Joachim Lau, 2. Juni 2014

Erklärung zu dem gegenwärtigen Stand der Vollstreckungsverfahren in Italien

Sehr verehrte Bürgerinnen und Bürger von Distomo,
Sehr verehrter Bürgermeister,
Sehr verehrter Herr Präsident der Region von Mittel-Griechenland,
Liebe Freunde,

gestatten Sie mir durch die vorliegende Erklärung, die Anwesenden über den gegenwärtigen Stand der Vollstreckungsverfahren in Italien gegen die Bundesrepublik Deutschland zu informieren und Ihnen dazu meine Einschätzung rechtlicher und rechtspolitischer Natur mitzuteilen.

Zur Erinnerung:
1997 wurde Deutschland wegen des Massakers vom 10.6.1944 zu einem angemessenen Schadensersatz zu Gunsten der Familien von Distomo verurteilt und zwar auf der Grundlage des internationalen Rechtes, denn in Artikel 5 des Londoner Schuldenabkommens von 1953 hatte Deutschland sich verpflichtet, auf der Grundlage des Artikel 3 des Haager Abkommens von 1907 nach einer zukünftigen Wiedervereinigung die Bürger Griechenlands für die erlittenen Kriegsverbrechen zu entschädigen.

Falls es über die Höhe der Entschädigung keine Einigung geben könnte, sollten nach dem Abkommen die Geschädigten die Erlaubnis haben, das örtlich zuständige Zivilgericht auch in ihrem eigenen Land anzurufen.

Das Urteil des Landgerichtes von Livadia n. 137/97 war also völlig zu Recht ergangen. Es ist im Jahre 2000 bestätigt worden. Der Areopag ist zu Recht davon ausgegangen, dass Deutschland implizit auf seine Gerichtsimmunität verzichtet hatte. Leider hatte das Gericht den expliziten Immunitätsverzicht nicht geprüft.

Die daraufhin eingeleitete Zwangsvollstreckung gegen deutsches Vermögen in Athen wurde auf Wunsch der Bundesregierung von der griechische Regierung untersagt. Gleichzeitig einigte sich der damalige Bundeskanzler Schröder und sein Amtskollege Simitis, Griechenland in die Eurozone aufzunehmen, obwohl allen Beteiligten bekannt war, dass die Voraussetzungen für den Beitritt zur Eurozone nicht vorlagen.

Im Jahre 2005 hat mich deswegen der Präfekt von Livadia über das Büro Stamoulis beauftragt, die Vollstreckung in Italien fortzusetzen, weil nach der damaligen Rechtsprechung des italienischen Verfassungsgerichtes eine Intervention der italienischen Regierung nicht zu erwartet war. In 2007 wurde deswegen eine Sicherungshypothek auf ein deutsches Grundstück eingetragen und zwei Jahre später eine Forderungen des Deutschen Bahn in Höhe von 51.000.000 € gepfändet.
In 2008 und in 2011 wurden die beiden griechischen Urteile definitiv mit der italienischen Vollstreckungsklausel versehen.

Um den Folgen dieser gerichtlichen Entscheidungen vorzubeugen hat die Bundesregierung in Triest im Jahre 2008 unter Führung ihrer Kanzlerin Merkel mit der italienischen Regierung ihres kriminellen Kollegen Berlusconi, der für die Bestechung von Richtern bekannt ist, vereinbart, durch ein spezielles Regierungsdekret die Vollstreckung gegen deutsches Vermögen in Italien auszusetzen und gemeinsam den Internationale Gerichtshof anzurufen, um sich dort bestätigen zu lassen, dass der deutsche Staat wegen der von ihm zu verantwortenden Kriegsverbrechen gerichtlich nicht verfolgt werden kann.

Der Ausgang des Verfahrens vor dem Internationalen Gerichtshof war vorhersehbar und ist bekannt.

Was weniger bekannt ist, ist die Tatsache, daß der internationale Gerichtshof nicht zuständig war, über diese Frage zu entscheiden und dass der IGH wegen der direkten rechtlichen Betroffenheit anderer dritter Staaten diese entweder zur Teilnahme an dem Verfahren hätte einladen müssen oder die Klage Deutschlands als unzulässig hätte zurückweisen müssen, denn nach Artikel 28 des Londoner Schuldenabkommens war und ist ausschließlich zuständig ein Schiedsgericht, welches bis heute existiert und das seinen Sitz in Koblenz am Rhein hat.

Außerdem hat der Internationale Gerichtshof fehlerhaft seine Zuständigkeit nach Artikel 1 des Europäischen Abkommens zur Streitbeilegung von 1957 bejaht, obwohl dieses Abkommen ausdrücklich nach Artikel 28 Abs.2 nicht anzuwenden ist, dort wo die Grundrechte und Menschenrechte griechischer und italienischer Bürger betroffen sind; und das Recht auf richterliches Gehör gehört zu diesen Grundrechten.

Leider hat auch die Intervention der griechischen Regierung insofern wenig genützt, denn auf dem Höhepunkt der griechischen Staatsschuldenkrise, hatte die damalige Regierung Papandreou sich nicht gewagt, in dem Verfahren ordnungsgemäß zu konstituieren und sich anständig und inhaltlich zu verteidigen, obwohl schon 1972 ein internationales Schiedsgericht am Sitz der Vereinten Nationen festgestellt hatte, daß das Londoner Schuldenabkommen Gültigkeit habe und Deutschland verurteilt hatte nach Artikel 5, der griechischen Regierung ein Angebot für die Bezahlung seiner Kriegsschulden aus dem 1. Weltkrieges zu unterbreiten. Gleiches sollte hinsichtlich der Schulden des 2. Weltkrieges gelten.

