Für den 15. April
2000 hat die faschistische NPD nun zum dritten Mal einen Naziaufmarsch
in Göttingen angemeldet. Die vorhergehenden Versuche am
6. November ’99 und am 29. Januar 2000 waren für die Faschisten
ihren eigenen Worten zufolge "Zwei Messer im Rücken,
mit denen sie noch lange nicht nach Hause gehen"...
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Beide
NPD-Anmeldungen wurden vom Oberverwaltungsgericht verboten,
und statt eines Naziaufmarsches fanden antifaschistische Demonstrationen
mit mehreren tausend TeilnehmerInnen statt. Trotzdem darf nicht
davon ausgegangen werden, dass juristische Fehlleistungen der
NPD-Anmelder und ein Anti-Nazi-Klima auch beim dritten Versuch
automatisch zu einem Verbot des angekündigten Naziaufmarsches
führen. Erklärtes Ziel der Faschisten ist es, die "linke
Hochburg" Göttingen zu Fall zu bringen. Nach zwei Misserfolgen
setzt die NPD deshalb auf eine "gerichtsfeste" Anmeldung,
im Vertrauen darauf, dass der Polizeistaat einen genehmigten
Aufmarsch auch gegen den antifaschistischen Widerstand durchsetzen
wird. Diese Zielrichtung der Faschisten wird auch am scheinbar
"unverfänglichen" Motto deutlich. Während sie bei
den beiden vorangegangenen Anmeldungen die Konfrontation mit
den "Linksextremisten" in den Vordergrund stellten,
wollen sie nun gemäß den Zeichen der Zeit "Gegen die EU-Diktatur"
und "Für die Selbstbestimmung Österreichs" demonstrieren.
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"Antifaschistische" Gebärden der "Neuen Mitte"
"Zeitgemäß" sind die Parolen der Nazis, weil die
Position zur Regierungsbeteiligung der ultrarechten FPÖ in
Österreich nun die Gretchenfrage für die Vertreter der
"Neuen Mitte" ist. Nachdem SPD und Grüne eben
diese Mitte für sich in Anspruch genommen haben, wird
auch für sie die Abgrenzung nach rechts zur Notwendigkeit,
um die eigene rassistische Politik zu relativieren. Der konservativen
Regierung diente zu diesem Zweck noch der liebevoll herangezogene
Nazimob auf der Straße. Erst rot-grün hatte die Gelegenheit,
den "hässlichen Deutschen" ins Ausland zu verlegen.
Österreich mit seiner FPÖ und Jörg Haider als Führer-Ersatz
boten sich als Projektiosfläche an. Dabei sind es nicht die
Inhalte der FPÖ-Politik, von denen sich die deutschen Demokraten
abgrenzen. Damit hätten sie auch einige Schwierigkeiten, stehen
Schröder, Scharping und Fischer doch mittlerweile selber für
rassistische Asylpolitik, den unbegrenzten Ausbau des Polizei-
und Überwachungsapparats, den Abbau sozialer Rechte und die
Militarisierung deutscher Außenpolitik. Die FPÖ wird sich
gehörig anstrengen müssen, um der deutschen Regierung
auf diesem Gebiet das Wasser reichen zu können.
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FPÖ
zwischen den Extremen
Es ist vor allen Dingen
der Bezug Haiders auf den Nazifaschismus verbunden mit einem
scheinbar modernen Image, der ihn von den Politikern der "Neuen
Mitte" unterscheidet. Schröder und Konsorten können die
FPÖ nicht inhaltlich angreifen, ohne dabei ihr eigenes neurechtes
Gesicht zu offenbaren. Bleibt ihnen nur, die Liebäugeleien
der FPÖ mit dem Faschismus in den Vordergrund zu stellen,
die dann vom Medienmenschen Haider einfach abgestritten werden.
Haider und die FPÖ stehen zwischen den Faschisten und den
Extremisten der Mitte, die deutsche Regierungspolitik machen.
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Wegen
der realen politischen Nähe zur FPÖ wird die "neue Mitte"
der BRD ihre Abgrenzungsallüren sicher bald vergessen.
Spätestens wenn sich zeigt, dass "ganz normale" Regierungspolitik
auch unter den ideologischen Vorzeichen der FPÖ funktioniert.
"Ganz normal" bedeutet nämlich in der BRD wie in Österreich
ohnehin staatlichen Rassismus und gesellschaftliche Umstrukturierung
nach rechten Modellen.
