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Der Prozeß gegen Monika Haas „Staatsschutz“ als politische Justiz“

Von Helga Dieter


Köln/Frankfurt, den 1. Oktober 1998

Im Auftrag des Komitees für Grundrechte und Demokratie beobachtet und protokolliert Helga Dieter den Prozeß gegen Monika Haas vor dem 5. (Staatsschutz-) Senat in Frankfurt am Main.(1)

Was sich dort im dritten Jahr im prozessual vorgeschriebenen 10-Tage-Takt hinschleppt, ohne daß der Anfangsverdacht substantiiert würde, kann nur noch als politische Justiz bezeichnet werden. (2)

Zur Person:

Monika Haas lebte 1972/74 mit ihrem Sohn in einem besetzten Haus im Frankfurter Westend und gehörte einem „Komitee gegen Folter“ an. Das genügte, um ins Fadenkreuz der Sympathisanten-Fahndung zu geraten. Nach einer Wohnungsdurchsuchung, verbunden mit der Aufforderung sich bei der Bundesanwaltschaft zu melden, ging sie Ende 1975 in den Jemen und liierte sich dort mit einem Funktionär der Palästinenser. Diese Verbindung wurde von der Palästinenserorganisation PFLP nicht akzeptiert, vor allem deshalb, weil Monika Haas als Kurierin der Organisation in Nairobi festgenommen, aber bald wieder freigelassen worden war und deshalb im Verdacht stand, vom Mossad „umgedreht“ worden zu sein. Aus dem gleichen Grund wurde sie auch später von der Staatssicherheit der DDR als „feindliche Agentin“ observiert.

Als im September 1977 die RAF durch die Entführung von Arbeitgeberpräsident Dr. Hanns Martin Schleyer die Freilassung der RAF-Gefangenen erpressen wollte und die Bundesregierung darauf nicht einging, versuchte die PFLP den Druck zu verstärken, indem sie die „Landshut“, eine mit deutschen Urlaubern besetzte Maschine, aus Mallorca entführte. Noch während der Entführung behauptete die Bild-Zeitung, Monika Haas gehöre zum Kommando. Nachdem die GSG 9, eine Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes in Mogadischu, die Maschine gestürmt hatte, wobei von einem vierköpfigen Kommando der Palästinenser nur Souhaila Andrawes überlebte, war klar, daß Monika Haas nicht zum Kommando gehörte. Doch der Verdacht, irgendwie daran beteiligt gewesen zu sein, blieb an ihr hängen, wurde von der Presse geschürt (Bild und Spiegel) und fand sich nach der Wende auch in einem Stasi-Operativvorgang „OV-Wolf“ wieder.

Monika Haas, die zwölf Jahre mit ihren drei Kindern unbehelligt in Frankfurt gewohnt und im Landesdienst gearbeitet hatte, wurde daraufhin verhaftet. Der BGH entschied 1992, daß die Stasi-Akte allein nicht als Beweismittel ausreiche und ließ sie wieder frei.

Aufgrund der Kronzeugenaussage von Souhaila Andrawes wurde Monika Haas am 07. November 1994 erneut verhaftet und seit Januar 1996 wird gegen sie vor der Staatsschutzkammer des OLG-Frankfurt verhandelt.

Das Anklagekonstrukt: Je weniger Beweise, desto mehr Anklagepunkte

Die zentrale Anklage gegen Monika Haas lautet, daß sie die Waffen zur Entführung der „Landshut“ nach Mallorca gebracht haben soll und von daher Mittäterin bei der anschließenden Entführung, Geiselnahme und Erpressung war. In sich ist die Konstruktion der Anklage unlogisch, insofern bei Prozeßeröffnung die Beteiligung am Mord an Flugkapitän Jürgen Schumann gestrichen wurde mit der Begründung: Es fehlten Anhaltspunkte dafür, daß die Angeklagte eine solche Eskalation gebilligt hätte. Die Mittäterschaft bei zwei Mordversuchen durch Schüsse auf die GSG9-Beamten bei der Geiselbefreiung wurde dagegen aufrechterhalten, d.h. eine Billigung unterstellt. Zu diesem Komplex wurde zum Prozeßende (17.09.98) überraschend noch ein dritter Mordversuch aufgesattelt, nachdem der GSG9-Beamte Hümmer bei seiner Zeugenaussage am 07.09.98 angegeben hatte, auf ihn sei gezielt geschossen worden (s.u.). Andrawes selbst wurde dafür weder angeklagt noch verurteilt, obwohl der Zeuge diese Angaben auch in ihrem Prozeß gemacht hatte.

Erst nach zwei Prozeßjahren hat der Gerichtsvorsitzende ganz nebenbei mitgeteilt, daß die Anklage von der „Mittäterschaft“ auf „Beihilfe“ reduziert wurde (27.11.97).

Da die Flugzeugentführung in Zusammenhang mit der RAF-Geiselnahme Dr. Schleyers stand, der später ermordet wurde, lautet ein weiterer Vorwurf, Beihilfe am Mord an Dr. Schleyer.

Nach Aussage von Monika Haas und gemäß der damit übereinstimmenden Erklärung von sechs RAF-Gefangenen (FR 24.11.95) gehörte sie nie zu dieser Gruppe und war an keiner ihrer Aktionen beteiligt.

Dieser politische Schauprozeß und die kalte Rache, die den 5. Strafsenat und seinen Staatsschutzsaal in Frankfurt seit zweieinhalb Jahren erfüllt, nützt allein herrschenden Borniertheiten und den im Zuge der Terrorismusverfolgung unmäßig aufgeschwemmten Ämtern.

Das Hohe Gericht

Staatsanwalt Homann tut alles, um der Wahrheitsfindung Felsbrocken in den Weg zu legen. Er beanstandet gebetsmühlenartig die Fragen der Verteidigung, wenn es darum geht, die vielen Widersprüche aufzuklären: die Frage sei unzulässig, wertend, schon beantwortet usw. Seine Kollegin Fischer schweigt sich aus, ist aber in ihrem Verhalten inzwischen deutlich auf Distanz zu ihm gegangen.

Der Gerichtsvorsitzende, der Berichterstatter und zwei Beisitzer lassen keinen Zweifel daran aufkommen, daß sie einzig am Beweis der Schuld interessiert sind (das fünfte Senatsmitglied schweigt sich aus). Nahezu jede Klärung von Ungereimtheiten in den Aussagen und Akten, die der Entlastung dienen könnten, wurde unterbunden. Beweisanträge der Verteidigung wurden erst monatelang liegen gelassen und dann serienweise abgelehnt. Der Prozeß wurde verschleppt durch z.T. 12-minütige Verhandlungen. Nach zweieinhalb Jahren skandalöser Prozeßführung, in denen Bundesanwaltschaft, Bundeskriminalamt und Gericht ihre Vorwürfe durchhielten, obwohl, ja gerade weil nur noch freizusprechen war, gab es kurzfristig einen überraschenden Klimawechsel bis hin zu einer sachlichen Erörterung. Doch das Tauwetter war schnell vorbei, eine Verurteilung ist nach dem bisherigen Prozeßverlauf trotz der dürren Beweislage zu befürchten, wenn auch keine erneute Inhaftierung. Dies würde Monika Haas Existenz ruinieren, da das Landesarbeitsgericht im Kündigungsverfahren - das gegen Monika Haas von ihrem Arbeitgeber, dem Land Hessen, in Gang gesetzt wurde - seine Entscheidung ausgesetzt und an das Urteil im Strafprozeß gekoppelt hat. Die Prozeßkosten, die an die Million reichen werden, würden ihre Zukunft und die ihrer Kinder zerstören. (3)

Eine Kostprobe zur Prozeßverschleppung:

Vorsitzender Schieferstein: Der nächste Termin ist am 12.03.98, um 10:15 Uhr.

RA Bendler: Was wird denn dann verhandelt?

Vorsitzender Schieferstein: Mal sehen, das wissen wir noch nicht.

Richter Zeiher (Bericherstatter): Vielleicht verlesen wir was.

Deutsche Recherchen auf Mallorca

Die Rekonstruktion des Aufenthaltes der Terroristen auf Mallorca ist dem BKA und dem BfV, die sowohl während der Entführung (13.10.77 - 18.10.77) als auch später dort noch mehrmals Ermittlungen anstellten, trotz vieler Aktenbände und Asservate offenbar nur bruchstückhaft gelungen. Das Verwirrspiel der Entführer ist nur schwer zu durchschauen: Wer, wann, mit wem unter welchem Decknamen in welchem Hotel sich aufhielt, übernachtete oder sich mit weiteren Personen traf. Noch während der Landshut-Entführung flogen u.a. die BKA-Beamten Glaeske, Koloßa und Jürgensen nach Mallorca. Sie ermittelten bereits am ersten Tag (14.10.) die Aliasnamen des Kommandos und aufgrund der Hotelmeldekarten (mehrere Zehntausend) die Aufenthaltsorte dieser Personen. Sie wurden schnell fündig, obwohl ihnen der zeitweise Hotelaufenthalt von Nabil Harb entging. Der wurde erst entdeckt, als alle Hotelmeldekarten nach Deutschland gebracht wurden und mit Hilfe der Datenverarbeitung überprüft wurden. (Die Meldekarten wurden danach angeblich alle vernichtet, Zeuge Gollwitzer).

Zu möglichen Helfern und Hintermännern des Kommandos wurde 1977 offenbar nur sehr unzureichend geforscht, obwohl es mehrere Anhaltspunkte für ein Umfeld gegeben hat, denn es steht fest, daß es neben dem vierköpfigen Kommando, das sich fast eine Woche auf Mallorca aufhielt, noch andere Personen gab, zu denen sie Kontakte hatten. Zu diesem Kreis gehörte u.a. ein Pärchen. Die Frau reiste mit dem Paß der Holländerin Cornelia Vermaesen geb. Trubendorfer, der neun Monate vorher als gestohlen gemeldet war. Der Mann, dessen Paß dieselben Fälschungsmerkmale aufwies wie die der Entführer, auf den Namen Kamal Servati. Dieses Pärchen soll von Algier nach Mallorca gekommen sein. Die Namen sind auf einer Passagierliste verzeichnet, die allerdings erst nachträglich von den Spaniern erstellt worden zu sein scheint. Sie übernachteten vom 7. zum 8. Oktober 1977 im Hotel “Java” und flogen mit einem Ticket der “Air France” mit einer Maschine der “Iberia” nach Paris und - so wird behauptet - von dort nach Belgrad.

Das BKA will im Juli 1980 von einer “zuverlässigen Stelle” einen Hinweis erhalten haben, daß Frau Haas sich unter dem Namen “Amal” im Jemen aufhält. Im November 1980 sei ein “Hinweis” von einer anderen “Quelle” gekommen, die bis heute laut Weisung des Bundesinnenministers geheimzuhalten ist und hinter der sich möglicher- bzw. wahrscheinlicherweise die Stasi verbirgt, daß „Amal“ die Waffen für die Landshut-Enführung nach Mallorca überbracht habe. (Beide “Hinweise” tauchen zeitgleich und zwar im Juli und im Dezember 1980 in der Stasi-Akte auf ). Ihre drei Monate alte Tochter sei als Tarnung mit von der Partie gewesen. Zur Identifizierung des Mannes wurden von den Ermittlungsbehörden verschiedene schillernde Figuren ausgedeutet, zuletzt Herr Slim (s.u.).

