Entschädigung für NS-Kriegsverbrechen

Opfer des Massakers deutscher SS-Truppen im griechischen Distomo vom 10. Juni 1944 greifen Entscheidung des Menschenrechtsgerichtshofs in Strassburg an.

Die Entscheidung der Straßburger Richter vom 31.5.2011 im Fall der Geschwister Sfountouris verletzt nach Auffassung der Betroffenen deren Menschenrechte. Diese beantragten daher durch ihren Rechtsanwalt die Verweisung des Falles an die Große Kammer des Menschenrechtsgerichtshofs.

5 Jahre ließen sich die Strassburger Richterinnen und Richter der 5. Kammer Zeit, um ihre Entscheidung zu treffen, die Beschwerde der Geschwister Sfountouris aus Distomo/Griechenland als nicht zulässig abzuweisen. Diese hatten vor bundesdeutschen Gerichten erfolglos auf Entschädigungsleistungen durch den deutschen Staat geklagt und sich letztlich nach Strassburg gewandt. Die vier Geschwister hatten als Kinder das Massaker vom 10. Juni 1944 überlebt, ihre Eltern waren wie 216 weitere Menschen von deutschen Truppen ermordet worden.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah in den Urteilen der deutschen Gerichte keinen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Die Entscheidung aus Strassburg ist rechtlich falsch und setzt ein fatales politisches Signal. Mit seiner Entscheidung stellt das Gericht dem bundesdeutschen Staat und seiner Justiz einen Blankoscheck aus, Opfern von NS-Verbrechen Entschädigungsleistungen zu gewähren oder nicht. Der Europäische Gerichtshof hätte der Beschwerde stattgeben müssen.

Den Beschwerdeführer_innen stehen Entschädigungsansprüche gegen den Deutschen Staat aus internationalem Recht (Art. 3 Haager Abkommen von 1907) und aus deutschem Recht (Amtshaftung) zu. Die Bundesrepublik Deutschland haftet als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs für die Verbrechen, die während der Deutschen Besatzung Griechenlands an der Zivilbevölkerung begangen wurden. Doch der deutsche Staat verweigert jegliche Zahlung.

Die deutschen Gerichte unternahmen den Versuch, diese Verweigerungshaltung mit juristischen Scheinargumenten abzusichern. So hatte der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung von 2003 den Rechtsgrundsatz postuliert, im Krieg würde das gesamte Entschädigungsrecht außer Kraft gesetzt, so dass eine Zahlungspflicht deshalb nicht bestehe: Eine klare Willkürentscheidung, die sich am Rechtsverständnis des NS-Staates orientiert und nicht an der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2006 das Massaker von Distomo als "unerlaubten Exzess einer an sich zulässigen Vergeltungsmaßnahme" bezeichnet. Dem Bundesverfassungsgericht zufolge habe es sich für die Ermordeten um ein allgemeines Kriegsschicksal und nicht um NS-Unrecht gehandelt. So haben die Karlsruher Richter die historische Wahrheit verleugnet und verharmlost, um individuelle Entschädigungsansprüche ablehnen zu können. Die massenhafte Tötung von Zivilisten war aber kein allgemeines Kriegsgeschehen, sondern Ausdruck des nationalsozialsozialistischen Vernichtungswillens, der auf Grundlage eines sogenannte "Bandenbekämpfungsbefehls" Hitlers allein mindestens 30.000 Zivilist_innen zum Opfer fielen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Chance vertan, diese willkürliche Verweigerungshaltung und am Rechtsverständnis Nazideutschlands orientierte Haltung der bundesdeutschen Gerichte und der Bundesregierung zu korrigieren und für Gerechtigkeit zu sorgen. Strassburg hätte eine Entschädigungspflicht Deutschlands anerkennen müssen. Mit der Ablehnung einer solchen Verpflichtung hat der Gerichtshof selbst die Menschenrechte der Betroffenen verletzt. Es bestehen Zweifel an der Unparteilichkeit der Straßburger Richter, die einseitig dem Wunsch der Bundesrepublik nach Abweisung der Beschwerde gefolgt sind.

Die Betroffenen haben die Verweisung der Sache an die Große Kammer beantragt, um die jetzige Entscheidung korrigieren zu lassen. Sie werden sich nicht damit abfinden, dass ein schweres Kriegsverbrechen wie im Falle des Massakers in Distomo ohne jede Sanktion bleibt. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Täter von Strafe verschont und den Opfern jede Entschädigung verweigert. Bliebe es bei der bisherigen Haltung des Menschenrechtsgerichtshofs, wäre dies ein Freibrief zur Begehung von Kriegsverbrechen. Denn die Entscheidung hätte auch Auswirkung auf heutige und zukünftige Kriege.

Hamburg, den 1.9.2011

Martin Klingner
Rechtsanwalt

Die Gerichtsbeschwerde als pdf in deutsch: Beschwerde pdf (deutsch)
Die Gerichtsbeschwerde als pdf in englisch: Beschwerde pdf (englisch)
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs als pdf in deutsch: Urteil pdf (deutsch)

zurück