Neuer Dokumentarfilm über Opfer des SS-Massakers von Distomo:
Täter wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Ein Gespräch vom 18.5.2007 mit Argyris Sfountouris.
Argyris Sfountouris hat als Vierjähriger im Juni 1944 das SS-Massaker im
griechischen Distomo überlebt.
In Berlin, Hamburg, Hannover und München fanden in dieser Woche Premiereveranstaltungen für
den von Stefan Haupt gedrehten Schweizer Dokumentarfilm "Ein Lied für Argyris" statt.
Der Film, in dem ihre eigene Lebensgeschichte dokumentiert wird, soll dann noch in 50
weiteren Städten gezeigt werden. Was löst das bei ihnen aus, wenn Sie so immer wieder an das
Massaker erinnert werden?
Argyris Sfountouris:
Tiefe Erschütterung, denn dieses Massaker war so schrecklich, daß es mein ganzes Leben geprägt
hat. In weniger als zwei Stunden wurden 218 Einwohner unseres Dorfes ermordet. Bestialisch
gequält. Die SS-Soldaten waren so verroht, dass sie auch schwangeren Frauen die Bäuche
aufschnitten und Kinder mit ihren Stiefeln traktierten, bis sie tot waren.
Der Befehlshaber dieser SS-Einheit, Hauptsturmführer Fritz Lautenbach, behauptete später,
es habe aus dem Dorf heraus Partisanenangriffe gegeben.
Argyris Sfountouris:
Das war eine Lüge. Denn tatsächlich war an diesem Tag nicht diese, sondern eine andere Einheit
der SS in solche Partisanenkämpfe verwickelt. In Distomo gab es keine Partisanen.
Sind die Täter je zur Rechenschaft gezogen worden?
Argyris Sfountouris:
Alle Untersuchungen in Deutschland verliefen im Sande. Es gab nicht mal Gerichtsverhandlungen.
Sie haben damals Ihre Eltern verloren. Als Sie 1995 beim deutschen Botschafter in Athen nach
einer Entschädigung fragten, hieß es, dies sei eine "Maßnahme im Rahmen der Kriegsführung"
gewesen. Eine Entschädigung dafür sei nicht vorgesehen.
Argyris Sfountouris:
Das hat mich wütend gemacht, denn es beruhte auf den Lügen von Lautenbach. Doch schon
im Juli 1944 hat es einen Bericht der Geheimen Feldpolizei gegeben, der dies aufdeckte.
Lautenbach wurde dann auch strafversetzt. Doch Deutschland tut noch immer so, als sei
das nicht bekannt.
Ab 1995 haben Sie dann in Deutschland auf Entschädigung geklagt. Doch Ihre Klagen
wurden schließlich sowohl vom Bundesgerichtshof (BGH) als auch vom Bundesverfassungsgericht
zurückgewiesen.
Argyris Sfountouris:
Beim BGH mit der Bemerkung, es könne nicht Unrecht sein, was 1944 Recht gewesen
ist. Filbinger mußte dafür gehen, doch in der Rechtssprechung gilt das noch immer.
In Griechenland gab es eine Sammelklage von Einwohnern von Distomo. Was wurde
dort entschieden?
Argyris Sfountouris:
Wir erhielten recht, und Deutschland wurde zur Zahlung einer Entschädigungsleistung von
30 Millionen Euro verpflichtet. Doch als die dann bei deutschen Einrichtungen vollstreckt
werden sollte, berief sich die Bundesrepublik auf die Staatsimmunität, und die
griechische Regierung untersagte die Vollstreckungen.
Gegen die Urteile in Deutschland haben wir inzwischen Beschwerde
beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht. Und was das
griechische Urteil betrifft, so ist es zwar nun in Griechenland nicht vollstreckbar.
Doch dies heißt nicht, daß es nicht in anderen EU-Ländern vollstreckbar wäre. In Italien
konnte jetzt eine erste entsprechende Anordnung auf der Basis des griechischen
Urteils bereits in zweiter Instanz durchgesetzt werden.
Denken Sie, daß der Film den Druck auf die deutsche Politik erhöhen könnte?
Argyris Sfountouris:
Ich hoffe es, denn in dem Film wird auch gezeigt, wie ich dann in ein Waisenhaus nach
Piräus kam. Dort traf ich auf Tausende Kinder, denen es anderenorts ähnlich ergangen war.
Das ganze Ausmaß der Verbrechen wird dadurch deutlich.
Sie selber wurden dann 1948 vom Roten Kreuz in ein Schweizer Kinderdorf geschickt.
Dort in der Schweiz wurden sie später sehr bekannt, weil sie griechische Poeten ins
Deutsche übertrugen. Sie galten als ein Mittler der Kulturen. Doch nach dem
Obristenputsch von 1967 wurde sie erneut heimatlos. Auch die Schweiz stellte sich mit
ihrem Einbürgerungsantrag schwer.
Argyris Sfountouris:
Die brauchten dafür 52 Monate. Denn wegen meiner Beteiligung an Solidaritätsaktionen
gegen die Putschisten, war ich nun auch den Schweizer Behörden nicht mehr geheuer.
Nicht geheuer waren Sie auch den deutschen Politikern, die sich schon 1995
weigerten, an einer von Ihnen organisierten "Tagung für den Frieden" aus Anlaß
des 50. Jahrestages des Massakers teilzunehmen.
Argyris Sfountouris:
Im Film wird dazu der deutsche Botschafter in Athen interviewt. Er sagte, man habe nicht
auf der Anklagebank sitzen wollen. Wir aber hatten die Hand zur Versöhnung ausgestreckt.
Inzwischen ist klar: Sie sind nur deshalb nicht gekommen, weil sie Angst vor
Entschädigungsforderungen hatten. Doch wer sich so aus den Konsequenzen der eigenen
Geschichte stiehlt, wird aus ihr nichts lernen. Ich hoffe deshalb, daß
viele Menschen den Dokumentarfilm sehen.
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