I.
Die Dauer des Prozesses steht in umgekehrtem Verhältnis zur Ergiebigkeit der Beweisaufnahme. 2 ½ Jahre lang, an fast 100 Verhandlungstagen, die selten länger als 1 Stunde dauerten, hat die Anklage den Versuch unternommen, ihre Thesen von der Täterschaft und Schuld der Angeklagten mit Tatsachen und Beweisen zu belegen. Dieser Versuch ist gescheitert. Der Ausgang dieses Verfahrens wird eine Glaubensfrage sein und keine Frage von Gewißheit und gesicherter Überzeugung.
Die Bundesanwaltschaft hat in ihren Schlußausführungen und mit ihrem Schlußantrag an dem Ergebnis der Beweisaufnahme vorbeigesehen. Was sie ausgeführt hat, entspricht in wesentlichen Zügen dem Text der Anklageschrift, so als hätte es keine umfassende Einlassung von Monika Haas zur Sache und auch keine Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung gegeben. Bei einer Befassung mit deren Ergebnis hätte die Bundesanwaltschaft nicht mehr an den von ihr selbst -während des Ermittlungsverfahrens - konstruierten Theorien festhalten können.
Auch der Senat hat während der Hauptverhandlung in fortlaufenden Haft-entscheidungen zu Zwischenergebnissen gefunden, die nicht auf dem Ergebnis des jeweiligen Standes der Beweisaufnahme beruhten, sondern immer wieder auf die Aktenlage vor der Hauptverhandlung rekurrierten. So hat sich trotz des scheinbaren Umfangs der Beweisaufnahme in Wirklichkeit ein Phantomprozeß abgespielt. Ein Prozeß ohne unmittelbare Beweismittel, mit einer Beweisaufnahme über die Konstruktion eines Tatverdachts gegen die Angeklagte, deren Autoren entweder unbekannt blieben oder (wenn man ihrer habhaft werden konnte) entweder in der Hauptverhandlung schwiegen - und sich damit der Überprüfung der Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit entzogen - oder aber aus der Hauptverhandlung ferngehalten wurden, um ebenfalls nicht ,,Farbe bekennen" zu müssen.
So ist am Ende dieses Phantomverfahrens festzuhalten, daß nicht ein unmittelbares Beweismittel, nicht ein unmittelbarer Tatzeuge vor diesem Gericht erschienen ist. Und jene Beweismittel, die als sogenannte ,,Unterlagen" unmittelbaren Beweiswert hätten haben können, wurden von den staatlichen Ermittlungsbehörden geflissentlich aus der Hauptverhandlung herausgehalten. Staatsschutz und rechtsstaatliches Strafverfahren - das hat sich in diesem Prozeß erneut gezeigt - schließen einander aus.
1.
Wenn man die wesentlichen Elemente der scheinbaren Beweisführung der Bundesanwaltschaft auf ihre Authentizität hin überprüft, bleibt keine Substanz für die Verurteilung von Monika Haas.
- Das in Palma de Mallorca unmittelbar nach dem Tatgeschehen im Jahre 1977 und auch noch in 1980 befragte Hotelpersonal hat Monika Haas nicht als Hotelgast identifiziert.
- Es gibt keinen unmittelbaren Beweis dafür, daß Monika Haas einen verfälschten Reisepaß Vermaesen benutzt hätte.
- Eine Quelle mußte her, die - man staune - folgende Botschaft überbrachte:
In Aden lebe eine Deutsche. Sie sei mit Zaki Helou verheiratet und werde Amal genannt. Sie (die Quelle) habe anhand eines Lichtbildes diese Amal als Monika Haas identifiziert.
Für diese wichtige kriminalistische Leistung könne die Quelle aber in der Hauptverhandlung nicht einstehen. Deren Quellenführer könne ebenfalls nicht für sie einstehen, aber dessen Vorgesetzter dürfe uns die vorstehende Botschaft überbringen.
- Und eine zweite Quelle mußte her, eine Quelle im Erprobungsstadium, die ebenfalls das Licht der Zuverlässigkeitsprüfung scheut, ebenso wie ihr Führer und dessen Vorgesetzter. Diese Quelle hatte folgende überraschende Botschaft zur Hand:
Sie (die Quelle) habe Kontakt zu Personen, die ihrerseits Zugang zu Unterlagen gehabt hätten, die Auskunft geben könnten über Reisebewegungen im Mittelmeerbereich.
