1:1 für den antifaschistischen Widerstand

Die Wahl der Qual

 

Wenn das Verfahren gegen die Autonome Antifa (M) schon seit dessen Bekanntgabe 1992 eine große Öffentlichkeit zumindest in der Region hatte, so hatte sie die anstehende Prozeßeröffnung erst recht. Alle politischen Kräfte waren bis ins Detail informiert über den jeweiligen Stand der Verfahren, aber auch große Teile der "normalen” Öffentlichkeit waren über die Medien mit dem Prozeß konfrontiert.
Bundesweit steigerte sich das Interesse sowohl der politischen Gruppen und einzelner Engagierter als auch der Medien, je näher der Prozeßtermin rückte. Das Verfahren war also nicht eins von den politischen Verfahren, die hinter verschlossenen Türen in der Anonymität geführt werden und so ein schnelles Aburteilen garantieren können ohne größeres Aufsehen in der Öffentlichkeit zu befürchten. Mit der breiten Aufklärung einher ging eine nicht minder breite Solidarität von linksradikalen bis zu bürgerlichen Kräften. Der Prozeß mitsamt seinen Bedingungen ist als Absurdität wahrgenommen worden, als vollkommen überzogene Attacke der reaktionären Generalstaatsanwaltschaft, die lediglich von CDU und rechten SPD-Kreisen gerechtfertigt wurde.
Selbst die Unstimmigkeiten zwischen der GSA und der Landesregierung und zwischen dem LKA Niedersachsen und der Göttinger Polizei gerieten in die öffentliche Debatte und stärkten somit nicht das harte Vorgehen der GSA.
Kaum ein anderer politische Prozeß der letzten Jahre hatte bisher soviel Öffentlichkeit und so günstige politische Rahmenbedingungen wie der Prozeß gegen die Autonome Antifa (M) gehabt hätte und schon im Vorfeld hatte.
Dennoch entschieden sich die Angeklagten dafür, den Prozeß nicht zu führen und der Einstellung mit Auflagen zuzustimmen.

Die Autonome Antifa (M)…

Der Aufbau von Solidaritätsarbeit und den notwendigen Strukturen nach den Hausdurchsuchungen im Juli 1994 ist in erster Linie von der Autonomen Antifa (M) selbst organisiert und vorangetrieben worden.
Es ist von Vorteil, wenn eine von Kriminalisierung betroffene Gruppe selbst die Solidaritätsarbeit initiiert. Authentische Informationen sind so garantiert und eine Einschätzung des staatlichen Angriffs kann oftmals von den Betroffenen selbst am besten gegeben werden.
So hat sich die Autonome Antifa (M) seit den Hausdurchsuchungen stark auf Anti-Repressionsarbeit konzentriert. Auch wenn politische Initiativen zu anderen Schwerpunkten weiterhin organisiert wurden, ist ein Kapazitätenverlust durch die intensive Anti-Repressionsarbeit nicht zu leugnen.
Die Alternative wäre jedoch gewesen, den Prozeß auf sich zukommen zu lassen und Anti-Repressionsarbeit zu ignorieren, womit aber dem gesteckten Ziel, den Prozeß im Vorfeld zu Fall zu bringen, in keiner Weise gedient gewesen wäre.

…und die Angeklagten

Obwohl die 17 Angeklagten für die Autonome Antifa (M) angeklagt waren, waren sie tatsächlich nicht identisch mit der Gruppe. Es wäre jedoch in Anbetracht des anstehenden Prozesses taktisch unklug gewesen, einen genauen Einblick in die personelle Einbindung der Angeklagten in der Autonomen Antifa (M) zu geben. Eine einzelne Angeklagte bzw. Angeklagten als Nicht-Mitglied öffentlich zu outen hätte gleichzeitig bedeutet, daß diejenigen, die sich nicht zur Mitgliedschaft äußern, Mitglieder der Gruppe sind. Wäre die Autonome Antifa (M) als "kriminelle Vereinigung” nach [[section]]129 abgeurteilt worden, hätte die Anklagebehörde immer noch jedem und jeder Einzelnen die Mitgliedschaft in der Autonomen Antifa (M) beweisen müssen.
Ohne den Kernpunkt der Verfahren - radikale antifaschistische Arbeit als "kriminell” zu verurteilen - aus den Augen zu verlieren, sollte der GSA und dem Gericht nicht durch voreilige Mitgliedschaftsbekenntnisse die Beweislast abgenommen werden.
Zu den prozeßstrategischen Überlegungen kam die Einsicht, daß eine Zerfaserung der Angeklagten und eine offizielle Trennung von Angeklagten und Autonome Antifa (M) den politischen Druck gemindert hätten und ein offensives Vorgehen kaum möglich gewesen wäre. So sind politisches Vorgehen und öffentliche Stellungnahmen durch die Autonome Antifa (M) bestimmt worden, die Angeklagtengruppe trat nie als eigenständige Gruppe auf.
Gleichzeitig ging es darum, den Kriminalisierungsversuch als das zu werten, was er ist, nämlich als Angriff auf eine organisierte antifaschistische Gruppe und nicht als Angriff auf
17 Individuen. Die 17 waren nicht für ihr antifaschistisches Denken angeklagt, sondern dafür, daß sie nach der Definition der GSA Mitglieder der Autonomen Antifa (M) waren, sich also organisiert hatten. Die Politik der Autonomen Antifa (M) und die Einordnung des Verfahrens in die derzeitige bundesdeutsche Situation stand somit im Vordergrund und nicht die Betroffenheit der einzelnen Angeklagten. So konnte eine Aufteilung von "armen Angeklagten”, deren berufliche und persönliche Perspektive durch den Prozeß ruiniert worden wäre, und politischem Überbau in der Öffentlichkeit verhindert werden.

