Das Militärgericht von La Spezia hatte im Oktober 2006 den ehemaligen
SS-Angehörigen Max Milde aus Bremen in einem Strafverfahren wegen der
Beteiligung an dem Massaker von Civitella zu lebenslanger Haft verurteilt.
Dieses Urteil ist seit vergangenem Jahr rechtskräftig. Gleichzeitig
war die Bundesrepublik Deutschland (gemeinsam mit Milde) verurteilt worden,
an die Angehörigen der Ermordeten einen Entschädigungsbetrag von ca.
Euro 800.000,- zu zahlen. Die deutsche Regierung legte Revision gegen die
Verurteilung ein und verlor.
Hintergrund: Am 29. Juni 1944 überfiel eine deutsche SS-Einheit die Ortschaft
Civitella in der Nähe von Arezzo und ermordete 207 Bewohnerinnen und Bewohner,
darunter viele Frauen und Kinder. Die Überlebenden und die Angehörigen der
Opfer erhielten von der Bundesrepublik niemals eine Entschädigung.
Der Kassationshof in Rom stellte mit seinem Urteil nun zum wiederholten Male klar,
dass Deutschland sich dem internationalen Recht unterwerfen muss, welches seit
den Nürnberger Prozessen weltweit anerkannt ist. Den Opfern
nationalsozialistischer Verbrechen stehen individuelle
Entschädigungsansprüche zu und sie können diese in
dem Land geltend machen, in welchem sie begangen wurden. Dieser Erkenntnis
verweigert sich die Bundesrepublik Deutschland.
Das Gericht schrieb der Bundesregierung nochmals ins Stammbuch, dass sie sich
gegenüber Klagen in Italien nicht auf den Grundsatz der Staatenimmunität
stützen könne, weil es sich um ein “Verbrechen gegen die Menschheit“
gehandelt habe. Auch der weitere falsche Einwand, Deutschland habe 1961 schon
Entschädigung an Italien geleistet, wurde zurück gewiesen. Die damalige Regelung
war nicht abschließend und sie betraf nicht die Opfer von Massakern.
Der Kassationshof bestätigt damit seine Entscheidungen vom Juni diesen Jahres.
Jene Urteile betrafen zum einen Entschädigungsansprüche ehemaliger italienischer
NS-Zwangsarbeiter und sogenannter Militärinternierter (IMIs), zum anderen die
Anerkennung des griechischen Urteils im Fall Distomo, welches Deutschland ebenfalls
zu Entschädigungsleistungen an die griechische Überlebenden eines SS-Massakers
verpflichtet.
Die italienischen Urteile sind ein Fortschritt im Kampf um die Entschädigung
aller NS-Opfer. Sie stärken die Rechte der Individuen. Der Arbeitskreis Distomo
begrüßt daher das römische Urteil. Es ist zu hoffen, dass sich diese
Rechtsprechung auch in Griechenland, Slowenien und allen anderen Ländern durchsetzt,
in denen NS-Opfern bis heute jegliche Entschädigung von deutscher Seite verwehrt wird.
Denn Einsicht der deutschen Seite ist nicht zu erwarten.
Deutsche Medien schüren vielmehr Ängste vor einer Welle von Klagen, die
auf die Bundesrepublik zukämen. Sie relativieren die NS-Verbrechen und vergessen,
dass Deutschland die Rechte der Opfer jahrzehntelang missachtet hat. Jeder kleine
Fortschritt musste mit politischem Druck und juristischen Schritten erkämpft
werden. Freiwillig hat die Bundesrepublik Opfer von NS-Verbrechen noch nie entschädigt.
Mit juristischen Taschenspielertricks versucht Deutschland immer wieder, den
Überlebenden und den Angehörigen der Ermordeten ihre legitimen
Ansprüche zu verwehren.
Deutschland geht es dabei nicht um völkerrechtliche Immunität, sondern
um schlichte Zahlungsverweigerung. Mit Menschenrechtsrhetorik im Gepäck
interveniert Deutschland weltweit, notfalls auch militärisch. Da spielt die
Souveränität anderer Staaten keine Rolle. Völkerrecht gilt nur
dann, wenn es den eigenen Interessen nützt.
Deutschland hat im Zuge der Verhandlungen um die Entschädigung von NS-Zwangsarbeit
erklärt, nach Abschluss dieses Projekts (Stiftung Erinnerung, Verantwortung,
Zukunft) nie mehr für NS-Verbrechen zahlen zu wollen. Die Zahlungen wurden
zudem ausdrücklich als humanitärer Akt und nicht als
rechtmäßige Entschädigung deklariert. Diese Verweigerungshaltung gilt
es zu durchbrechen, mit politischen und juristischen Mitteln. Alle NS-Opfer müssen
entschädigt werden!
Hamburg, den 27. Oktober 2008
Arbeitskreis Distomo
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