Von der Griechenland-Reise des Bundespräsidenten Joachim Gauck blieb besonders
ein Bild hängen: Beim Gedenken an ein Massaker der deutschen Wehrmacht vom 3.
Oktober 1943 im Ort Lyngiades legte Gauck seine Arme um den griechischen
Staatspräsidenten Karolos Papoulias. Jener befreite sich nach kurzer Zeit aus dieser
Umfassung, wohl auch weil er just vor dem Treffen öffentlich gefordert hatte, die
Verhandlungen über Reparationszahlungen für deutsche Verbrechen während des
Zweiten Weltkrieges sowie die Rückzahlung einer Zwangsanleihe aus dem Jahre
1942 über 500 Millionen Reichsmark aufzunehmen. Diese hatten die Nazis während
der Besatzung vom griechischen Staat erpresst. Es handelt sich also um eine
berechtigte und sehr konkrete Forderung, die nicht mit einem Knuddeln erwidert werden darf.
Zuvor brüskierte Gauck den griechischen Präsidenten bereits mit der Behauptung,
der rechtliche Weg für Entschädigungen sei abgeschlossen. Das ist aber reines
Wunschdenken deutscher Regierungspolitik. So fordert gegenwärtig die jüdische
Gemeinde Thessaloniki Entschädigung für die Verbrechen durch die deutsche
Besatzungsmacht vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Tatsache
ist zudem, dass aufgrund des rechtskräftigen Urteils im Fall des Massakers von
Distomo mit Zustimmung der griechischen Regierung jederzeit bundesdeutsches
Eigentum in Griechenland vollstreckt werden kann. Und die griechischen
Reparationsansprüche gegen Deutschland sind nie befriedigt und bis heute nicht erloschen.
Die deutsche Seite verweist regelmäßig auf im Jahre 1960 gezahlte 115 Millionen DM, angebliche
Reparationszahlungen. Das Geld war aber ein Tropfen auf den heißen Stein für die wenigen Überlebenden der jüdischen
Gemeinde, für die tausenden Opfer der deutschen Kriegsverbrechen gab es nichts. Deutschland verschweigt, dass der
Vertrag keinen Verzicht auf weitere Reparationszahlungen oder die Rückzahlung der Zwangsanleihe von 1942 beinhaltet.
Dass überhaupt etwas gezahlt wurde, lag an den damals in Griechenland geführten Strafverfahren gegen deutsche
Kriegsverbrecher, von denen einige zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren. So Max Merten – als
Kriegsverwaltungsrat und Leiter der Abteilung »Verwaltung und Wirtschaft« bei dem Wehrmachtsbefehlshaber in
Saloniki einer der Verantwortlichen an dem Massenmord der Juden von Thessaloniki. Obwohl zu 25 Jahren Haft
verurteilt, kam er ein halbes Jahr nach Abschluss des »Globalabkommens« auf Druck der Bundesregierung frei. Ein
Ermittlungsverfahren in Berlin wegen Beihilfe zum Mord an über 50 000 Juden wurde 1968 eingestellt.
In einem weiteren Punkt lässt Gauck tief in sein Geschichtsverständnis blicken. Er fragt, warum die
Gräuel der Besatzung Griechenlands in Deutschland weitgehend unbekannt sind. Die Antwort: Die deutsche Gesellschaft wollte
sich nie mit den Verbrechen auseinandersetzten! Das hätte auch bedeutet, Kriegsverbrecher zur Rechenschaft zu ziehen.
Während der deutschen Besatzung fielen hunderte Dörfer sogenannten »Sühnemaßnahmen« zum Opfer, die nach dem Ende des
Zweiten Weltkriegs von deutschen Gerichten als »Kampf gegen Partisanen« verklärt wurden. Keiner der Verantwortlichen
wurde von deutschen Gerichten verurteilt, obwohl die Täter bekannt sind und noch heute ihre mörderische
Tradition pflegen. So zelebrieren ehemalige Gebirgsjäger jährlich in Mittenwald einen Pfingstgottesdienst. Dabei
wird auch ein Kranz des Verteidigungsministeriums niedergelegt, der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund
Stoiber schickt ein Grußwort. Ein Hohn gegenüber den Opfern, dem endlich ein Ende bereitet werden muss!
Was die Voraussetzung für ein ehrliches Gedenken und die Grundlage für ein Verzeihen wäre, hat dagegen
Argyris Sfountouris, der als Vierjähriger seine Eltern bei dem Massaker von Distomo verlor, in einem
Interview im Jahr 2010 beschrieben: »Wenn nur einer von den vielen anonym gewordenen Tätern einsichtig
geworden wäre und sich vielleicht sogar persönlich entschuldigt hätte, wenn er wirklich echte Reue empfunden
hätte... Ich meine nicht so ein billiges, unverbindliches diplomatisches Entschuldigungs-Theater ohne Betroffenheit,
ohne Einsicht, ohne Folgen. Man darf die Bedeutung und die Kraft dieser echten, für beide Seiten wichtigen Reue
nicht unterschätzen... Die deutsche Nachkriegsgesellschaft hat das Leugnen und die Verdrängung von Schuld und
Grauen zur Staatsräson gemacht, so dass sich weder eine persönliche noch eine kollektive Verantwortung entwickeln
konnte – eine fatale Fehlentwicklung, deren Folgen unabsehbar und unvermeidlich sind und sein werden. Ohne Reue
kann man keine ethische Gesellschaft aufbauen.«
Jan Krüger, AK Distomo
Hamburg, den 13.3.2014
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