Pressemitteilung vom 10. August 2014
zum Jahrestag des SS-Massakers in Sant’Anna di Stazzema

Erzwingung der Anklage gegen NS-Kriegsverbrecher Gerhard Sommer
Gerichtsverhandlung in Italien über Entschädigung von NS-Opfern

Am 5. August 2014 entschied das Oberlandesgericht Karlsruhe positiv über einen Antrag auf Erzwingung der Anklage gegen Gerhard Sommer. Die Staatsanwaltschaft in Hamburg muss nun über die Anklageerhebung entscheiden.

Gerhard Sommer war als Kompaniechef an dem Massaker von Sant’Anna di Stazzema beteiligt, bei dem am 12. August 1944 in dem italienischen Dorf 560 Menschen von einer SS-Einheit ermordet wurden. Sommer wurde bereits 2005 vom italienischen Militärgericht in La Spezia in Abwesenheit zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Strafe wurde bis heute nicht vollstreckt. Eine Auslieferung nach Italien war nicht möglich. Sommer lebt daher bis heute unbehelligt in Hamburg-Volksdorf.

Trotz der Verurteilung in Italien stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Ermittlungsverfahren gegen Gerhard Sommer und andere SS-Männer mit abwegiger Begründung ein, nachdem sie das Verfahren jahrelang verschleppt hatte. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Stuttgart wurde von den Überlebenden aus Sant’Anna di Stazzema als fortgesetzte Demütigung empfunden. In Stuttgart wartete man offenbar auf die biologische Lösung des Problems. Gerhard Sommer erfreut sich allerdings noch guter Gesundheit und ist verhandlungsfähig.

Die Entscheidung aus Karlsruhe ist ein großer Erfolg und eine Genugtuung für die Opfer und Überlebenden des Massakers. Der Arbeitskreis Distomo unterstützt das Anliegen der Opfer und schließt sich deren Forderung an, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg nun unverzüglich Anklage erheben muss.

Zeitgleich hat das Italienische Verfassungsgericht bekannt gegeben, dass am 23. September 2014 eine öffentliche Verhandlung in einem Prozess für die Entschädigung von NS-Opfern stattfinden wird. Auch hier geht es darum, ob fast 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs endlich Gerechtigkeit geschaffen wird. Deutschland verweigert nach wie vor den meisten NS-Opfern eine Entschädigung für das erlittene Leid.

In einem Verfahren dreier ehemaliger NS-Zwangsarbeiter geht es darum, ob die Gerichte in Italien über deren Klagen auf Entschädigung gegen Deutschland verhandeln dürfen oder nicht. Die deutsche Seite verneint dies und stützt sich dabei auf ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag, der Deutschland Staatenimmunität für die NS-Kriegsverbrechen zubilligte. Diesen Freibrief des IGH versucht Deutschland nun zu nutzen, um alle weiteren Klagen abzuwehren.

Das Landgericht Florenz war allerdings anderer Auffassung und legte dem Verfassungsgericht das Verfahren zur Entscheidung vor. Im Kern geht es darum, ob die Opfer und Überlebenden von NS-Kriegsverbrechen ihr Recht vor den Gerichten ihres Herkunftslandes suchen dürfen oder nicht.

Der IGH hat die Rechte der Individuen und deren Ansprüche auf Entschädigung missachtet. Das Italienische Verfassungsgericht muss darüber befinden, ob das Urteil aus Den Haag gegen die Italienische Verfassung verstößt.

Die Entscheidung wird weitreichende Auswirkungen haben. Bejaht das Verfassungsgericht einen Verfassungsverstoß, könnte in Italien weiter auf Entschädigung geklagt und bestehende Urteile wie im Fall Distomo (Griechenland) vollstreckt werden.

Offenbar versucht die deutsche Seite schon im Vorfeld Einfluss auf diese Entscheidung zu nehmen. So besuchte eine Delegation des Bundesverfassungsgerichts erst kürzlich das Italienische Verfassungsgericht, um unter anderem den jetzigen Fall zu diskutieren. Sicherlich ist der Zeitpunkt des Besuchs kein Zufall. Noch im Januar dieses Jahres reiste Bundespräsident Gauck nach Sant’Anna di Stazzema und verkündete unter Beileidsformeln, dass der Rechtsstaat heute die Instrumente fehlten, um Gerechtigkeit für das Massaker zu schaffen. Im März diesen Jahres besuchte Joachim Gauck Griechenland und nahm dort an der Trauerfeier in dem Ort Lyngiades teil, das ebenfalls durch NS-Truppen vernichtet wurde. Im Juni 2014 kam Bundesaußenminister Steinmeier in das toskanische Civitella, dem Ort eines weiteren im Jahre 1944 begangenen NS-Massakers. Diese Staatsbesuche dienen der Abwehr juristischer Verpflichtungen gegenüber den Opfern von NS-Verbrechen, die Trauerreden sind tatsächlich Theaterdonner ohne Konsequenz.

Die Bundesregierung verweigert sich den Forderungen der NS-Opfer und hintertreibt konsequent die Durchsetzung der Ansprüche der Opfer und Überlebenden, nicht nur in Italien. In Verhandlungen mit Griechenland über einen sogenannten „Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds“ wird derzeit versucht, durch die Hintertür Entschädigungs- und Reparationsforderungen auszuschließen.

Der AK Distomo fordert im Gedenken an die Opfer von Sant’Anna di Stazzema, dass endlich alle NS-Opfer entschädigt und alle noch lebenden NS-Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden.

AK Distomo, Hamburg, den 10.8.2014

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