Sicherheits- und Überwachungswahn, staatlicher Rassismus und die Bekämpfung vermeintlich organisierter Kriminalität fanden ihren Ausdruck und ihre Legitimation in zahlreichen Gesetzesinitiativen, die alle ein gemeinsames Merkmal aufwiesen: die tendenzielle Einschränkung individueller Freiheiten. Ein Blick in die Geschichte der Bundesrepublik macht deutlich, daß Konformität und sichtbare öffentliche Gewalt kontinuierlich zugenommen haben. In den siebziger Jahren hatte die öffentliche Meinung in der BRD auf einige spektakuläre "terroristische Aktivitäten" mit einer solchen Steigerung des Sicherheitsbedürfnisses reagiert, daß die Politik die "innere Aufrüstung" ohne größeren Widerstand durchsetzen konnte. Nach dem Niedergang des Realsozialismus 1989/90 und dem damit verbundenen Wegfall des militärischen und weltanschaulichen Bedrohungsszenarios durch die Staaten des Warschauer Paktes fand die staatliche Repression verstärkt neue AdressatInnen. Im Mittelpunkt standen nun Diskurse zur "Asyldebatte" und zur "Inneren Sicherheit". Läßt man Revue passieren, in welchem Ausmaß seit Anfang der 90er Jahre Einschnitte in die doch wenigstens noch als Garant kleinster demokratischer Gemeinplätze verstandene "freiheitlich-demokratische Grundordnung" vorgenommen wurden, jagte eine Verschärfung die nächste. Abgesehen von den reellen Bedrohungen, die sich aus der Gesetzeslage vor allem für MigrantInnen, sozial Schwache und die politische Linke ergeben, besteht auch die Gefahr, daß Gesetze nicht immer nur dazu verabschiedet wurden, um auch effektiven Gebrauch von ihnen zu machen.
Häufig soll nur ein symbolischer Ankündigungseffekt erzielt werden - ein wirksamer Gebrauch kommt möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt. Das Fehlen einer linksliberalen Öffentlichkeit und der Schulterschluß der VertreterInnen des "nationalen Sicherheitsbedürfnisses" durch alle politischen Lager machten es dabei um so schwerer, der schier unbegrenzt vorhandenen Phantasie zur Durchsetzung neuer repressiver Gesetzesvorhaben wirksamen Protest entgegenzusetzen. Im Folgenden soll deshalb ein sicherlich unvollständiger Überblick zur gegenwärtigen Gesetzeslage anhand den drei folgenden Komplexen gegeben werden.
Vor dem Hintergrund der Bekämpfung der RAF/RZ und der Bewegung des 2. Juni kam es zum Ausbau der Befugnisse und der technischen Ausstattung der Länderpolizeien, des Verfassungsschutzes, des BGS und des BKA. Dieses in Fachkreisen als bereits sehr hoch bezeichnetes sicherheitsstaatliches Niveau bildete die Basis für die gegenwärtige Aufrüstungspolitik.
"Organisierte Kriminalität" (OK)
Im Laufe der neunziger Jahre kam es durch die CDU/FDP-Bundesregierung zu zahlreichen Gesetzesnovellierungen, die das Szenario der "hochorganisierten, international agierenden Verbrecherbanden" bekämpfen sollten (Anti-OK-Sonderrechtssystem). Nicht zuletzt fanden dabei die Antiterrorparagraphen eine erweiterte Anwendung. Das im September 1992 erlassene "Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der OK" erweiterte Befugnisse für den Einsatz verdeckter Ermittlungen, akustischer Überwachung (außerhalb) der Wohnung und installierte die Rasterfahndung in diesem Bereich. Durch das im November 1993 verabschiedete "Geldwäschegesetz" sollte das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten erleichtert, Geldwäsche erschwert und das Erkennen von Strukturen Organisierter Kriminalität ermöglicht werden. 1994 trat das "Verbrechensbekämpfungsgesetz" in Kraft. Es beinhaltet die Einführung der "Kronzeugenregelung", beschleunigter Verfahren in der Strafprozeßordnung (Hauptverhandlungshaft) sowie erhebliche Einschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses.
Durch das 1994 novellierte „Bundesgrenzschutzgesetz" wurden die Kompetenzen des BGS bei Observationen, Überwachung und Verfolgung von Flüchtlingen im Inland und an der Grenze u.a. durch "anlaß- und verdachtsunabhängige Kontrollen" erweitert. Mehrere neugefasste Länderpolizeigesetze erlaubten des Weiteren, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, flächendeckende Aufenthaltsverbote, Platzverweise, Unterbindungsgewahrsam, Videoüberwachung öffentlicher Plätze und den "Großen Lauschangriff" sowie "verdachtsunabhängige Kontrollen" auch durch die Polizei. Mit der gesetzlichen Verankerung des "Großen Lauschangriffs" 1998 fand diese erste große Welle zur Sicherung der "Inneren Sicherheit" vorerst ihren Abschluß. Dieser gesetzliche Vorstoß zur Aufzeichnung von Gesprächen in Wohnungen, wobei entsprechende Technik heimlich installiert wird, ist durch eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat beschlossen wurden. Dies bedeutete die faktische Aushebelung des im GG Art. 13 festgeschriebenen Grundsatzes "Die Wohnung ist unverletzlich". Die Liste des legalisierten Aushorchens umfaßt etwa 50 Einzeldelikte mit rund 100 Begehungsformen, darunter auch solche, die für das inszenierte Bild der Organisierten Kriminalität nicht gerade typisch sind, wie z. B. schlichter Ladendiebstahl.