Das Bundesamt für Verfassungsschutz überraschte im Prozeß mit der Mitteilung, daß es schon vor 1980 von einer geheimen, aber zuverlässigen “Quelle” Mitteilung über eine Reisebewegung der Personen Trubendorfer, Servati und einem Kleinkind namens Nicole von Algier nach Palma de Mallorca erfahren habe, inklusive des Geburtsdatums des Kindes, das mit dem der Haas-Tochter übereinstimme. Warum dieses belastende Indiz 20 Jahre geheimgehalten wurde und erst in der Hauptverhandlung preisgegeben wurde -ohne die Akten offenzulegen- durfte er nicht sagen (Zeuge Piekarek 11.07.96). Das BfV hat die Akten (1980) wohl an das BKA weitergegeben (Zeuge Gerdes 27.06.96), (wodurch nicht auszuschließen ist, daß die Quelle des BKA das BfV ist.), das daraufhin im Dezember 1980 gezielt gegen Monika Haas in Palma forschte (Zeuge Gollwitzer). So gezielt, daß dem Hotelpersonal nur Fotos von Frau Haas vorgelegt wurden, die Hotelrechnung nach Fingerabdrücken untersucht, nach einer “weißen Frau mit Arabertyp und Kind” gefragt wurde (Gollwitzer), usw. usw. - ergebnislos.

Als Anhaltspunkt, daß bei dem Pärchen (Servati/Vermaesen) ein Kind war, gilt der Anklage der Vermerk “+inf” auf der Passagierliste der Iberia -für den Flug von Palma nach Paris- hinter dem Kürzel „kamalsar“ (Kamal Servati). Dies wird von der Anklage als mitreisendes Kleinkind gedeutet und von der Verteidigung als Frage nach „Informationen“. Zwar ist es richtig, daß der Eintrag „inf“ bei den Fluggesellschaften „infant“ = Kleinkind bedeutet, eine Anfrage bei der Air France ergab jedoch, daß dieser Eintrag immer hinter dem Namen des für das Kind verantwortlichen Passagiers eingetragen wird. Im Gegensatz zu anderen Staaten (...) war und ist es in Frankreich üblich, daß Kinder unter zwei Jahren kostenlos transportiert wurden und somit kein eigenes Ticket erhielten.

Bei diesem Komplex gibt es aber viele Merkwürdigkeiten, die die Interpretation der Verteidigung

( inf = mehr/weitere Informationen) plausibel erscheinen lassen.

Vor den Namenskürzeln der fraglichen Passagiere „kamalsar“ und „truhudor“ steht jeweils die Ziffer 1.

- Die Passagierliste wurde als Anlage einer Telex-Anfrage bei den Ermittlungen 1980 von der Iberia in Palma an die Zentrale in Madrid übersandt. Im Text dieser Anfrage heißt es: „ (...) reservado en ib 499/ 08 oct 1977 a nombre kamalsar mas inf en lista pax figura billete“, was

vom BKA (Üb-Nr. 20870) mit: „was bei Iberia unter Nr. IB-499 am 8. Oktober auf den Namen KAMALSAR gebucht wurde. Weitere Informationen befinden sich auf der Liste Pax“.

„mas inf“, was dasselbe ist wie „+inf “, wird vom BKA mit „weitere Informationen“ übersetzt.

- Bei den Eintragungen auf der Passagierliste wurden die Nummern von Fremdtickets hand- schriftlich vermerkt. Bei der Frau steht der Code der Air France (057) und bei dem Mann steht der Code für Iberia (075). Dabei soll es sich laut BKA um einen Zahlendreher handeln

Angeblich soll der Zahlendreher von Iberia Madrid bei der Telex-Anfrage bestätigt worden sein, eine solche Bestätigung geht aber nicht aus der Antwort der genannten Telex-Anfrage hervor.

die Passagierliste aus dem Archiv geholt. Die Unterlagen seien dort auch kopiert worden, weil Iberia „die Originale nicht rausrücken wollte“. Das geschah aber bereits am 03.12.80, somit wurden die Kopien einen Tag später (ohne Vorlage der Originale) beglaubigt.

- Auf die Frage des Anwaltes, warum das BKA nicht auch über den Hinflug des Pärchens von Algier nach Mallorca ermittelt habe, antwortete Gollwitzer: „was man da hätte finden können, haben wir gefunden“.

(Auf der Passagierliste zu diesem Flug ist kein Kind eingetragen).

Während der Aussage des Zeugen Gollwitzer (BKA) zu diesem Komplex war die Stimmung im Gerichtssaal besonders aggressiv.

RA Golzem: „Sie hatten doch die Fotos mit, warum wurden die nur im „Java“ vorgelegt? Warum nicht in den anderen Hotels, von denen bekannt war, daß die Entführer dort waren, z.B. im „Saratoga“?“

Zeuge Gollwitzer: „Das haben wir nicht.“

Monika Haas: „Es gab doch Hinweise, daß das Kommando dort gewohnt hat.“

RA Golzem: „Das verstehe ich nicht, gab es dafür Gründe?“

Vorsitzender Schieferstein: „Herr Rechtsanwalt, die Frage wurde beantwortet. Wenn Sie es besser wissen, müssen Sie den Beruf wechseln und zum BKA gehen.“

RA Golzem: „Das wäre das letzte, was ich täte.“

RA Bendler: „Das war eine legitime Frage meines Kollegen. Man muß sich doch wundern, da wird Schleyer entführt und eine Lufthansa Maschine mit Touristen entführt und das BKA geht den Anhaltspunkten für Verdächtige nicht nach.“

RA Golzem: „Die Übersetzung der Bundesanwaltschaft des Eintrages auf der Passagierliste „mas inf“ als Kind ist nicht eindeutig. „mas“ kann heißen „mehr, weitere“, also „mas informationes“. Sie wollten mehr Informationen über den Mann. Daß ein Baby, das mit der Mutter reist, bei dem mitreisenden Mann eingetragen wird, das gibt doch keinen Sinn. Sie wollten „mas informationes“ zu dem Mann.“

Richter Klein: „Das hat nichts miteinander zu tun, das sind Spekulationen.“

RA Golzem: „Ich habe jetzt das Fragerecht.

Die Flugliste, hat die jemand vervollständigt?“

Zeuge Gollwitzer: „Wir haben die Liste so kopiert, wie wir sie von der Iberia erhielten, die kam so aus dem Archiv.“

Richter Klein: „Herr Rechtsanwalt, sie sollten zur Sache fragen und nicht spekulieren. Das haben Sie auch schon beim Startbahn-West-Prozeß gemacht, das kenne ich.“

RA Golzem: „Was hat das hiermit zu tun?“

Die Beteiligten nehmen die Kopie der Passagierliste und das Telex in Augenschein.

RA Golzem: „Die Urkunden sollen verlesen werden für die Öffentlichkeit.“

Vorsitzender Schieferstein: „Das können Sie dann ja machen. Das wissen Sie ja aus den anderen Verfahren, wie man das macht.“

RA Golzem: „Aber das ist Ihre Aufgabe.“

Monika Haas: „In der Zwischenzeit wären die paar Worte längst verlesen worden.“

Staatsanwalt Homann: „Das ist eine Unverschämtheit, daß die Angeklagte dem Gericht Verfahrensvorschriften macht.“

Im Prozeß ist unbestritten und nachgewiesen, daß die Tochter von Frau Haas als Baby an einem lebensbedrohlichen Durchfall litt. Einheimische Ärzte in Aden hatten bei der Behandlung keinen Erfolg, weshalb auf Vermittlung eines Freundes zwei Ärzte aus dem Privatkrankenhaus einer Ölgesellschaft hinzugezogen wurden. Einer davon wurde auch vernommen und erinnerte sich an die Behandlung, nicht aber auf den Tag genau, nur daß das Kind etwa drei Monate alt gewesen sei. Der Freund gab bei seiner Vernehmung an, daß das Kind zum Zeitpunkt der Vermittlung an den Arzt seit ca. 3-4 Wochen krank gewesen sei. Nach der ziemlich weltfremden Theorie der Anklage wäre das Baby gerade genesen, als es die Mutter zur Tarnung bei einem Waffentransport benutzte. Die Ladung dieser beiden Zeugen zur weiteren Präzisierung des Zeitraumes der Krankheit, lehnte das Gericht ab.

Zurück zu den Recherchen des BKA 1980: Es gab keine “beweisfähigen Ergebnisse”, weshalb gegen Frau Haas, die damals in Hamburg lebte, nichts unternommen wurde. Auch im Prozeß konnte dieser Komplex nicht erhärtet werden.

Die „Information“ eines anonymen mehrfach mittelbaren Zeugen vom Hörensagen wurde durch nichts belegt. Unabhängige Zeugen, die Frau Haas auf Mallorca gesehen haben wollen, gibt es nicht. Die Eintragung auf der Passagierliste hinter dem Namen des Mannes „+inf „ kann im Zusammenhang mit dem Telex plausibel mit „weitere Informationen“ übersetzt werden. Vielleicht war der Mann, der mit gefälschtem iranischen Paß reiste, schon 1977 während der Fahndung nach verdächtigen Arabern, jemandem aufgefallen.

Die vielen Merkwürdigkeiten in diesem Zusammenhang lassen aber auch die Vermutung zu, daß an den Papieren manipuliert wurde, um nachträglich den Hinweis auf ein Kind führen zu können.

Der Hoteldirektor des Hotel „Java“ schließt während seiner Zeugenvernehmung kategorisch aus, daß das Pärchen ein Kind dabei hatte: „Wir hatten die Verpflichtung zur Registrierung eines Kleinkindes unabhängig von der Zahlungspflicht. Der Grund war, daß wir die Anwesenheit aller Gäste z.B. für den Fall von Katastrophen registrieren mußten.“ ( Zeuge Bauza 23.04.98)

Andere Spuren werden nicht verfolgt

Nach den Ermittlungen 1977 des BKA hat ein europäisch aussehender, ziemlich großer Mann, noch vor dem Eintreffen des Entführungskommandos in einem Reisebüro auf Mallorca versucht, LH-Tickets für einen Flug nach Frankfurt zu kaufen, der jedoch schon ausgebucht war. Ein paar Tage später (als Kommando-Chef Akache (Hyderi) schon in Mallorca eingetroffen war), kaufte dieser Mann (als Kontaktadresse gab er das Hotel „Java“ an) zwei LH-Tickets für den Flug am 13.10.77 nach Frankfurt. Die beiden Männer wurden von verschiedenen Personen zusammen gesehen. Trotzdem wurde die Spur des großen, europäisch aussehenden Mannes, nicht weiter verfolgt. (Zeuge Glaeske vom BKA am 22.05.96).

Der BKA Beamte Jürgensen übernahm im Oktober 1977 die Ermittlungen auf Mallorca. Er stellte fest, daß die Entführer mit Ausnahme von Nabil Harb vom 09.10. - 13.10.77 im Hotel „Bellver“ übernachteten. Bei der Ankunft im Hotel „Bellver“, reservierte Akache noch ein weiteres Zimmer auf den Namen Boulinier. Dieses Zimmer wurde am Nachmittag des 09.10.77 auf die Namen Boulinier/Khelifi angemietet. Alle befragten Hotelangestellte erkannten zweifelsfrei Souhaila Andrawes als die Frau, die unter dem Namen Khelifi in Zimmer 1225 wohnte. Ihr männlicher Begleiter konnte nicht eindeutig beschrieben werden, da er sich laut Aussagen des Hotelpersonals immer im Hintergrund gehalten hatte. Der Anführer des Kommandos Akache hat mehrfach an der Rezeption den Zimmerschlüssel für Zimmer Nr. 1225 in Empfang genommen.

