Redebeitrag des AK-Distomo vom 17.2.2011

Kontinuität der Entschädigungsverweigerung des Auswärtigen Amts
Kein Verständnis für Westerwelle

Am 10. Juni 1944 wurden in dem griechischem Ort Distomo 218 Menschen von einer SS-Einheit ermordet. Dieses Verbrechen, wie auch alle anderen Verbrechen, die während der Besatzung Griechenlands durch NS-Truppen begangen wurden, führten vor deutschen Gerichten zu keiner einzigen Verurteilung. Die berechtigten Forderungen auf Entschädigung der Hinterbliebenen wurden verhöhnt. Ihre juristischen Anstrengungen führten bis heute zu keinem Erfolg.

Eine wichtige Rolle bei der Abwehr von Entschädigungszahlungen spielte das Auswärtige Amt. Durch das zuletzt in der deutschen Öffentlichkeit viel diskutierte Buch "Das Amt" ist ein weiteres Mal bekannt geworden, was schon alle wussten, die es wissen wollten: Das Auswärtige Amt hatte nicht nur Kenntnisse über die Verbrechen des NS-Staates, sondern war ein Akteur des Nationalsozialismus. Das Buch belegt zudem ein weiteres Mal die Kontinuitäten im Auswärtigen Amt nach 1945.

Nicht nur anhand der Personalien wird die Kontinuität im Auswärtigen Amt deutlich. Auch die Stellungnahmen und die Rolle des Auswärtigen Amts in den Verhandlungen um Entschädigungen belegen, wie sich das Auswärtige Amt vor Nazi-Täter stellt und "Traditionen" bewahrt. Zwei Fälle seien als Beispiel genannt:

1995 erhielten die Einwohner Distomos als erste offizielle Reaktion auf ihre Klage folgende schriftliche Antwort von der deutschen Botschaft aus Athen:
Vergeltungsaktionen wie gegen das Dorf Distomo sind nicht als NS-Tat zu definieren, deren Opfer wegen ihrer Rasse, ihrer Religion oder ausdrücklicher Antihaltung geschädigt worden sind, sondern als Maßnahmen im Rahmen der Kriegsführung, denn sie stellten Reaktionen auf Partisanenangriffe dar.
Das Auswärtige Amt übernimmt somit - 50 Jahre danach - die Darstellung eines Offiziers der Waffen-SS. Dass es sich dabei nicht um eine Reaktion auf einen Partisanenangriff handelte, war sogar der damalige Militärführung bewußt und führte zu Kontroversen und Untersuchungen innerhalb der Wehrmacht. Zudem verurteilte 1948 das amerikanische Militärtribunal deutsche Generäle für die Verbrechen während der Besatzung Griechenlands. Die Morde in Distomo spielten dabei eine zentrale Rolle. Die Richter kamen zu dem Urteil, dass die "Sühnemaßnahmen" gegenüber der Zivilbevölkerung von der Wehrmacht in einem Ausmaß und in einer Form angewandt wurden, die nur als "plain murder" zu bezeichnen sind. Diese Informationen müssen dem Auswärtigem Amt bekannt gewesen sein.

Eine weitere unrühmliche Rolle übernimmt das Auswärtige Amt: 1960 leistet die Bundesrepublik Deutschland - nach monatelangen zähen Verhandlungen - 115 Mio. Mark Entschädigungszahlungen an Griechenland. 115 Mio. Mark: eine lächerliche Summe, verglichen mit den Milliarden, die alleine der griechischen Staatsbank während der Besatzungszeit in Form von Zwangsanleihen geraubt wurden.

Das durch die Ausbeutung der im 2. Weltkrieg besetzten Länder und später durch den Marshall-Plan wirtschaftlich erstarkte Deutschland konnte mit ökonomischem Druck auf Zugeständnisse dringen. Griechenland war von der Besatzungszeit und dem als Folge der deutschen Okkupation ausgebrochenen Bürgerkrieg ausgeblutet. Die damalige griechische Regierung war auf ausländische Hilfe angewiesen. Um die sog. leidige Kriegsverbrecherfrage - so hieß es seinerzeit im Auswärtigem Amt - zu klären, drängte die deutsche Seite auf die Aussetzung der Strafprozesse gegen Kriegsverbrecher und konnte sich weitestgehend durchsetzen. Ein Resultat des Abkommens war die Freilassung und Ausreise des ehemaligen Kriegsverwaltungsrat Max Mertens, den ein griechisches Gericht 1959 wegen Beihilfe zum Mord an über 50.000 Juden aus Thessaloniki zu 25 Jahren Haft verurteilte. In Deutschland blieb er bis ans Ende seiner Tage von der deutschen Justiz unbehelligt. Im deutschen Bundestag setzten sich die Anwälte Mertens massiv dafür ein, die Ratifizierung des Entschädigungsabkommens zurückzustellen und die griechische Justiz somit unter Druck zu setzen. Im Auswärtigen Amt kleidete man die Nötigungsabsicht in die folgenden diplomatischen Worte:
Die deutsche Botschaft wird beim Außenminister in Griechenland vorsichtig durchblicken lassen, dass es in der deutschen Öffentlichkeit nicht verstanden würde, wenn solche Verhandlungen vor der Regelung des Falles Mertens stattfänden.

2011 drängt die griechische Regierung ein weiteres Mal auf Entschädigungen für die Opfer der NS-Verbrechen. Mit seiner Reaktion "dafür habe ich kein Verständnis" führt Westerwelle die Kontinuität des Auswärtigen Amtes fort. Er befindet sich in bester Gesellschaft. Das Wissen um Verantwortung und die deutsche Geschichte, wie er es nennt, ist eine Lüge.

Dabei stehen wir hier vor einem wichtigen Ort in Bezug auf die Aufarbeitung von NS-Verbrechen: Im Curio-Haus fanden von 1946 bis 1949 unter britischer Militärverwaltung Prozesse gegen hochrangige Nazi-Täter statt. Unter anderem wurden hier 20 SS-Offiziere und Aufseher aus dem Konzentrationslager Neuengamme angeklagt, 11 davon zum Tode verurteilt. Das Curio-Haus erinnert an den Versuch, die kaum fassbaren NS-Verbrechen juristisch aufzuarbeiten und so den Opfern zumindest auf dieser Ebene Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Wir fordern von Westerwelle und FDP:

  • die sofortige Erfüllung des Distomo-Urteils durch die deutsche Regierung
  • die unverzügliche Entschädigung aller NS-Opfer
  • die Rücknahme der Klage Deutschlands vor dem Internationalen Gerichtshof

Hamburg, den 17. Februar 2011
Arbeitskreis Distomo

zurück