Der Internationale Gerichtshof in Den Haag verhandelt vom 12. September
2011 an öffentlich über eine Klage Deutschlands, die zum Ziel hat,
Entschädigungsansprüche von griechischen und italienischen NS-Opfern zu
beseitigen. Dieser Prozess ist nicht nur für alle Opfer von
NS-Verbrechen von großer Bedeutung, er wird auch Auswirkungen auf
Schadensersatzansprüche von Überlebenden heutiger Kriegsverbrechen
haben. Wir wollen daher in Den Haag vor dem Internationalen Gerichtshof
für die Durchsetzung der Entschädigungsansprüche der Opfer und gegen die
deutsche Verweigerungshaltung demonstrieren.
Seit Jahrzehnten verweigern bundesdeutsche Regierungen den Opfern von
NS-Verbrechen in ehemals von Nazi-Deutschland besetzten Ländern
Entschädigungsleistungen. Die Überlebenden der Massaker von Distomo,
Kalavryta, Civitella oder Marzabotto haben wie die meisten anderen Opfer
von NS-Verbrechen niemals vom deutschen Staat eine Entschädigung
erhalten. Dies gilt auch für viele ehemalige Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter.
Die Überlebenden des Massakers deutscher SS-Truppen im griechischen
Distomo (Am 10. Juni 1944 wurden dort 218 Menschen ermordet) haben
bereits im Jahr 2000 vor dem Obersten Gerichtshof Griechenlands
(Areopag) ein rechtskräftiges Urteil gegen die Bundesrepublik
Deutschland erstritten, wonach diese ca. 28 Mio. Euro plus Zinsen an die
Kläger zahlen muss. Die Bundesregierung hintertrieb die Durchsetzung des
Urteils und nötigte die griechische Regierung, die begonnene
Zwangsversteigerung deutscher Liegenschaften (Goethe-Institut) zu
stoppen.
Die Kläger wandten sich daher an italienische Gerichte, um in Italien
Vollstreckungsmaßnahmen zu ermöglichen. Mit Erfolg: Der Oberste
Gerichtshof Italiens (Kassationshof) erklärte die Vollstreckung in
Italien im Juni 2008 für zulässig. Gleichzeitig erklärte der
Kassationshof auch die Klagen italienischer NS-Opfer (ehemalige
Zwangsarbeiter und Opfer von Massakern) vor italienischen Gerichten in
mehreren Entscheidungen für zulässig. Doch Deutschland will auch diese
Entscheidungen nicht anerkennen. Die Kläger aus Distomo begannen
daraufhin Vollstreckungsmaßnahmen. Sie ließen u.a. die Villa Vigoni
pfänden, eine im bundesdeutschen Eigentum befindliche Liegenschaft am
Comer See. Auf deutschen Wunsch stoppte die Regierung Berlusconi mit
einem Regierungsdekret im Jahr 2009 vorläufig sämtliche Pfändungen
deutschen Vermögens in Italien.
Zudem erhob die Bundesregierung am 23. Dezember 2008 Klage gegen Italien
vor dem Internationalen Gerichtshof, um endgültig alle
Entschädigungsprozesse und Vollstreckungsmaßnahmen jetzt und für die
Zukunft zu stoppen. Die Bundesregierung versucht, den Internationalen
Gerichtshof dafür zu missbrauchen, die Ansprüche der Opfer von
NS-Verbrechen weiter zu torpedieren und die Unabhängigkeit der
italienischen Gerichte außer Kraft zu setzen. Angeblich habe die
italienische Justiz die Staatenimmunität Deutschlands missachtet.
Deutschland kann sich jedoch nicht auf Staatenimmunität berufen, weil
das Privileg der Immunität für Verbrechen gegen die Menschheit, die
Nazi-Deutschland begangen hat, nicht gilt. Dies hat der Kassationshof in
Rom unmissverständlich dargelegt. Tatsächlich missachtet Deutschland die
staatliche Souveränität Italiens, indem es Entscheidungen unabhängiger
italienischer Gerichte unterläuft.
