Pressemitteilung vom 27. September 2007

Zum Urteil des EGMR vom 19. September 2007
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte erkennt Ansprüche von NS-Opfern nicht an Ehemalige “Italienische Militärinternierte“ erhalten für geleistete Zwangsarbeit keine Entschädigung aus dem Fonds für ehemalige NS-Zwangsarbeiter

Am 19.9.07 erließ der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eine Entscheidung über die Ansprüche von 275 Klägern, die im Deutschen Reich in den Jahren 1943-1945 Zwangsarbeit leisten mussten. Der EGMR entschied, dass den Betroffenen kein Anspruch auf Entschädigung zustehe. Ihr Ausschluss von Leistungen der Stiftung “Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ (Stiftung für ehemalige NS-Zwangsarbeiter) sei nicht menschenrechtswidrig. Die Bundesrepublik Deutschland habe einen weiten Spielraum, wem sie Entschädigungsleistungen zukommen lasse und wem nicht. Die Europäische Menschenrechtskonvention verpflichte die Bundesrepublik Deutschland nicht, alle Verfehlungen und Schäden, die das Deutsche Reich verursacht habe, zu kompensieren.

Die meisten Kläger in diesem Verfahren waren ehemalige Soldaten der italienischen Armee, die 1943 nach dem Waffenstillstandsabkommen Italiens mit den Alliierten von der Wehrmacht entwaffnet und ins Deutsche Reich verschleppt worden waren. Dort wurden entgegen allen damals geltenden Bestimmungen nicht als Kriegsgefangene behandelt, sie erhielten den Sonderstatus als “Militärinternierte“. So erging es ca. 600.000 ehemaligen Soldaten. Sie wurden in KZ-ähnlichen Lagern gefangen gehalten und als Zwangsarbeiter, häufig in der Kriegswirtschaft, eingesetzt. Zehntausende überlebten ihre Gefangenschaft nicht. Darüber, dass die Verschleppung, Internierung und Zwangsarbeit der Italiener ein Völkerrechtsverbrechen war, gibt es heute keine ernsthafte Diskussion mehr. Dennoch hat Deutschland dieser Opfer-Gruppe niemals auch nur einen Cent Entschädigungsleistungen zuerkannt.

Nach dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung “Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ hätte den ca. 90.000 überlebenden Betroffenen zumindest ein geringfügiger Entschädigungsanspruch zugestanden. Mit einem juristischen Taschenspielertrick aber wurden die “IMIs“ von Stiftungsleistungen ausgeschlossen. Man erklärte sie rückwirkend und fiktiv zu Kriegsgefangenen. Kriegsgefangene erhalten aber nach dem Gesetz keine Leistungen, denn dies sei ein allgemeines Schicksal im Krieg. Nach dieser Logik erhalten auch die “IMIs“ keine Entschädigung, obwohl die Nazis sie eben nicht als Kriegsgefangene behandelten.

Mit dieser Rechtsbeugung wollte die Stiftung die Ansprüche von mehreren Zehntausend Anspruchsberechtigten zunichte machen. Alle deutschen Gerichte einschließlich des Bundesverfassungsgerichts hatten diese Trickserei abgesegnet. Letzteres erklärte sogar, dass die Entscheidung der Stiftung gerichtlich gar nicht überprüfbar sei. Die Nazi-Opfer wurden also zu Bittstellern degradiert.

Die Hoffnung, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dieser Willkür der deutschen Justiz eine Grenze aufzeigen würde, ist leider nicht erfüllt worden. Mit dem Verbrechen selbst und seiner mangelnden juristischen Aufarbeitung in der Bundesrepublik befassten sich die Straßburger Richter nicht. Offenbar haben die Richter Angst vor einem Präzedenzfall, denn die EU ist schließlich auf dem Weg zur weltweiten Kriegsführungsfähigkeit. Und da will man sich nicht mit den Folgen der NS-Verbrechen belasten, weil sonst auch die Opfer von heutigen Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, im Irak oder in Afghanistan Ansprüche stellen könnten. Deutschland profitiert also wieder einmal von seiner Dominanz in Europa und schafft es erneut, die Leichenberge seiner Vergangenheit kostengünstig zu entsorgen.

Den ehemaligen “Italienischen Militärinternierten“ bleibt der Weg zu den italienischen Gerichten, dort sind bereits jetzt zahlreiche Klagen ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter anhängig. Der oberste Gerichtshof Italiens (Kassationshof) hat die Zuständigkeit italienischer Gerichte bei Vorliegen von Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen bestätigt, so dass Ansprüche dort durchgesetzt werden können.

Es gilt weiterhin, die Schlussstrichpolitik der Bundesregierung in der Entschädigungsfrage zu durchkreuzen und die Forderungen aller NS-Opfer zu unterstützen, die bis heute ohne Entschädigung geblieben sind.

Hamburg, den 27.9.07
AK-Distomo

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