- Aber auch diese Unterlagen scheuten das Tageslicht und wurden noch weitere 20 Jahre in den Dunkelkammern der Geheimdienste versteckt gehalten. Ein hoher Beamter des Innenministeriums schrieb dem Gericht, man sehe sich außerstande, sie in ihrer materiellen Gestalt und in ihrer inhaltlichen Aussage dem Gericht zu präsentieren. Man teilte aber geheimnisvoll mit, daß man sie selbst gesehen habe und verlangte dem Gericht und der Verteidigung den guten Glauben ab, daß mit der Präsentation des angeblichen Beweismittels wäre auch nach 20 Jahren eine Gefährdung der unbekannten Quelle verbunden wäre.
- Die Zuordnung einer behaupteten Reisebewegung Vermaesen/Sarvati zur Angeklagten sollte über die Fotokopie der Flugliste und die Eintragung ,,+inf." geleistet werden. Als im Zuge der Inaugenscheinnnahme dieser Unterlagen von der Verteidigung herausgearbeitet werden konnte, daß damit der Beweis für ein mitreisendes Kind nicht geführt werden konnte, wurde eilends das Geburtsdatum 17. 7. 1977 nachgeschoben, worüber ein unmittelbarer Zusammenhang zu Monika Haas hergestellt werden sollte. Warum allerdings dieses Geburtsdatum noch bis in die Hauptverhandlung hinein verschwiegen werden mußte, konnte das BfV niemandem vermitteln.
- Als dieser Konstruktionsmangel evident wurde, taucht urplötzlich ein Name auf, der von 1980 bis zum 10.07.96 geheimgehalten werden mußte. Dessen Bekanntgabe hätte - so wieder das BfV - zur Enttarnung der Quelle führen müssen. Am Tag darauf, am 11.07.96, hatte der Zeuge Piekarek seinen erstmaligen Auftritt in der öffentlichen Hauptverhandlung und überraschte mit Nicole. Von nun an war die Gefahr für die Quelle - so scheint es - ausgeschlossen, die tags zuvor noch bestand. Keiner der Verfahrensbeteiligten konnte diesen Wechsel nachvollziehen. Die Fama vom ,,gelockerten Quellenschutz" ist somit nichts als eine Irreführung. Den angeblichen Quellenschutz hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz bereits 15 Jahre zuvor aufgegeben, als Monika Haas, um sie zu testen, der fingierte Brief vom 27. 6. 1981 vor die Haustür gelegt wurde.
Fest steht, daß der Quelle, sollte es sie überhaupt geben, auch schon zu tatnäherer Zeit im Jahre 1981 nichts geschah, obwohl Monika Haas, wie auch die Bundesbehörden wußten, zu jener Zeit mehrfach ihren Mann besucht hatte und über das Schreiben hätte informieren können, zumindest dann, wenn sie sich, wie die Bundesanwaltschaft behauptet, aus der Anspielung ein Reim hätte machen können.
In Wirklichkeit bestand Handlungsbedarf, nachdem die Theorie des läßlichen Fehlers bei der Angabe des realen Geburtsdatums für sich alleine nicht mehr zu halten war. Monika Haas hatte nämlich an der im Jahre 1981 vom Bundesamt für Verfassungsschutz ausgelegten Angel nicht angebissen. Es handelte sich natürlich nicht um einen reinen Anwerbungsversuch, sondern um einen Testballon, der prompt zerplatzte. Monika Haas hatte das mit Einzelheiten des Tatgeschehens gespickte Schreiben der Polizei übergeben. Bei Annahme der Täterschaft wäre dies der zweite naive Fehler von Monika Haas gewesen. Eine derartige Duplizität von ,,Dummheiten" kann man ihr nun wirklich nicht unterstellen!
Auch das zweite Überführungskonstrukt, der ,,OV Wolf", hat keine unmittelbaren Tatzeugen zu Tage gefördert. Der geheimdienstliche operative Vorgang, wohlgemerkt kein Ermittlungsvorgang im Sinne einer Strafverfolgung, hatte den Versuch unternommen, die Quelle Jürgen Bade als inoffiziellen Mitarbeiter zu funktionalisieren für die ,,Zielstellung": Überführung von Monika Haas als Agentin eines westdeutschen oder israelischen Geheimdienstes.
Als Zeuge im hiesigen Strafverfahren erwies sich diese Quelle als `Flop'. Werner Hoppe hat die angeblichen Bekundungen von Monika Haas ihm oder dritten Personen gegenüber nicht bestätigt. Die Bundesanwaltschaft hält an diesem kryptischen Zeugen fest, obwohl der Senat in seiner Haftentscheidung vom 27.08.96 ihr mit folgenden Worten den Laufpaß gegeben hat:
,,Der Beweiswert der Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), insbesondere des ,,OV Wolf", ist in der Zwischenzeit durch Vernehmung der ehemaligen Mitarbeiter MfS Werner Orzschig und Helmut Voigt sowie durch Vernehmung des Zeugen Werner Hoppe, der für das MfS als inoffizieller Mitarbeiter unter dem Decknamen Bade Informationen über die Angeklagte geliefert hat, überprüft worden.