Verschärfungen im Asyl - und AusländerInnenrecht
Ein weiteres Feld gesetzlicher Initiative stellte die Asylrechtsgebung dar. Ausgehend vom rassistischen Konstrukt einer "Asylantenflut" und des "kriminellen Ausländers", verknüpft mit den weit verbreiteten rassistischen Grundeinstellungen, kam es in den neunziger Jahren zu einer Reihe von Gesetzesveränderungen in der Asylrechtsgebung. Die Pogrome in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen 1991/92 dienten dabei als Begründung für die faktische Auflösung des im Grundgesetz Art. 16 verbrieften Rechts: "Politisch Verfolgte genießen Asyl". Bereits 1991 wurde die Neuregelung der Ausländergesetze mit der Folge der umfassenderen Überwachung von Flüchtlingen durch besseren Datenfluß zwischen den zuständigen Behörden beschlossen. Die Neuregelung des Asylrechts 1993 schränkte die ehemals gesetzlich festgeschriebene Möglichkeit, in der Bundesregierung Asyl zu finden , drastisch ein. 1994 beschränkten weitere Änderungen des Ausländergesetzes die Bewegungsfreiheit Asylsuchender in der Bundesrepublik. Die Möglichkeiten politischer Betätigung wurden drastisch eingeschränkt, indem verfügt wurde, daß die Teilnahme an einer unangemeldeter oder gewaltsam verlaufenden Demonstration unweigerlich die Abschiebung nach sich zieht. Auch die Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung wurde erheblich erschwert. Eine neuerliche Einschränkung stellte der Gesetzesentwurf zur Streichung von Sozialhilfe für ausreisepflichtige Flüchtlinge dar, der 1998 auf Länderebene realisiert wurde, ebenso wie die Einführung der Asylcard die zur totalen Überwachung und Kontrolle in allen Lebensbereichen führt.
1985 kam es zwischen Deutschland, Frankreich und den Beneluxstaaten vor dem Hintergrund der verstärkten "Migrationswelle" aus Ländern der sogenannten 3. Welt nach Westeuropa zu ersten Verhandlungen über ein Abkommen, daß die Öffnung der Binnengrenzen und die gemeinsame Sicherung der Außengrenzen vertraglich regeln sollte. Nach dem Zusammenbruch des realsozialistischen Weltsystem wurde der "Druck" durch das Hinzukommen von Flüchtlingen aus Süd und Osteuropa immer größer. 1995 trat das Abkommen in Kraft, nachdem noch Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Österreich, Dänemark, Schweden und Finnland beigetreten waren. Die oberste Zielsetzung des Vertrages, die Abschottung der EU-Außengrenzen, die v.a. auf Drängen der BRD und Frankreichs zurückzuführen war, läßt sich dreiteilen:
I. Sicherung der EU-Außengrenzen mit Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, "das unbefugte Übertreten der Außengrenzen mit Sanktionen zu belegen"; die sogenannte Drittstaatenregelung illegalisiert praktisch jeden Flüchtling, der auf dem Landweg in eines der Mitgliedsstaaten einreist, da die Nachbarstaaten als sichere Drittländer eingestuft werden, in denen bereits Asyl hätte beantragt werden können. Um die Regelung über die sicheren Herkunftsländer und den Drittstaaten in die Praxis umsetzen zu können, wurden die osteuropäischen Länder, die als Transitländer dienten, mit sogenannten Rücknahmeverträgen erpreßt. So wurde z.B. die Entwicklungshilfe gekürzt und das Verlieren der Visumsfreiheit angedroht. II. Überwachung: alle beteiligten Länder sind an das Datenaustauschsystem SIS angeschlossen, mit dem alle Flüchtlinge erfaßt werden; von jedem der über 30.000 Endgeräte kann beispielsweise abgefragt werden, ob ein Flüchtling nicht bereits in einem anderen Mitgliedsstaat Asyl beantragt hat und abgewiesen wurde. III. Abschiebung; gelangt ein Flüchtling über einen sicheren Drittstaat in die EU, kommt er aus einem angeblich sicheren Herkunftsland (z.B. Türkei) oder wird sein Asylantrag aus einem anderen Grund abgelehnt, setzt die Abschiebungsmaschinerie ein; nach Unterbringung in einem der Abschiebegefängnisse wird er ohne Rücksicht auf die politische und wirtschaftliche Situation in seinem Heimatland unter in der Regel gewalttätigen Umständen abgeschoben. In den Jahren 1993 bis 1995 starben in der BRD mindestens 25 Menschen durch die staatlichen Abschiebemethoden.