Das Pärchen Boulinier und Khelifi wurde ermittelt und sie wurden verdächtigt, die Waffen für die Entführung geschmuggelt zu haben. (Ein Hotelpage und ein Zollbeamter hatten gegenüber Jürgensen angegeben, Boulinier mit einem Kofferradio gesehen zu haben. Ein Kofferradio diente als Versteck für eine Pistole der Entführer). Im Frühjahr 1978 wurden sie in Marseille festgenommen und verhört. (Die beiden haben eine gemeinsame Tochter, die genau zwei Wochen jünger ist, als die Tochter von Monika Haas) Der Zeuge Jürgensen sagte (05.06.97), daß er sehr darüber enttäuscht war, daß nicht er als ermittelnder Beamter, sondern ein Kollege, nach Marseille geschickt wurde. Diesen habe er gründlich vorbereitet und Fragen formuliert, die nur ein Beteiligter hätte beantworten können. Der Kollege habe diese Fragen nicht gestellt. Angeblich sei er von den französischen Verhörmethoden so geschockt gewesen (B. war an die Heizung gefesselt), daß er unter diesen Bedingungen alles glaubte, was B. sagte. Jürgensen: „Es wurde nicht ermittelt“. Er sei darüber sauer gewesen und habe anschließend seine Ermittlungen auf Mallorca mit den Aussagen der beiden gegenübergestellt und diese „zerpflückt”. Trotzdem sei dann nicht weiter ermittelt worden. Er sei davon überzeugt, daß die beiden in Marseille gelogen hätten (gemeinsamer Urlaub auf Mallorca). Boulinier habe dort eindeutig Kontakt zu den Terroristen gehabt und Khelifi sei nie auf Mallorca gewesen, nur ihr Paß sei von Andrawes im Hotel „Bellver“ benutzt worden.

RA Metz: „Ist Ihnen nie gesagt worden, es sei inopportun, da so nachzubohren, das sei politisch nicht erwünscht”?

Zeuge Jürgensen: “Die Sache wurde mir einfach abgenommen”.

Trotz dieser Verdachtsmomente und vorliegenden Zeugenaussagen, wurden sie nach ihrer story vom gemeinsamen Urlaub auf Mallorca nicht weiter behelligt Statt dessen wurde Frau Haas verstärkt ins Visier genommen.

Sein Kollege Gollwitzer, der 1980 die Ermittlungen auf Mallorca tätigte, wurde als Zeuge überraschend von Rechtsanwalt Bendler nach Boulinier gefragt. (22.09.96).

RA Bendler: „Ist Ihnen bekannt, daß sich 77/78 Ermittlungen auf ein französisches Pärchen bezogen; er hieß Boulinier. Was wissen Sie in diese Richtung?“

Zeuge Gollwitzer: „Nichts, das wurde in Frankreich abgeklärt. (...) Komisch, daß das hier in den Akten steht.“

RA Bendler: „Wer hat den Komplex bearbeitet?“

Zeuge Gollwitzer: „Das darf ich nicht sagen.“

RA Golzem: „Warum wundern Sie sich eigentlich so spontan, daß von dem Pärchen Boulinier hier was in den Akten ist?“

Zeuge Gollwitzer: „Meine Aussageerlaubnis bezieht sich nur auf das, was in den Akten ist.“

RA Bendler: „Ist recherchiert worden, ob das französische Pärchen ein kleines Kind hatte?“

Zeuge Gollwitzer: „Dazu sage ich nichts.“

Wie die Waffen nach Mallorca gekommen sein könnten, dazu deuten Monika Haas und ihre Verteidiger eine ebenso einfache wie plausible “Theorie” an. Die Entführer kamen mit verschiedenen Flügen per Transit von Paris nach Palma, drei von ihnen flogen über Barcelona. Sie kamen also auf einem Inlandsflug nach Palma, wo sie keine Paß- und Zollkontrollen mehr zu befürchten hatten. Nur der Anführer Akache hatte einen Koffer, die anderen drei nur Handgepäck. Koffer die in den Gepäckraum der Maschine gingen, wurden damals noch nicht gesondert kontrolliert. Deshalb wäre es möglich gewesen, daß die Waffen in diesem Koffer transportiert wurden. Selbst bei Röntgen-Kontrollen in Paris hätte der Koffer vom Abflugsort (vermutlich Bagdad) nach Barcelona durchgecheckt werden können und sich dann auf einem Inlandsflug befunden. Der rosarote Koffer von Akache wog auf der Reise von Paris nach Palma de Mallorca 10 kg. Dort kauften die “Urlauber” noch diverse Kleidungsstücke, die sich in dem Koffer befanden. Dennoch war der Koffer, als Akache für die Landshut eincheckte, nur noch 6 kg schwer. Die Gewichtsdifferenz entspricht ziemlich genau dem Gewicht der Waffen, wie die Verteidigung minutiös nachrechnete. Die Schlußfolgerung, daß Akache die Waffen selbst mit nach Mallorca brachte, liegt nahe. Andrawes gibt an, Akache habe die Waffen bei sich gehabt und erst vor der Entführung verteilt. Wie die Waffen dann durch den Sicherheitscheck in die Landshut gekommen sind, ist nicht geklärt. Andrawes sagte auch, die Handgranaten seien in einem rosa Kosmetikkoffer gewesen. In der Landshut wurde aber nur ein blauer Kosmetikkoffer sichergestellt. Einen rosaroten Koffer hatte nur Akache.

Die Ladung der zwei BKA-Beamten, die den Koffer untersucht hatten, hielt das Gericht für überflüssig. Diese Möglichkeit, wie die Waffen nach Mallorca gekommen sein könnten, paßt dem Gericht nicht ins Konzept und wurde nicht weiter verifiziert.

Der Stasi-Zeuge Orzschig – Der Wolf, der den Hasen jagt (4)

Der „OV-Wolf“ der Stasi hatte einzig den Zweck, Monika Haas als „imperialistische Agentin“ (BND, Mossad, BKA usw.) zu enttarnen. Da das nicht gelang, kam der Vorgang ins Archiv und tauchte nach der Wende wieder auf. In einem Interview bewunderte der Gerichtsvorsitzende noch nach Prozeßbeginn die „preußische Akribie“ der Aktenführung des MfS (Südd.Z. 17.05.1996), um aber schon bald enttäuscht festzustellen, nachdem er sie endlich eingesehen hatte: „Einer preußischen Aktenführung entspricht das alles nicht“ (13.06.96).

Anschreiben mit Absender; Adressat und Datum wurden vernichtet; es wurde vor- und rückdatiert; Unterschriften fehlen; die Herkunft von Informationen ist nicht rekonstruierbar usw. Zuträger waren u.a. Achmed Ali, ein südjemenitischer Geheimdienstler, und Werner Hoppe, ein Ex-RAF-Mitglied, der sich nach seiner Haftentlassung bei einem Urlaub in der DDR mit dem MfS Aktenführer Orzschig „anfreundete“. Wie die brisante Passage, daß Monika Haas an der Landshut-Entführung beteiligt gewesen sei, letztendlich in die Akte kam, blieb im Prozeß ungeklärt.

Beim ersten verabredeten Treffen von Stasi-Orzschig und IM-Hoppe erzählte dieser viel über Monika Haas, die er von früher kannte, aber - und das ist im Prozeß unbestritten - seit Jahren nicht gesehen hatte. Von einem Waffentransport ist in Orzschigs Notizen zu diesem Gespräch nichts vermerkt. (08.12.1980). In dem Bericht, den er daraus neun Tage später fertigte (17.12.1980), steht dann plötzlich, daß Monika Haas die Waffen nach Mallorca gebracht haben soll. Hoppe kann oder will sich wegen seines desolaten Zustandes als Zeuge an nichts erinnern (18.07.96), doch daß die vorgehaltenen Äußerungen über den Waffentransport und ein „betrunkenes Kommando“ von ihm stammen könnten, bezweifelt er stark.

Auch das Gericht schließt inzwischen Hoppe als „Quelle“ für die fragliche Passage aus (27.08.96).

Informationen aus dem Nahen Osten bezog das MfS auch von dem Terroristen Carlos und seinen Vasallen. Monika Haas sagte, daß ihr Mann und Carlos erbitterte politische Gegner gewesen seien. Unterstützer und Paßbeschaffer der Carlos-Gruppe war jener Achmed Ali, Verbindungsoffizier zwischen dem jemenitischen Geheimdienst (mit Diplomatenpaß) und dem MfS. An diesen ominösen Unbekannten klammert sich nun das Gericht und entdeckte in ihm die „zuverlässige Quelle“ der Stasi, obwohl die Ex-MfS-Oberen ihn -ganz nebenbei-, denn der Schwerpunkt der Befragung zielte auf den IM-Hoppe, vernichtend beurteilen: Dr. Jäckel meinte diplomatisch (01.10.96) „über den Wert der Informationen durch Achmed Ali will ich besser nichts sagen ...“ . Sein Mitarbeiter Voigt wurde deutlicher (04.07.96) : Wenn die Information über den Waffentransport aus Aden käme, sei wahrscheinlich Achmed Ali der Informant, dies sei aber nur eine Vermutung. Die „Information“ sei nicht überprüft worden. Achmed Ali sei „ein typischer Araber, mit viel Rederei und dubiosen Informationen ... Araber denken nicht in Kategorien wie vollständig und geheim“. Daß Achmed Ali auch zu anderen

Geheimdiensten Kontakt gehabt haben könnte, schloß er nicht aus. Sein Vorgesetzter Dr. Dahl war zur fraglichen Zeit im Jemen und traf dort auch Achmed Ali, aber über Monika Haas sei überhaupt nicht gesprochen worden.

Die Anwälte versuchten herauszufinden, ob Orzschig vielleicht alte Presseartikel (z.B. BILD 1977) oder Gerüchte (z.B. aus Aden) in den Bericht eingearbeitet habe. Zwar räumte dieser ein, die Akten manchmal mit anderen Informationen „zusammengefaßt“, „ergänzt“ oder „gebessert“ zu haben, doch die Frage, ob das hier auch der Fall sein könnte, fand er eine „Frechheit“ (20.06.96). Seine Arbeit, die nach Aussage des Gerichtsvorsitzenden und des Berichterstatters „ein ganz normaler Job“ war, sah Orzschig so: „Hinterfragt ist nie etwas worden ... Wir standen fest zu unserem Staat. Wer mit gegnerischen Geheimdiensten zusammengearbeitet hat, war unser Feind.“ Legendierte Informationen definierte er so: „Das heißt, daß man nicht jedem alles sagt, sondern differenziert und legendiert, d.h. dann bringe ich noch etwas dazu, daß er nicht mehr weiß, um was es geht.“ (13.06.96). Orzschigs Vorgesetzte schilderten ihn als Fanatiker, dem sie solche Manipulationen durchaus zutrauen, wenn auch nicht aus Absicht, sondern aus ideologischer Verblendung: „Orzschig hat Berichte geschrieben, die tendenziös waren. Er war manchmal übereifrig.“ (Ex-MfS Major Voigt 04.07.96)

Daß Monika Haas die Waffen transportiert hätte, haben die Stasi-Oberen selbst nicht geglaubt. Zeuge Voigt: „Wir waren ein reiner Geheimdienst. Da werden andere Anforderungen gestellt als bei der Justiz. Wir waren von den Informationen der Quellen abhängig, auch von Vermutungen und Spekulationen, natürlich auch, wie es in die politische Linie paßte. Daß man als Geheimdienst tendenziös arbeitet, das ist doch weltbekannt. Wir sind nicht davon ausgegangen, daß Frau Haas Waffen transportiert hat...“ (04.07.96)

Die Zeugin Andrawes –orientalische und deutsche Fabulistik

Der BGH urteilte 1992 in bezug auf die „Informationen“ von BKA und BfV: „Auf eine solch allgemeine Aussage eines mehrfach mittelbaren Zeugen vom Hörensagen läßt sich eine Inhaftnahme nicht stützen, weil sie dem Haftrichter eine Überprüfung des Wahrheitsgehaltes unmöglich macht“.

