Das GATT und die spätere Welthandelsorganisation entstanden als internationale Verträge zwischen Nationalstaaten und deren Regierungen (vgl. Abb. 1 auf S. 9). Auf internationalen Konferenzen und Treffen treiben RegierungsvertreterInnen und beauftragte UnterhändlerInnen die Liberalisierung des Handels voran. Das neue GATS-Abkommen und der Ausbau der WTO sollen in der aktuellen Doha- Runde bis zum 1. Januar 2005 erreicht sein.
Auf den Ministerkonferenzen der WTO hat jedes Mitgliedsland eine Stimme. Ein kleines Land in Afrika hat bei Abstimmungen formal genauso viel Gewicht wie die Vereinigten Staaten oder die EU. Doch leider haben zahlreiche Länder weder das Geld noch die Sachkompetenz, um an jahrelangen Verhandlungen in Genf und Dutzenden von Arbeitsgruppen zu partizipieren. In der Endphase raufen sich die Handelskommissare der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union in den sogenannten « Green Room Talks » zusammen und legen ihre Entscheidung vor. Den ärmeren Mitgliedsländern bleibt daher oft nur das Abnicken des fertigen Ergebnisses. Demokratisch kann dies also kaum genannt werden, wo doch große westliche Länder auch nicht zurückschrecken, wirtschaftliche Drohungen oder Geschenke (z. B. Entwicklungsgelder, Militärhilfe etc.) einzusetzen.
Der Fahrplan - nächste Haltestelle GATS Die aktuellen GATS- und WTO-Verhandlungen bestehen aus sechs Stufen (vgl. Abb. 1). Die nationalen Regierungen legten ihre Forderungen bis Juni 2002 vor. In der EU vertritt der Handelskommissar Pascal Lamy alle EU-Mitgliedsländer. Die Bundesrepublik konnte also keine eigene Liste einreichen, da der Ausschuss 133 der EU, der sich mit Handelsfragen beschäftigt, für die einzelnen Regierungen und Parlamente der EU verhandelt und entscheidet. Im März 2003 legten sich die EU und ihre Verhandlungspartner gegenseitig (nicht öffentlich!) Angebote für die Öffnung von (Dienstleistungs-) Märkten vor. Spätestens bei der Ministerkonferenz in Cancun (Mexiko) sollen die ersten Konsense zwischen Forderungen und Angeboten erzielt werden. Dieser Verhandlungsmarathon läuft aber bereits seit Eröffnung der Doha-Runde 2001 in zahlreichen geheimen Arbeitstreffen und Unterarbeitsgruppen. Der aktuelle Stand kann nicht genau beurteilt werden, weil alle Dokumente geheim gehalten werden. 13 Nun kommt also zur faktischen Undemokratie noch die Intransparenz hinzu!
Der Konsens zwischen der EU und der USA soll dann Anfang 2005 dank diplomatischen Drucks die Zustimmung der restlichen Mitgliedsländer finden. Am Ende dürfen die nationalen Parlamente dem neuen WTO Vertragswerk zustimmen (=ratifizieren), was nur noch eine Formalität darstellt. 14
Wenn also mehr oder weniger demokratisch gewählte souveräne Regierungen internationale Verträge abschließen ist das - abgesehen von der unterschiedlichen Verhandlungsmacht, der Intransparenz und dem Demokratieverbot - doch in Ordnung, oder? Leider nehmen PolitikerInnen und nationale VertreterInnen meistens die Interessen aus der Gesellschaft auf, die sich am lautesten und stärksten durchsetzen. Das Gemeinwohl und die Vernunft bleiben daher meistens auf der Strecke. Im Falle der Handelspolitik gewinnen die großen Industrielobbyverbände wie das European Services Forum (ESF www.esf.be) oder die United States Coalition of Service Industries (USCI www.uscsi.org). Sie stellen das Äquivalent zum Bund der Deutschen Industrie (BDI) oder zu den Clubs von Großunternehmen dar. Die globale Industrielobby hat meist direkten Zugang zu den geheimen Verhandlungen. Sie können RegierungsvertreterInnen direkt Vorschläge machen oder schreiben gleich den neuen Vertragstext. 15 Die Verhandlungen werden faktisch von den Interessen der Konzerne und Wirtschaftslobbyisten diktiert.
Die restlichen Interessenskonflikte neutralisieren sich dann meist gegenseitig. Bauern aus dem Süden kämpfen gegen die Agrarsubventionen europäischer und nordamerikanischer Industrielandwirte. Gewerkschaftler aus dem Norden wollen globale Mindeststandards, wobei die Entwicklungsländer darin nur den Verlust ihrer Standortvorteile erblicken, die oft auf Unterlaufung von westlichen sozialen und ökologischen Standards beruhen. Was übrig bleibt ist der kleinste gemeinsame Nenner zwischen den Verhandlungspartnern: Zugang für die Wirtschaft zu allen Märkten (« negative Integration »). Globale Mindeststandards hätten nur eine Chance, wenn die reichen Industrienationen den armen Ländern diese wirtschaftlich ermöglichten. Das Brot der Exportmöglichkeiten bekommt jeder, doch der Löwenanteil der Gewinne bleibt bei den starken Ländern des Nordens.
Kann dieser Wahnsinn rückgängig gemacht werden? Gibt es Grenzen? Regierungen können Ausnahmebestimmungen anmelden und bestimmte Bereiche schützen, jedoch werden in der WTO permanent Versuche unternommen, die Ausnahmen abzubauen. Über kurz oder lang fallen alle Ausnah-men der WTO-Dynamik zum Opfer. Der GATT/WTO-Vertrag kann zwar gekündigt werden, aber nur unter Einhaltung irrsinnig langer Fristen. Eine Vertragsänderung ist auch kaum möglich, da jedes Mitglied dieser neuen Ausnahme oder Änderung zustimmen muss. Die WTO ist damit eine Sackgasse. A way of no return! Die politische Ökonomie der WTO-Verhandlungen wird von Wirtschaftsverbänden und der Spitze der Industrieländer (= USA, EU, Japan; vgl. auch G7/G8-Gipfel!) bestimmt. Sie besitzen wirtschaftliche Macht, erzeugen öffentliche Legitimation über Medienpropaganda oder Geheimhaltung und diktieren den Verhandlungsdiskurs. Demokratie, Transparenz und die Interessen aller, besonders der Schwächsten, bleiben somit auf der Strecke.
Polemisches Fazit: Geld regiert die WTO-Welt!
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