Nach dem bisherigen Stand der Beweisaufnahme kann zwar nicht davon ausgegangen werden, daß der Zeuge Hoppe seine an den Zeugen Orzschig weitergegebenen Informationen über eine Beteiligung der Angeklagten an der Flugzeugentführung bzw. dem Waffen- und Sprengstofftransport nach Palma de Mallorca unmittelbar von der Angeklagten erhalten und diese ein Geständnis gegenüber Hoppe abgelegt hat. Bisher konnte auch nicht aufgeklärt werden, auf welche sonstige Weise der Zeuge Hoppe zuverlässige Informationen über eine Tatbeteiligung der Angeklagten an der Flugzeugentführung erlangt haben kann. Auf diese Quelle des MfS kann deshalb weiterhin bei der gebotenen strengen und kritischen Überprüfung der MfS-Akten in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Bundesgerichtshofes im Beschluß vom 05.05.92 ein dringender Tatverdacht - entgegen der vom Generalbundesanwalt vertretenen Ansicht - nicht gestützt werden."
Die Quelle Ahmed Ali, über die in der Hauptverhandlung so ausführlich nachgedacht wurde, ist in den Schlußausführungen der Bundesanwaltschaft sang- und klanglos untergegangen und wieder in das Dunkel der Geheimdienste zurückgetreten. Der Kollege Golzem hat sich in seinen Schlußausführungen eingehend mit dieser Quelle befaßt.
Es gibt natürlich eine Erklärung dafür, warum die Bundesanwaltschaft sich nachgerade stickum von Ahmet Ali verabschiedete:
Monika Haas selbst hatte nämlich in ihrer Prozesserklärung vom 31. 3. 1998 einen Informanten des BKA identifiziert, der in den Jahren 1977 bis 1981 Kontakt zum jemenitischen Innenministerium und zu Ahmed Ali hatte: Khaled Jihad, einen Palästinenser und damals ebenfalls Mitglied der PFLP-SC, der Monika Haas seit 1976 aus Aden kannte und später Kontakte zu östlichen Geheimdiensten hatte. Er war der Mann, der die im Mai 1980 in der Rue Flatters in Paris festgenommen fünf Terroristen an das BKA verraten hatte; er war der Mann, der den Verdacht dieses Verrats auf Monika Haas lenkte, wie im ,,OV Wolf" nachzulesen ist. Er ist damit der reale Beweis dafür, daß westdeutsche und ostdeutsche Dienste aus derselben trüben Quelle tranken. Die Existenz dieser Person und deren Kontakte zum Bundeskriminalamt wurden in der Hauptverhandlung durch den Spiegelredakteur, den Zeugen Latsch, implizit bestätigt. Dieser Mann war der Bundesanwaltschaft und dem BKA bekannt. Sein Name taucht - wohl eher aus Versehen - in den Akten auf. Es folgt eine halbherzige Anfrage der Bundesanwaltschaft nach der ladungsfähigen Anschrift, worauf das BKA lapidar mit Nichtwissen antwortet. Und damit hatte sich's, sozusagen eine Sperrerklärung durch Nichtstun. Dieser Mann hätte, wenn er in der Hauptverhandlung hätte erscheinen müssen, die gesamte Konstruktion der geheimdienstlichen Verdächtigungen gegen Monika Haas zum Einsturz gebracht.
Souhaila Andrawes wäre ein unmittelbares Beweismittel, wenn sie sich aus der von Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft und aufgrund von Absprachen zwischen Gericht und Verteidigung in deren eigenen Verfahren gewährten Deckung herausbegeben und sich der kritischen Befragung in unserer öffentlichen Hauptverhandlung gestellt hätte. Statt dessen hat sie versucht, auf der Klaviatur beredten Schweigens zu spielen und damit jedem die Möglichkeit gegeben, das zu glauben, was er gerne glauben möchte. Indessen: Glauben ist kein Beweis.
