Die ersten Opfer des Sicherheits- und Überwachungswahnes sind die rassistisch Ausgegrenzten. Mit dem Fall des eisernen Vorhangs brach auch das militärische Bedrohungsszenario durch die Staaten des Warschauer Paktes weg. Der neue Feind ist nach dem fast weltweiten Sieg des kapitalistischen Gesellschaftsmodells nicht mehr der Sozialismus bzw. Kommunismus, sondern das "international organisierte Verbrechen". Seit dem bedrohen Gangsterbanden, Drogenhandel, (wahlweise russische, sizilianische, Zigaretten- oder sonstige) Mafias, Schleuserbanden und allerlei andere Schurken die "innere Sicherheit" Europas und seiner Mitgliedsstaaten. Das Böse ist immer und überall und obendrein noch international organisiert.
Rassistische "Argumentationen" und irrationale Bedrohungsszenarien - wie das der "Organisierten Kriminalität" - dienen immer wieder als Legitimation und Grundlage für die weitere Aufrüstung in puncto Überwachung/Sicherheit und die Einschränkung von individuellen Freiheiten. Nicht von ungefähr schließt sich der Diskurs der "inneren Sicherheit" direkt an die "Asyldebatte"[ 1 ] an. Als Tatort des Diskurses wird das sogenannte Schengeneuropa und die angrenzenden Staaten ausgemacht. Die "Täter" sind meistens rassistisch definierte Gruppen - seien es nun polnische Autoschieber(innen), tschechische Menschenhändler(innen), türkische Drogendealer(innen), rumänischer Einbrecherbanden, russische Auftragsmörder(innen), zerstörungswütige kurdische PKK-Anhänger(innen) oder islamische Fundamentalist(inn)en. "Im OK-Bereich haben wir es fast ausschließlich mit Ausländern zu tun."[ 2 ] Logisch, haben doch die VertreterInnen der deutschen Volksgemeinschaft ein viel zu weiches Gemüt für solch brutale und grausame Taten.
Der Diskurs der "inneren Sicherheit" ist kein einseitig lancierter, sondern eine Melange aus staatlichen Interessen, Medienhype und Stammtisch bzw. High-Society-Talk. Gemein ist allen Beteiligten, daß weder konkrete Erlebnisse noch tatsächliche Bedrohungen eine Rolle spielen. Das Risiko, als BewohnerIn einer europäischen Großstadt zum Opfer einer "schwerwiegenden Straftat" zu werden, liegt im Bereich der Wahrscheinlichkeit eines hohen Lottogewinns. Allein halluzinierte Bedrohungen und Projektionen über die "Organisierte Kriminalität" liefern den Stoff für PolitikerInnen, JournalistInnen und den Rest der Bagage. Die Jagd von Verbrechern, die Verfolgung von Bankräubern, Geiselnehmern und Terroristen, die Berichte über russische, italienische, albanische oder chinesische Banden, über gewalttätige Jugendliche, liefern den Schrecken frei Haus ins Wohnzimmer. Dort findet gleichzeitig auch der größte Teil des Kontaktes mit dem Verbrechen statt. Aber nicht nur Medienhype sowie massive Polizeipräsenz und martialische Auf- und Ausrüstung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes lassen den Eindruck entstehen, daß das Verbrechen überall lauert. Der Konsens des Sicherheitswahnes verbindet fast die gesamte Gesellschaft, seien es Liberale, Sozis oder Konservative. Zwar unterscheiden sich die Forderungen und Sicherheitskonzepte noch, Einigkeit besteht aber über die angebliche Bedrohung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Der rassistische Konsens[ 3 ] und die deutschen Sekundärtugenden (Sauberkeit, Ordnung, Disziplin) sind verbindende Elemente beim Ruf nach mehr Sicherheit und weniger Freiheit. Während sich Grüne und Sozialdemokraten mit der Verschärfung der Polizeigesetze und Sicherung der Festung Europa beschäftigen und Liberale noch in ihren Initiativen wie "Hier wachen Nachbarn" oder den "Präventionsräten" und "Sicherheitspartnerschaften" rumwerkeln, dürften einige Konservative den Ruf nach der Todesstrafe schon wieder auf der Zunge haben.
staatliches Engagement, ...
