Wenn sich Deutschland dieses Jahr wieder einmal selber feiert, dann wird von den Opfern
deutscher Barbarei und deren Ansprüchen gegenüber diesem Staat die Rede nicht sein.
60 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik und 20 Jahre nach dem Mauerfall wird
sich das vereinigte Deutschland erneut als geläuterte Nation präsentieren, die aus den
Verbrechen des Nationalsozialismus gelernt und ihre Geschichte aufgearbeitet habe. Doch die
oberflächlichen Bekenntnisse deutscher Politiker kontrastieren allzu offensichtlich
mit der Realität. Der nationalsozialistische Vernichtungs- und Raubkrieg wirkt bis heute fort.
Dieses Land hat seine Schulden gegenüber den von Nazi-Deutschland überfallenen Staaten
und deren BewohnerInnen noch immer nicht bezahlt. Spätestens mit Abschluss des
2+4 Ver-trages im Jahr 1990 sind die Forderungen aller NS-Opfer fällig, denn mit diesem
Quasi-Friedensvertrag endete das Moratorium des Londoner Schuldenabkommens von 1953, dass
seinerzeit den Konkurs der zahlungsunfähigen Bundesrepublik Deutschland verhindert hatte.
Doch für die großzügige Stundung der Forderungen dankte das wiedervereinigte Deutschland seinen
Gläubigern nicht, stattdessen erklärte es den Anspruchstellern mit zynischem Großmachtgestus, sie
kämen jetzt zu spät. Die Bundesregierung verweigert jeden Dialog mit den Opfern und
Hinterbliebenen. Kategorisch wird jegliche Zahlung abgelehnt.
Die meisten Nazi-Täter wurden niemals für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen, ja von
den bundesdeutschen Nachkriegsregierungen sogar aktiv vor Verfolgung geschützt wurden.
In den Forderungen der Opfer und Hinterbliebenen der Nazi-Verbrechen sieht Berlin nur einen
Störfaktor deutscher Normalisierungspolitik. Für die Bundesregierung ist das Thema
Entschädigung erledigt. Ihre Wunschvorstellung war und ist es, nach Abschluss des Projekts
"NS-Zwangsarbeiterentschädigung", zum letzten Mal für die deutschen Verbrechen während
des Nationalsozialismus gezahlt zu haben. Rechtssicherheit soll es nur für den deutschen
Staat geben, nicht für die Opfer.
Seit Jahren kämpfen die Überlebenden von Kriegsverbrechen, die Wehrmachts- und SS-Einheiten
während des zweiten Weltkriegs an der Zivilbevölkerung besetzter Länder verübten,
um Anerkennung und Entschädigung. Angesichts der ignoranten Haltung Berlins blieb den
griechischen Überlebenden des Massakers im griechischen Distomo vom 10. Juni 1944 nur der
Klageweg. Dieser Kampf vor den griechischen Gerichten war zunächst sehr erfolgreich,
der oberste Gerichtshof Griechenlands (Areopag) verurteilte Deuschland im April 2000
zur Zahlung von Entschädigung in Höhe von ca. 28 Mio. € an die Klägerinnen und Kläger.
Doch die Bundesregierung erkannte das Urteil des höchsten griechischen Gerichts nicht
an und zahlte trotz der rechtskräftigen Entscheidung bis heute keinen Cent. Die Kläger
wandten sich deshalb nach Italien beantragten dort, die griechischen Urteile in Italien
für vollstreckbar zu erklären. Im Juni 2008 entschied der oberste Gerichtshof Italiens,
der Kassationshof in Rom, dass die griechischen Kläger aus Distomo in Italien
Vollstreckungsmaßnahmen gegen deutsches Eigentum ergreifen dürfen. Zur Sicherung der
Ansprüche wurde(n) bereits die Villa Vigoni in Como, und zuletzt die Zahlungsansprüche der
italienischen Staatsbahn gegen die Deutsche Bahn, gepfändet.
Gleichzeitig erkannte der römische Kassationshof in mehreren Entscheidungen an,
dass auch italienische Überlebende von Massakern und ehemalige NS-Zwangsarbeiter vor
italienischen Gerichten gegen Deutschland klagen dürfen.