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Alte
Rebellen jetzt "Neue Mitte"
Faschisten marschieren im Schatten des rechten Vormarsches als
sein extremer Ausdruck. Ihre Solidaritätsbekundungen mit der
österreichischen Regierungskoalition weisen einmal mehr darauf
hin, dass ihre Forderungen längst Eingang in die Programme der
Regierungsparteien gefunden haben, die in Deutschland und Österreich
so verschieden nicht sind. Die rot-grüne Mitte spielt dabei
eine ganz eigene Rolle. |
Die Ex-68er-Regierung
ist die erste der BRD, die einen "selbstbewussten"
Umgang mit der deutschen Geschichte pflegen kann, haben ihre
Politiker doch scheinbar den Bruch mit der faschistischen Vergangenheit
schon längst vollzogen. "Selbstbewusst" heisst hier
zum einen, dass die Unmöglichkeit eines Abschlusses der "deutschen"
Geschichte jetzt endgültig zur Staatsdoktrin erhoben ist.
Zum anderen bedeutet es den Versuch von rot-grün, den Begriff
"Antifaschismus" ideologisch neu zu prägen. Da der
Staat nun definitionsgemäß "antifaschistisch" ist,
kann er sich seinen eigenen Faschismus herdefinieren. Dieser
kann nur der Abgrenzung nach rechts dienen wie es mit Österreich
und der FPÖ momentan geschieht oder auch der Rechtfertigung
eines Angriffskrieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien dienen,
wie es im letzten Jahr der Fall war. Solch gnadenlose Verdrehung
politischer Begrifflichkeiten wären einer konservativen Regierung
kaum abgenommen worden. Den ehemaligen Friedensrebellen fällt
es jedoch nicht schwer, ihre Bomben als "antifaschistisch"
zu verkaufen. Der deutsche Nationalismus der Konservativen und
Faschisten wird von rot-grün so effektiv durchgesetzt,
wie seine offenen Verfechter es sich nur wünschen können.
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Ideologischer
Bastelbogen: Links-Mitte-Rechts
Der rot-grünen Abwicklung der faschistischen deutschen
Vergangenheit steht die Abwicklung der DDR gegenüber. Von
ihr grenzt sich die seit dem Mauerfall vollschlanke BRD im gleichen
Zug ab und stellt sie als ein dem Faschismus vergleichbares
totalitäres System dar. Die beiderseitige Abgrenzung lässt den
jetzigen Staat als "goldene Mitte" erscheinen, der
mit den rechten und linken "Extremen" nichts zu tun
hat. Deren Ideologien werden als "totalitär" gleichgesetzt.
Im Gegensatz zu dieser "Totalitarismusthese" steht
der revolutionäre Antifaschismus, der die Wurzeln des Faschismus
im kapitalistischen System sieht. Der Staat, dem eben dieses
System zugrundeliegt, versucht deshalb, solchen Antifaschismus
zu entpolitisieren, ihn als "einfach nur das andere Extrem"
hinzustellen. Dieses staatliche Vorgehen ist auch im liberalen
Göttingen zu spüren. So gingen mit den Verboten der beiden
Naziaufmärsche auch immer Verbote möglicher Gegendemonstrationen
autonomer AntifaschistInnen einher. Genehmigt wurden in beiden
Fällen nur die Aktionen "demokratischer Kräfte" wie
des DGB. Die Rechts-Mitte-Links-Konstruktion erlaubt es der
Polizei, sich als Verteidiger der Demokratie darzustellen, die
die undankbare Aufgabe übernimmt, sich mit den Extremisten
herumzuschlagen. Für den 15. April 2000 ist es genausogut
denkbar, dass der Naziaufmarsch von den Gerichten erlaubt wird.
Auch in diesem Fall werden es Stadtverwaltung und Polizei verstehen,
sich als "demokratische Mitte" zu positionieren. So
wird die Polizei ihre Aufgabe darin sehen, "die Extremisten
zu trennen". In der Praxis bedeutet das ein Totalverbot
linker Gegenaktionen und das Durchprügeln des Naziauf-
marsches gegen antifaschistischen Widerstand. Beispiele für
dieses Szenario gab es in den letzten Wochen genug, so am 3.
März 2000 in Braunschweig und am 10. März 2000 in Berlin.
