Inhalt | Der kleine Abhörratgeber |
Kameras | Programme auf Diskette |
Nachwort von Otto Diederichs
Zwar garantiert das Grundgesetz der Bundesrepublik von 1949 in seinem Artikel 10 die Unverletzlichkeit des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses. Doch bereits der zweite Absatz des Artikels relativiert dies wieder: »Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden.«13.1 Diese gesetzliche Grundlage besteht seit 1968 und wird mit steigender Tendenz genutzt.13.2 Im Gegensatz zum »Großen Lauschangriff«, der seit gut zwei Jahren wieder in aller Munde ist, bestehen hier bereits Erfahrungen. Sie können einen Eindruck von dem vermitteln, was zu erwarten sein wird, wenn der »Lauschangriff« mit seinen erweiterten Möglichkeiten (z.B. Einsatz von »Wanzen« und Video) einmal gesetzlich erlaubt sein wird. Erste Schritte auf diesem Weg sind mit dem sog. OrgKG13.3 von 1992 und dem Verbrechensbekämpfungsgesetz13.4 von 1994 bereits getan.
Während die Abhörbefugnisse für den Verfassungsschutz in einem eigenen Gesetz geregelt wurden,13.5 hat man die Grundlagen für die Polizei lediglich in der Strafprozeßordnung (StPO) verankert.13.6 Für die BürgerInnen hat dies einen ganz entscheidenden Nachteil: Wo für den Geheimdienst noch eine, wenngleich nachträgliche und zudem höchst unzulängliche, Kontrolle durch die G-10-Ausschüsse der Parlamente zumindest vorgesehen ist, gibt es im polizeilichen Bereich nichts dementsprechendes. Die »Kontrolle« beschränkt sich allein auf die Staatsanwalt- und Richterschaft. Diese jedoch sind zugleich auch die Anordnungsinstanzen.
Die Delikte, bei denen eine Telefonüberwachung (TÜ) durchgeführt werden kann, sind in 100a StPO abschließend genannt. Bei diesen handelt es sich zunächst um den Bereich, der den politischen Straftaten zuzuordnen ist, wie Hoch- und Landesverrat, Straftaten gegen die Landesverteidigung oder die Sicherheit der NATO-Truppen und ähnliches. Im weiteren dann um die sog. Katalogstraftaten: Geldfälschung, Mord, Menschenhandel, Geiselnahme, Bandendiebstahl, Raub und Erpressung sowie Verstöße gegen das Waffen- und das Betäubungsmittelgesetz. In allen polizeilichen Ermittlungsverfahren, denen eines oder mehrere der genannten Delikte zugrundeliegen, ist damit eine Telefonüberwachung grundsätzlich möglich und rechtmäßig. Der regulär hierfür vorgesehene Weg sieht einen entsprechenden Antrag der Polizei vor, der von einem Richter bestätigt werden muß. Eher als Ausnahmeregelung für Fälle, in denen eine richterliche Anordnung nicht schnell genug zu erreichen ist (z.B. an Wochenenden), sieht die StPO eine Eilanordnung durch die Staatsanwaltschaft vor.13.7 Diese muß allerdings binnen drei Tagen von einer RichterIn bestätigt werden, ansonsten ist sie unverzüglich abzubrechen und evtl. Bandaufnahmen wären zu vernichten. Für ganz dringliche Fälle sehen die Polizeigesetze ebenso wie in anderen Lagen, auch hier die »Gefahr im Verzuge« vor, also eine Situation, in der unverzügliches Handeln gefordert ist, z.B. um eine Gefahr abzuwenden oder sonst unwiderbringliche Beweise zu sichern. »In der Praxis hat sich (...) herauskristallisiert, daß die Polizei Gefahr im Verzuge sehr großzügig begründet und so den Richtervorbehalt umgehen kann (...)«, bilanziert hierzu die Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten und Polizistinnen.13.8
Gleichwohl sind durchaus Fälle denkbar, in denen das rechtliche Instrumentarium dennoch nicht ausreicht. So gelten z.B. Diebstahl, Hehlerei und Betrug nicht zu den Katalogstraftaten. »Organisierte Kriminalität spielt sich in einem großen Maße in den Bereichen Diebstahl und Hehlerei ab. Aufgrund dieser Straftaten ist die Anordnung einer Telefonüberwachung aber nicht zulässig. Schlüssel zum Erfolg kann hier der durch entsprechende Ermittlungen untermauerte Verdacht einer kriminellen Vereinigung (§129 StGB) sein,« lautet die Anwort des Staatsanwaltes Michael Füllkrug, der hierzu auch gleich einige (zumindest recht fragwürdige) Beispiele liefert.13.9 Dabei kommt es nach Füllkrug »für die Verwertbarkeit der Telefonüberwachungserkenntnisse nicht darauf an, ob sich der Verdacht eines Vergehens nach §129 StGB durch die weiteren Ermittlungen bestätigt«.13.10 Gleiches gilt, so bleibt hinzuzufügen im politischen Bereich für die Verwendung des §129a StGB (Bildung einer terroristischen Vereinigung.13.11