All diesen Entscheidungen verweigerte Berlin die Anerkennung. Deutschland
argumentiert, es habe sich jeweils um "hoheitliche Maßnahmen" gehandelt und
fordert "Staatenimmunität". Angeblich dürfe Deutschland im Ausland nicht verklagt
werden. Diesem Argument allerdings hatten sowohl der Areopag als auch der Kassationsgerichtshof
eine klare Absage erteilt. Für die von Nazi-Deutschland begangenen Kriegs- und
Völkerrechtsverbrechen kann es keine Immunität geben.
Um der Vollstreckung der Entschädigungsansprüche zu entgehen, hat Deutschland
im Dezember 2008 Klage gegen Italien vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag
erhoben. Die Bundesregierung will festschreiben lassen, dass die italienischen
Gerichte für den Rechtsfall Distomo und für Verfahren italienischer Opfer von
NS-Verbrechen nicht zuständig, ihre Urteile eine Verletzung der Souveränitätsrechte
Deutschlands seien.
Zu diesem Zweck, so scheint es, wurde eine neue Achse Berlin-Rom gebildet, die
das Ziel verfolgt, die Ansprüche der Überlebenden der NS-Verbrechen zu vereiteln.
Bundeskanzlerin Merkel hat im italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi einen Verbündeten
gefunden, der offenbar Sorge hat, dass auch Italien zu Recht von Überlebenden
faschistischer Verbrechen in Anspruch genommen wird. Und so will man in Den Haag
einen Prozess inszenieren, der von vornherein eine Farce ist. Denn die Klage ist
mit der italienischen Regierung abgesprochen und die Betroffenen wären an dem Verfahren
gar nicht beteiligt.
Als Alibi für die Entschädigungsverweigerung riefen beide Regierungen eine deutsch-italienische
Historikerkomission ins Leben, die eine "gemeinsame Erinnerungskultur" historisch
unterfüttern soll. Diese begann ihre Tätigkeit im März 2009 ausgerechnet in der
Villa Vigoni, deren Verkaufserlös den Überlebenden des Distomo-Massakers zustünde.
Die deutsche Regierung unter Federführung von Außenminister Steinmeier ist aber auch
rethorisch in die Offensive gegangen. Deutschland behauptet, die Klage vor dem IGH
diene der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten. Die Forderungen der Opfer hingegen seien
ein Akt der Gefährdung des Friedens. Das ist eine zynische Rethorik, mit der Deutschland
selbst in die Rolle des Opfers schlüpft, um sich vor den fälligen Entschädigungsansprüchen
zu drücken. In Wahrheit wird mit der Klage verlangt, nicht nur für die
Vergangenheit sondern auch für die Kriegsverbrechen der Zukunft von Zahlungsverpflichtungen
frei zu bleiben.
Die Verweigerung der Entschädigung bedeutet nichts anderes als die Zurückweisung der
Verantwortung für die Verbrechen Nazi-Deutschlands. Die Verweigerung der Entschädigung heißt,
dem von Nazi-Deutschland verübten Unrecht weiteres Unrecht hinzuzufügen und die
Überlebenden weiter zu demütigen.
Die juristischen Auseinandersetzungen in Italien sowie vor den internationalen Gerichten werden
weiter gehen. Die deutsche Seite wird weitere Störmanöver gegen die begonnenen
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durchführen. Zu hoffen ist, dass die beteiligten Gerichte den Mut
haben, gegen die erklärten politischen und ökonomischen Interessen der BRD zu entscheiden.
Hierzu bedarf es der verstärkten politischen Solidarität mit den Überlebenden des
nationalsozialistischen Terrors und einer aktiven Unterstützung ihrer Forderungen.
Nur dann kann der Schlussstrichpolitik der BRD etwas entgegen gesetzt werden.
Treten wir gemeinsam ein für die Entschädigung aller NS-Opfer. Lasst uns deutsches
Kulturgut pfänden bis die berechtigten Forderungen der Opfer deutscher Barbarei
erfüllt sind! Keine Staatenimmunität für Nazi-Kriegsverbrechen! Rücknahme der Klage
vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag!
Mittenwald, den 30. Mai 2009
Arbeitskreis Distomo
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