Keine
Revolution ist auch keine Lösung!
Ehrlich gesagt, Revolutionen gab es bisher selten am 1. Mai. Den
Anspruch, sich die Hoffnung auf diese nicht nehmen zu lassen, schon
eher. In zahlreichen Regionen der Erde ist er das zentrale Datum,
wenigstens partiell die Machtfrage zu stellen, zumindest aber offenden
jeweiligen Autoritäten den Mittelfinger zu zeigen in
Staaten mit faschistischen Zügen vom Bosporus bis Lateinamerika
ein oftmals tödliches Risiko. Ein Tag also aufgeladen mit viel
Symbolik und Pathos zahlreichen Vereinnahmungsversuchen ausgesetzt.
Doch den rebellischen Kontext als internationaler Kampftag gegen
das kapitalistische Verwertungssystem können auch all die Würstchenstände
deutschlandauf deutschlandlandab eben nicht immer verdecken. Und
in diesen kurzen Momenten der Handlungsfähigkeit manifestiert
sich der Anspruch, die Spielregeln des herrschenden Systems nicht
an zu erkennen und sich ein zu reihen in das zeitgleiche Aufbegehren
in Seoul, Zürich, London, San Francisco oder Istanbul.
Keine
Nazis sind auch noch keine Lösung
Dabei
ist der 1. Mai für die radikale Linke in Deutschland auch zunehmend
Kampftag um das richtige Konzept: Sollen die eigenen Inhalte offensiv
vorangetrieben werden oder gilt es diesen oder jenen Naziaufmarsch
zu verhindern? Wenn die eigene Politik auf die Straße getragen
werden soll, dann Aktionen in der eigenen Region unterstützen
oder zur revolutionären 1.Mai Demo nach Berlin mobilisieren?
Und wenn Berlin, zu welcher Demo? Die diversen Möglichkeiten
lassen sich dabei weder gegeneinander diskutieren noch pauschal
beantworten. Natürlich sind die kapitalistischen Verhältnisse
ohne Stiefelnazis nicht weniger ausbeuterisch und der staatliche
Rassismus für die Flüchtlinge nicht weniger tödlich.
Doch das sagt sich leicht im schnuckeligen Göttingen, wo die
Motivation überhaupt mal nen echten Nazi zu sehen
ihren Teil an der innerstädtischen Mobilisierung beiträgt.
In Gegenden, wo Nazis Dominanzcharakter erreicht haben, verschieben
sich die Prioritäten schnell, wenn mensch unbewaffnet nicht
mal mehr den Müll rausbringen kann. Der Eingriff in die Lebenswelt
potentieller Opfer ist hier unmittelbar und massiv. Antifaschistische
Praxis muss überhaupt erst einmal Handlungsspielräume
für linke Politik und Kultur schaffen. In Städten, wo
derartige Spielräume zeitweise bestehen, ist dieses Privileg
auch Verpflichtung diese Räume bis an die Grenzen auszunutzen
und linke Theorie und Praxis weiterzuentwickeln, ohne einen eigenen
Überlebenskampf führen zu müssen. Nur so können
Gegenden mit schwächerer linker Infrastruktur letztlich sinnvoll
und perspektivisch unterstützt werden. Und weil das politische
Koordinatensystem in Göttingen ein anderes ist als in mancher
Kleinstadt, an der jede 68er Revolte spurlos vorüber gezogen
ist, kann sich hier konfrontative Politik nicht in der andernorts
erstmal nötigen Forderung nach Zivilcourage erschöpfen.
Die Aufgabe der radikalen Linken muss es hier sein die Möglichkeiten
direkter Interventionen auch auszuschöpfen und Konflikte mit
Blick auf eine generelle Kapitalismuskritik zu zu spitzen. Dabei
kann bereits in der Form des Widerstandes deutlich werden, dass
mensch sich nicht an die vorgegebenen Spielregeln des gesellschaftlichen
Diskurses zu halten gedenkt. Barrikaden vermitteln dies ebenso wie
ein schwarzer Block in einer Demonstration oder direkte Aktionen.
Dabei liegt der Erfolg wie generell beim letztlich revolutionsarmen
1. Mai bereits in der öffentlich wahrnehmbaren Artikulation
eines Widerstandes an sich, der sich der gesellschaftlichen Vereinnahmung
entzieht und nicht aus einem linken Kontext herauszulösen ist.
Piercen
statt Bauchnabelpolitik!
Dieser 1. Mai ist für die Linke dabei generell
eine win-win-Situation, denn egal für welche Aktion sich entschieden
wird, viel falsch machen kann mensch nicht. Bietet sich doch die
erfreuliche Ausgangslage, dass gerade unterschiedliche Aktionen
nebeneinander stehen können und im günstigen Fall ein
breites Spektrum linker Handlungsfähigkeit deutlich wird. Es
bietet sich an, bereits am 30. April die Autonome Antifa Südharz
in Norhausen bei ihrer Demo Eure Gewalt hat System
Euer System ist Gewalt und damit auch die erfolgreiche Vernetzung
Autonomer Thüringer Antifagruppen (ATAG) zu unterstützen.