War die Zeugin Andrawes, deren Verhalten und Kryptoerklärungen von taktischen Finessen und Notwendigkeiten ihres eigenen Strafverfahrens zur Vermeidung einer lebenslangen Freiheitsstrafe geprägt waren, in unserer Hauptverhandlung wenigstens noch körperlich anwesend und konnte man sich einen Eindruck von der Fungibilität von Wahrheit in ihrem Kopfe machen, so ist es der Bundesanwaltschaft bei dem von ihr als Begleiter von Monika Haas auf der Reise nach Mallorca in Szene gesetzten Geheimdienst-Kollaborateur Said Slim wirklich gelungen, aus einem angeblichen unmittelbaren Tatbeteiligten einen Phantomzeugen zu machen, den wir in der Hauptverhandlung lediglich in Form eines Datenblattes mit Fingerabdrücken und einer Fotokopie einer Bertillonaufnahme in Augenschein nehmen konnten, die von der libanesischen Militärjustiz gefertigt worden waren.
Mit dem vollständigen
Fehlen unmittelbarer Beweismittel korrespondiert der Hyperaufwand bei der
Beweisaufnahme mit Hilfe von mehrstufig mittelbaren, d.h. mit Ersatzbeweismitteln.
Die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme bezog sich
auf die Unmittelbarkeit
der Ersatzbeweismittel und nicht etwa auf die Erhebung des Tatgeschehens
selbst. Damit hat das Verfahren durchgängig an einem strukturellen
Fehler gelitten, der die Gefahr des Fehlurteils notwendigerweise in sich
birgt.
3. Die Überzeugung des Gerichts
§ 261 StPO beschreibt das Programm der Urteilsfindung wie folgt:
Die Zeugen, die in der Hauptverhandlung vom Gericht gehört wurden, waren in das Korsett ihrer vom vernehmenden Bundesanwalt zu Protokoll formulierten Angaben gezwängt. Sie waren in den vorangegangenen Vernehmungen durch Vorhalte anderer Aussagen, durch Vorhalte aus den Ermittlungsakten und dem ,,OV Wolf" und durch die subjektive Beeinflussung im Rahmen der Vernehmungssituation so eingemauert, daß eine weitergehende Problematisierung in der Hauptverhandlung unmöglich war.
Die Hauptverhandlung brachte deshalb keine neuen Erkenntnisse für die Urteilsfindung, sondern war lediglich eine protokollarische Pflichtübung, in der frühere Angaben abgehakt wurden. Kamen einem Zeugen im Laufe der Befragung Zweifel, die möglicherweise zugunsten der Angeklagten hätten wirken können, sah er sich sofort durch Bundesanwaltschaft oder Gericht der bedrohlichen Korrekturfrage ausgesetzt, ob er denn behaupten wolle, damals nicht die Wahrheit gesagt zu haben.
Wir erinnern uns an Zeugeneinvernahmen, die ausschließlich den Zweck hatten, eine vom Gericht vorab gefertigte Auflistung einzelner Textpassagen aus vorangegangenen Vernehmungen bei der Bundesanwaltschaft auszugsweise vorzuhalten und absegnen zu lassen.
Die Unmittelbarkeit als Grundlage für die Überzeugungsbildung beschränkte sich in diesem Verfahren auf die Reproduktion bereits früher gemachter Angaben. Der Beweiswert, der in der Beweisaufnahme erst zu ermitteln wäre, war durch die vorangegangenen Vernehmungen bereits festgelegt.
Die in § 261 StPO als Grundlage der Urteilsfindung geforderte freie, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpfte Überzeugung des Richters wird verstanden als die subjektive Gewißheit des Richters von der objektiven Wahrheit. Deshalb verlangt das Gesetz, daß der Richter sich selbst einen unmittelbaren Eindruck von dem Beweismittel mit seiner Beweisaussage macht. Kann er es nicht, weil Beweismittel fehlen, vorenthalten oder durch mittelbare Beweismittel ersetzt werden, so läuft er Gefahr, daß an die Stelle der subjektiven Gewißheit von der objektiven Wahrheit seine Gewißheit von der subjektiven Wahrheit tritt.
Je ferner die Beweismittel, desto höhere Anforderungen an die Überzeugungsbildung.
Im Gegensatz zu den richterlichen Zwischenentscheidungen während des Laufes der Hauptverhandlung, die sich an den Maßstab lediglich der Wahrscheinlichkeit zu halten haben, ist das Ergebnis richterlicher Überzeugungsbildung im Urteil das zweifelsfreie Für-Wahr-Halten der durch ihn in der Hauptverhandlung festgestellten Tatsachen. Dieses von Gesetz und Rechtsprechung geforderte Maß an Gewißheit korrespondiert in einem direkten Verhältnis mit dem Maß an Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Bleibt bei dem inneren Vorgang des Tatrichters bei noch so erdrückenden Verdachtsmomenten auch nur ein leiser Zweifel an der Täterschaft, fehlt es an der zur Verurteilung erforderlichen Überzeugung. An diesen Maßstäben hat sich die Beweiswürdigung zu orientieren.