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Mit
Rechts gegen Rechts?
Unabhängig davon, welches dieser beiden Szenarios
den Tag bestimmen wird, sind die Rahmenbedingungen für
den 15. April 2000 deutlich verändert: Bislang hatten die
linksradikalen Gruppen in Göttingen sich mit dem DGB und anderen
bürgerlichen Gruppen und Parteien auf einem gemeinsamen
Bündnistreffen koordiniert. Dieses Bündnis hatte
nur ein gemeinsames Ziel und nur eine politische Übereinstimmung:
Naziaufmärsche in Göttingen zu verhindern. Jedoch sind Bündnisse
mit bürgerlichen Kräften für autonome AntifaschistInnen
immer Grenzgänge. So schloss das Anti-Naziaufmarsch-Bündnis
die Grünen und die SPD, also die Paradevertreter der
"Neuen Mitte", mit ein. Im Zuge der Vorbereitungen
für den 15. April 2000 wurde mit der Teilnahme des rechten
AStA, der CDU und der Jungen Union am Bündnis die Grenze
für eine mögliche Zusammenarbeit eindeutig überschritten.
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Die Weigerung
der restlichen Gruppen im Bündniss, sich gegen eine Teilnahme
dieser rechten Gruppen zu positionieren, hatte den Austritt
der Autonomen Antifa [M] und anderer linker Gruppen aus dem
Bündnis zur Folge. Dass CDU und Junger Union ein Forum
auf einem "Bündnistreffen gegen Rassisten"
geboten wird, stellt einmal mehr die Schizophrenie des bürgerlichen
Antifaschismus unter Beweis. Schließlich fielen diese vor
kaum einem Jahr bei ihrer Unterschriftenkampagne gegen die
doppelte Staatsbürgerschaft durch ihre maßlose rassistische
Hetze auf. Ziel der rechten Gruppen bei ihrer Beteiligung
am DGB-Bündnis ist es, ihre rechtsreaktionären Inhalte
auch in linksliberalen Kreisen in die Diskussion zu bringen
und ihrer Position so scheinbare Legitimität zu verschaffen,
um sie schließlich gesellschaftlich zu etablieren. Die Eigenverortung
des Bündnisses in der "demokratischen Mitte"
bleibt nach rechts offen. Auch hier wird der vermeintliche
Antifaschismus zur reinen Abgrenzungsgeste. Für die "Göttinger
Verhältnisse" ist deutlich geworden, wo Bündnisse
ihre Grenzen haben.
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Für
eine starke Linke!
Unabhängig davon, ob die Faschisten tatsächlich
versuchen, am 15. April 2000 zu marschieren, wird es eine
gemeinsame Demonstration der Göttinger Linksradikalen geben.
Ziel dieser Demonstration ist zum einen, den Faschisten das
metaphorische "dritte Messer" in den Rücken
zu stechen. Zum anderen muss die Vermittlung einer revolutionär
antifaschistischen Position im Vordergrund stehen. Die Mobilisierungsfähigkeit
der Linken zu Anti-Nazi-Aktionen muß genutzt werden, um die
Ideen alternativer, fortschrittlicher Gesellschaftsmodelle
auch weiterhin am Leben zu erhalten. Die Gegnerschaft zum
kapitalistischen System geht dabei darüber hinaus, ihn
nur als die Wurzel des Faschismus anzugreifen.
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Die Demonstration am 29. Januar hat gezeigt, daß es vor allem
Autonome AntifaschistInnen sind, die bereit sind, sich den
Faschisten auf der Straße entgegenzustellen. Die Bündnisdemonstration
unter Federführung des DGB wird am 15. April 2000 am
Bahnhofsvorplatz ab 11 Uhr symbolisch bekunden, dass "sich
eine Stadt wehrt." Wahrnehmbar über die symbolische
Ebene hinauszugehen, sollte aber unser Ziel an diesem Tag
sein. Wenn die Faschisten aufmarschieren werden wir diese
mit allen Mitteln bekämpfen und ihr Unterfangen behindern.
Wenn die Faschisten nicht marschieren, werden wir zusammen
den revolutionären Antifaschismus auf der Straße manifestieren.
Faschisten
bekämpfen bedeutet, den nationalen Konsens von Faschisten,
Reaktionären und neuer Mitte zu kippen !
göttingen
- märz 2000
autonome antifa [m]
organisiert in
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