Redebeitrag des AK-Distomo in Mittenwald am 4. Mai 2008

Seit Jahren kämpfen die Überlebenden von Kriegsverbrechen, die Wehrmachts- und SS-Einheiten während der deutschen Besatzung Griechenlands im zweiten Weltkrieg an der Zivilbevölkerung verübten, um Anerkennung und Entschädigung. Die Bundesregierung verweigert bis heute jeden Dialog mit den Opfern und Hinterbliebenen. Kategorisch wird jegliche Zahlung abgelehnt, doch damit nicht genug, werden viele der von deutschen Truppen begangenen Kriegs- und Besatzungsverbrechen zu normalen Kriegshandlungen uminterpretiert. Während die Täter niemals für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen, ja von den bundesdeutschen Nachkriegsregierungen sogar aktiv vor Verfolgung geschützt wurden, sieht man in den Forderungen der Opfer und Hinterbliebenen nur einen Störfaktor deutscher Normalisierungspolitik. Für die Bundesregierung ist das Thema Entschädigung erledigt. Ihre Wunschvorstellung ist es, nach Abschluss des Projekts “NS-Zwangsarbeiterentschädigung“, zum letzten Mal für die deutschen Verbrechen während des Nationalsozialismus gezahlt zu haben.

Den griechischen Überlebenden und den Angehörigen der Ermordeten blieb nur der juristische Weg, um ihre berechtigten Ansprüche durchzusetzen. Mit Abschluss des 2+4 Vertrages im Jahr 1990 war erstmals die Möglichkeit eröffnet, Entschädigung für NS-Verbrechen gegenüber dem deutschen Staat gerichtlich geltend zu machen. Dieser Kampf vor den griechischen Gerichten war zunächst sehr erfolgreich, der oberste Gerichtshof Griechenlands (Areopag) entschied im April 2000, dass Deutschland zur Zahlung von Entschädigung in Höhe von ca. 28 Mio. € an die Überlebenden und Angehörigen der Opfer des Massakers in der griechischen Ortschaft Distomo, bei dem 218 Menschen ermordet und der Großteil des Ortes zerstört wurde, verpflichtet ist. Es folgte die Pfändung u.a. des Goethe-Instituts in Athen, nachdem die Bundesregierung das rechtskräftige Urteil missachtete und weiterhin nicht zahlen wollte.

Leider gelang es der Bundesregierung aber, die griechische Regierung so stark unter Druck zu setzen, dass diese die Fortführung der Zwangsvollstreckung gegen deutsche Liegenschaften unterband. Außerdem wurde unter Bruch der griechischen Verfassung ein Sondergerichtshof in Athen einberufen, der in einem weiteren Entschädigungsverfahren der deutschen Seite Recht gab. Der Sondergerichtshof folgte der deutschen Auffassung, dass Einzelklagen von Opfern deutscher Kriegsverbrechen vor griechischen Gerichten nicht zulässig seien und Deutschland durch den Grundsatz der Staatenimmunität geschützt werde.

Um dem Einwand der Staatenimmunität zu entgehen, wurden auch in Deutschland die Gerichte angerufen, um die Bundesregierung zu Entschädigungsleistungen zu verpflichten. Doch Argyris Sfountouris und seine Schwestern, deren Eltern im Zuge des Massakers von Distomo ermordet wurden, scheiterten mit ihrer Klage.

Das Oberlandesgericht Köln folgte dem Argument der Bundesregierung, wonach es sich um eine Reparationsforderung handele, die nicht von Einzelpersonen geltend gemacht werden könne, sondern nur vom griechischen Staat und wies die Klage deshalb ab. Der Bundesgerichtshof erfand zudem den bis dato unbekannten Rechtsgrundsatz, dass im Krieg die sonst gültige Haftung des Staates außer Kraft gesetzt sei. Das Bundesverfassungsgericht verstieg sich sogar zu der Auffassung, dass es sich bei dem Massaker von Distomo nicht um NS-Unrecht gehandelt habe, so dass aus diesem Grund ein individueller Anspruch nicht gegeben sei.

Die bislang von deutschen Gerichten und der Bundesregierung vertretene Auffassung ist nicht haltbar. Die Bundesrepublik Deutschland trifft als Rechtsnachfolgerin des deutschen Reichs die Pflicht zur Entschädigung der Opfer. Dieser kann sie sich nicht dadurch entziehen, dass die Opfer auf die theoretische Möglichkeit staatlicher Reparationsleistungen verwiesen werden, zumal die Bundesregierung sich explizit weigert, mit der griechischen Regierung auch nur über solche zu verhandeln. Diese Haltung der Bundesregierung stellt eine Missachtung der Opfer von NS-Verbrechen dar, die selbst im Nachhinein gegenüber dem erlittenen Terror der deutschen Besatzer rechtlos gestellt werden.

Die Opfer und Überlebenden mussten einen Umweg gehen, um ihre Rechte durchsetzen zu können. Derzeit wird in Italien die Vollstreckung des griechischen Distomo-Urteils betrieben, durchaus mit Erfolg. Bislang entschieden alle italienischen Gerichte zugunsten der Distomo-Kläger, dass eine Vollstreckbarkeit in Italien gegeben ist. Grundlage ist ein Urteil des Kassationshofs in Rom, der 2004 im Fall eines italienischen NS-Zwangarbeiters entschied, dass bei Kriegsverbrechen der Grundsatz der Staatenimmunität nicht gelte. Joachim Lau, Anwalt der Distomo-Kläger in Italien, ließ im letzten Jahr bereits zwei deutsche Villen in Como pfänden. Wenn alles gut geht, kommen diese alsbald unter den Hammer.

Am kommenden Dienstag, den 6.5.2008, verhandelt der Kassationshof in Rom abschließend über die Vollstreckbarkeit des Distomo-Urteils. Falls er seine bisherige Linie fortführt, wäre der Weg frei, den deutschen Staat zur Zahlung an die Opfer und Angehörigen der Ermordeten aus Distomo zu zwingen. Anderenfalls würden die deutschen Liegenschaften in Italien zwangsversteigert.

Die Nervosität im Außenministerium dürfte groß sein. Man kann davon ausgehen, dass derzeit alles daran gesetzt wird, auf diplomatischer Ebene eine Entscheidung zu Gunsten der Kläger zu verhindern. Bislang haben sich aber weder die italienische Justiz noch die jeweiligen Regierungen von deutscher Seite beeindrucken lassen. Zu hoffen ist, dass Kassationshof nochmals die Courage aufbringt, gegen die klar formulierten wirtschaftlichen und außenpolitischen Interessen der Bundesregierung zu entscheiden.

Gegen die Schlussstrichpolitik der BRD - für die Entschädigung aller NS-Opfer!

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