Im Hinblick auf die Stasi-Akte entschied das Gericht in seinem Beschluß, diese sei allein nicht verwertbar, da ihr Inhalt nicht nachprüfbar sei. Der Haftbefehl gegen Monika Haas mußte aufgehoben werden.

Die Ermittlungen wurden intensiviert und nachdem sie trotz umfangreicher Zeugenbefragung keine Ergebnisse brachten, entdeckten die Ermittler „plötzlich“ Souhaila Andrawes in Oslo. Sie wurde auf deutschen Druck hin am 13.10.1994 in Oslo verhaftet und eine Woche lang verhört. Andrawes erzählte viel über die PFLP und nannte Namen, Daten und politische Strategien aus dieser Zeit. Monika Haas erwähnte sie nicht. Unter dem Druck, nach Deutschland ausgeliefert zu werden, wo ihr eine lebenslange Freiheitsstrafe drohte, wurde sie von Staatsanwalt Homann und zwei BKA-Beamten vernommen. Am ersten Tag schloß sie aus, Monika Haas in Mallorca getroffen zu haben. Sie habe diese nur einmal flüchtig in Aden als Ehefrau gesehen. Je länger ihr Vorhalte aus der Stasi-Akte gemacht wurden, um so mehr dämmerten ihr angeblich vage Erinnerungen. Im Vernehmungsprotokoll

liest sich das dann so: „Der Beschuldigten wird nun zur möglichen Gedächtnisstütze mitgeteilt, daß Monika Haas mit einem drei Monate alten Baby nach Mallorca gereist sei“ usw. So präpariert man Kronzeugen.

Andrawes reicherte das Szenario mit Widersprüchen an. Einmal sagte sie, sie habe in einem hallenartigen Raum mit einem blonden (!) Baby gespielt, dann sagte sie, daß die Waffenübergabe heimlich spätabends im Hotelzimmer stattgefunden habe, in das Monika Haas mit Kind und großem Kinderwagen gekommen sei. Die Waffen wären in mehreren Bonbondosen und in einem Kofferradio versteckt gewesen. (Die Parallele zu den in einem Kinderwagen versteckten Waffen bei der Schleyer-Entführung ist auffällig).

Bonbondosen (als Waffenversteck) hat es sehr wahrscheinlich gegeben, denn die Entführer verschenkten am letzten Tag eine große Plastiktüte (ca. 3 kg) voller Bonbons an ein Zimmermädchen des Hotel „Bellver“. Die Verteidigung wurde in ihrer Annahme, daß die Bonbons auf Mallorca gekauft wurden, durch den Zeugen Hauer (BKA) bestätigt. Er sagte während seiner Zeugenaussage, die Bonbons seien aus einem Spezialgeschäft in Palma. Bonbondosen gehörten allerdings nicht zu den Asservaten, während der blaue Kosmetikkoffer und das Kofferradio als Waffenversteck gefunden wurden.

Auch die Ermittlungen des BKA unmittelbar nach der Tat widersprechen der Darstellung Andrawes. Denn demnach ist sie nicht mit dem Kommandoführer Akache nach Mallorca geflogen, wie sie angibt und sie ist nicht nachmittags, sondern erst spät in der Nacht (zwischen 01:00 und 02:00 Uhr) gemeinsam mit Akache im Hotel Saratoga angekommen. Der Nachtportier, der damals vernommen wurde, konnte sich zwar an Frau Andrawes und ihren Begleiter erinnern, erwähnte aber keine anderen nächtlichen Besucher.

Wie Rechtsanwalt Euler im Auftrag der Verteidigung im März 1997 recherchiert hat, ist das Hotel heute wie damals klein und überschaubar, der Eingangsbereich von der Rezeption aus einsehbar. Daß sich dort bei nachts verschlossener Tür eine fremde Frau mit Kinderwagen einschleicht, hielten die Hotelbediensteten für ausgeschlossen. Der Nachtportier ist 1980 verstorben. Dessen damalige Aussagen beim BKA widersprechen völlig der Version von Andrawes.

Über die Glaubwürdigkeit von Frau Andrawes kamen im Prozeß noch andere Merkwürdigkeiten zutage - z.B. erhielt das Ehepaar in Norwegen Asyl, weil ihr Mann von der Abu-Nidal-Gruppe bedroht worden sei. Von dieser erhielten sie aber danach 6 Millionen Dollar! (Zeuge: Staatsanwalt Rath am 02.06.97). Der Ehemann von Andrawes hatte Enthüllungen über den Absturz der PanAm über Lockerbie angekündigt, wenn seine Frau nicht nach Deutschland ausgeliefert werde. Richter Klein wachte sorgsam darüber, daß der Kollege Staatsanwalt sich nicht verplappert. „Lockerbie gehört nicht hier her“.

RA Bendler: „Die Verfolgung der Abu-Nidal-Gruppe war in Norwegen der Asylgrund. Wie verträgt sich das mit der Zahlung von 6 Millionen Dollar?“

Richter Klein: „Das ist eine Wertung und keine Frage.“

Vorsitzender Schieferstein: „Herr Anwalt, Sie sollen Fragen stellen und nicht werten.“

Der Zeuge durfte nichts über die Reisebewegungen und das Geld des Ehepaares sagen und auch nichts über seine Verhandlungen mit der Andrawes-Anwältin und den Behörden in Oslo.

Daß es mehrfach Verhandlungen gab, erwähnte auch der Zeuge Siegmund (Oberstaatsanwalt BAW) am 16.01.97. Ihm zufolge haben die norwegischen Behörden zur Bedingung der Auslieferung gemacht, daß Andrawes in Deutschland nicht zu einer lebenslagen Freiheitsstrafe verurteilt wird.

Bekanntlich hat Souhaila Andrawes ihre Aussage in Oslo zu Beginn des Haas-Prozesses in einem Brief widerrufen, wenn auch mit dem Zusatz, sie habe nicht gelogen. Diese Fabulistik wird von der Bundesanwaltschaft als Widerruf des Widerrufs interpretiert. Als Zeugin in Frankfurt hat Frau Andrawes ihr Aussageverweigerungsrecht in Anspruch genommen. In ihrem Prozeß in Hamburg hat sie ihre Beschuldigungen nicht wiederholt. Deshalb konnte die Kronzeugenregelung auch nur mit einem juristischen Winkelzug angewandt werden. Die Stasi-Akte scheint wieder gute Dienste geleistet zu haben.

Zeugenaussage Gerichtsvorsitzender im Andrawes-Prozeß Mentz am 13.02.97

Vorsitzender Schieferstein: „Wie wurde die Kronzeugenregelung eingeführt?“

Zeuge Mentz: „Die Aktenteile, die wir von der Bundesanwaltschaft angefordert haben, wurden als Freibeweis eingeführt.“

Vorsitzender Schieferstein: „Sie nehmen Bezug auf den „OV-Wolf“

Zeuge Mentz: „Ich weiß nicht mehr genau, wie wir’s eingeführt haben.“

Zeitweise war die Aussage des Hamburger Senatsvorsitzenden eine bittere Lachnummer:

Monika Haas: „Im Urteil (S. 20) steht: Die Entführer fuhren im Taxi zum Flughafen. (...) Andrawes trug in einem rosa farbenen Kosmetikkoffer zwei Handgranaten.

Aus den Akten geht hervor, daß es gar keinen rosa farbenen Kosmetik- koffer gab, sondern nur einen blauen.“

Zeuge Mentz: „Da halte ich mich raus.“

RA Golzem: „Das steht aber so in Ihrem Urteil.“

Zeuge Mentz: „Dann wird es das Ergebnis der Beratung sein, und über die darf ich hier nicht sprechen.“

Die zwei Richter des Hamburger Senats bestätigten nach der Verurteilung von Frau Andrawes als Zeugen in Frankfurt (13.02.97), daß diese die Urteilsverkündung unterbrochen und in norwegisch und arabisch gerufen habe: „Es stimmt nicht, was der Vorsitzende sagt, Monika Haas hat die Waffen nicht nach Mallorca gebracht“. Der Hamburger Gerichtsvorsitzende meinte der Zwischenruf habe für ihn keine Rolle gespielt: „Da höre ich nicht hin, wenn gesagt wird, daß der Vorsitzende nicht die Wahrheit sagt“.

Das Andrawes-Urteil basiert auf der Kronzeugenregelung und mußte deshalb davon ausgehen, sie habe Monika Haas belastet, was sie aber in der Hamburger Verhandlung nicht getan hat. Deshalb galt Monika Haas in Hamburg qua „Freibeweis“ schon vorab als schuldig, obwohl ihr Prozeß in Frankfurt noch lief. Dieses Konstrukt wäre zusammengebrochen, wenn das Gericht den Zwischenruf beachtet hätte, den alle Beteiligten gehört haben, wie sie in Frankfurt als Zeugen bestätigten. Für den Gerichtsvorsitzenden Schieferstein ist dieser Ausruf „unerheblich“. Deshalb lädt er die Übersetzerin auch nicht als Zeugin, wie die Verteidigung beantragte.

Die BKA-Beamtin Posiege, die in Oslo Andrawes persönlich zu der Waffenübergabe vernommen hat, resümierte ihren Eindruck über Andrawes Glaubwürdigkeit so: (30.01.97)

RA Golzem: „Mit welchem Eindruck sind Sie weggefahren?“

Zeugin Posiege: „Die Angaben nach der Mittagspause waren nicht sehr konkret, mein persönlicher Eindruck war, daß sie Frau Haas nicht auf Mallorca gesehen hat. Sie hat dann auch noch mal gesagt, sie sei sich immer noch nicht sicher, Monika Haas gesehen zu haben.“

Sie deutet an, damals verwundert gewesen zu sein, daß Staatsanwalt Homann in Oslo bei der Andrawes-Vernehmung offenbar nicht an der Klärung von Widersprüchen interessiert war.