Nach einer Berechnung des Referenten für Strafverfolgung im nordrhein-westfälischen Innenministerium, Andreas Dickel, liegt das statistische Risiko eines Bundesbürgers, Opfer einer Telefonüberwachung zu werden, bei .13.12 Solche Rechenbeispiele sind ebenso problematisch wie der von PolizeikritikerInnen gern gezogene Vergleich zwischen den Telefonüberwachungszahlen der Bundesrepublik und den USA.13.13 Doch nicht nur im internationalen Vergleich fehlt es an gesichertem, nach einheitlichen Kriterien erhobenem Zahlenmaterial. Auch für die Bundesrepublik allein ist es ausgesprochen schwierig, Informationen über den tatsächlichen Umfang der jährlichen Telefonüberwachungen zu gewinnen. Finden lassen sich, wenn auch mit etwas Mühe, Zahlen. Nur sind diese, um die Sprache des Computerzeitalters zu benutzen, untereinander nicht kompatibel. Zu verschieden sind die Berechnungsgrundlagen. Schon bei der allgemein gebräuchlichsten Form, der Zählung von Fällen entsprechend der Befugnisnorm nach §100 StPO sind Unterscheidungen zwischen richterlicher und staatsanwaltschaftlicher Anordnung möglich.13.14 Ebenso die Trennung nach Ermittlungsfällen und/oder überwachten Anschlüssen13.15; nach Bundesländern und/oder Oberpostdirektionen/Generaldirektionen der Telekom13.16, deren Zuständigkeit nicht unbedingt gleichbedeutend ist mit den Grenzen der Bundesländer. Bis 1992 wurden Telefonüberwachungsmaßnahmen in den Bundesländern der ehemaligen DDR zudem von den Direktionen der alten Länder in »Patenschaft« mitübernommen.13.17 »Abhöraktionen gingen erstmals zurück«, meldete jedoch Mitte Februar 1995 überraschenderweise die Presse. Im weiteren war dann zu lesen, daß die Zahl der richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Anordnungen 1994 im Vergleich zum Vorjahr um rund 250 gesunken war.13.18 Der Eindruck, daß tatsächlich weniger Telefone abgehört werden, gibt Anlaß zum genaueren Hinschauen.
So beziehen sich die Zahlen richterlicher oder staatsanwaltschaftlicher Lauschanordnungen nicht notwendigermaßen nur auf Telefonanschlüsse, sondern können auch andere Datenweitergaben über das Telefonnetz (z.B. Fax) umfassen. Da weiterhin eine Anordnung auch mehrere Anschlüsse betreffen kann, bedeuten weniger Anordnungen nicht, daß auch weniger Apparate abgehört wurden: In Baden-Württemberg wurden in den Jahren 1990-92 im Durchschnitt 1,3 Anschlüsse pro Anordnung überwacht.13.19 Werden Anordnungen nach ihrer maximalen Geltungsdauer von drei Monaten weiter verlängert, so tauchen diese Verlängerungen in der Statistik nicht mehr auf. Über neun Monate wurde bspw. in Göttingen die Gruppe »Antifa M« überwacht. Während dieser Zeit wurden 13929 Telefonate mitgeschnitten und ausgewertet.13.20 Endgültig gesprengt werden die Dimensionen, wenn öffentliche Fernsprecher abgehört werden: Im November 1987, auf dem Höhepunkt der Auseinansersetzungen um die Hamburger Hafenstraße, wurden dort auch die Telefonzellen in der Umgebung überwacht;13.21 oder im Zuge der Fahndung nach dem bundesweit bekanntgewordenen Berliner Kaufhauserpresser Dagobert zeitweise bis zu 3000 Telefonzellen in der Stadt abgehört.13.22
Einen Sonderfall bildete jahrzehntelang Berlin, wo die §§100a/100b StPO durch eine Alliierte Anordnung (Berlin Kommandatura Order, BK/O) im Juli 1969 außer Kraft gesetzt waren13.23 und Überwachungsmaßnahmen über die Alliierten abgewickelt wurden.13.24 Erst im Zuge der deutsch-deutschen Vereinigung wurde die BK/O geändert und die Zuständigkeit in deutsche Hände gelegt - zunächst allerdings noch mit der Beschränkung, daß die schriftliche Zustimmung der alliierten Behörden, in deren Sektor die Maßnahme stattfinden soll, einzuholen ist, »bevor ein Staatsanwalt oder ein Gericht (...) die Überwachung der Maßnahme unmittelbar anordnet«.13.25 Am heftigsten betroffen vom Rückzug der Allierten aus dem Telefonkabel waren Berlins Verfassungsschützer, die wegen nun plötzlich fehlender technischer Einrichtungen zunächst keine Gespräche mehr abhören konnten13.26 und erst eigene Kapazitäten aufbauen mußten. Doch auch Berlins Polizei hatte anfänglich noch Beschränkungen ihrer neuen »Freiheiten« hinzunehmen: Von vier Anträgen wurde im ersten halben Jahr seit Inkrafttreten der Neuregelung lediglich einer genehmigt.13.27 Unterdessen jedoch haben auch in Berlin die Abhörzahlen durchaus »Bundesniveau« erreicht.
