Pressemitteilung vom 27. Oktober 2008

Kassationshof entscheidet:
Deutschland muss NS-Opfer entschädigen

Arbeitskreis Distomo begrüßt das italienische Urteil im Fall Civitella

Am 20. Oktober 2008 gab der Kassationshof in Rom (der oberste Gerichtshof Italiens) seine Entscheidung bekannt, der zufolge Deutschland italienische NS-Opfer entschädigen muss.

Das Militärgericht von La Spezia hatte im Oktober 2006 den ehemaligen SS-Angehörigen Max Milde aus Bremen in einem Strafverfahren wegen der Beteiligung an dem Massaker von Civitella zu lebenslanger Haft verurteilt. Dieses Urteil ist seit vergangenem Jahr rechtskräftig. Gleichzeitig war die Bundesrepublik Deutschland (gemeinsam mit Milde) verurteilt worden, an die Angehörigen der Ermordeten einen Entschädigungsbetrag von ca. Euro 800.000,- zu zahlen. Die deutsche Regierung legte Revision gegen die Verurteilung ein und verlor.

Hintergrund: Am 29. Juni 1944 überfiel eine deutsche SS-Einheit die Ortschaft Civitella in der Nähe von Arezzo und ermordete 207 Bewohnerinnen und Bewohner, darunter viele Frauen und Kinder. Die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer erhielten von der Bundesrepublik niemals eine Entschädigung.

Der Kassationshof in Rom stellte mit seinem Urteil nun zum wiederholten Male klar, dass Deutschland sich dem internationalen Recht unterwerfen muss, welches seit den Nürnberger Prozessen weltweit anerkannt ist. Den Opfern nationalsozialistischer Verbrechen stehen individuelle Entschädigungsansprüche zu und sie können diese in dem Land geltend machen, in welchem sie begangen wurden. Dieser Erkenntnis verweigert sich die Bundesrepublik Deutschland.

Das Gericht schrieb der Bundesregierung nochmals ins Stammbuch, dass sie sich gegenüber Klagen in Italien nicht auf den Grundsatz der Staatenimmunität stützen könne, weil es sich um ein “Verbrechen gegen die Menschheit“ gehandelt habe. Auch der weitere falsche Einwand, Deutschland habe 1961 schon Entschädigung an Italien geleistet, wurde zurück gewiesen. Die damalige Regelung war nicht abschließend und sie betraf nicht die Opfer von Massakern.

Der Kassationshof bestätigt damit seine Entscheidungen vom Juni diesen Jahres. Jene Urteile betrafen zum einen Entschädigungsansprüche ehemaliger italienischer NS-Zwangsarbeiter und sogenannter Militärinternierter (IMIs), zum anderen die Anerkennung des griechischen Urteils im Fall Distomo, welches Deutschland ebenfalls zu Entschädigungsleistungen an die griechische Überlebenden eines SS-Massakers verpflichtet.

Die italienischen Urteile sind ein Fortschritt im Kampf um die Entschädigung aller NS-Opfer. Sie stärken die Rechte der Individuen. Der Arbeitskreis Distomo begrüßt daher das römische Urteil. Es ist zu hoffen, dass sich diese Rechtsprechung auch in Griechenland, Slowenien und allen anderen Ländern durchsetzt, in denen NS-Opfern bis heute jegliche Entschädigung von deutscher Seite verwehrt wird. Denn Einsicht der deutschen Seite ist nicht zu erwarten.

Deutsche Medien schüren vielmehr Ängste vor einer Welle von Klagen, die auf die Bundesrepublik zukämen. Sie relativieren die NS-Verbrechen und vergessen, dass Deutschland die Rechte der Opfer jahrzehntelang missachtet hat. Jeder kleine Fortschritt musste mit politischem Druck und juristischen Schritten erkämpft werden. Freiwillig hat die Bundesrepublik Opfer von NS-Verbrechen noch nie entschädigt. Mit juristischen Taschenspielertricks versucht Deutschland immer wieder, den Überlebenden und den Angehörigen der Ermordeten ihre legitimen Ansprüche zu verwehren.

Deutschland geht es dabei nicht um völkerrechtliche Immunität, sondern um schlichte Zahlungsverweigerung. Mit Menschenrechtsrhetorik im Gepäck interveniert Deutschland weltweit, notfalls auch militärisch. Da spielt die Souveränität anderer Staaten keine Rolle. Völkerrecht gilt nur dann, wenn es den eigenen Interessen nützt.

Deutschland hat im Zuge der Verhandlungen um die Entschädigung von NS-Zwangsarbeit erklärt, nach Abschluss dieses Projekts (Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft) nie mehr für NS-Verbrechen zahlen zu wollen. Die Zahlungen wurden zudem ausdrücklich als humanitärer Akt und nicht als rechtmäßige Entschädigung deklariert. Diese Verweigerungshaltung gilt es zu durchbrechen, mit politischen und juristischen Mitteln. Alle NS-Opfer müssen entschädigt werden!

Hamburg, den 27. Oktober 2008
Arbeitskreis Distomo

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