Der Zeuge Said Ali Slim – Sim sala bim

Zwei Tage nach dem Ende des Andrawes-Prozesses, der im Hinblick auf eine Substantiierung der Belastungen gegen Monika Haas nichts erbracht hatte, zauberte Staatsanwalt Homann –sim sala bim - einen neuen Belastungszeugen aus dem Hut: Said Ali Slim, der im Libanon wegen Zusammenarbeit mit dem israelischen Geheimdienst Mossad im Gefängnis sitzt. Er sei der Mann, der Monika Haas 1977 bei dem Waffentransport begleitet habe. Er sei geständig. Daraufhin reisten im März 1997 zwei BKA-Beamte in den Libanon, wo das Strafmaß des neuen Zeugen auf „unerklärliche“ Weise inzwischen von zehn auf vier Jahre reduziert worden war.

Die Parallelen der Vernehmung zu der von Souhaila Andrawes sind deutlich. Am ersten Tag konnte Herr Slim sich nicht erinnern, vor allem nicht an ‘Amal’ (Monika Haas) oder Mallorca. Nach den entsprechenden Vorhalten dämmerte ihm was. Und am dritten Tag „wußte“ er dann doch, daß eine deutsche Frau mit einem Baby auf dem Arm und Waffen in der Tasche - von denen er keine Ahnung hatte und erst später erfuhr - nach Mallorca geflogen sei. Bei der Vernehmung passierten mehrere Pannen. u.a. wurde Herrn Slim der im Fragekatalog „ordentlich vorgegebene“ Kinderwagen nicht vorgehalten. So stellte Slim einen völlig anderen Ablauf dar als Andrawes.

Zeugenaussage Wolf, BKA-Beamter, am 03.07.97.

RA Metz: „Es gibt Fragen im Fragekatalog, die nicht gestellt wurden. Z.B. nach dem Kinderwagen.“

Zeuge Wolf: „Er hat gesagt, das Kind wurde auf dem Arm getragen.“

RA Metz: „War gar kein Kinderwagen dabei?“

Zeuge Wolf: „Das war implizit, daß kein Kinderwagen dabei war.“

RA Bendler: „Und wie sollen die Waffen transportiert worden sein?“

Zeuge Wolf: „Im Handgepäck.“

Über diese Panne war der Gerichtsvorsitzende offensichtlich sehr verärgert:

RA Bendler: „Und Sie haben da nicht nachgefragt nach dem Kinderwagen? Der spielt doch hier eine große Rolle.“

Vorsitzender Schieferstein: „Das habe ich Ihrem Kollegen Golzem schon gesagt, wenn Sie das alles besser machen, sollten Sie zum BKA gehen.“

Der andere „Kriminalist“ vom BKA beschrieb deren Arbeitsweise so:

RA Bendler: „Hatten Sie handschriftliche Notizen zu der Vernehmung?“

Zeuge Simons: „Die habe ich gleich bei der Rückkehr vernichtet.“

RA Bendler: „Noch ehe Sie das Protokoll hatten?“

Zeuge Simons: „Ich ging davon aus, daß sie im Libanon korrekt protokollieren.“

Der Beamte hatte zwar seinen neuen „Freund“ Hauptmann Halabi von der libanesischen Militärpolizei über das deutsche Rechtssystem belehrt, aber nicht den Vernommenen. Da dieser als Beschuldigter der Bundesanwaltschaft und nicht als Zeuge im Haas-Prozeß aussagte, hätte er über sein Recht, die Aussage zu verweigern, belehrt werden müssen, und das ist laut Protokoll nicht geschehen (BKA-Zeuge: „Soll ich den so lange belehren, bis er nichts mehr aussagt?“). Die Ergebnisse der Expedition in den Libanon sind wegen der fehlenden Belehrung möglicherweise nicht verwertbar.

Für die Verhandlung am 18.12.97 hatte die Verteidigung eine Neuigkeit angekündigt. Die war, daß Said Ali Slim (der konstant leugnete, Frau Andrawes zu kennen) und Souhaila Andrawes 1977 verlobt waren. Die Vermutung der Verteidigung, daß dies den deutschen Ermittlungsbehörden bekannt gewesen sei, macht die Aussage des BKA-Beamten Wolf (03.07.97) im Nachhinein interessant. Diese deutet stark auf ein solches Vorwissen hin:

RA Bendler: „In Beirut war Slim mit einer Mona zusammen. Andrawes nannte sich u.a. Mona. Wurde er darauf konkret angesprochen? Wurde versucht zu dokumentieren, daß seine Mona auch die Mona der Flugzeugent-

führung ist?“

Zeuge Wolf: „Das wurde zu dem Zeitpunkt angesprochen, als er noch abstritt, die PFLP zu kennen. (...).“

RA Bendler: „Vorhalt: Kennen Sie eine Frau namens Amal? Antwort Slim: Nein, aber Mona. Wie kommt er darauf? Nach Amal ist gefragt worden, er antwortet mit Mona.“

Zeuge Wolf: „Das waren zwei Fragen. Amal hat er verneint, Mona bejaht.“

RA Bendler: „Vorhalt: Slim kannte Mona vor seiner Heirat 1980 im Libanon.“

Zeuge Wolf: „Da Andrawes in dieser Zeit in Beirut lebte und sich Mona nannte, ist das naheliegend. Nach seiner Aussage ist sie aber nicht identisch mit Andrawes. Er muß sie in Mallorca getroffen haben, das streitet er aber ab.“

Da die BKA-Vernehmungen im Libanon möglicherweise nicht verwertbar sind, wurde erneut ein Rechtshilfeersuchen an die libanesische Gerichtsbarkeit gestellt. Vor der 7. Strafkammer in Beirut wurde Said Ali Slim am 27.10.97 erneut vernommen, nunmehr nicht als Beschuldigter, sondern als Zeuge. Ob diese Aussage verwertbar ist, ist bisher ebenfalls unklar, da die Verteidigung über die Vernehmung vorab nicht informiert wurde, was nach deutscher Strafprozeßordnung vorgeschrieben ist. Nun hofft das hohe Gericht, daß die Verteidigerrechte im Libanon restriktiver sind. Es gilt das jeweilige Landesrecht.

Inhaltlich stellte Said Slim in dieser richterlichen Vernehmung wieder eine neue Variante des Ablaufs vor. Sie lautet: Er sei alleine von Bagdad nach Algier geflogen und hätte von dort das deutsche Mädchen nach Palma begleitet. An ihren Namen könne er sich nicht erinnern. Auf die Frage ob sie Waffen bei sich hatte, sagte er: „nichts dergleichen bei ihr gesehen zu haben“. Auf den Vorhalt, er hätte dem deutschen Mädchen geholfen Waffen zu transportieren, war diesmal seine Antwort: „Das stimmt nicht“. Danach sei er am Morgen des 8.10.1977 zurück nach Algier geflogen, während seine Begleiterin auf Mallorca geblieben sei.

Nach den Ermittlungen des BKA flog fragliches Pärchen aber am nächsten Morgen gemeinsam weiter nach Paris. Ein Kind wurde bei dieser Vernehmung nicht erwähnt.

Peter Jürgen Boock - der BAW -Zeuge vom Dienst

Peter Jürgen Boock, der u.a. an der Entführung Dr. Schleyers und der Ermordung seiner Begleiter beteiligt war, und der -nach eigener Aussage- bei einer Kontroverse in der RAF auch für dessen Erschießung plädierte, spielt heutzutage gern die Rolle des Zeitzeugen und vor Gericht die des Kronzeugen. Von seinen ehemaligen RAF-GenossInnen wurde er als Aufschneider und Lügner charakterisiert, der durch seine angeblichen Krankheiten, die sich nachträglich als Drogensucht bzw.

-entzugserscheinungen herausstellten, die Gruppe tyrannisierte (Susanne Albrecht, Silke Maier-Witt u.a.).

Im Urteil gegen Boock (1984) befindet das Gericht, daß er „mit Einfühlungsvermögen und Phantasie Geschehensabläufe erfindet“.

P.J. Boock will Monika Haas bereits bei seiner ersten Ankunft auf dem Flughafen von Aden in Begleitung Siegfried Haags gesehen haben. Dieser habe ihn dann aber gleich vor dem Kontakt mit dieser Frau gewarnt, die aus der RAF ausgestoßen worden sei. Als Zeitpunkt dieser ersten Ankunft und Begegnung gibt Boock zunächst die Jahreswende '76/'77 an, doch da saß Haag bereits in Haft. In einer anderen Aussage datiert er diese Szene auf den Sommer und in einer weiteren auf den Herbst 1976.

RA Bendler: „Sie geben an, daß Sie Frau Haas in einem wallenden Kleid gesehen haben, weil sie schwanger war. Wie Sie von Haag erfahren hatten, wollte sie dadurch Helou an sich binden. Nun geben Sie aber an, daß ihre Ausbildung in Aden schon Oktober '76 zu Ende war und Sie Frau Haas erst September/Oktober '77 in Bagdad im Flur flüchtig wiedergesehen haben. Haag wurde aber schon im November '76 festgenommen.“

Zeuge Boock: „Wahrscheinlich wird das ein Jahr vorher gewesen sein.“

Monika Haas: „Da wußte ich ja selbst noch nicht, daß ich schwanger war, da war der Haag aber fix.“

Welche Personen der RAF während der Schleyer-Entführung (September/Oktober '77) sich mit Boock im selben Haus in Bagdad aufhielten, wisse er nicht mehr so genau, um dann aber viele der Namen, die ganz bestimmt dagewesen seien, zu nennen z.B. Christoph Wackernagel, der sich dort gegen eine Erschießung Dr. Schleyers ausgesprochen habe. Wackernagel sei dann auch mal schnell von Bagdad nach Europa gejettet, um für Boock „Medikamente“ einzukaufen usw. Nachdem feststand, daß Wackernagel nicht in Bagdad war, „überlegte“ sich Boock in einer späteren Aussage, daß er eben doch nicht dort war.

Als Abu Hani (Wadi Haddad) während der Schleyer-Entführung einer von der RAF „legitimierten Person“ die Flugzeugentführung und/oder eine Botschaftsbesetzung in Kuwait vorschlug, will Boock einmal beim Gespräch dabeigewesen sein, das andere Mal viel später davon gehört haben. In der einen Aussage soll dieses Gespräch in Bagdad stattgefunden haben, in der anderen Aussage war es in Algier. In seinem Prozeß sprach er zu dem fraglichen Zeitraum von einem „kurzen Intermezzo in Europa“, womit dann aber wieder Algier gemeint sein soll. Daß das Intermezzo doch in Europa stattfand, darauf deutet ein echter Stempel vom 11.10.1977 in dem Paß, der bei seiner Festnahme gefunden wurde, hin.

Dies erklärt er einmal damit, daß der echte Stempel ein Fälschung sei, dann wieder, daß er den Paß von einer anderen Person übernommen habe, die echt gereist sei usw.

Bei dieser Konfusion scheint für das Gericht dennoch eines sicher zu sein: Daß nämlich Boock in dieser Zeit in Bagdad bei einem Gespräch mit Abu Hani Monika Haas über einen Flur huschen sah. Zwar sagt Boock auch, daß er zu dieser Zeit meist „stoned” war und Halluzinationen hatte. Aber bei solchen Unpäßlichkeiten hält sich das Gericht nicht auf: Hauptsache, er will sie gesehen haben!

Brigitte Mohnhaupt, die damals Freundin und enge Vertraute Boocks war, sagte als Zeugin aus (6.11.97).