Einheit _ Gleichheit, aber = gemeinsames Vorgehen

Einhelliges Ziel der Angeklagten und der Autonomen Antifa (M) war ein einheitliches und gemeinsames Vorgehen.
Dieses Ziel entsprach der Überzeugung aller, daß eine sowohl juristische als auch politische Stärke nur durch eine öffentlich wahrnehmbare Einheit erreicht werden kann.
Angesichts der unterschiedlichen Interessenlagen und der damit einhergehenden Unterschiedlichkeit der Angeklagten bedurfte es einer genauen Diskussion über die Spannbreite der für die Angeklagten und die Autonome Antifa (M) vertretbaren Lösungen. Grundsätzliche Übereinstimmung herrschte darüber, daß der Prozeß nicht um jeden Preis geführt und möglichst im Vorfeld durch politischen Druck abgewendet werden sollte.

Inwieweit aber die von Gericht und GSA gestellten Bedingungen akzeptabel sind, haben die Angeklagten unterschiedlich bewertet. Die Positionen reichten von Einstellung unter allen Bedingungen bis bedingungsloser Einstellung.

Stärker als bei geplanten Aktionen wie z.B. Demonstrationen mußte die persönliche Situation und Einschätzung der einzelnen Angeklagten einbezogen werden, denn die Entscheidungen sowie die möglichen Konsequenzen eines Prozesses mußten von individuellen Angeklagten getragen werden.
Der wesentliche Konfliktpunkt war die geforderte politische Erklärung. Hier galt es zum einen, den Spaltungsversuch der SPD, der GSA und des Gerichts abzuwehren und zum anderen eine gemeinsame Lösungsmöglichkeit zu finden. Letztendlich einigten sich alle, daß eine Erklärung, die keine Distanzierung von der Politik der Autonomen Antifa (M) darstellt, tolerierbar ist.
Ob die Verfahren auch bedingungslos eingestellt worden wären, bleibt Spekulation. Tatsache ist jedoch, daß ein Prozeß nur mit wenigen Angeklagten und möglichen Zeugenvorladungen der anderen Angeklagten sowohl für die Betroffenen als auch für die Autonome Antifa (M) politisch katastrophal gewesen wäre. Eine Zerfleischung zwischen Angeklagten und als ZeugInnen geladenen ehemaligen Angeklagten vor Gericht wäre kaum abzuwenden und die Autonome Antifa (M) bis auf weiteres mit der Prozeßbegleitung und Solidaritätsarbeit ausgelastet gewesen.

Die AnwältInnen

Das Gericht hatte es zur Bedingung für alle Angeklagten gemacht, jeweils zwei VerteidigerInnen zu haben. Es waren also 34 Anwälte und Anwältinnen aus verschiedenen Städten an dem Verfahren beteiligt. Es läßt sich denken, daß 34 AnwältInnen, deren Gemeinsamkeit in erster Linie darin liegt, Angeklagte desgleichen Verfahren zu verteidigen, unterschiedliche Herangehensweisen und Einschätzungen zu den nötigen juristischen Schritten haben. Die Entscheidung der Angeklagten und der Autonomen Antifa (M), einheitlich vorzugehen, bedingte ein ebenso einheitliches Handeln der AnwältInnen.
Aus diesem Grunde wurde der Kompetenzbereich der einzelnen AnwältInnen genau definiert, was vor allem in der Phase der Verhandlung mit dem Gericht und der GSA wichtig war. Nur die vorher bestimmte Delegation hatte die Befugnis, mit dem Gericht und der GSA zu verhandeln. So konnte vermieden werden, daß 34 AnwältInnen je nach persönlicher Einschätzung unterschiedliche Schritte für die einzelnen Angeklagten einleiteten.
Ein weiterer Aspekt mußte in der Zusammenarbeit mit den VerteidigerInnen beachtet werden. Die Autonome Antifa (M) betrieb eine intensive und permanente Öffentlichkeitsarbeit zu den Verfahren. Alle Anträge der Verteidigung wurden mit entsprechender politischer Argumentation veröffentlicht. Politische Schritte der Autonomen Antifa (M) und juristische Schritte der VerteidigerInnen standen in starker Wechselwirkung. Da die AnwältInnen nicht über die politischen Schritte entscheiden konnten und sollten, hatten sie auch keine Handlungsautonomie bezüglich des juristischen Vorgehens. Jeder juristische Schritt wurde erst nach genauer Absprache mit Delegierten der Angeklagten eingeleitet.

2. Dimension

Die große Bedeutung des anstehenden Prozesses ist von der Autonomen Antifa (M) nicht nur aus öffentlichkeitswirksamen Gründen immer wieder betont worden, sondern er hatte sie tatsächlich.
Das in der bundesdeutschen Geschichte bisher ungekannte Ausmaß der Ermittlungen gegen autonome AntifaschistInnen und Prozeßbedingungen und nicht zuletzt die Anwendung des §129 machen die Dimension deutlich. Es sollte ein Präzedenzfall geschaffen werden, der wegweisend für die politische Verfolgung linksradikaler Gruppen und Organisationen gewesen wäre. Auch deswegen war es zwingend notwendig, den Kriminalisierungsversuch abzuwehren und den §129 zu Fall zu bringen.
Die Autonome Antifa (M) ist sich dieser Verantwortung gegenüber der radikalen Linken stets bewußt gewesen.

Schlußendlich

In Erwägung aller politischer Vor- und Nachteile und unter Einbeziehung der Situation der Angeklagten ist die erreichte Lösung die beste und vor allem die einzig mögliche gemeinsame.


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