1:1 für den antifaschistischen Widerstand
Die folgenden Zeilen sollen in kurzer Weise den Verlauf des Verfahrens und die durch Gerichte gefällten Entscheidungen darstellen. Am Ende der Broschüre könnt Ihr nochmals in der Chronologie weitere Informationen nachblättern.
Im Februar 1995 erhielten 17 Göttinger AntifaschistInnen eine 216 Seiten
umfassende Anklageschrift wegen Mitgliedschaft in einer "kriminellen
Vereinigung nach §129 StGB.
Diese Vereinigung sollte die Autonome Antifa (M) sein. Den Anklagen
vorausgegangen waren 30 Hausdurchsuchungen im Juli 1994 gegen eben diese Personen.
Im Sommer 1995 jedoch lehnte das zuständige Oberlandesgericht Celle zum
Leidwesen des Generalstaatsanwalts Endler und des Oberstaatsanwalts Pfleiderer
eine Eröffnung der Hauptverhandlung nach §129 ab. Auf Beschwerde
der Generalstaatsanwaltschaft Celle (GSA) unter tatkräftiger
Schützenhilfe durch die Bundesanwaltschaft unter GBA Kay Nehm entschied
der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) jedoch im Spätsommer,
daß die 17 nun doch hinsichtlich der "kriminellen Vereinigung
Autonome Antifa (M) vor Gericht ziehen müssen. Zuständig dafür
sollte die Staatsschutzkammer (SSK) des Landgerichtes Lüneburg sein.
Damit schien die Entscheidung gefallen, sprach doch auch die SSK mit ihrer
Tradition der politischen Verfolgung Bände. Diese Staatsschutzkammer hatte
in den 50ern - wie viele deutsche Gerichte - nicht nur ehemalige Nazi-Juristen
in ihren Reihen, sondern hatte sich vor allem in der Zeit der
Kommunistenverfolgung einen reaktionären Namen verschafft.1
Auch die Ankündigung, daß der Prozeß am 8. Mai 1996 - dem
51. Jahrestag der Befreiung vom Nazi-Faschismus - eröffnet werden sollte,
sprach für das der deutschen Klassenjustiz eigene Taktgefühl.
Aber ein Prozeß gegen 17 AntifaschistInnen benötigt
Räumlichkeiten. Auch hier fanden Staatsanwaltschaft und Gericht eine
für sie typische Antwort. Auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne
des Bundesgrenzschutzes sollte eine Reithalle für offiziell 380.000 DM
ausgebaut werden. Der Großteil dieses ehemaligen paramilitärischen
Polizeicamps dient bis heute einer sogenannten ZASt, einer "Zentralen
Aufnahme-Stelle für Flüchtlinge, wo diese kaserniert und von
der Umwelt abgeschirmt auf die Entscheidung über ihre Asylanträge
warten müssen.
Diese Bedingungen schienen dem Gericht nicht ausreichend politischen
Zündstoff zu bieten, weshalb sie den
17 Angeklagten im Winter 1995 die Bedingungen für den Prozeß
benannten. Gefordert wurde für jedeN AngeklagteN einE zweiteR
AnwältIn, und die Prozeßtage wurden zunächst auf 114
festgelegt, später dann auf 131 erhöht. Drei Mal pro Woche sollte es
nach Lüneburg gehen.
Damit hatten Gericht und Staatsanwaltschaft eine optimale Ausgangslage
geschaffen, um die nächsten Schritte einzuleiten. Schritte, wie sie in
politischen Verfahren in den vergangenen Jahrzehnten häufig gegen die
Linke angewandt wurden.
In dieser Phase schien die Zeit für die SPD gekommen. Die Blockade der
Justizministerin, dem Ausbau der Reithalle nicht zuzustimmen2, ließ in
der Öffentlichkeit den Eindruck entstehen, als sei die SPD mit dem
"Holzhammer-Vorgehen des Gerichts und der GSA nicht einverstanden. Der
Prozeß mußte zunächst mangels Räumlichkeiten auf den 14.
August 1996 verschoben werden.
Diese Blockade war das Startsignal für eine neue Variante. Die Variante
hieß:
Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen (§153a StPO) - offiziell
eingeleitet durch die SPD mit der sogenannten "Oppermann-Initiative.
Nach §153a StPO sollte nun eine Einstellung des anstehenden
Mammutprozesses möglich sein, fünf Jahre Verfolgung und
Ausschnüffelung spielten plötzlich keine Rolle mehr. Es ging vielmehr
nur noch um Bedingungen und Auflagen, um ein Abpressen eines vorrangig
politischen Schuldgeständnisses der Angeklagten stellvertretend für
die Autonome Antifa (M). Der erste Vorstoß, der bereits Ende 1995 von
SPD-Unterhändler Oppermann (MdL/Nds) und der GSA ausgebrütet wurde,
lautete wie folgt:
1. >>Mir ist bekannt, daß die Gruppe "Autonome Antifaschisten
(M) seit 1990 in Südniedersachsen und hierbei insbesondere in
Göttingen eine Reihe von Demonstrationen unter Teilnahme sogenannter
"schwarzer Blöcke vorbereitet und durchgeführt hat. Hierbei
sind verschiedene Strafgesetze verletzt worden.