4. Die Aufklärungspflicht
Das Verfahren litt trotz der scheinbar langwierigen Beweisaufnahme an einem weiteren schwerwiegenden Fehler, der sich aus dem Fehlen unmittelbarer Beweismittel ableitet:
Die Aufklärungspflicht zwingt das Gericht zu umfassender Aufklärung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen. Sie ist damit Ausdruck und Konsequenz einer Stoffsammlungsmaxime, die aus dem das deutsche Strafverfahren beherrschenden Untersuchungsgrundsatz resultiert.
Auch unter diesem Aspekt korreliert die Frage der Unmittelbarkeit der Beweismittel mit dem Umfang der Aufklärungspflicht. Je größer die Entfernung des Beweismittels vom unmittelbaren Tatgeschehen, desto weiter reicht die Aufklärungspflicht.
Ein Beispiel für den Umgang mit der Aufklärungspflicht ist dem Senatsbeschluß über die Ablehnung der Beweisanträge der Zeugen Dejani und Taraboulsi zu entnehmen. Dort heißt es:
Eine frappierende Argumentation:
Bei der Zeugin Andrawes soll das Erinnerungsvermögen mit zunehmendem zeitlichen Abstand gewachsen sein, bei Entlastungszeugen soll es schrumpfen. Die Angeklagte hat eben Pech gehabt, daß sich das Strafverfahren seit der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung der beiden Zeugen weitere fünf Jahre lang hinausgezögert hat. Wenn, wie der Senat meint, der Zeitablauf die Aufklärung verhindert, verbietet der Grundsatz des fairen Verfahrens die Verwertung solcher Beweismittel, gegen die sich die Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer nicht mehr effektiv verteidigen kann und die der umfassenden Aufklärung des Sachverhalts entgegenwirkt.
Dabei setzt die richterliche Überzeugung voraus, daß sie - so die Rechtsprechung - ,,objektiv hinreichend fundiert" ist. In Fällen der Verurteilung können die Sachverhaltsannahmen des Tatgerichts nur dann als hinreichend bestätigt angesehen werden, wenn nichts auf tatrichterliche Zweifel hindeutet und wenn die Annahmen nach der sie rechtfertigenden und erklärenden Argumentation mindestens in hohem Maße wahrscheinlich sind." (Herdegen, StV 92, 527 ff.).
Die Beweisprinzipien stehen in einem Wechselspiel. Das Gebot der umfassenden Sachaufklärung soll dafür sorgen, daß der Überzeugungsbildung und ihrer argumentativen Begründung die Ausschöpfung der erreichbaren Erkenntnismittel vorausgeht. Für-Wahr-Halten oder Zweifel sollen auf der Grundlage einer vollständigen Palette der Anknüpfungstatsachen und in Auseinandersetzung mit ihr Gestalt annehmen (Herdegen, KK, § 244 Rz 18).
Im Verlauf der Beweisaufnahme hat die Verteidigung eine Vielzahl von auf weitere Aufklärung gerichtete Anträgen gestellt. Sie alle hatten das Ziel, die Erkenntnis-grundlagen für die Überprüfung der Glaubwürdigkeit der über Verhörspersonen eingeführten Angaben der Beschuldigten Andrawes und Slim und der des Zeugen Boock zu überprüfen. Ferner hatten Beweisanträge der Verteidigung das Ziel, die Einlassung der Angeklagten zu untermauern. Nahezu sämtliche Anträge wurden vom Gericht abgelehnt, wobei sich durch die Beschlußgründe wie ein roter Faden das gerichtliche Desinteresse an weiterer Aufklärung zieht.
Als Beispiele hierfür seien die nachstehend zusammengefaßten Aktenbeiziehungsanträge der Verteidigung genannt, die sämtlich abgelehnt wurden:
- Antrag der Verteidigung vom 13.03.97, einen in dem Schlußbericht des BKA vom 10.08.78 erwähnten Bericht ,,über das Ergebnis der Bearbeitung der übrigen Spuren" beizuziehen.
- Dabei handelte es sich nicht um einen Beiziehungsantrag von Spurenakten, sondern lediglich eines Auswertungsberichts, dessen Überprüfungsmethode und Ergebnisse auf jeden Fall der Verteidigung hätten zugänglich gemacht werden müssen, zumal der Auswertungsbericht bereits früher einmal Bestandteil der Verfahrensakten war und ihnen später wieder entnommen und damit der Verteidigung vorenthalten wurde.