Während die Chance auf eine legale Einreise nach Schengeneuropa mittlerweile fast bei Null angekommen ist, wird jetzt im Inneren aufgeräumt. Von staatlicher Seite wird die Kriminalisierung unter anderem durch alljährliche Kriminalitätsstatisken vorangetrieben. Nicht erwähnt wird dabei meistens, daß ein Großteil der Delikte (z.B. Verstöße gegen das Ausländergesetz und das Asylverfahrensgesetz) nur von Nichtdeutschen begangen werden kann. Unerwähnt bleibt auch, daß eine Vielzahl dieser Straftaten, wenn sie ein/e Deutsche/r begehen könnte, allemal als Ordnungswidrigkeiten eingestuft würden. Von dem rassistischen Anzeigeverhalten bei Straftaten wie Diebstählen etc. und den sozialen Ursachen, die Flüchtlinge zur Kleinkriminalität zwingt[ 4 ], ganz zu schweigen.
Die Umsetzung der Law and Order Politik durch Polizei und BGS betraf als erstes MigrantInnen. Durch die Ausweitung polizeilicher Befugnisse vor allem auf verdachtsunabhängiges Handeln müssen diese schon seit mehreren Jahren mit jederzeit möglichen Kontrollen auf öffentlichen Plätzen leben. Dabei bedarf es für diese Durchsuchungen keine konkreten Tatvorwürfe mehr. Es wird auf einen Zufallstreffer gehofft und die betroffenen Gruppen werden nach dem Motto: "die Polizei wird schon ihre Gründe haben" oder "Wer sooft kontrolliert wird, muß auch was verbrochen haben" diskreditiert. Weitere Verschärfungen staatlicher Praxis gegenüber MigrantInnen sind die Residenzpflicht[ 5 ], die Normalisierung der Abschiebehaft als staatliches full-time-Überwachungskonzept, die Einführung der "Asylcard" und die Gutscheinverpflegung für AsylbewerberInnen. Diese pauschale Kriminalisierung als angebliche SozialschmarotzerInnen und die allumfassende Kontrolle könnte deutsche SozialhilfeempfängerInnen wohl ein paar Jahre später treffen.
... die Rolle der Medien ...
Auch die Medien liefern ihren Beitrag zum Sicherheitsdiskurs. Sie fungieren als Multiplikator von rassistischen Forderungen und Positionen. In Verbindung mit dem rassistischen Konsens gibt es eine Aufgabenverteilung zwischen den Medien und ihren KonsumentInnen. Den Medien kommt die - zuverlässig erfüllte - Rolle zu, aus Ansichten "Argumente" zu machen, indem sie ständig "schwere Straftaten" wie Mord, Totschlag, Raub und Verbrechen der "organisierten Kriminalität" als Headliner und Topthemen ausschlachten. Dabei wird fast nie vergessen, die religiöse oder ethnische Zugehörigkeit der "Verdächtigen" zu nennen. Die LeserInnen nehmen diese "Argumente" natürliche gerne als "Beweisführung" ihrer rassistischen Ansichten auf. Während JournalistInnen bis 1988 laut Pressekodex für die publizistische Arbeit "darauf ... verzichten [sollten], die Rassenzugehörigkeit der Beteiligten ohne zwingenden Anlaß zu erwähnen", hat der Deutsche Presserat diese Richtlinie 1988 geändert. Jetzt darf "in der Berichterstattung über Straftaten ... die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt [werden], wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht." Natürlich ist die "Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten" immer bedeutsam "für das Verständnis des berichteten Vorgangs".
Des Weiteren steht die tatsächliche Relevanz "schwerer Straftaten" in keinem Zusammenhang mit der projizierten Bedrohung durch die Berichterstattung. Der Anteil der "Organisierten Kriminalität" an der gesamten "Kriminalität" liegt gerade mal im Promillebereich. Selbst das BKA versucht sich kritisch zu dem medialen Pushing zu äußern: "Organisierte Kriminalität (OK) war auch 1997 ein Thema mit hohem Aufmerksamkeitswert. In der öffentlichen Diskussion äußerte sich dies in einer immer wieder spektakulären Aufbereitung durch die Medien. Erklärlich ist somit auch die besondere Sensibilisierung der Öffentlichkeit und die zum Teil erhebliche Beeinträchtigung des subjektiven Sicherheitsgefühls der Bevölkerung."[ 6 ]
... und die der Bevölkerung