RA Golzem: „Herr Boock hat hier gesagt, er hätte Monika Haas im September/Oktober in Bagdad über eine Flur huschen sehen. Er hätte das Gefühl gehabt, sie nicht sehen zu sollen.“

Zeugin Mohnhaupt: „Das hat er damals nie gesagt. Das glaube ich auch nicht. Das hätte er doch erzählt, wenn er das gesehen hätte, dem hätte er doch Bedeutung beigemessen. In den ganzen Jahren gab es noch nie einen Anhalt, daß sie dabei war. Das hat er so dazu erzählt, wie immer, wenn die Zeit günstig ist, um sich Öffentlichkeit zu verschaffen. Ein Beispiel wie er lügt: Während des Golfkrieges habe ich mal morgens das Radio angemacht, da hat er in Englisch zum Golfkrieg was erzählt: Jedes Mal, wenn wir nach Bagdad gekommen seien, hätte Saddam Hussein uns da persönlich empfangen. So'n Zeug behauptet der.“

RA Golzem: „Sie sind nie von Saddam Hussein empfangen worden?“

Zeugin Mohnhaupt: „Ganz sicher nicht. Es gibt so viele Beispiele, wo der gelogen hat. Meiner Erinnerung nach hat er Monika Haas damals nicht gekannt.“

Der Zeuge Boock, vom Vorsitzenden als das „unmittelbarste Beweismittel“ geadelt, charakterisierte seinen Zustand zur fraglichen Zeit so (14.11.96):

Zeuge Boock: „Ich nahm Opiate, Alkohol, Haschisch, Dolantin, Morphium - je nach Beschaffungsmöglichkeit. Während der Schleyer-Entführung Mophium-Zäpfchen.“

RA Bendler: „Hatten Sie außer der Schmerzsituation noch andere Gründe nach Bagdad zu gehen?“

Zeuge Boock: „Meine Position in der Gruppe wurde wackliger. Meine Handlungs- fähigkeit war beeinträchtigt. Ich hatte black-outs und Angst, paranoid zu werden.“

Zu seiner Rolle als professionalisierter Kron- und Zeitzeuge befragt, relativiert Boock die Glaubwürdigkeit seiner Aussagen (14.11.96).

RA Bendler: „Sind das Erinnerungen oder überlagern sich die durch die verschiedenen Aussage-Komplexe?“

Zeuge Boock: „Ja, das ist so, das vermischt sich.“

Monika Haas dreht den Spieß um

Am 30.03.1998 gab Monika Haas eine Prozeßerklärung ab. Seit ihrer Haftentlassung vor einem Jahr sei sie selbst in der Lage gewesen zu recherchieren und dabei zu Ergebnissen gekommen, die sie wegen der Skrupellosigkeit von Ermittlungsbehörden und Justiz noch einmal schwer erschüttert hätten:

So habe das BKA einen Agenten in Palästinenserkreisen gehabt (Khaled Jihad), über den es zu

spektakulären Fahndungserfolgen kam (z.B. im Mai 1980 wurden fünf RAF-Mitglieder in Paris festgenommen). Um in der Folgezeit von diesem Informanten abzulenken, sei der Verdacht gezielt auf sie gerichtet worden.

Das gegen sie in Palästinenserkreisen vorhandene Mißtrauen sei geschürt worden, um sie als „Schutzschild“ gegen den wirklichen Agenten zu mißbrauchen. Die Verdächtigungen hätten so weit geführt, daß Stasi und PLO ein Autoattentat auf sie planten, wie sich aus einem ihr vorliegenden Gesprächsprotokoll ergäbe, aus dem sie die entsprechende Passage zitierte. (Das Protokoll des MfS liegt inzwischen dem Gericht vor). Selbst in einem Gespräch 1997 beim „Spiegel“, der sich früher an den Verdächtigungen gegen sie maßgeblich beteiligt habe, sei ihr nun bestätigt worden, daß Khaled Jihad die Informationen weitergegeben hätte, derer sie verdächtigt worden war. Da dieser Palästinenser wegen exzessiven Drogengenusses als Agent ausgefallen wäre, seien seit 1981 Anwerbeversuche des BfV bei ihr erfolgt, wobei der angebliche Waffenstransport indirekt als Druckmittel eingesetzt worden sei.

Die Nachforschungen nach der wahren Identität des Pärchens, das sich mit einem im Januar 77 gestohlenen holländischen Paß auf den Namen Vermaesen geb. Trubendorfer und einem gefälschten Paß auf den Namen Kamal Servati tatsächlich im Vorfeld der Entführung in Mallorca aufhielt, seien nicht vorangetrieben worden, um sie als „Verdächtige auf Abruf“ unter Druck setzen zu können. Dabei werde bis heute manipuliert und gelogen.

Bei einem Gesprächsversuch mit Frau Vermaesen habe diese aus undurchsichtigen Gründen alle Fragen stereotyp mit dem Hinweis, das sei alles zu lange her, sie könne sich nicht erinnern, beantwortet, selbst die Frage ob sie Kinder habe.

Ein Freund der Frau Vermaesen habe 1997 bei Haas-Anwalt Bendler angerufen; „zufällig“ sei er - wie sich später herausstellte - der holländische Ermittlungsbeamte usw.

Als angebliche Begleiter bei ihrem angeblichen Waffentransport seien bisher vier verschiedene Männernamen aufgetaucht, zuletzt Said Ali Slim.

Monzer Al Kassar, einem Freund ihres Mannes, sei 1993 vom BKA in spanischer U-Haft (er wurde später freigesprochen) angeboten worden, ihm behilflich zu sein, wenn er zugebe, 1977 mit Monika Haas die Waffen transportiert zu haben. Dabei sei ihm der angebliche Ablauf detailliert vorgegeben worden, den er - zum Schein - bestätigt habe. Nach Aufnahme des Protokolls habe er den Beamten gesagt, daß er es unmöglich fände, ihn zu einer Falschaussage zu verleiten und dafür zu bestechen. Für die fragliche Zeit habe er ein eindeutiges Alibi - nämlich U-Haft in London. Daraufhin hätten die BKA-Beamten das Protokoll zerrissen. Monzer Al Kassar sei bereit, dies hier unter Eid zu bestätigen. Der entsprechende Beweisantrag der Verteidigung wurde natürlich abgelehnt.

Trotz des Anklagepunktes „Beihilfe zur Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer“ wird die Einsicht in die Akten zum Komplex Schleyer-Entführung verweigert. Dies diene offensichtlich dem Zweck, die widersprüchlichen Angaben von Boock zu schützen, indem sie nicht mit den Aussagen der DDR-RAF-Aussteiger verglichen werden können. Abgesehen davon seien die Angaben Boocks auch in sich widersprüchlich und unglaubwürdig, wie ihre Anwälte in einem 24seitigen Beweisantrag vom 02.03.1998 nachgewiesen hätten.

Nach dem bisherigen Prozeßverlauf ist das Interesse des Gerichts an der Aufklärung dieser Punkte allerdings höchst unwahrscheinlich. Die Körpersprache (Augenrollen, Feixen, mit dem Stift spielen, demonstratives Däumchendrehen usw.) beim Verlesen der Erklärung durch Monika Haas drückte bereits aus, was es davon mehrheitlich hält

Die Legende der GSG9 anzukratzen wird abgestraft: Noch ein Mordversuch

Irgend etwas beendete das Tauwetter des Frühjahres im Haas-Prozeß abrupt. Nach der Sommerpause brach die Eiszeit wieder durch. Aufgrund der Aussage des GSG9-Beamten Hümmer am 07.09.98 überraschte der Vorsitzende beim nächsten Termin (17.09.98) mit dem ”rechtlichen Hinweis”, daß die Erweiterung der Anklage noch um eine ”Beihilfe zum versuchten Mord in Frage kommt”. Zur Erklärung sei ein Rekurs gestattet:

Am 13.03.97 hat die Stewardeß der Landshut in bewegender Eindringlichkeit über die Tage der Geiselnahme berichtet. Zum Schluß der Verhandlung fragte Rechtsanwalt Bendler, wer eigentlich der zum nächsten Termin geladene Zeuge Losert sei, zu ihm sei in den Akten nichts zu finden. Berichterstatter Zeiher erklärte, Losert sei als BGS-Beamter und bei der Geiselbefreiung der Landshut in der Spezialtruppe GSG9 gewesen. Das Gericht werde zwei Aktenseiten an die Verteidigung nachreichen. So etwas war in der Verhandlungsführung ”normal” und erscheint erst nachträglich merkwürdig, denn immerhin ging es um Mittäterschaft am Mordversuch an diesem BGS-Beamten, der einen Halsdurchschuß erlitt.

Am 20.03.97 sagte der Zeuge Losert aus, beim Stürmen der Maschine habe die Spezialeinheit mit Leitern auf ein Funksignal hin gleichzeitig versucht, alle Türen zu öffnen.

Zeuge Losert: „Ich sollte die Kollegen auf der Leiter von unten sichern. Auf meiner Seite kam keiner rein, weil die Tür zur Bordküche nicht aufging, nur einen Spalt. Als ich gerade unter der Maschine durch wollte, auf die andere Seite, sah ich das Mündungsfeuer. Aus der Maschine wurde geschossen, wodurch ich einen Ein- und Ausschuß am Hals erlitt.“

RA Bendler: „Einer der GSG9 soll vorher in die Tür eingeklemmt gewesen sein.“

Zeuge Losert: „Das habe ich nicht gesehen.“

Diese Aussage ruhte über ein Jahr in den Akten bis Monika Haas ”das Faß” am 15.06.98 wieder aufmachte: Die Anklage sei an sich falsch. Doch da sie nun einmal bestehe, wolle sie einen Punkt, der in sich auch noch falsch sei, klären, nämlich die Art und Weise, wie die Verletzung des GSG9-Beamten Losert erfolgt sei. Dieser könne kein Mündungsfeuer aus dem Flugzeug gesehen haben, weil erstens sein

Kollege in der Tür eingeklemmt war, und er zweitens – nach eigener Aussage – gerade unter dem Flugzeug in geduckter Haltung auf die andere Seite zu kommen versuchte, als der Schuß ihn traf. Die Anwälte ergänzten, daß nach der Beschreibung des Türmechanismus und der möglichen Schußrichtung durch den Spalt, der Beamte an der beschriebenen Stelle seines Standortes nicht hätte getroffen werden können. Die Verteidigung stellte den Beweisantrag, den BGS-Beamten Trautmann und einen Spezialisten der Lufthansa (Singer) als Zeugen zu laden.

Am 07.09.98 sagte Herr Hümmer als ehemaliger BGS-Beamter (GSG9) aus, den das Gericht ”aus eigenen Stücken” zu diesem Komplex geladen hatte. Er stellte den Sachverhalt so dar: Sein Team habe die rechte Vordertür stürmen sollen, neben der links zwei Leitern angelegt waren. Er selbst sei oben auf der linken Leiter gewesen und habe die Tür entriegeln sollen. Hinter ihm auf derselben Leiter habe der Teamchef gestanden. Daneben auf der anderen Leiter habe weiter unten sein Kollege Trautmann gestanden, der die Tür öffnen sollte. Das sei nur einen Spalt gelungen, weil hinter der Tür Müll stand. Er habe sich in den Spalt reinzwängen wollen, doch die Tür sei zurückgeschlagen. Der Kollege Trautmann sei gleich von der Leiter gefallen. Er selbst sei nur bis zu den Oberarmen in den Spalt gekommen, da er 1 m-1,50 m unterhalb der Tür gestanden habe. So habe er schräg nach oben schießen müssen. Dabei habe er eine weibliche Person gesehen. Auf Nachfragen will er in ihr Andrawes erkannt haben. Mindestens zweimal habe er bei dem Schußwechsel einen Knall gehört. Der Kollege Losert habe nicht auf der Leiter gestanden, sondern zur Absicherung hinter der Leiter unterhalb der Tür. Nach dem Plan hätte dieser in die Tür schießen sollen, die sich aber nicht öffnen ließ. Losert sei von einer Kugel getroffen worden. Er und sein Team seien dann auf die andere Seite gelaufen, wo es den Kollegen gelungen war, in die Maschine einzudringen.

