Aber ich finde es bemerkenswert, daß die von der Krise am meisten Betroffenen eben keine Hoffnungen mehr in die Fortsetzung dieses Weltwirtschaftssystems investieren, sondern wieder unmittelbar nach den tatsächlichen Grundlagen ihrer und unserer Existenz fragen und anfangen, diese selbst zu organisieren.
Bei uns sind die von der Krise Betroffenen, z. B. die Erwerbslosen, noch meilenweit von einer solchen Erkenntnis entfernt. Sie fordern immer noch von Kapital und Staat, daß diese - per Geld - ihre Existenzgrundlage sichern, die sie andererseits doch selbst schaffen.
M.M.: So wie ich es sehe, wird das Geld auch hier sicher nicht Existenzgrundlage bleiben. Alles kann nicht bezahlt werden, auch vom Staat nicht. Außerdem wäre zu klären, was wir unter Existenzgrundlage verstehen. Das ist, darüber ist man sich einig, die Befriedigung der Grundbedürfnisse nach Nahrung, Kleidung, Wohnung, Schutz, Wissen, Anerkennung, Liebe usw. (vgl. Mies/Shiva 1993). Diese sind bei allen Gesellschaften und zu allen Zeiten gleich. Sie werden durch menschliche Arbeit in Kooperation mit der Natur und den anderen Menschen befriedigt. Im Kapitalismus werden sie aber zunehmend, jedenfalls in den Metropolen, durch die Produktion und den Konsum von Waren befriedigt. Und dazu brauchen die Menschen Geld. Das Geld ist daher hier - nicht überall in der Welt - zur Existenzgrundlage geworden - wie bekannt, auf der Basis von Ausbeutung und Raub.
Darum wird auch die Forderung »Lohn für Hausarbeit« nicht erfüllt werden. Als Alternative bleibt dann meines Erachtens nur eine andere geschlechtliche Arbeitsverteilung, nämlich die, daß die unbezahlte und unbezahlbare, aber gesellschaftlich notwendige Arbeit (wie z.B. Kinder versorgen, Alte und Kranke pflegen, ökologische Aufräumarbeit tun usw.) von Männern genauso getan wird wie von Frauen.
Wenn eine solche Umverteilung nicht erfolgt, die Frauen hier aber die Bezahlung aller ihrer Arbeit fordern, einschließlich der Hausarbeit, und auf dem gleichen Wohlstandsniveau bleiben wollen, dann geht das nur, wenn die Natur und die »Dritte Welt« weiter ausgebeutet und kolonisiert werden.
M.M.: Frauen sind bereits jetzt mehrheitlich - typischerweise - in ungeschützten Lohnverhältnissen und werden es weiterhin auch bleiben. Honorarverträge, ein bißchen Tippen hier, ein bißchen Heimarbeit da: Das ist bereits der Billiglohnsektor. Die duale Wirtschaftsform, formeller und informeller Sektor, mit vielen Beschäftigen in prekären Arbeitsverhältnissen wird bestehen bleiben.
Und es ist richtig, daß das im Interesse der Unternehmer ist. Wenn wir »aus dem Kapital aussteigen« - und zwar Frauen und Männer (s.o.) -, dann bedeutet das allerdings mehr als nur in der Dualwirtschaft zu funktionieren. Es bedeutet z.B. nicht nur, wieder mehr Selbstversorgung und Selbstorganisation (Subsistenz) zu praktizieren, sondern auch dadurch dem Kapital einen Markt zu entziehen. Es geht auch nicht um einen moralischen Aufruf an Frauen, wieder einmal die Drecksarbeit bei der gesellschaftlichen Umgestaltung zu tun, sondern es geht darum zu erkennen, daß das, was wir ja sowieso schon tun, nämlich das Leben produzieren und erhalten, einen höheren Wert als die Produktion von Mehrwert hat.
M.M.: In Deutschland, vor allem in Ostdeutschland, sind die Frauen nach einer familienbedingten Unterbrechung der Erwerbsarbeit zum Großteil nicht mehr zu einem bezahlten Job gekommen, trotz Weiterbildungsangeboten. Das alles ist ein Bluff, klingt ganz schön, funktioniert aber nicht.
Es kann auch nicht das Ziel sein, dem Kapital und neuesten technologischen Entwicklungen dauernd hinterherzurennen und uns permanent an die neuesten Erfindungen anzupassen. Wir kommen gar nicht dazu, die Produktion von dem, was wir brauchen, selber zu bestimmen. In einem Weltmarkt, in dem die Produkte von dort geholt werden, wo sie am billigsten hergestellt werden, und dort verkauft werden, wo am meisten Geld ist, entsteht eben der universale Supermarkt mit den totalen KonsumentInnnen. Dies erzeugt unter anderem die Perspektivelosigkeit bei den Jugendlichen - es ist ja alles schon vorhanden, sie brauchen nur Geld zu haben. Aber es wird nie genug Geld für alle da sein, um das zu kaufen, was weltweit für den globalen Supermarkt produziert wird. Da werden auch die Umgeschulten, die sich jedem neuen Technologietrend anpassen müssen, zu wenig Geld haben. Außerdem sind Kapital und Technik dann die einzigen Subjekte der Geschichte, und wir Menschen, auch wir Frauen, reagieren nur auf sie.
Es ist unser Recht, etwas Vernünftiges und Sinnvolles mit unseren Körpern und unserem Intellekt anzufangen und nicht nur auf diese Verwertungszwänge des Kapitals zu reagieren. Aber dazu müßten wir eben das ganze System umkrempeln.
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