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Inhaltsverzeichnis Inhalt Maria Mies: Die Krise als Chance Aufwärts

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Unterabschnitte

... und sie hat schon angefangen

nämlich die Besinnung auf die Subsistenzperspektive und die Selbstorganisation. Die folgenden Beispiele sollen zeigen, daß die Kritik am globalen Supermarkt und die Suche nach Alternativen keineswegs nur eine Sache von linken und/oder feministischen AkademikerInnen ist, sondern von verschiedenen Gruppen, Initiativen, Massenbewegungen geteilt wird.

1. Die Frauen von Rio

5.19

1992 organisierten Frauen in Rio einen Workshop im Zusammenhang der UNCED, auf dem sie das kapitalistisch-patriarchale Weltwirtschaftssystem und sein Entwicklungsmodell zurückwiesen. Die Früchte dieser Entwicklung seien Armut, Hunger, Entwicklungsflüchtlinge, Gewalt, Müllberge, zerstörte Natur. Sie forderten: »Ein Basta dem Wirtschaftsmodell!«

Statt weiterer »Entwicklung« verlangten sie eine echte Landreform, ein Durchbrechen der Isolation von verschiedenen Frauen zum Beispiel in der Stadt und auf dem Land und den Aufbau direkter Tauschbeziehungen zwischen verschiedenen ProduzentInnen statt der Produktion für einen anonymen Weltmarkt. Sie stellten fest, daß sie das meiste, was sie brauchten, bereits selbst herstellten. Warum diese Dinge exportieren?

»Es lebe die Fülle« war einer ihrer Slogans, und sie schlugen vor, daß die Gewerkschaften dabei mitmachten, Verbindungen zwischen den Kleinbäuerinnen, Gummizapferinnen, Fischerinnen, Kokosnuß-Sammlerinnen, Kleinproduzentinnen in den Städten - die alle auf diesem Workshop zusammen waren - herzustellen und so eine wirkliche »sustainable economy« zu schaffen.

2. Die Neem-Kampagne und der Saatgut-Krieg in Indien

In Südindien entstand 1992 eine breite Bauernopposition, die etwa eine Million Menschen umfaßt, die gegen die Freihandelspolitik des GATT, die Durchsetzung der Exportorientierung und vor allem der »Trade Related Intellectual Property Rights« (TRIPs) kämpft. Durch die GATT und TRIPs wird nicht nur der indische Agrarmarkt - und vor allem der Saatgutsektor - für die großen Agrar- und Saatgut-Multis geöffnet, sondern mehr noch: Im Zuge der Expansion der Biotechnologie wird es nun möglich, Patente auf Pflanzen, Pflanzen- und Tiergene, Pflanzeneigenschaften und auf Saatgut zu erteilen und so das Wissen der Bauern, das seit Jahrtausenden existiert, zu privatisieren, zu monopolisieren und zu kommerzialisieren. Bekanntestes Beispiel dieser neuen Bio-Piraterie ist das Patent, das dem Amerikaner Larson und der Firma W. R. Grace auf Neem erteilt wurde. Dieser Baum ist seit uralter Zeit wegen seiner schädlingsbekämpfenden Eigenschaften - in Blättern, Zweigen, Samen usw. - genutzt worden. Nun wird er industriell verwertet, und das Wissen um seine Wirkung gehört nun den Patentinhabern. Gegen diesen Raub indigenen Wissens, das Allgemeingut war, und gegen einen ähnlichen Versuch, alles Saatgut in die Hand multinationaler Konzerne, z.B. von Cargill, zu überführen, wehrt sich die Karnataka Rajya Ryota Sangha (KRRS) und vergleicht Cargill Seeds (India) mit der alten kolonialen East India Company. Die Bewegung fordert, daß Cargill und andere Multis das Land verlassen, das Recht, ihr Saatgut selbst herzustellen und zu verkaufen, das Recht auf Selbstversorgung des Landes, bessere Preise für Agrarprodukte und eine wirksame Landreform.

Die Bauern haben sich verpflichtet, hauptsächlich für den indischen Markt und nicht für den Weltmarkt zu produzieren.