Bundesanwalt Homann fragte nach einer zweiten Person, die aus dem Dunkel der Maschine geschossen haben könnte. Der Zeuge meinte zwar, das hätte er sehen müssen, da sei aber nur die weibliche Person gewesen, doch als auch Richter Zeiher noch eine weitere schießende Person ins Spiel brachte, meinte der Zeuge: ”Nach meiner Wahrnehmung war sie es. Theoretisch kann jemand hinter ihr gestanden haben und neben ihr vorbeigeschossen haben.”

Die dem Zeugen von zwei Seiten suggerierte Theorie kann logischerweise nur den Sinn haben, Frau Andrawes von gezielten Schüssen auf Hümmer zu entlasten. Demnach hätte ein hinter Andrawes verborgener Terrorist an dieser vorbei nach unten gezielt auf den etwa 1 m entfernten, in der Tür hängenden Hümmer geschossen, diesen aber nicht getroffen und auch nicht den direkt hinter ihm stehenden Teamleiter, sondern den gerade unter dem Flugzeug durchkriechenden Kollegen Losert.

Den Theorien über den möglichen Weg der Kugel fügte Richter Zeiher noch eine anatomisch pointierte Variante hinzu: ”Neben den Schultern war kein Platz mehr, aber neben den Hüften, weil die schmaler sind.” Diesen seinen Körperbau bestätigte der Zeuge nicht ohne Stolz als Rechtsanwalt Golzem fassungslos fragte: ”Aber Sie waren doch nur mit den Armen drin. Wie können die denn dann neben den Hüften durchgeschossen haben?”

Der Zeuge “schloß 100% aus”, daß die Schüsse von den GSG9-Kollegen, die auf der anderen Seite in die Maschinen eingedrungen sind, stammen könnten. Er habe die Tür auf der anderen Seite sehen können, die sei noch zu gewesen, als er seinen letzten Schuß abgegeben habe. Der Teamleiter Scholz, der hinter ihm auf der Leiter stand, habe auch durch den Spalt nach oben geschossen. Das habe er selbst aber gar nicht gemerkt.

Richter Kern zeigte sich durch die sportive Leistung beeindruckt, allerdings mit zweifelndem Unterton: ”Das war doch ein großer Schritt da reinzukommmen, über einen Meter und dabei noch zu schießen?” Der Zeuge darauf stolz. ”Das war eine Spezialaufgabe. Daß wir nicht reingekommen sind, lag nur an der verklemmten Tür.”

Staatsanwältin Dr. Fischer, die selten Fragen stellt, ist dann aber für Überraschungen gut: ”Und die Blendgranaten?” Der Zeuge gab an, nicht zu wissen, ob diese von der GSG9 oder “einheimischen Kräften” gezündet wurden. Rechtsanwalt Golzem hakte nach: ”Wissen Sie’s nicht oder dürfen Sie’s nicht sagen?” Bundesanwalt Homann unterbrach und sagte ohne Mikro etwas Unverständliches zum Zeugen. Rechtsanwalt Golzem protestierte: ”Ich bin am Fragen und habe nicht verstanden, was Sie dem Zeugen zugeflüstert haben”, worauf Bundesanwalt Homann ihm in aller Unfreundlichkeit riet: ”Hören Sie schlecht? Dann gehen Sie zum Arzt.”

Das hohe Gericht rügte diese Unverschämtheit nicht, sondern die Herrenrunde amüsierte sich köstlich.

Rechtsanwalt Golzem wollte den Widerspruch klären, daß der Zeuge zunächst von einem Schußwechsel gesprochen habe, wobei er keine mit Absicht gezielten Schüsse erkannt habe, dann aber bei den Nachfragen behauptete, die Schüsse seien ”absolut” gezielt gewesen. Richter Klein tat daraufhin mal wieder seine Sicht der Aufklärungspflicht kund: ”Diese Frage dient nicht der Wahrheitsfindung.”

Wahrheitsfindung hin oder her, gezielte oder ungezielte Schüsse hin oder her – die Hauptsache: Schüsse aus einer Waffe, die Monika Haas vor 21 Jahren ”geliefert” haben soll. Aufgrund der Aussage des Zeugen Hümmer gab der Gerichtsvorsitzende am 17.09. den ”rechtlichen Hinweis”, daß Frau Haas nun die Beihilfe zu einem weiteren Mordversuch angelastet werden könne.

Schon fünf Minuten später wurde dieser Parforce-Ritt zur Farce: Der Zeuge Trautmann von der GSG9 sagte Punkt für Punkt das Gegenteil, obwohl Vorsitzender Schieferstein ihn vorab indirekt präparierte, indem er den Beweisantrag und die darin zusammengefaßte Aussage Loserts zitierte und der Zeuge ein Schriftstück in der Hand hielt, das offensichtlich der Beweisantrag der Verteidigung war. Schon der erste Satz Trautmanns ”Ich stand auf der Leiter an der linken Seite in Flugrichtung” irritierte so, daß ihm eine Skizze des Flugzeugs gezeigt wurde.

Vorsitzender Schieferstein: ”Es geht um die rechte Vordertür.” Trautmann: ”Es war die linke Tür. Losert stand oben auf der Leiter.” Erneute Irritation! Vorsitzender Schieferstein händeringend: ”Gab es zwei Loserts?” Trautmann: ”Dieser Werner Losert sollte die Tür entriegeln und ich sollte sie aufschieben. Das ging nicht, weil Müll dahinter stand. Da muß ein Schuß gewesen sein... Losert hatte die Hand am Hals, da kam Blut. Ich habe ihm zu den Sanitätern runtergeholfen.” Der Zeuge sagte weiterhin, man habe im Flugzeug nichts erkennen können, auch kein Mündungsfeuer – gar nichts. Ob Hümmer oder Scholz auch auf der Leiter waren, wisse er nicht, auf alle Fälle nicht über ihm, vielleicht hinter ihm, aber ganz sicher nicht oben, das sei Losert gewesen. Auf den Vorhalt, daß Herr Hümmer gesagt habe, daß er –Trautmann– gleich von der Leiter gefallen sei, reagierte der Zeuge entschieden: ”Keiner ist gefallen. Ich auf jeden Fall nicht!” Richter Zeiher hielt nun vor, was Losert selbst im März 97 gesagt hatte (s.o.), darauf fragte der Vorsitzende: ”Haben Sie sich geirrt?”, was der Zeuge entschieden verneinte. Staatsanwalt Homann hielt dem Zeugen zunächst aus der Erinnerung, nach der Beanstandung durch die Verteidigung aus seinen Notizen, dessen Aussage im Andrawes-Prozeß vor. Da habe er gesagt, es sei die rechte Tür gewesen und wer sie geöffnet habe, wisse er nicht. Losert habe unter ihm auf der Leiter gestanden. Doch der Zeuge bestritt dies und blieb dabei: Losert sei auf der Leiter getroffen worden, er habe das Bild noch gut im Gedächtnis, wie der sich an den Hals griff und blutete. Allenfalls könne es sein, daß alle gerade beim Runterklettern waren, weil die Tür ja nicht aufging, als Losert getroffen wurde. Daß der Schuß vielleicht von den Kollegen, die auf der gegenüberliegenden Seite schon ins Flugzeug gekommen waren, stammen könnte, wehrte er ab: ”Das kann ich so nicht stehenlassen.”

Der Zeuge wurde vereidigt.

Resümee:

Das Faß, das Monika Haas zu Prozeßende wohl in aller Naivität aufgemacht hat, um durch Aufklärung eines der Anklagepunkte die drohende Verurteilung abzumildern, war offenbar explosiv. In Hamburg, wo dieselben Zeugen zum selben Sachverhalt mehr oder weniger dasselbe ausgesagt haben, hatte die Andrawes-Verteidigung offenbar kein Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts. Andrawes wurde u.a. trotz des offensichtlichen Zickzack-Kurses der Kugel für den Mordversuch an Losert bestraft, nicht aber für die Schüsse auf Hümmer, der ja angibt, sie dabei gesehen zu haben. Dafür wird Monika Haas abgestraft. Offenbar hat sie an der bislang stabilen Konstruktion einer Legende gesägt: Der präzisen Logistik beim ersten Einsatz einer deutschen Elitetruppe im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.

Als Staatsanwältin Fischer den Zeugen Hümmer überraschend nach den Blendgranaten fragte und Richter Zeiher dann nach den ”einheimischen bewaffneten Kräften” wurde Staatsanwalt Homann nervös und intervenierte durch eine “heimliche” Botschaft an den Zeugen. Merkwürdig! Er wollte ganz offensichtlich die Frage danach verhindern, inwieweit die Verletzung Loserts auch (oder vielleicht besser) durch die auf dem Flugfeld anwesenden englischen und somalischen Eliteeinheiten erklärt werden kann. Dem nachzugehen hatte seit 21 Jahren offenbar niemand ein Interesse. Der Eindruck, daß hier etwas vertuscht werden soll, wird durch die Aussage des Zeugen Trautmann verstärkt. Danach ist nicht auszuschließen, wenn er selbst diese Möglichkeit auch abwehrt, daß die Verletzung Loserts durchaus auch versehentlich von außen oder durch seine GSG9-Kameraden bei der Schießerei in der Maschine passiert sein könnte.

Der unrechte ”rechtliche Hinweis” aus – fast – heiterem Himmel auf das Anhängen einer Beihilfe zum dritten Mordversuch läßt für das Urteil Schlimmes erwarten. Nach dieser Logik könnte die Anklage noch um x weitere Mordversuche erweitert werden, so viele wie Schüsse der Terroristen abgegeben wurden. Und auch die Handgranate, die die Stewardeß so ”eierig” auf sich zurollen hörte, war kein Spielzeug... Aber dafür, daß Monika Haas die Waffen nach Mallorca gebracht hat bzw., daß sie überhaupt irgend etwas mit dem Terrorkommando zu tun hatte, fehlt noch jeder Beweis. Wie gesagt, sie wollte wahrscheinlich die Geschehnisse auf einem Nebenschauplatz der Anklage aufklären, um beim drohenden Urteil zumindest diesen Punkt vorab zu erledigen und machte ein Faß auf, das explosiv ist.

Akten werden zurückgehalten

Ein Dauerthema im Prozeß ist die unvollständige Aktenlage und der sich mehr und mehr verdichtende Eindruck, daß aus politischen Gründen Material zurückgehalten wird, das der Entlastung dienen könnte bzw. die Theorie von Monika Haas belegen könnte, daß sie Opfer geheimdienstlicher Skrupellosigkeit wurde.

