Sehr geehrter Herr Minister Dott. Franco Frattini,
während der Anhörung am 12. September hat die Vertreterin Deutschlands, Frau
Wasum-Rainer zu Gunsten Deutschlands die Gültigkeit einer Passage
im Pariser Friedensvertrag zwischen Italien und den Alliierten beansprucht
(Artikel 77, 4), mit dem die italienische Regierung auf alle Forderungen
und Ansprüche für sich und ihre Staatsbürger, die auf den Tatsachen
des 2. Weltkrieges zurückzuführen sind, verzichtet hatte.
Der Wortlaut der entsprechenden Passage lautet:
4. Without prejudice to these and to any other dispositions in favour of
Italy and Italian nationals by the Powers occupying Germany, Italy waives on
its own behalf and on behalf of Italian nationals all claims against Germany
and German nationals outstanding on 8 May 1945, except those
arising out of contracts and other obligations entered into, and
rights acquired, before 1 September 1939. This waiver shall be
deemed to include debts, all intergovernmental claims in respect
of arrangements entered into in the course of the war, and all claims for
loss or damage arising during the war.
Der Text dieser Verzichtsklausel ist auf Englisch ziemlich klar: "outstanding claims"
bedeutet offene Forderungen oder Ansprüche. Abgesehen verschiedener ehrbarer akademischer
Versuche, den Inhalt der Klausel auf ökonomische Fragen zurechtzustutzen und dabei
rechtswidrige Handlungen und Kriegsverbrechen von dem Verzicht auszusparen, scheint - auf
den ersten Blick und nach einfacher Lektüre - die Position der deutschen Verteidigung nicht
völlig unvernünftig zu sein. Jedoch haben das deutsche Verteidigerkollegium ebenso
wie die italienischen Vertreter, vor allem Prof. Zappalà, es versäumt, den
IGH auf Artikel 89 desselben Friedenvertrags hinzuweisen, wo zu lesen ist:
The provisions of the present Treaty shall not confer any rights or benefits on any State
named in the Preamble as one of the Allied and Associated Powers or on its nationals until such
State becomes a party to the Treaty by deposit of its instrument of ratification.
Aus einer von mir veranlassten Überprüfung der deutschen Gesetzgebung ist ein Ratifizierungsvertrag
weder seitens der BRD, noch des wiedervereinten Deutschlands ersichtlich. Es existiert auch
auf technisch-diplomatischer Ebene in den letzten 65 Jahren kein Akte der Hinterlegung durch
die deutsche Regierung bei der französischen Regierung, um sich dem Friedensvertrag von
Paris anzuschließen.
Die von der deutschen und jetzt vielleicht irrtümlicherweise auch von der
italienischen Regierung (Zappalà) vertretene Meinung bei der Anhörung vom 16.9.2011,
wonach der Pariser Friedensvertrag von 1947 ein bindendes Reglement mittels der
Ratifizierung des Londoner Abkommens von 1953 (und seines Artikels 5 Abs. 4) geworden
sei, läßt sich ebenfalls nicht mit den entsprechenden Abkommen begründen, die sich auf
die Regelungen beziehen, die Deutschland mit den Gläubigerstaaten abgeschlossen hat,
und gerade nicht auf diejenigen Abkommen, die die Alliierten mit Italien und anderen
Staaten abgeschlossen haben und gerade wegen einer fehlenden Ratifizierung nicht
anwendbar sind.
Darüberhinaus findet sich keine Spur des Pariser Friedensvertrags von 1947 in
den Anlagen zu dem sogenannten Überleitungsvertrages von 1954, mit dem Westdeutschland
die Gültigkeit einer Reihe von internationalen bi- und multilateralen Abkommen anerkannt
hat, die die alliierten Sieger für die besetzen deutschen Gebiete in der ersten Phase
der Besatzung abgeschlossen hatten.
Die Position Deutschlands ist daher als absolut unbegründet anzusehen und ebenso
ist die Behauptung der italienischen Verteidigung rechtsirrtümlich. Es ist gerade der
deutsche Bundesgerichtshof der behauptete und seit fast 60 Jahren behaupet hat, dass die
in Artikel 77,4 enthaltene Verzichtsklausel nur eine vorübergehende Regelung der
Besatzungsmächte Deutschlands war, die sich mit der deutschen Wiedervereinigung erledigt
habe, das heißt, mit dem Ende der Besatzung Deutschlands.
(Als Beispiel: BGH, Urteilsspruch vom 14.12.1955, NRG: - IV ZR 6/55).
Der Grund für eine solche Rechtssprechung liegt in Artikel 1, Abschnitt 6 des
Überleitungsvertrags: "Chapter Six : Reparation, Article 1: "The problem of reparation
shall be settled by the peace treaty between Germany and its former enemies [unter
ihnen Italien] or by earlier agreement concerning this matter."
Im Fall, dass das Recht auf Entschädigung meiner Mandanten nicht als Reparation angesehen
wird, bleibt jedenfalls der Artikel 5 Abs. 2 des Londoner Abkommens von 1953 anwendbar, von
Italien 1966 ratifiziert, welches gleichfalls die Regelung der Schäden bei
italienischen Bürgern aus der kriegerischen Besetzung auf eine zukünftige
deutsche Wiedervereinigung verweist.
Während der Wiedervereinigungsfeierlichkeiten – unbeobachtet von der deutschen
und italienischen Öffentlichkeit, – kamen am 28.09.1990 die ehemals feindlichen
Alliierten in Paris mit Deutschland überein, dass die Pflicht, die ehemaligen
Länder, gegen die Deutschland Krieg geführt hatte, zu entschädigen
(Überleitungsvertrag Art.1, Abschnitt 6), auch nach der deutschen Wiedervereinigung bis
zum Abschluss der entsprechenden Friedensverträge weiterhin bestehen
bleibt. (siehe Bundesgesetzblatt II 1990, S. 1386).
Bis heute kann ich nicht ersehen, dass Italien mit Deutschland einen Friedensvertrag
abgeschlossen hat, der die Ansprüche meiner Mandanten, sei es Herren Ferrini oder
andere 12.000 Deportierten, sei es die Verwandten der Opfer von Mazzabotto oder
der Fosse Adreatine, geregelt hätte.
Daher könnten die Erklärungen der italienischen Delegation vor dem IGH in Bezug
auf die Gültigkeit des Artikels 77 Abs.4 Pariser Friedensvertrag 1947 für meine Mandanten
ein Hindernis oder eine Beeinträchtigung bei der Realisierung ihrer legitimen
Ansprüche darstellen.
Dies vorausgestellt, bitte ich Sie, im Namen aller meiner Mandanten,
höflichst innerhalb der Frist, d.h. bis zum 23.9.2011, in der Antwort auf die Fragen
der Richter Simma, Bennouna, Cançado Trindade und des Richters ad hoc Gaja
eine Position einzunehmen, die die Interessen meiner Mandanten und vor allem
den korrekten Inhalt der internationalen Verträge, insbesondere Artikel 89 des
Friedensvertrags von 1947 widerspiegelt.
20.9.2011
Joachim Lau
Der Brief in italienisch (pdf)
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