Auch ich habe als Angehöriger der "Autonomen Antifaschisten (M) an
einem Teil dieser Demonstrationen in strafbarer Weise mitgewirkt.
2. Ich erkläre daher, in Zukunft keine strafbaren Handlungen zu begehen. Insbesondere werde ich mich an der Vorbereitung und an dem Marsch "schwarzer Blöcke nicht beteiligen. Die Vorschriften des Versammlungsgesetzes zum Verbot der Vermummung, Bewaffnung und Tragen von Schutzbewaffnung werde ich beachten und einhalten.<<
3. Ein Betrag in Höhe von 100.000 DM soll an die Staatskasse gezahlt werden. Auf die bei den Hausdurchsuchungen im Juli 1994 in Göttingen beschlagnahmten Gegenstände, darunter Computeranlagen im Wert von mehreren zehntausend DM, soll zugunsten des Landeskriminalamtes verzichtet werden.
Dieser von Oppermann als >>Chance für die Angeklagten<< verkaufte Vorstoß hat es in sich. Eine Unterschrift unter ein solches Schuldeingeständnis hätte in diesem Fall die Konstruktion des Organisationsdeliktes §129 gegebenenfalls untermauert. Diese Sätze besagen nicht nur, daß der/die Unterschriftleistende Mitglied der Autonomen Antifa (M) ist, sondern ebenfalls, daß in der Vergangenheit in >>strafbarer Weise<< gehandelt wurde und daß an schwarzen Blöcken teilgenommen wurde. Damit hätte die GSA weder in die Verlegenheit kommen müssen, festzustellen, wer Mitglied in der Autonomen Antifa (M) ist, was aber Voraussetzung für die Anwendung des §129 gewesen wäre, noch hätte sie den Beweis antreten müssen, ob die nichtangemeldeten Demonstrationen "Verstöße gegen das Versammlungsgesetz waren. Dies alles wären Fragen gewesen, die im Falle eines Prozesses zunächst im Mittelpunkt gestanden hätten und die für die Anwendung des §129 von zentraler Bedeutung sind.
Aufgrund dieser Tatsachen sind alle 17 Angeklagten auf die oben genannten
Forderungen nicht eingegangen. Stattdessen ging die Autonome Antifa (M) mittels
einer Presseerklärung am 27. April '96 an die Öffentlichkeit.
Die Reaktion seitens des Gerichts und der GSA ließ nicht lange auf sich
warten. Sie reagierte mit einer >>Presseerklärung zur
Presseerklärung<< (2. Mai '96). Der Preisverfall war deutlich zu
sehen:
Die Angeklagten sollten jetzt nur noch insgesamt 51.000 DM an die
geschichtsrevisionistisch umgestaltete Gedenkstätte des ehemaligen KZ
Buchenwald bei Weimar zahlen.3
Das Gericht und die GSA bestanden weiterhin auf einer Erklärung der 17
Angeklagten. Zur Herausgabe der beschlagnahmten Gegenstände
äußerten sie sich in der Weise, daß darüber "ja geredet
werden könne.
Nachdem auch dieser Vorstoß abgelehnt wurde, verhandelten die AnwältInnen der Angeklagten mit dem Gericht sowie der Staatsanwaltschaft. Endgültiges Ergebnis ist ein Einstellungsangebot mit folgenden Auflagen:
1. Die Verteidigung erklärt: >>Wir Anwältinnen und Anwälte haben unsere Mandanten über die Bestimmungen des Versammlungsrechts eingehend informiert. Die Mandantinnen und Mandanten haben ihrerseits erklärt, die Bestimmungen des Versammlungsrechts zukünftig zu berücksichtigen.<<
2. Die Angeklagten überweisen je 3.000 DM an eine Gedenkstätte eines ehemaligen KZ. Das Gericht bestand auf Zahlung des Geldes an die Gedenkstätte des ehemaligen KZ-Mittelbau/Dora (Nordhausen)4, obwohl die Angeklagten per Antrag forderten, das Geld der "Lagergemeinschaft Buchenwald/Dora zu spenden, also den ehemaligen Häftlingen. Dieser Antrag wurde ohne Begründung abgelehnt.
3. Die bei der Anti-Antifa-Razzia vom 5./6. Juli 1994 beschlagnahmten persönlichen Materialien werden zurückgegeben. Ausnahme sind die Dokumente der Autonomen Antifa (M), die das Institut für Sozialforschung in Hamburg erhält.