Nach dem Urteil des IGH vom 3.2.2012 hat die Regierung Berlusconi/Monti auf Verlangen der Bundesregierung ein Gesetz erlassen – Gesetz n. 5/2013 - mit dem die italienischen Gerichte verpflichtet werden sollten, ihre Gerichtsbarkeit zu verneinen, wenn solche Verfahren schwere Menschenrechtsverbrechen des deutschen States zum Gegenstand haben. Außerdem können danach rechtskräftig abgeschlossene Urteile - und dazu gehören auch die griechischen Vollstreckungstitel - rückwirkend wieder annulliert werden. Zu diesem Zweck sind insgesamt 4 Verfahren anhängig. Für den 10.6.2014 ist vor dem Oberlandesgericht Florenz Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt.

Ich hoffe, dass am Dienstag nächster Woche das Oberlandesgericht Florenz das Wiederaufnahmeverfahren gegen das Urteil des Landgerichtes in Livadia n. 137/97 suspendiert - so wie dies der Kassationsgerichtshof in Rom schon mit seiner Entscheidung am 25 März dieses Jahres in einem Parallelverfahren getan hat, in Erwartung der Entscheidung des italienischen Verfassungsgerichtes in einem Vorlageverfahren, welches derzeit unter dem Aktenzeichen 14 - C - 121, 122 123 dort anhängig ist und in dem geprüft wird, ob das Urteil des Internationalen Gerichtshofes, bzw. die dazu erlassenen innerstaatlichen Umsetzungsnormen d.h. das Gesetz N. 5/13 gegen die italienische Verfassung verstößt (1), die mündliche Verhandlung ist für den 23.9.2014 anberaumt.

Nach den letzten 100 Jahren kriegerischer Konflikte innerhalb und außerhalb Europas, die mit unaussprechbarer Grausamkeit und Menschenverachtung zum Zwecke politischer und ökonomischer Ziele unter flagranter Verletzung des internationalen Rechtes geführt wurden, stellt sich das rechtliche und politische Manöver der Bundesregierung, welches das Ziel hat, die Rechtsfolgen der kriminellen Handlungen ihrer Vorgängerregierung zu beseitigen, nicht nur als der schamlose Versuch dar, dieses kriminelle Verhalten historisch und rechtlich umzudeuten oder zu beschönigen. Was die gegenwärtige Dynamik ökonomischer und politisch-militärischer Prozesse angeht, ist es darüber hinaus als ein rechtsideologischer Großangriff auf die bestehenden Menschenrechte innerhalb und außerhalb Europas anzusehen.

Wo ist der rechtliche Unterschied zwischen dem Massaker von Distomo und dem Drohnenangriff auf eine afghanische Hochzeitsgesellschaft?

Wenn die Opfer von Distomo und die Erinnerung daran noch irgendeine Bedeutung für die Gegenwart haben sollten (das Wort Opfer benutze ich nicht gerne, weil es eine nicht existierende übernatürliche Gewalt suggeriert, die mit den Opfern, Menschenopfern zu Gunsten der Lebenden besänftigt werden soll, die sich in der Gewalt dieses höheren Wesens befinden), so kann diese Bedeutung heute nur diejenige sein, dass die Verantwortlichkeit der Staaten und der für sie agierenden Personen eruiert und anerkannt wird und damit das Bestehen der rechtlichen Normen, welche den Krieg und diejenigen Handlungen verbieten, welche auch heute noch diese "erwünschten" Kollateralschäden verursachen.

In einem historischen Moment, in dem völkerrechtliche Normen zum Schutz des Menschen von den Staaten bewusst und vor aller Augen gebrochen werden, wo die Rückkehr zur Tortur, zur Massenschlachtung, zur Deportation und Versklavung zum Arsenal kriegerischer Konflikte rehabilitiert werden, scheint es höchste Zeit zu sein, dass der verantwortliche Staat Deutschland - nach 70 Jahren - endlich seine Schulden gegenüber der Bevölkerung von Distomo bezahlt. D. h. auch im Sinne des germanischen Rechtes, eine Handlung vornimmt die
1. die die Geschädigten und ihre Erben "entschädigt"
2. um damit sich selbst und allen anderen zeigt, daß er die Rechtswidrigkeit seines Handelns anerkennt.
Da er dies nicht tut, kann daraus nur geschlossen werden, dass sich dieser Staat insgeheim vorbehalten will, in Zukunft alleine oder zusammen mit anderen Staaten weitere Verbrechen zu begehen. Daran können auch die peinlichen Lippenbekenntnisse freundlicher, alter Herren mit deutschem Pass nichts ändern.

Der juristische Kampf um die Vollstreckung des Distomo-Urteils erscheint mir deswegen nicht unwichtig zu sein. Zum 70.ten Jahrestag des Massakers in Distomo konnte der Unterzeichnende leider nicht in Distomo anwesend sein.

Ich hoffe dennoch, daß der vorliegende Beitrag in schriftlichen Form, und hoffentlich in griechischer Sprache übersetzt, von Ihnen als Ausdruck meiner Solidarität verstanden wird.

Rechtsanwalt - Avvocato
Dr. Joachim Lau
Firenze, il Juno 2014


(1) Der Appellationsgerichtshof in Florenz hat nun tatsächlich die Verhandlung auf den 15. November 2015 verschoben in der Erwartung, dass bis dahin das Verfassungsgericht über die Legitimität des Gesetzes n.5/13 entschieden habe.

zurück