Währenddessen überlassen die Bürgerinnen und Bürger die Exekutivbefugnisse nicht allein staatlichen Organen. Kurz nach dem Zusammenbruch der DDR führten z.B. Potsdamer BürgerInnen eine Praxis ein, die glücklicherweise von einem Gericht später untersagt wurde. Sie kontrollierten die Schnellstraße nach Berlin und hielten ausländisch aussehende FahrerInnen an. "Verdächtige" übergaben sie der Polizei[ 7 ]. Kurz darauf wurde, in der aufgeheizten Stimmung durch die Pogrome von Hoyerswerda, Mölln, Solingen, Rostock und all den anderen Orten wiedervereinigter Grausamkeit, die Abschaffung des Asylrechtes durchgesetzt. Dabei lieferten vor allem die deutschen SpießerInnen, die bei "Überfremdungsgefahr" schnell zum "Lynch-Mob" wurden, jenes Argument, mit dem das Grundrecht 1993 abgeschafft werden konnte. Auch heute können und wollen staatliche Organe nicht allein für die Durchsetzung der verschärften Repressionspolitik und der Ausgrenzung sozialer Minderheiten eintreten. Projekte wie die freiwillige Polizeireserve, Bürgerwehr und Nachbarschaftshilfe setzen gemeinsam mit staatlichen Instanzen das Konzept der zero tolerance durch. Gleichzeitig wird noch die Selbstjustiz wieder eingeführt, wobei wir jedoch nicht nur an die faschistischen Horden, die im Osten wie im Westen der neuen "Berliner Republik" für Schlagzeilen sorgen, denken. Durch die Privatisierung der individuellen Sicherheit haben die BürgerInnen eine größere Teilhabe an der ausführenden Gewalt (Community Policing). Während dies für Liberale und Sozis ein Fortschritt darstellt (der in der angeblichen Machtteilung und der Kontrolle der Polizei bestehen soll), kann es uns angesichts des rassistischen Konsens in der Gesellschaft davor nur Gruseln. Dazu drei kurze Beispiele:
In Schwedt, Brandenburg sieht "Ein Deutscher ... vor seinem Küchenfenster zwei dunkelhäutige Männer vorbeigehen. Er schnappt sich ein [25 cm langes Küchen-] Messer, springt vom Balkon und verletzt einen der beiden lebensgefährlich. Den anderen sticht er nicht ab, weil die Klinge abgebrochen im Körper des Opfers steckt"[ 8 ]. Aufgeschreckt durch einen Brief von AsylbewerberInnen aus Rathenow, in dem sie unter anderem forderten: "Bitte bringen Sie uns von Brandenburg weg, wenn die Bevölkerung nicht zur Ruhe gebracht und die Genfer Konvention nicht umgesetzt werden kann."[ 9 ] fuhr ein ReporterInnenteam des SFB nach Rathenow und gelangte dort zu folgenden Statements: "Warum schlagt ihr sie zusammen? Was haben sie Dir getan? - Na ja, die haben eine andere Farbe als wir, dett is es. - Das stört dich? Das ist ziemlich rassistisch! - Na klar. - Darauf bist du stolz? - Ist doch jeder hier, na klar." oder "Also wir leben wie richtige Deutsche, Deutschland den Deutschen, Ausländer raus. Das sind so die Hauptsprüche. Wenn jetzt ein Türke kommt mit seiner Religion, paßt es nicht - ist Deutschland, ist was anderes, also raus mit dem, so würd ich es sehen."[ 10 ] Eine noch bessere Darstellung der deutschen Zustände gelingt dem Bürgermeister der Kleinstadt Spremberg nach einer tödlichen Hetzjagd von Nazis auf den Algerier Farid Gouendoul: "Was hatte der auch um diese Zeit nachts auf der Straße zu suchen?" Scheinbar kannte er einfach die Gepflogenheiten ostdeutscher Provinz noch nicht gut genug, um den tödlichen Fehler - die Verletzung der Nachtausgangssperre für Nichtdeutsche - zu begehen. Zuviel BürgerInnenengagement bedeutet für Flüchtlinge an den deutschen Grenzen, daß sie nicht nur die staatlichen Hürden (technisch hoch aufgerüstete Grenze, Sicherheitsschleier etc.) überwinden, sondern sich auch noch vor den DenunziantInnen schützen müssen. So dürfen TaxifahrerInnen in der Grenzregion keine "verdächtigen" Personen ohne vorherige Ausweiskontrolle transportieren. "Verdächtige" (durch nichtdeutsches Aussehen), die keinen Paß vorlegen können, werden sofort per Funk dem BGS gemeldet. Zwei Taxifahrer die sich weigerten, diese rassistischen Kontrollen durchzuführen, wurden deshalb zu 14 bzw. 16-monatigen Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt. Doch auch die NichttaxifahrerInnen der Grenzregion beteiligen sich freiwillig und fleißig an der Denunziation von Menschen, die ihnen auch nur annähernd nichtdeutsch erscheinen.
