5 Jahre ließen sich die Strassburger Richterinnen und Richter Zeit, um
ihre Entscheidung zu treffen, die Beschwerde der Geschwister Sfountouris aus
Distomo/Griechenland als nicht zulässig abzuweisen. Diese hatten vor
bundesdeutschen Gerichten erfolglos auf Entschädigungsleistungen durch den
deutschen Staat geklagt und sich letztlich nach Strassburg gewandt. Die
vier Geschwister hatten als Kinder das Massaker vom 10. Juni 1944 überlebt,
ihre Eltern waren wie 216 weitere Menschen von deutschen Truppen ermordet
worden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah in den Urteilen
der deutschen Gerichte keinen Verstoß gegen die Europäische
Menschenrechtskonvention.
Die Entscheidung aus Strassburg ist rechtlich falsch und setzt ein
fatales politisches Signal. Mit der Begründung ihrer Entscheidung stellt
das Gericht dem bundesdeutschen Staat und seiner Justiz einen Blankoscheck aus,
Opfern von NS-Verbrechen Entschädigungsleistungen zu gewähren oder
nicht. Opfer von NS-Verbrechen haben damit keine Möglichkeit, vor deutschen
Gerichten Entschädigungsleistungen zu erstreiten, sofern nicht die
Bundesrepublik Deutschland spezielle gesetzliche Vorschriften hierfür
nachträglich geschaffen hat. Solche Vorschriften schließen aber gerade
ausländische Anspruchsteller, die Opfer von Kriegsverbrechen wurden,
nicht mit ein.
Die Beschwerdeführer_innen hatten in ihrer Beschwerde ausführlich dargelegt,
warum ihnen Ansprüche aus internationalem Recht (Art. 3 Haager Abkommen
von 1907) und aus deutschem Recht (Amtshaftung) zustehen. Eine Auseinandersetzung
mit deren Argumenten ist beinahe vollständig unterblieben. Der EGMR will nicht
anerkennen, dass die Entscheidungen aller deutschen Gerichte offensichtlich
willkürlich waren. So hatte der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung
von 2003 den bis dahin nicht existierenden Rechtsgrundsatz erfunden,
im Krieg würde das gesamte nationale Recht suspendiert und darauf
gestützt eine Entschädigungspflicht abgelehnt.
Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung aus dem Jahr
2006 das Massaker von Distomo als ”unerlaubten Exzess einer an sich
zulässigen Vergeltungsmaßnahme” bezeichnet. Dem Bundesverfassungsgericht
zufolge habe es sich für die Ermordeten um ein allgemeines Kriegsschicksal
gehandelt. Mit dieser Argumentation wird die historische Wahrheit
verleugnet und verharmlost. Die massenhafte Tötung von Zivilisten war
kein allgemeines Kriegsgeschehen, sondern Ausdruck des nationalsozialsozialistischen
Vernichtungswillens. Angesichts der Verbrechen der deutschen Besatzer in
Griechenland, die auf Grundlage eines ”Bandenbekämpfungsbefehls” Hitlers
allein mindestens 30.000 Zivilisten bei sogenannten Sühnemaßnahmen
ermordeten, war gerade diese Begründung für alle griechischen Opfer
ein Schlag ins Gesicht.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Chance vertan,
diese ignorante Haltung der deutschen Gerichte und der Bundesregierung
zu korrigieren und für Gerechtigkeit zu sorgen. Der Beschluss aus
Strassburg ist aber nicht die letzte Entscheidung in der Auseinandersetzung
um Entschädigung. Die Überlebenden aus Distomo werden weiter ihr
Recht suchen, vor nationalen und internationalen Gerichten, sowie
auf politischer Ebene.
Hamburg, den 7. Juli 2011
Martin Klingner
Rechtsanwalt
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