Um diese Regelungen durchsetzen zu können wurde die Europol (Europapolizei) eingesetzt, die keinen Kontrollen unterliegt.
All diese Gesetzesnovellierungen wurden durch die breite Masse der deutschen Bevölkerung und Öffentlichkeit unterstützt. Seit dem Ende des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung scheint der Ruf nach mehr Sicherheit angesichts der sozialen und ökonomischen Krisen stetig gewachsen zu sein. Erfolgreich wurde dieses künstlich gesteigerte Sicherheitsbedürfnis seitens der parlamentarischen VertreterInnen aufgegriffen und in Gesetze gegossen. Ein Blick auf die sicherheitspolitischen Positionen der bundesrepublikanischen Parteien offenbart dabei in der Regel Gemeinsamkeiten - im Gegensatz zu erwartenden Unterschieden nach den Prinzipien der Demokratie. Ein Querschnitt durch die aktuellen innenpolitischen Programme macht dies deutlich: Ob es nun heißt, "neue kreative Formen der Kriminalitätsbekämpfung" zu entwickeln (CDU), "Alltagskriminalität schnell und angemessen bestrafen" (SPD), "die Entkriminalisierung von sog. Bagatelldelikten ist der falsche Weg" (FDP) oder "Alltagskriminalität konsequent, aber bürokratiearm bestrafen" (B90/Die Grünen), gleich ist ihnen der Tenor[ 1 ]. Exponente Stellungnahmen (wie die des Berliner CDU-Abgeordneten Landowsky "wo Müll ist, sind Ratten") mögen dabei noch extrem wirken und einen "Aufschrei" der kritischen und sensibilisierten Öffentlichkeit bewirken, de facto bedeuten sie die Speerspitze des nicht mehr parteigebundenen gesellschaftlichen Konsens. Aufgegliedert nach den einzelnen Parteien und der jeweiligen Klientel, die sie traditionell bedienen, ergibt sich das gleiche Bild. Längst haben die Sozialdemokraten die traditionellen Sicherheitsverfechter von der CDU rechts überholt. Nicht erst seit den Bundestagswahlen 1998, wo im Vorfeld Kanzlerkandidat Gerhard Schröder die Parole "Kriminelle Ausländer raus - und das so schnell wie möglich!" ausgab, zählen die deutschen VertreterInnen von Law and Order zu den MeinungsführerInnen in puncto Innere Sicherheit. Weitere drastische Verschärfungen des Auländer- und Asylverfahrensrechts oder die aktuelle Verordnung zur Änderung des Passgesetzes im Hinblick auf die Fußball-EM, genau wie die Einführung einer Gendatei für StraftäterInnen veranschaulichen diese Entwicklung und deren gesetzliche Absicherung durch die SPD-geführte Bundesregierung.
Opposition oder gar Widerstand ist hingegen ist rar gesät. Selbst die ehemalige Bürgerrechtspartei Bündnis 90/Die Grünen hat endgültig ihr einst gebrochenes Verhältnis zum Staat verloren. Getreu der im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Leitlinie, "entschlossen gegen Kriminalität" vorzugehen, herrscht in der Partei inzwischen die Auffassung vor, "aufpassen zu müssen, daß wir nicht zu spät kommen, während die Gesellschaft längst weiter ist." Auch das Sicherheitsverständnis der PDS ist, abgesehen von einigen parteiintern kritisierten Opponenten, eher noch der DDR-Sozialisation von Recht und Ordnung verhaftet. Inzwischen ist jegliche Gegenposition aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwunden. Parteiunabhängige Vereinigungen wie die Arbeitsgruppe Kritischer PolizistInnen werden dank ihres systemimmanenten Verständnisses als "Stachel im Fleisch" und "Dienstleistungsunternehmen" wenig auszurichten vermögen. Demnach verbleiben lediglich Bürgerrechtsgruppen, Antirassismusinitiativen und MigrantInnengruppen, die sich gegen diese Entwicklung wehren. Bedroht durch staatliche Kriminalisierungsversuche und durch gesellschaftliches Desinteresse werden diese jedoch ausgegrenzt. Die mühevolle Kleinstarbeit kann dabei realistischerweise aber nie Vorbildfunktion entwickeln. Wir sollten die lange nicht ernst genug genommene Entwicklung nicht völlig verschlafen und jetzt mit dem Widerstand gegen die Überwachungsgesellschaft und den Sicherheitswahn beginnen. Es wird sich zeigen, daß die Politik von Sicherheitshysterie und Überwachungswahn angreifbar ist.
[ 1 ] Alle Zitate sind den jeweiligen Internetseiten der Parteien entnommen, Stand Mai 2000
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