01.07.97 - Forum
KOMMENTAR
Das Urteil von Lübeck
DIETHART GOOS
Keiner der Beteiligten am Lübecker Brandprozeß kann mit dem Urteilsspruch zufrieden sein. Der Angeklagte Safwan Eid wurde zwar erwartungsgemäß freigesprochen, doch an ihm bleiben nicht unerhebliche Verdachtsmomente haften. Das ließ die Strafkammer mehr als deutlich durchblicken. Doch auf den jungen Libanesen war der Grundsatz anzuwenden, bei Zweifeln zugunsten des Angeklagten zu entscheiden.In dem mehr als neun Monate dauernden Prozeß hatten sich die Lübecker Richter redlich bemüht, das schreckliche Geschehen während der Brandnacht im Asylantenheim Hafenstraße aufzuhellen. Immer wieder stieß die Kammer aber an ihre Grenzen. So rügte der Vorsitzende Richter Rolf Wilcken offenkundige Absprachen unter einem großen Teil der überlebenden Hausbewohner. An die dabei immer wieder geschilderte Idylle in der Hafenstraße mochte Richter Wilcken nicht glauben. Doch das Gegenteil, Streit, Mißgunst und Rache als Motive für vorsätzliche Brandstiftung, war verfahrensrelevant nicht zu beweisen. Sollte es Safwan Eid nicht alleine gewesen sein - oder war er zumindest Mitwisser? Auch diese Fragen mußten angesichts einer schwammigen Beweisage unbeantwortet bleiben.
Daß die Strafkammer durch ihren Vorsitzenden ernste Kritik an den Ermittlungsbehörden übte, zeugt von ihrer Unabhängigkeit. In der Tat gibt es bis heute etliche Ungereimtheiten. Sie betreffen nicht nur jene vier jungen Männer aus Mecklenburg, über deren mögliche Täterschaft noch immer spekuliert wird. Erfreulich deutliche Worte fand Wilcken auch für die gescheiterte Strategie der Verteidigung, aus dem Verfahren einen politischen Prozeß zu machen und den Staat für seine angeblich inhumane Ausländerpolitik auf die Anklagebank zu bringen.
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Copyright: DIE WELT, 1.7.1997
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