- Antrag der Verteidigung vom 12. 2. 1997 auf Beiziehung der Verfahrensakten der Bundesanwaltschaft in dem Strafverfahren gegen Souhaila Andrawes.
- Antrag der Verteidigung vom 13. 3. 1997 auf Beiziehung der Verfahrensakten der norwegischen Polizei- und Justizbehörden über die Auslieferung der Zeugin Andrawes.
- Antrag der Verteidigung vom 13. 3.1997 auf Beiziehung der Akten in dem Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts gegen Said Slim und Zaki Helou.
- Antrag der Verteidigung vom 16.07.98 auf Beiziehung sämtlicher über die vorliegenden Akten hinaus bei der Bundesanwaltschaft angefallene Ermittlungsvorgänge im Zusammenhang mit dem Verdacht gegen Monika Haas - und zwar insbesondere jene Aktenteile, die vor der förmlichen Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen Monika Haas am 04.03.92 angefallen sind.
Der Senat hat sich damit nicht nur selbst wichtige Erkenntnisquellen für die Überprüfung der Glaubwürdigkeit der Zeugen Andrawes, Slim und Boock genommen, er hat darüber hinaus die Angeklagte und ihre Verteidigung während eines wesentlichen Teils der Beweisaufnahme hingehalten und die Möglichkeiten der Beeinflussung der zwischenzeitlichen Beweiserhebungen durch erweiterte Aktenkenntnis unterbunden sowie durch verzögerte Verbescheidung den Beweiswert weiter verschlechtert.
Auch wenn die Beiziehungsanträge nach formellem Beweisantragsrecht hätten abgelehnt werden können, wäre es doch Aufgabe des Senats gewesen, gerade wegen der Mittelbarkeit der zur Verfügung stehenden Beweismittel von Amts wegen sämtliche Erkenntnisquellen herbeizuschaffen.
Der BGH hat wiederholt entschieden, daß der Richter auch ohne Antrag und sogar gegen den Willen des Angeklagten entlastende Beweismöglichkeiten ausschöpfen muß. Diese Aufklärungspflicht ist nicht durch die Ablehnungsmöglichkeiten von Beiziehungsanträgen nach dem Beweisantragsrecht begrenzt.
Die von der Verteidigung begehrte Beiziehung von Ermittlungsvorgängen aus dem Verfahren gegen jene Zeugin, deren Angaben als Beschuldigte im eigenen Verfahren über Verhörspersonen in die Hauptverhandlung eingeführt wurden, hätte schon bei verständiger Würdigung der Sachlage begründete Zweifel an der Richtigkeit der bislang erlangten Überzeugung wecken müssen, weil in den Akten noch nicht ausgeschöpfte, aber verfügbare Erkenntnisse und Beweismittel enthalten sind.
Die Verteidigung hatte immer wieder darauf Wert gelegt, den Hintergrund von Absprachen und Zusagen an die Zeugen Andrawes und Said Slim aufzuklären. Anhaltspunkte in dieser Richtung waren offenkundig, wie die Ergebnisse der Behandlung der Zeugin Andrawes in ihrem eigenen Straf- und Strafvollstreckungsverfahren (zeitige Freiheitsstrafe, Vollzug der Strafe in Norwegen schon nach ungewöhnlich kurzer Zeit mit weitreichenden in der Bundesrepublik unüblichen Hafterleichterungen etc.) und die Reduzierung der 10jährigen Freiheitsstrafe des Zeugen Slim im Libanon auf 4 Jahre belegen. Die lapidare Auskunft der Vertreterin der Bundesanwaltschaft am vorletzten Hauptverhandlungstag spricht für sich: Man habe ja eine Urteilsabschrift erbeten, diese aber nicht bekommen. Warum hat man denn kein weiteres Rechtshilfeersuchen an die libanesischen Behörden gestellt? Die Antwort ist naheliegend: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, nun kann er gehen. Das Ermittlungsverfahren gegen Said Slim wird jetzt einschlafen. Auf dessen Strafverfolgung war man nicht erpicht, wohl aber auf den mit seiner Hilfe ausübbaren Druck, der Slim zu Aussagen drängen sollte, die Monika Haas belasten.
