Pressemitteilung vom 27. April 2010

Internationaler Gerichtshof in Den Haag:
Keine Staatenimmunität für NS-Kriegsverbrechen
NS-Opfer verlangen Beteiligung am Verfahren und Abweisung der Klage Deutschlands gegen Italien

Mit einem heute in Den Haag eingereichten Schriftsatz fordern Anwältinnen und Anwälte aus Griechenland, Italien und Deutschland eine Beteiligung ihrer Mandanten in dem Verfahren “Bundesrepublik Deutschland vs. Republik Italien“ und eine Abweisung der Klage.

Am 23.12.2008 erhob die deutsche Regierung Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag (Völkerrechtsgerichtshof der UNO). In dem Verfahren geht es um die grundlegende Frage, ob von Verbrechen Nazi-Deutschlands betroffene Menschen das Recht haben, direkt gegen Deutschland auf Entschädigung zu klagen und ihre Ansprüche gegen deutsches Staatseigentum – auch im Ausland - zu vollstrecken. Deutschland will mit der Klage den italienischen Staat zwingen, solche Gerichtsverfahren in Italien zu stoppen und die Vollstreckung bereits ergangener Entscheidungen zu verhindern.

Um folgende Fälle geht es in Den Haag:

Der ehemalige NS-Zwangsarbeiter Luigi Ferrini wurde am 4.8.1944 in ein deutsches Konzentrationslager deportiert, wo er Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie leisten musste. Über seine Klage auf Entschädigung wurde in Italien noch nicht rechtskräftig entschieden.

Im Fall des am 10. Juni 1944 von deutschen SS-Einheiten verübten Massakers an 218 Bewohnerinnen und Bewohnern des griechischen Dorfes Distomo haben Klagen in Griechenland bereits im Jahr 2000 zu einem rechtskräftigen Entschädigungsurteil gegen Deutschland über 28 Millionen Euro geführt. Gezahlt wurde nichts. Auf Antrag der griechischen Kläger wurde allerdings die Vollstreckbarkeit des Urteils in Italien anerkannt. Zur Sicherung der Ansprüche der Kläger wurden auf Anweisung eines römischen Gerichtes die Erlöse der Deutschen Bahn AG beschlagnahmt. Sie muss seit März 2009 auf alle Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf für Zugstrecken von Italien nach Deutschland verzichten.

Die Anwältinnen und Anwälte fordern die Beteiligung ihrer Mandanten am Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof, vor dem grundsätzlich nur Staaten als Prozessparteien zugelassen sind. Weder Italien und schon gar nicht Deutschland geht es in dem Verfahren um die Wahrung der Rechte der Betroffenen. Es geht um Politik, Macht und um den Versuch, es bezüglich der Vergangenheitsbewältigung im Wesentlichen bei schönen Worten zu belassen. Die Juristen weisen nach, dass die notwendige Berücksichtigung der rechtlichen Interessen der Opfer der NS-Verbrechen nur über eine direkte Beteiligung mit Antrags- und Gehörsrecht gewährleistet werden kann.

Die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches will ihre Rechtsansicht durchgesetzt wissen, wonach sie durch die ”Staatenimmunität“ vor solchen individuellen Entschädigungsprozessen geschützt sei. Italiens Gerichte haben allerdings mehrfach die Rechtsansicht der Anwälte bestätigt, dass das Privileg der Staatenimmunität nicht auf Fälle gemeiner Menschenrechtsverbrechen, wie sie Nazi-Deutschland u.a. in Distomo begangen hat, anzuwenden ist.

In Den Haag werden mit diesem Verfahren nicht nur Rechtsfragen für Sachverhalte aus der Vergangenheit geklärt werden. Die Entscheidung verspricht eine hohe Brisanz für die aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen, in denen aufgrund verbrecherischer Einsätze Militärangehöriger Zivilpersonen zu Schaden gekommen sind, wie z.B. in dem ohne UN-Mandat geführten Kosovokrieg oder bei dem von Oberst Klein befohlenen Luftangriff in Kundus.

Athen / Florenz / Hamburg, den 27.4.2010

Rechtsanwalt Joachim Lau, Florenz
Rechtsanwältin Kelly Stamoulis, Athen
Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, Hamburg
Rechtsanwalt Martin Klingner, Hamburg

Kontakt Florenz: RA Joachim Lau 0039 0552 398546
Kontakt Hamburg: RA Martin Klingner 0049 40 4396002

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