»Mir - und damit sehe ich mich in Übereinstimmung mit der Mehrzahl der Bürger und Bürgerinnen - liegt eine effektive Kriminalitätsbekämpfung heute und auch in Zukunft am Herzen, und für diesen Zweck ist die Telekommunikationsüberwachung - auf gesicherter rechtlicher Grundlage - ein unverzichtbares Instrument«,13.28 meldete sich im Herbst 1994 der hessische Innenstaatssekretär Heinz Fromm mit der Sorge zu Wort, die Sicherheitsbehörden könnten den Anschluß an die moderne Technik verlieren. Neben Telefax, Btx und Mailbox sind es insbesondere die Digital- und Mobilfunknetze, die dem früheren Chef des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz Kummer bereiten. Dies nicht etwa, weil eine Überwachung hier technisch nicht möglich wäre, sondern weil die staatlichen Investitionskosten in die neuen Techniken immens sind und z.B. allein für die D-Netze ca. 40-50 Millionen DM betragen.13.29 Daher sollte seiner Ansicht nach »verstärkt Einfluß auf die Systemhersteller genommen werden, damit sie bereits bei der Entwicklung neuer Telekommunikationssysteme entsprechende Überwachungskomponenten mit vorsehen.«13.30 Eine Analyse der polizeilichen Bedürfnisse ist von der AG Kripo der Innenministerkonferenz bereits erarbeitet.13.31 Im Frühjahr 1995 war es dann soweit. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt verabschiedete das Bundeskabinett eine neue Fernmeldeanlagen-Überwachungs-Verordnung (FÜV), die seit dem 18. Mai 1995 in Kraft ist;13.32 sie gilt neben dem herkömmlichen Telefon zugleich auch für das ISDN-Netz der Telekom und für den Bereich der Computer-Mailboxen. Binnen eines Jahres müssen die Netzbetreiber nun die für eine Überwachung notwendigen technischen Voraussetzungen schaffen.
Einhalt gebieten angsichts solcher omnipotenten Vorstellungen in der Überwachungspraxis lediglich die personellen und technischen, insbesondere aber finanziellen Ressourcen. Nach Informationen aus den mit solchen Maßnahmen befaßten Fachdienststellen des Bundeskriminalamtes (BKA) kostet eine Telefonüberwachung je nach Umfang und Dauer bis zu 500000 DM. Für das Abhören der D1- und D2-Mobilfunknetze sind weitere Kostensteigerungen zu erwarten. Hier geht man von Beträgen zwischen 700000 und einer Million DM aus.13.33
Wenig versprechen sollte man sich von der Vorstellung, den Richtervorbehalt auszudehnen.13.34 Zurecht mahnt Werner Sack, Mitglied der Neuen Richtervereinigung hier zur Vorsicht, denn »Richtervorbehalte verhindern keine Grundrechtsverletzungen, sie kontrollieren lediglich deren Anlaß und Ausmaße.«13.35
(Otto Diederichs ist Redakteur und Mitherausgeber des in Berlin erscheinenden Informationsdienstes Bürgerrechte & Polizei/Cilip)
Kameras | Programme auf Diskette |
Inhalt | Der kleine Abhörratgeber |