Monika Haas hat vorgetragen, daß die Zeugin Andrawes und der Zeuge Slim im Jahre 1977 zur Tatzeit miteinander verlobt bzw. verheiratet waren. Diese Beweistatsache ergibt sich aus den norwegischen Verfahrensakten. Auch die Bundesanwaltschaft hat in dieser Richtung gesicherte, Monika Haas entlastende Erkenntnisse, die sie in die Hauptverhandlung einzuführen nicht bereit ist. In der Gegenvorstellung gegen den die Beiziehung der Ermittlungsakten gegen Said Slim ablehnenden Beschluß des Senats vom 7. 10. 1998 hatte die Verteidigung auf diesen Umstand hingewiesen. Die vom Senat herbeigeführte Erklärung der Vertreterin des Generalbundesanwalts in derselben Hauptverhandlung läßt die Frage nach Erkenntnissen zu dem Verlöbnis bzw. der Ehe der beiden Belastungszeugen bewußt offen. Mit dieser Erklärung wurde lediglich zum Ausdruck gebracht, daß Frau Dr. Fischer persönlich über das erste Rechtshilfeersuchen vom 14.11.96 an die libanesische Justiz hinaus keine weiteren Ermittlungen in Auftrag gegeben hat. Diese beschränkte Auskunft läßt die aufgeworfene Frage nicht nur unbeantwortet, sondern auch den Anfall weiterer Erkenntnisse zu Said Slim als ausgesprochen wahrscheinlich erscheinen.
Herdegen hat das Spannungsverhältnis zwischen Aufklärungspflicht und freier richterlicher Überzeugung als ein Wechselspiel der Beweisprinzipien beschrieben:
(KK § 244, Rz 26)
Es gelten die Regeln der Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung:
Je mittelbarer die Beweismittel - desto geringer ihr Beweiswert;
Je weniger Aufklärung - desto größer die Zweifel.
II
In aller Kürze sollen hier die für die Bewertung des Beweisergebnisses erheblichen Daten und Stadien der Ermittlungen nachgezeichnet werden.
Auszugehen ist von der Tatsache, daß das Ermittlungsverfahren gegen Monika Haas erst mit Verfügung vom 4. 3. 1992 offiziell eingeleitet wurde. Alle bis dahin vorliegenden Erkenntnisse hatten nicht ausgereicht, den hinreichenden oder gar dringenden Tatverdacht zu begründen.
Gegenständlich gesehen, umfaßten die bis Anfang 1992 in den Händen der Ermittlungsbehörden befindlichen Beweismittel und Erkenntnisse die Ermittlungen im Jahre 1977 in Spanien, die Abschriften von Fluglisten, die Hotelmelde-bescheinigungen, die Befragungen des Hotelpersonals und die Daten von den vom Kommando und dem Pärchen Sarvati/Vermaesen benutzten Reisedokumente. Ferner lagen vor die angeblichen schriftlichen Unterlagen über Reisebewegungen, die Quellmeldungen des BKA und des Bundesamts für Verfassungsschutz und - folgt man der Behauptung der Anklage - das Geburtsdatum 17. 7. 1977 sowie der Namen Nicole. Schließlich waren das von Monika Haas mit Dank an den Absender zurückgereichte Schreiben des BfV aus dem Jahr 1981 sowie die am 14.11.1982 der Frankfurter Rundschau zugespielte schriftliche Morddrohung bekannt, die in ihrer Pseudoverfremdung für jeden erkennbar auf ihre Herkunft verwiesen: das Ministerium für Staatssicherheit. All das reichte für die Annahme eines Tatverdachts nicht aus.
Nach 1982 sind keine neuen Erkenntnisse zu Tage getreten. Monika Haas lebte unbeanstandet in Frankfurt und ging dort ihrem Beruf nach. Im Zuge der Öffnung der Archive des MfS ging dem BKA spätestens im Jahre 1990 der ,,OV Wolf" zu. Dieser wurde sofort ausgewertet. Gleichwohl kam es nicht zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, weshalb die Ermittlungsbehörden weiterhin untätig blieben.
Der Umschwung setzte mit der Ausstrahlung der SPIEGEL-TV - Sendung vom 1. 3. 1992 ein, in der wesentliche Anschuldigungen des ,,OV Wolf" gegen Monika Haas verbreitet wurden. Die Sendung endete mit den Worten:
,,So helfen STASI-Akten plötzlich, bundesdeutsche Vergangenheit aufzuarbeiten, ob sich unsere Ermittlungsbehörden darüber freuen, ist eine andere Frage."
Und man muß ergänzen:
Drei Tage später wurde das Ermittlungsverfahren förmlich eingeleitet, am 20. 3. 1992 wurde Monika Haas verhaftet.
Am 21. 3. 1992 ließ sie sich bereits zur Sache ein und trug vor, Aden seit der Geburt ihrer Tochter bis zur Entführung der ,,Landshut" nicht verlassen und die Waffen nicht transportiert zu haben. Sie habe auch von Boock, auf den sie angesprochen worden war, nichts zu befürchten gehabt.