Im Januar 2011 trat auch Griechenland dem Verfahren in Den Haag bei. Der
Internationale Gerichtshof hat den Beitritt kürzlich zugelassen.
Die Klage in Den Haag ist der vorerst letzte Akt der Missachtung
Deutschlands gegenüber den Überlebenden der NS-Verbrechen. Diese sind an
dem Prozess gar nicht beteiligt. Deutschland stellt sich öffentlich
gerne so dar, als habe man die NS-Vergangenheit aufgearbeitet und aus
der Geschichte gelernt. Das tatsächliche Verhalten der jetzigen und
aller früheren Bundesregierungen aber steht dazu im krassen Widerspruch.
Die Verweigerung der Entschädigung bedeutet nichts anderes als die
Zurückweisung der Verantwortung für die Verbrechen Nazi-Deutschlands.
Die Verweigerung der Entschädigung heißt, dem von Nazi-Deutschland
verübten Unrecht weiteres Unrecht hinzuzufügen und die Überlebenden
weiter zu demütigen.
Deutschland bricht mit der Missachtung der griechischen und
italienischen Urteile vor aller
Öffentlichkeit internationales Recht und unterstellt dabei den Opfern,
ihre Klagen würden den Frieden gefährden. Die Tatsachen werden so auf
den Kopf gestellt. Wenn selbst schwerste Kriegsverbrechen keine Haftung
des Täterstaates zur Folge haben, ist das ein Freibrief, auch zukünftig
Kriegsverbrechen zu begehen. Es darf angenommen werden, dass sich
Deutschland mit seiner Klage auch für Auslandseinsätze der Bundeswehr
wie in Afghanistan den Rücken frei halten will.
Ein Urteil zugunsten von Deutschland hätte aber auch Auswirkungen auf
alle anderen Staaten, denn die Rechtsprechung des IGH ist weltweit
Leitlinie für die Auslegung des Völkerrechts. Setzt sich Deutschland mit
seiner Position durch, würde dies bedeuten, dass ein Agressorstaat auch
in Zukunft nicht befürchten müsste, von den Opfern für seine Verbrechen
zur Rechenschaft gezogen zu werden. Dies wäre ein Rückfall hinter die
Prinzipien von Nürnberg.
Wir wollen in Den Haag vor dem Internationalen Gerichtshof deutlich zu
machen, dass es Widerspruch gegen diese deutsche Politik gibt. Wir
erwarten von den Richterinnen und Richtern des Internationalen
Gerichtshofs, dass sie die Klage Deutschlands zurückweisen. Wir möchten
gemeinsam und solidarisch mit griechischen, italienischen, slowenischen
und anderen Überlebenden der NS-Verbrechen für die Durchsetzung ihrer
Rechte eintreten.
Der Internationale Gerichtshof wird vom 12.9.-16.9.2011 verhandeln. Die
genaue Uhrzeit steht noch nicht fest. Die Verhandlungen sind öffentlich.
Voranmeldungen auch für Gruppen sind möglich. Wir haben uns bislang
folgende Aktivitäten in Den Haag überlegt:
Sonntag, 11.9.2011
mittags: Pressegespräch mit Überlebenden aus verschiedenen Ländern
abends: Informations- und Diskussionsveranstaltung
Montag, 12.9.2011
morgens: Kundgebung vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag
anschließend: Besuch der Gerichtsverhandlung und Infopoint vor dem
Gerichtshof
nachmittags: Kundgebung vor der Deutschen Botschaft in Den Haag
Weitere Aktivitäten, nicht nur in Den Haag, sind natürlich möglich und
wünschenswert.
Die genauen Zeiten und Orte sowie Übernachtungsmöglichkeiten werden wir
noch bekannt geben. Wir sind in Kontakt mit Freundinnen und Freunden in
den Niederlanden, die wir mit einbeziehen werden. Den Haag ist mit der
Bahn oder dem Flugzeug (Flughafen Schiphol) gut erreichbar. Wir würden
uns freuen, wenn viele Menschen nach Den Haag kommen, auch um die
öffentliche Wirkung zu erhöhen.
AK-Distomo
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