Ein Stück von der Grenze entfernt sind die Dörfer und die Klein- bzw. Vorstädte eine weitere no go area für MigrantInnen. Christine Rackuff, Sprecherin der Initiative "Hier wachen Nachbarn" in Frohnau: "Fremde haben bei uns kaum eine Chance, lange unentdeckt zu bleiben". Angesichts dessen bleibt vielen MigrantInnen nur die Flucht in die (Groß-)Stadt. Dort findet jedoch eine zunehmende ethnische und ökonomische Segregation statt. Vorbild und Vorreiter hierfür ist die Stadt Los Angeles, die Mike Davis in dem empfehlenswerten Buch "The City of Quartz - Ausgrabungen der Zukunft in Los Angeles"[ 11 ] untersucht hat. Dort wohnen Schwarze und andere Minderheiten in Bezirken mit über 90% Bevölkerungsanteil ihrer Ethnie[ 12 ]. Diese Bezirke werden oft als "soziale Brennpunkte" und "gefährliche Orte" bezeichnet und die dort lebende Bevölkerung als per se kriminell dargestellt. Diese Stadtteile werden daher auch zunehmend abgeschottet und den dort lebenden BewohnerInnen ein Verlassen unmöglich gemacht. Auch hier ist Los Angeles Vorbild, wo Stadtteile unter anderem durch Highways oder Gehwege, die über dem Straßenniveau liegen und bei Bedarf elektronisch gesperrt werden können, abgegrenzt werden. Das strategische Moment solcher Bedrohungsszenarien besteht in der Definition von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit.
Die eigene Identitätsbildung und die Besitzstandswahrung und -erweiterung funktionieren nur über den Ausschluß ausgewählter Gruppen. Durch die Grenzziehungen werden Normen und Standards gesetzt, die Zugang und Ausschluß definieren. So werden die Grenzen zu den jeweils ärmeren sozialen Schichten ausgebaut, aus Angst selbst dorthin abzusinken und aus Furcht vor gewalttätigen Übergriffen der Ausgegrenzten. Die verschiedenen sozialen Schichten greifen zu Sicherheitsstrategien und Sicherheitstechniken, die ihren jeweiligen Mitteln entsprechen. Dabei wird jeder Vorgarten zum militarisierten Gebiet und jede Einkaufspassage zum Hochsicherheitstrakt. Dort riegeln Wachschutz und Polizei gemeinsam das Terrain gegen unerwünschte Personengruppen ab.
Die Ab- und Ausgrenzung erfolgt jedoch nicht nur über den direkten Vergleich von Kaufkraft und Besitz, sie ist umgeben von traditionellen Werten und Identitätsmustern. In Deutschland vor allem auch vom rassistischen Konsens.
[ 1 ] die mit der de facto Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl endete
[ 2 ] Jürgen Fätkinhäuser, Berliner Oberstaatsanwalt
[ 3 ] meint, daß nicht nur sog. Stiefelnazis ein offenes rechtsextremes Weltbild haben und nach außen vertreten, sondern der Großteil der Bevölkerung dieses Weltbild teilt. Unterschiede gibt es "lediglich" in der praktischen Umsetzung - einige vertrauen auf die staatliche Abschieb epraxis, andere organisieren sich in BürgerInnenprojekten gegen den Zuzug von AsylbewerberInnen oder heuern AuftragsmörderInnen bzw. BrandlegerInnen an und wieder andere nehmen die Sache selbst in die Hand
[ 4 ] da AsylbewerberInnen generell nicht arbeiten dürfen, teilweise ungenießbare Freßpakete und ein Taschengeld von nur 80.- DM pro Monat bekommen, besteht für sie keine legale Möglichkeit des Broterwerbs und der jedem/r Einheimisch zugestandenen Erhaltung eines gewissen Lebensstandards
[ 5 ] Diese Regelung untersagt AsylbewerberInnen, den Landkreis ihrer Unterkunft ohne Genehmigung zu verlassen
[ 6 ] Vorbemerkungen zum Lagebild Organisierte Kriminalität Bundesrepublik Deutschland 1997
[ 7 ] siehe auch "Entsichert - der Polizeistaat lädt nach...", Broschüre der AABO, S.32
[ 8 ] zitiert aus der Broschüre "Ethnische Säuberungen in Berlin und Brandenburg 1998/99" der Antifaschistischen Aktion Berlin [AAB] und der AG Antirassismus der Uni Potsdam
[ 9 ] Brief von 47 AsylbewerberInnen aus Rathenow an die Regierung, die Öffentlichkeit und die Menschenrechtskommission der UNO
[ 10 ] der gesamte Bericht ist unter www.kontraste.de im Archiv der Sendung vom 09.03.2000 nachzulesen
[ 11 ] 1994 übersetzt beim Verlag Schwarze Risse/Rote Strasse erschienen
[ 12 ] auch in deutschen Großstädten gibt es Stadtteile, in denen mehrheitlich MigrantInnen leben
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