Podiumsdiskussion am 18. Juni 2007

SS-Massaker 1944
Späte Prozesswelle in Italien ohne Folgen in Deutschland?

Italien ist eines der beliebtesten Reiseziele der Deutschen. Aber die heutigen Ferienlandschaften waren vor gut 60 Jahren Schauplatz blutiger Verbrechen der deutschen Besatzer. In mehr als 250 Orten wurde teilweise die gesamte Dorfbevölkerung massakriert. Die Zahl der zivilen Opfer während der 20-monatigen Besatzung wird auf 10.000 geschätzt.

Im Sommer/ Herbst 1944 versuchte die Wehrmacht mit allen Mitteln der “Bandenbekämpfung“ gegen die italienischen Partisanen die Besetzung Italiens doch noch aufrecht zu erhalten. Der Bandenbekämpfungsbefehl Hitlers war “ohne Einschränkung auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg“ führe und sicherte den Soldaten Straffreiheit zu.

Nicht nur bundesdeutsche, auch italienische Behörden verzichteten jahrzehntelang auf eine intensivere Strafverfolgung. Erst Mitte der 90er Jahre öffnete ein Justizbeamter auf der Suche nach Unterlagen für das Verfahren gegen Erich Priebke (Erschießungen bei den ardeatinischen Höhlen im März 1944) einen alten verschlossenen, mit der Tür zur Wand gestellten Aktenschrank im Palazzo Cesi, dem Sitz der Militär-Generalstaatsanwaltschaft im Rom.

Der italienische Militärstaatsanwalt Dr. Marco De Paolis arbeitet seitdem unter Hochdruck: Santa‘ Anna di Stazzema, Civitella, Marzabotto. Auf seine Anklage hin wurden am 22. Juni 2005 von dem Militärgericht in La Spezia 10 ehemalige Offiziere der 16. SS-Panzergrenadierdivision “Reichsführer SS“ in Abwesenheit zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Unter ihnen Dr. Gerhard Sommer, heute 86 Jahre, wohnhaft in Hamburg-Volksdorf, am Tag des Massakers am 12. August 1944 Kompaniechef.

Das Urteil hat für Dr. Sommer und seine Mitverurteilten keine Folgen. Eine Auslieferung findet nicht statt. Ein von der Staatsanwaltschaft Stuttgart parallel geführtes Ermittlungsverfahren schleppt sich seit 2002 dahin. Ein wesentlicher Grund sei die Argumentation des Einstellungsbeschlusses des Bundesgerichtshofes vom 17. Juni 2004 in dem Verfahren gegen Friedrich Engel, der im Juli 2002 auf die Anklage des Hamburger Staatsanwalts Jochen Kuhlmann vom Landgericht Hamburg wegen Mordes (Geiselerschießungen am Turchino-Pass im Mai 1944) zu 7 Jahren Haft verurteilt worden war. In der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs heißt es:
“Selbst vor dem Hintergrund der während des Zweiten Weltkrieges herrschenden Sittenverrohung hat der Senat die Annahme der objektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals der Grausamkeit bejaht. Für die subjektiven Voraussetzungen dieses Mordmerkmals fehlte es indes an einem ausreichenden Beweis. Die hierfür erforderliche gefühllose unbarmherzige Gesinnung des auf strikte Befehlsausübung bedachten Angeklagten, dem es auf das den Opfern zugefügte besondere Leid nicht ankam, hatte das Schwurgericht daraus hergeleitet, daß der Angeklagte Möglichkeiten ungenutzt gelassen habe, die ihm befohlene “Sühnemaßnahme“ unter für die Opfer weniger qualvollen Begleitumständen durchzuführen. Diese Sichtweise war zwar im Ansatz zutreffend; das Schwurgericht hat indes die verlangten Alternativen, die sich nicht von selbst verstanden, nicht dargelegt.“

Totschlag oder Mord. Verjährt oder nicht, das ist die Kernfrage bei der Verfolgung nationansozialistischer Gewaltverbrechen, die erst nach mehr als 60 Jahren einsetzt. Wie grausam musste die massenhafte Tötung von Zivilpersonen sein, damit sie heute als - unverjährter - Mord qualifiziert wird? Und wie kommt man zu der Einschätzung, dass der Massentötung von wehrlosen Alten, Frauen und Kindern Motive zugrunde liegen, die nicht “nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert sind und auf tiefster Stufe stehen“? Wenn wir schon nicht selbst zu Ergebnissen kommen: Können und sollen die italienischen Urteile hier vollstreckt werden? Haben die Prozesse heute überhaupt noch einen Sinn?

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