Heute spricht der deutsche Außenminister Guido Westerwelle hier im Curiohaus auf
einer Wahlkampfveranstaltung der FDP in Hamburg. Wir wollen diesen Auftritt nicht
unkommentiert hinnehmen. Westerwelle hat einmal mehr in schlechter bundesdeutscher
Kontinuität griechische Opfer von NS-Verbrechen brüskiert und ihre
berechtigten Forderungen nach Entschädigung missachtet. Was war der Anlass?
Am 13.1.2011 erklärte die griechische Regierung, sie werde sich an den
Internationalen Gerichtshof in Den Haag wenden und dem Prozess beitreten, den
Deutschland derzeit formal gegen Italien führt. In diesem Prozess geht es Deutschland
um die Abwehr von Entschädigungsansprüchen griechischer und italienischer NS-Opfer.
Guido Westerwelle kommentierte die Entscheidung aus Athen noch am selben Tag mit den Worten:
"Ich habe kein Verständnis für die Entscheidung der griechischen Regierung. In
Deutschland wissen wir um unsere Verantwortung für unsere Geschichte. Und wir wissen
auch um das besondere Leid der griechischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg."
In dieser Erklärung steckt die gesamte Arroganz und Verlogenheit der europäischen
Großmacht Deutschland. Zwar bekennen sich in jüngster Zeit deutsche Politiker verbal
dazu, dass Nazideutschland während der Besatzung Griechenlands Verbrechen begangen
hat. Doch dieses Bekenntnis ist eine hohle Phrase.
Tatsächlich hat das heutige Deutschland bis heute Null Verantwortung für die vielen
Verbrechen Nazideutschlands gegenüber der griechischen Bevölkerung übernommen. Bis heute
wurde keiner der Täter von bundesdeutschen Gerichten verurteilt. Die
Bundesrepublik Deutschland gewährte Ihnen faktisch eine Generalamnestie.
Zehntausende Zivilistinnen und Zivilisten wurden in Griechenland von deutschen Truppen
ermordet. Kein Opfer eines solchen Massakers wurde jemals entschädigt.
Im Gegenteil: Das wiedervereinigte Deutschland bekämpft die Ansprüche der Überlebenden
der NS-Verbrechen und der Angehörigen der Ermordeten mit allen politischen und
rechtlichen Mitteln. Federführend hierbei ist das Auswärtige Amt, das einen ganzen
Stab von Jurist_innen ausschließlich damit beschäftigt, Entschädigungsklagen
gegen Deutschland, die im Ausland geführt werden, abzuwehren.
Westerwelle erklärte am 13. Januar weiter:
"Was Klagen gegen die Bundesrepublik betrifft, erwarten wir, dass international
anerkannte Rechtsgrundsätze und insbesondere Deutschlands Immunität als Staat
respektiert werden. Wird dieser Grundsatz ausgehöhlt, droht der Staatengemeinschaft insgesamt
Rechtsunsicherheit"
Alles Lüge! Deutschland verstößt permanent gegen das Internationale Recht. Kontinuierlich
wird die Rechtsprechung anderer EU-Staaten und damit deren Souveränität missachtet.
Bereits im Jahr 2000 erkannte der Areopag (Oberster griechischer Gerichtshof) im Fall
Distomo, dass Deutschland ca. € 28 Mio. Schadensersatz an die Opfer des Massakers
vom 10. Juni 1944 (bei dem 218 Menschen ermordet wurden) zahlen muss. Durch massive
politische Intervention verhinderte die damalige Regierung Schröder/Fischer die Pfändung
und Zwangsversteigerung deutscher Liegenschaften in Griechenland, aus deren Erlös die
Klägerinnen und Kläger hätten entschädigt werden sollen. Bis heute hat Deutschland
das rechtskräftige Distomo-Urteil nicht erfüllt!
Nachdem auch der oberste italienische Gerichtshof (Kassationshof) 2008 das
Distomo-Urteil anerkannte und die Vollstreckung gegen deutsches Eigentum in
Italien ermöglichte, erhob Deutschland Klage in Den Haag gegen Italien, in Absprache mit
der italienischen Regierung. Hierfür ging Deutschland ein Bündnis mit dem
antidemokratischen Berlusconi-Regime ein, das im Kampf gegen unabhängige Gerichte
über viel Erfahrung verfügt.
Das Ziel Deutschlands in diesem Prozess vor dem Internationalen Gerichts ist es,
rechtskräftige Urteile wie im Fall Distomo außer Kraft setzen zu lassen und
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu verhindern. Gleichzeit sollen Entschädigungsklagen
italienischer NS-Opfer, etwa ehemaliger Zwangsarbeiter, gestoppt und für die
Zukunft verhindert werden. Der Internationale Gerichtshof soll dazu missbraucht
werden, die Unabhängigkeit der italienischen Gerichte außer Kraft zu setzen.
Nach wochenlangen Protesten griechischer Bürgerinnen und Bürger raffte sich die
griechische Regierung nun in diesem Januar endlich auf, dem Verfahren in Den Haag
beizutreten. Schließlich geht es auch um die Rechte der eigenen Staatsangehörigen.
Dieser Schritt ist zu begrüßen. Denn die Betroffenen aus Griechenland brauchen
diese Unterstützung. In dem Verfahren in Den Haag fänden sie ansonsten kein Gehör.
Die Kritik des Auswärtigen Amts an diesem Schritt zeigt, dass die deutsche Regierung
nervös ist. Sie will sich unter Ausschluss der Betroffenen für unverklagbar erklären
lassen. Dabei geht es aber nicht nur um die Abwehr der Klagen von NS-Opfern. Es geht
auch darum, den Opfer gegenwärtiger Kriege keine Ansprüche zu gewähren.
Deutschland will für Kriegsverbrechen wie den Angriff auf den Tanklastzug im
afghanischen Kundus nicht verklagt werden können. Deutschland will in seiner zukünftigen
Kriegsführungsfähigkeit keine Beschränkungen hinnehmen.
Der Kampf um die Entschädigung ist daher nicht nur ein antifaschistischer, es ist
auch ein Kampf gegen den Militarismus.
Wir wollen zeigen, dass wir kein Verständnis für Guido Westerwelle und die
Verweigerungshaltung der Bundesregierung haben. Wir wollen zeigen, dass wir
solidarisch mit den Entschädigungsforderungen griechischer Bürgerinnnen und Bürger
sind. Wir fordern stattdessen:
- die sofortige Erfüllung des Distomo-Urteils durch die deutsche Regierung
- die unverzügliche Entschädigung aller NS-Opfer
- die Rücknahme der Klage Deutschlands vor dem Internationalen Gerichtshof
Hamburg, den 17. Februar 2011
Arbeitskreis Distomo
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