- Seit Prozeßbeginn fehlten immer wieder Schriftstücke aus den Ermittlungsakten. Wenn die Verteidigung das monierte, forderte Bundesanwalt Homann sie auf, doch nach Karlsruhe

anzureisen. “Das steht alles bei mir im Zimmer, das ist nicht prozeßrelevant” Diese Unver- schämtheit traf teilweise auch das Gericht, Vorsitzender Schieferstein wurde sauer: “Die Bundesanwaltschaft soll die fünf Bände mitbringen, der Andrawes-Prozeß in Hamburg ist auch richtig versorgt worden” (31.10.96).

Den entsprechenden Beweisantrag auf Offenlegung dieser Akten (188 Seiten) beantwortet die BAW mit der Erklärung, die Akten seien nur neu strukturiert worden und listet dies auf. Die Verteidigung rechnet gegen, danach ist diese Erklärung nicht stichhaltig. So hat die BAW in ihrer Auflistung Schriftstücke mitgezählt, die erst viel später zu den Akten genommen wurden, mithin nicht in der Paginierung enthalten sein können. Die von der Verteidigung verlangte rechtsverbindliche Erklärung der BAW, daß keine Akten mehr vorhanden sind (24.6.98), wird von dieser abgelehnt: “Dem Antrag der Verteidigung auf Beiziehung sämtlicher Ermittlungs- akten der Bundesanwaltschaft über Ermittlungsvorgänge im Zusammenhang mit dem Verdacht gegen die Angeklagte Monika Haas wird entgegengetreten (27.7.98).

- Spiegel Redakteur Latsch nahm als Zeuge (16.7.98) sein Aussageverweigerungsrecht in Anspruch.

Immerhin kam bei seiner Befragung heraus, daß in den Ermittlungsakten, die er eingesehen hatte, der Name „Khaled Jihad“ (in der Prozeßerklärung vom 30.03.98 hat Monika Haas diesen Namen als den Agenten des BKA im Nahen Osten geoutet). im Schriftverkehr zwischen Bundes anwaltschaft und BKA auftaucht. In den Prozeßakten fehlt dieser Schriftwechsel.

Die Richter schienen nicht sonderlich brüskiert darüber, daß ein Journalist bei den ermittelnden Behörden brisante Schriftstücke einsehen kann, die dem Gericht vorenthalten werden nach dem Motto: Solange das Material entlastend ist, sollen sie es in Karlsruhe, Wiesbaden, Bonn oder wo auch immer behalten. Das erleichtert die „Arbeit“ in Frankfurt.

Persönliches Resümee und Zusammenfassung

Als ich am ersten Prozeßtag im Januar 1996 die Erklärung von Frau Haas hörte, dachte ich: “Die Frau spinnt”, und so stand es direkt oder indirekt auch in vielen Zeitungen, kurz zusammengefaßt in dem Tenor:

Nach fast drei Jahren Prozeßbeobachtung bin ich, trotz innerer Widerstände gegen alle Verschwörungs-theorien, davon überzeugt: “Die Frau hat recht”.

Die Beweisaufnahme hat ergeben:

Es gibt nicht, wie die Anklage weismachen will, die vier unabhängigen Belastungsmomente: Stasi, BKA, Andrawes, Slim, sondern das sich selbst verstärkende System nach dem Schema des Kinderspiels “Stille Post”. Wenn die Geheimdienstler beider Lager eine heiße Zusammenarbeit im Kalten Krieg zwischen Stasi und BKA (bzw. BfV) allesamt “nicht ausschließen können”, so heißt das: Es hat sie gegeben. Darauf deuten nicht nur die zeitgleich auftauchenden “Informationen”, wobei die Akten der Stasi auf dem Tisch liegen, und die des BKA/BfV bezeichnenderweise weiterhin in den Schubläden bleiben müssen, sondern auch Einzelheiten wie z. B. das Foto aus einer erkennungsdienstlichen Behandlung taucht nicht nur beim BKA sondern auch bei der Stasi auf. Der skurile Anwerbe- und Erpressungsversuch des BfV 1981, Monika Haas möge bei der Suche nach dem “Opiumschädel” (was sie später als “Mohnhaupt” dechiffrierte) helfen, taucht bei der Stasi als Opiumgeschäft auf usw ...

Die “Erkenntnisse”, die ganz offensichtlich aus derselben “Urquelle”, die aus deutsch-deutschem Untergrundschlamm sprudelte, stammten, wurden dann unter existentiellem Druck Frau Andrawes als Tatsachenbehauptungen vorgehalten und von dieser schwach abgenickt. Diese Prozedur wurde bei Herrn Slim mit dem gleichen zweifelhaften Erfolg wiederholt. Daß die Ausschmückungen des Szenario, die die beiden den Vorhalten hinzufügten, weder zu den Ermittlungsergebnissen paßten noch miteinander kompatibel waren, störte die Glattbügler des Senates wenig.

Die Aussage von Herrn Boock erscheint zwar zunächst unabhängig von dieser Kette. Da er aber zu der Zeit, als er in Bagdad Frau Haas über einen Flur huschen gesehen haben will, nach eigenen Angaben unter Halluzinationen litt bzw. meist “stoned” war und später als professionalisierter Zeitzeuge Presseberichte, Gerüchte und eigene Wahrnehmungen nicht mehr auseinanderhalten konnte, ist seine Aussage wohl kaum zu verwerten, ganz abgesehen von den vielen Widersprüchen seiner diversen Aussagen und Stories. Auch er hat -wie Andrawes und Slim- von seiner „Kooperationsbereitschaft“ erheblich profitiert.

Das andere von der Gerüchteküche unabhängige Belastungsmoment ist der Eintrag “+ inf” in der Passagierliste. Dieses “Dokument” steckt voller Merkwürdigkeiten. Es gibt plausible Anhaltspunkte für die Interpretation der Verteidigung, daß nach “weiteren Informationen” gefragt wird. Ich neige aufgrund der offensichtlichen Manipulationen an dieser Liste allerdings eher zu der Interpretation, daß nachträgliche Eintragungen den Anschein erwecken sollten, daß ein Kind mitgereist sei. Wer auch immer Interesse an einer solchen Fälschung hatte.....

Daß die Ermittlungen gegen Verdächtige, die sich erwiesenermaßen im Umfeld der Entführer aufhielten, nicht verfolgt bzw. eingestellt wurden und zwar gegen den erklärten Willen des sich um Aufklärung bemühenden Sachbearbeiters, um den Verdacht gegen Monika Haas zu verdichten, ist ebenso durchsichtig wie skandalös.

Für die Hypothese der Verteidigung, daß der Anführer Akache die Waffen selbst nach Mallorca brachte, gibt es überzeugende Anhaltspunkte: Er befand sich auf einem unkontrollierten Inlandsflug; die Gewichtsdifferenz seines Koffers zwischen Hinflug und Abflug entsprach ziemlich genau dem Gewicht der Waffen; er war als Einziger im Besitz eines rosa-roten Koffers; er hatte ein neurotisch-libidinöses Verhältnis zu Waffen als Insignien seiner kurzen Macht, wie es sowohl Andrawes als auch der Co-Pilot und die Stewardeß darstellten.

Soweit das Resümee zur “Beweislage” in bezug auf den angeblichen Waffentransport.

Die Hauptanklagepunkte beziehen sich aber auf dessen Folgen: Nämlich Beihilfe zum Mordversuch an drei GSG9 Beamten bei der Geiselbefreiung und zum Mord an Dr. Schleyer.

Obwohl die Voraussetzungen dieser Anklagepunkte völlig inkonsistent, unbewiesen und unsinnig sind,, müssen sie hier dennoch erörtert werden:

Ausgerechnet Monika Haas, bei der es im Prozeßverlauf nicht die Spur eines Anhaltspunktes gab, daß sie jemals zu dieser Gruppe gehörte oder zur Zeit der Entführung Kontakte zu ihr hatte, sondern die im Gegenteil in Aden von der Gruppe als “Verräterin” geschnitten wurde, wird unterstellt, sie hätte die Erschießung Schleyers gebilligt.

In diesem schwerwiegenden Anklagepunkt geht es also nicht um irgendeine Beweisführung sondern von vornherein um eine bloße Unterstellung. Die Akten zum Komplex Schleyer-Entführung wurden vom Gericht nicht beigezogen!

Die Atmosphäre im Gerichtssaal ist schwer zu beschreiben. Man muß es gesehen haben, wie Bundesanwalt und Gericht darüber wachten, daß sich keiner der Heimlichtuer verplapperte; wie die Verteidigung an der Aufklärung von Widersprüchen gehindert wurde; wie Stasischergen als Belastungszeugen zu Ehrenmännern geadelt wurden; wie die gefangene Monika Haas be- bzw. mißhandelt wurde, so daß die Striemen der Fesseln von den Zuschauerbänken zu sehen waren; daß die Richter bei einem Bandscheiben-Vorfall Fluchtgefahr sahen und sie für haftfähig erklärten; daß sie nicht mit ihrer an Leukämie erkrankten Schwiegertochter telefonieren durfte usw. usw.

Das sind nicht nur Schikanen sondern gravierende Menschenrechtsverletzungen.

gez. Helga Dieter


Anmerkungen:

(1) Am Tag der Prozeßeröffnung (18.01.1996) schrieb Helga Dieter an das Komitee:

„Vermutlich kennt Ihr meine Skepsis gegenüber RAF-Gefangenen, die ihre Verbrechen als ‘links’ oder ‘politisch’ schönen und mich damit qua Solidarisierung rückwirkend in etwas hineinziehen wollen, womit ich nichts zu tun habe. Gegen die Sondergesetze des Staates und seine menschenverachtenden Machtdemonstrationen bin ich andererseits nicht erst seit gestern. Insofern fühle ich mich wirklich als Beobachterin.“

Nach einem halben Jahr revidierte sie ihr Verständnis dieser Rolle:

„Im bisherigen Prozeßverlauf ist mir klargeworden, daß ein so hanebüchenes Anklage-Konstrukt und eine so eindeutig auf Verurteilung zielende Handlungsführung, wo fanatische Rachegelüste rechtsstaatliche Prinzipien zum Zynismus verkommen lassen, nicht beobachtet, sondern parteilich bekämpft werden muß. Ich habe mich deshalb jetzt entschlossen, meine Distanz als Berichterstatterin aufzugeben und einen Besuchsantrag gestellt“. (23.08.96)

Die Ablehnung des Besuchsantrages wurde ihr an dem Tag zugestellt, als Monika Haas aus der Haft entlassen wurde (19.03.97).

(2)

2 Der Beitrag stützt sich auf Auszüge aus den Protokollen der Prozeßbeobachtung. Eine umfangreiche Dokumentation ist geplant. Das erste halbe Jahr des Prozesses wurde bereits in der Broschüre „Der Prozeß gegen Monika Haas“ im Oktober 1996 dokumentiert. Diese kann beim Komitee für Grundrechte und Demokratie, An der Gasse 1, 64769 Sensbachtal - Vorkasse 8, -- DM - angefordert werden.

(3)

3 Zur Unterstützung von Monika Haas besteht die Möglichkeit, in den Verteidigungsfonds zu spenden. Die Nummer lautet: Cornelia Spohn / Forum für Monika Haas, Kto.Nr. 610 6510 bei der Ökobank Frankfurt am Main, BLZ 500 901 00.

(4)

4 Laut Aktenführer Ex-Stasi-Major Orzschig, sah er sich selbst als den Wolf, der den Hasen (Monika Haas) jagt.