3. Der Seikatsu-Club in Japan

5.20

Die indische Bauernbewegung gegen GATT, TRIPs und Freihandel wurde u.a. unterstützt von dem Seikatsu-Club in Japan, der ebenfalls für Selbstversorgung, Self-Reliance und Nahrungssicherheit kämpft. Dieser Seikatsu-Club stellt eine Erzeuger-Verbraucher-Kooperative dar, die u.a. nach der Minamata-Katastrophe - der Verseuchung von Fischen durch Quecksilber - und durch eine Milchgenossenschaft entstand. Sie war vor allem von Hausfrauen gegründet worden, die sicher sein wollten, daß sie wußten, was sie ihren Familien als Nahrung auftischten. Je acht Haushalte taten sich zu einem Han zusammen, der den Kontakt zu den Bauern direkt organisierte. Dem Seikatsu-Club geht es nicht nur um angemessene Preise, sondern vor allem um Nahrungssicherheit, die Veränderung des Konsumverhaltens, um eine andere Beziehung zwischen Produzenten und Konsumenten und nicht zuletzt um ein Aufbrechen der Kapitallogik dadurch, daß die Bauern und andere Produzenten nur das und nur so viel produzieren, wie gebraucht wird. Es gibt also keine Überproduktion für einen anonymen Markt.

Weil der Seikatsu-Club ursprünglich von Hausfrauen gegründet wurde, ist es logisch, daß die Frage der Hausarbeit thematisiert wurde. Diese Diskussion führte dazu, daß ein anderer Arbeitsbegriff durchgesetzt wurde als der im Kapitalismus übliche, der sich nur auf Lohnarbeit bezieht. Neben den Hans wurden »Workers' collectives« gegründet, in denen alle notwendigen anfallenden bezahlten und unbezahlten Arbeiten gleichmäßig verteilt wurden. Zu diesen Arbeiten gehörten neben der eigentlichen Hausarbeit auch die Pflege von Alten, Kranken und die Betreuung von Kindern.

Inzwischen sind die Hans und »Workers' collectives« zu größeren Einheiten zusammengeschlossen, die in Gemeinderäten, in Provinz- und Landesparlamenten vertreten sind. Der Seikatsu-Club, der seine Strategie als antikapitalistisch versteht, hat eine Politisierung der Konsumsphäre erreicht, die u.a. dazu geführt hat, daß sich Japan bis heute nur halbherzig dem Druck der USA gebeugt hat, amerikanischen und thailändischen Reis zu importieren.

Die Konsumenten weigern sich einfach, ausländischen Reis zu kaufen. Sie bestehen auf Nahrungssicherheit. 1989 hatten diese Kollektive ungefähr eine Viertelmillion Mitglieder.

4. Deutschland: Die SSK (Sozialistische Selbsthilfe Köln)

5.21

Diese Bewegung entstand während der Studentenbewegung. Sie hatte ursprünglich Kommunen für entlaufene Jugendliche und Psychiatriepatienten aufgebaut. Zu ihrem Konzept gehörte es, kein Geld vom Staat zu nehmen, sondern von eigener Gelegenheitsarbeit zu leben.

Nach Tschernobyl konzentrierten sich die Gruppen stärker auf die Ökologiefrage und entwickelten ein neues Behälterkompostierungsverfahren. Es gelang einigen der Gruppen, Verträge für die Kompostierung von Hausmüll mit Kommunen im Bergischen Land abzuschließen. Danach erwarben sie Land und begannen eine neue Subsistenzlandwirtschaft mit dem Ziel der Selbstversorgung. Dieses Ziel hat die Gruppe weitgehend erreicht. Sie hat aber diesen Kampf um die Subsistenz und den Müll stets als politischen Kampf verstanden und verlangt heute beispielsweise, daß die Verträge mit dem größten Müllkonzern der Region aufgekündigt werden und aller Haushaltsabfall nach ihrer Methode kompostiert wird. Eine Frau aus der SSK ist inzwischen im Stadtrat Berg-Neustadt.

Ähnlich wie die SSK gibt es zahlreiche Kommunen, die sich in der einen oder anderen Weise an einer Subsistenzperspektive als Strategie der Überwindung der Akkumulationslogik orientieren und dabei sowohl ökologische, kommunitäre und feministische Ziele verfolgen.



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