Und weiter ist es nicht nur für GöttingerInnen sinnvoll
und praktisch möglich, am 1. Mai zunächst den Nazis den
Vormittag zu versauen und dann abends in Berlin mit der revolutionären
Demonstration um 18 Uhr einen lautstarken eigenständigen Akzent
zu setzen, die trotz allem Gemäkel immer noch wichtiger Kristallisationspunkt
der (post-)autonomen Bewegung ist. Weder die Einordnung als sinnentleertes
Gewaltritual, noch der Wunsch nach Sinnstiftung durch eben gar keinen
Sinn, der total destruction, werden dabei dem 1. Mai in Berlin gerecht.
Teil der europaweiten Ausstrahlungskraft dieses Top Events der radikalen
Linken ist eben doch der eindeutige politische Kontext zwischen
traditionellem Kampftag der ArbeiterInnenbewegung und autonomen
Tanz auf dem Vulkan. So oder so ist nicht hoch genug zu schätzen,
dass hier mit jedem Stein gegen die Verhältnisse dieser Welt,
auch das Potential für die Emanzipation der handelnden Individuen
freigesetzt wird.
Antifa statt Verbote!
Das Wissen, dass auch
eine ganze Serie von rangekarrten Naziaufmärschen am Kräfteverhältnis
in Göttingen erstmal nichts ändert, darf nicht dazu führen
zu unterschätzen, dass mit einer langsamen Gewöhnung auch
eine schleichende Klimaveränderung einhergeht. Der
deutsche Blockwart ist auch in Göttingen nicht weniger rassistisch
als sonst im Land, nur traut er sich noch nicht immer dies auch
jenseits von GT-LeserInnenbriefspalte und Schützenfest offen
auszuleben. Sein Rassismus ist Ergebnis der Produktionsverhältnisse
und bürgerlicher Ideologie und mit Verboten von Nazi-Cliquen
oder der NPD nicht aus der Welt zu schaffen. Vor
dem Konkurrenzdruck des kapitalistischen Verwertungsmarktes fliehen
die Menschen ins nationale Kollektiv, das die Geborgenheit einer
Gemeinschaft vorgaukelt und alles, was von außen kommt, als
feindlich wahrnimmt. Für den Schritt von dieser vermeintlichen
Selbstbestimmung durch Abgrenzung bis zum rassistischen Totschläger
braucht es manchmal wenig nur Promille. Im gemeinsamen Ursprung
aus der kapitalistischen Vergesellschaftung besteht dabei die Wesensverwandschaft
zwischen bürgerlicher Demokratie und Faschismus. Für die
radikale Linke heißt das, dass ihr Gegner unabhängig
vom Kampf gegen Nazis oder der Auseinandersetzung mit demokratischen
RassistInnen immer dieses System als Ganzes ist. Ein Ende
des bürgerlichen Wahn-Sinns, von dem auch der Rassismus nur
Symptom ist, ist nur durch die Abschaffung der kapitalistischen
Konkurrenz- und Ausbeutungssituation möglich.
Kapitalismus abschaffen!
Seit den Anschlägen des 11.September 2001 soll nichts so sein
wie vorher. Aus ist es mit der Spaßgesellschaft wird verkündet.
Wir können dazu nur sagen, dass die Rede von der Spaßgesellschaft
von Anfang an eine Lüge war. Das Versprechen von Individualität
und Freiheit kann sie unmöglich einlösen, solange alles,
was sie an zu bieten hat, Ware bleiben muss. Wenn jetzt dem Individualismus
abgeschworen werden soll, damit die Menschen sich wieder in Gemeinschaften
zusammen finden, dann weiß eigentlich jedeR, was in Deutschland
damit gemeint ist.Deutschland packts an verkünden
überdimensionale Werbetafeln, und mensch muss schon unbedingt
zum nationalen Kollektiv gehören wollen, um zu vergessen, dass
dies ausgerechnet mit dem größten militärischen
Engagement seit dem Zweiten Weltkrieg zusammenfällt. Und dennoch:
Mit und ohne Uniform, im globalen Kapitalismus sind keine Deutschen
leider auch noch keine Lösung. Nur im internationalen Bezug
lassen sich antikapitalistische Ansätze sinnvoll weiterentwickeln.
Der 1. Mai bietet sich durch seinen weltweiten Kontext als Fokus
linksradikaler Bewegung an.
Wir haben nicht vor, dazu zu gehören. Wir haben niemandem etwas
anzubieten außer dem Bewusstsein davon, dass Freiheit, Gleichheit,
Privateigentum die Konstitution des Ganzen als Falsches bedeuten,
und dass Deutschland mit seiner Geschichte Beweis ist für die
Barbarei, die in dieser Konstitution enthalten ist. Wenn darin auch
die Erkenntnis erwächst, dass es kein richtiges Leben im Falschen
geben kann, ist es trotzdem nie falsch das Richtige zu tun: Perspektiven
können nur aus Handlungen erwachsen, die zur Bewegung werden.
Autonome
Antifa [M] | April 2002
autonome
antifa [m]
c/o buchladen rote straße
nikolaikirchhof 7
37073 göttingen
[T] 0551/7 70 48 89
[F] 0551/7 70 43 62
[E] aam@mail.nadir.org
[I] www.puk.de/aam
|