4. Die bislang angefallenen Ermittlungs- und Verfahrenskosten in Millionenhöhe einschließlich der Anwaltskosten (Pauschbeträge für bisherige Auslagen) trägt ausnahmslos die Staatskasse.
Hiermit werden nicht nur die Verfahren gegen die 17 Angeklagten und weiteren Beschuldigten sowie Verdächtigen eingestellt, sondern offiziell auch alle Ermittlungen bezüglich der Demonstrationen, die seit den Hausdurchsuchungen von der Autonomen Antifa (M) initiiert wurden. Die GSA sicherte sich im Gegenzug das Interpretationsmonopol zur Erklärung. D.h., die Angeklagten dürfen bis zur endgültigen Einstellung der von der Kammer vorgenommenen Deutung der abgegebenen Erklärung nicht öffentlich widersprechen. Das Bestehen auf der Deutung der Erklärung ist letztlich nur der hilflose Versuch der GSA, den immensen und, was den Prozeß betrifft, erfolglosen Ermittlungsaufwand politisch zu rechtfertigen. Zudem wird hier deutlich, wie einfach es für die staatlichen Organe ist, so ganz nebenbei das Grundrecht der freien Meinungsäußerung außer Kraft zu setzen.
Der Erfolg der Staatsschnüffler bleibt, die Autonome Antifa (M)
durchleuchtet und weitere linke Kreise erfaßt zu haben. Die dabei
gesammelten Daten werden sich in zukünftigen Verfahren gegen politisch
aktive Menschen sicherlich wiederfinden.
Am 30. August 1996 wurden die 51.000 DM durch die AnwältInnen
überwiesen.
Am 16. September 1996 wurde das Verfahren endgültig eingestellt.
Anmerkungen:
1 Folgende beispeilhaft genannte Nazi-Richter und Staatsanwälte waren an
der Verurteilung und Verfolgung
vor allem junger KommunistInnen in den 50/60er Jahren beteiligt:
a. Dr. Konrad Leski, Landgerichtsdirektor und zeitweilig Vorsitzender der
Sonderstrafkammer Lüneburg.
b. Dr. Liebau, Oberstaatsanwalt
c. Karlheinz Offersbach, Staatsanwalt
2 Unter der Überschrift >>Kein Reithallen-Umbau für Prozeß<< am 27. Januar 1996 hieß es im ortsansässigen Göttinger Tageblatt, >>Wer glaube, für einen solchen Umbau stünden 300.000 Mark zur Verfügung, habe "den Ernst der Haushaltslage noch nicht erkannt, sagt Alm-Merk. ( ) Das Justizministerium will sich nach Angaben von Alm-Merk jetzt gemeinsam mit dem Landgericht und anderen öffentlichen Stellen im Niedersächsischen Lüneburg um eine "kostenneutrale Lösung bemühen. Im Dezember hatte die Lüneburger Staatsschutzkammer einen Antrag der Verteidigung abgelehnt, den Prozeß nach Göttingen verlegen zu lassen.<<
3 Mit der Annexion der DDR durch die BRD sind Gedenkstätten auf den
Geländen der ehemaligen KZs in der ehemaligen DDR umgestaltet worden.
Gerade Buchenwald - als Symbol für (kommunistischen) Widerstand und
Selbstbefreiung - spielte im letzen Jahr zum 50. Jahrestag der Befreiung vom
Nazi-Faschismus eine herausragende Rolle. An diese Gedenkstätte legten die
Geschichtsrevisionisten des BRD-Staates Hand an und
versuch(t)en der Gedenkstätte ganz in der Manier der
Totalitarismustheorie eine andere Bedeutung zu geben. So wird beispielsweise
versucht das Vernichtungslager der Nazis mit dem Internierungslager der
Sowjetunion nach Ende des II. Weltkrieges gleichzusetzen. Dieses Lager
diente größtenteils zur Inhaftierung ehemaliger Nazis (über
80%). Oder es wird versucht, Kommunisten, die Teil des illegalen
internationalen Lagerkomitees gewesen sind, zu verleumden. Wie in vielen
anderen Gedenkstätten sind die Ausstellungen durch westdeutsche
HistorikerInnen "gereinigt worden und in die offizielle
Geschichtsschreibung eingereiht worden.
4 Auch diese Gedenkstätte ist von West-HistorikerInnen umgestaltet worden,
jedoch stand diese nicht so im öffentlichen Interesse wie Buchenwald. Dora ist
ein ehemaliges Außenlager von Buchenwald.
Der ursprüngliche Wunsch der 17 Angeklagten war es, die 51.000 DM an die
Gedenkstätten des ehemaligen Frauen-KZ Ravensbrück zu spenden. Dieser
Antrag sowie alle anderen sind von Seiten des Gerichts ohne Begründung
abgelehnt worden. Dies bedeutet letzlich doch, daß die 51.000 DM an
staatliche Stellen fließen.