Am 24. 3. 1992, also nur drei Tage nach dieser Einlassung wurde Peter Jürgen Boock durch OStA Pflieger erstmals in dem Verfahren gegen Monika Haas als Zeuge vernommen. Prompt kam die Aussage, er habe Monika Haas in Bagdad vor der Landshut-Entführung getroffen. Damit sollte, wie später erkennbar wurde, die zwischenzeitlich bekannt gewordene Einlassung von Monika Haas aus den Angeln gehoben werden.
Diese Aussage Boocks, mit der ich mich später befassen werde, war anfangs offenbar noch nicht eindeutig und belastend genug, um die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft zu rechtfertigen. So hob der 3. Strafsenat des BGH am 5. 5.1992 nach Abwägung des vorliegenden Beweismaterials ohne Erwähnung der Aussage Boocks den Haftbefehl auf, und zwar nicht nur, weil er die Zuverlässigkeit der nachrichtendienstlich verarbeiteten Informationen des OV Wolf in Frage stellte, sondern darüber hinaus auch, weil er die Verwertung der beiden Quellen des BKA aus dem Jahre 1980 mangels einer möglichen Zuverlässigkeitsprüfung ablehnte.
Zum Stasi-Produkt führte der BGH - dies sei noch einmal in Erinnerung gerufen - aus:
Beruht der Tatverdacht - wie hier - auf der Aussage eines früheren Führungsoffiziers des MfS über die Mitteilung eines Inoffiziellen Mitarbeiters über ein angebliches ,,Geständnis" der Beschuldigten, so reicht eine solche Aussage in aller Regel für die Annahme eines dringenden Tatverdachts nicht aus. Dies folgt nicht nur aus dem grundsätzlich angebrachten Mißtrauen gegen die Arbeitsweise des MfS, sondern auch aus dem rechtsstaatlichen Erfordernis, den Sachverhalt unter Benutzung möglichst tatnaher Beweismittel aufzuklären.
(vgl. BGH St 32, 115, 123)"
Durch diese Ermittlungen wurde die vorläufige Beweislage in ganz erheblichem Maße zu Lasten der Angeklagten beeinflußt.
Einer der Schwerpunkte lag
darin, durch die Einvernahme der Stasi-Offiziere dem ,,OV Wolf" den Geist
einer rechtsstaatlich einwandfrei, bürokratisch sauber und korrekt
geführten Ermittlungsakte einzuhauchen, wofür der Vernehmungsbeamte
bei den Stasi-Offizieren nach der Wende inzwischen bereitwillige Auskünfte
in seinem Sinne erwarten durfte. Waren doch diese Herren ihrerseits wegen
ihrer dienstlichen Stasi-Tätigkeit Ermittlungsverfahren ausgesetzt,
die meist ebenfalls von der Bundesanwaltschaft geführt wurden.
Die mit militärischen Dienstgraden ausgestatteten Vertreter eines
Unrechtssystems gaben unter dem Druck der Gegebenheiten in nichtöffentlichen
Zeugenvernehmungen scheinbar freimütig Auskünfte. Ganz so freiwillig
kann dies aber nicht gewesen sein, betrachtet man das Aussageverhalten
der Zeugen Orzschig, Voigt, Jäckel und Dr. Dahl in der hiesigen Hauptverhandlung,
die gelegentlich durch Androhung von Ordnungsmitteln zur Aussage gezwungen
werden mußten.
Die Einlassung von Monika Haas
Die Vernehmungsaktivitäten der Bundesanwaltschaft verfolgten nur das eine Ziel, die Einlassung von Monika Haas zu widerlegen. Der Entlastung dienende Ermittlungen wurden nicht angestellt, denn sie lagen im Interesse der Verfolgungsbehörden.
Dennoch ist dieser Versuch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung mißlungen. Herr Kollege Golzem hat in seinem Schlußvortrag beeindruckend herausgearbeitet, daß Monika Haas nicht die Frau gewesen sein kann, die als Frau Vermaesen gereist ist. Er hat dargelegt, daß sich aus den Ermittlungen in Spanien und der Analyse der vorgelegten Fotokopien von Fluglisten zwingend ergibt, daß das Paar Sarvati/Vermaesen kein Kleinkind mitgeführt haben kann.
Monika Haas hat sich vom Beginn des Ermittlungsverfahrens an konstant zur Sache eingelassen. Für ein Terrorismus-Verfahren ist ein derartiges Prozeßverhalten äußerst ungewöhnlich. In den letzten 25 Jahren hat es kein Verfahren gegeben, in dem ein den Vorwurf bestreitender Angeklagter sich ausführlich zur Sache eingelassen hätte. Diese offensive Prozeßstrategie spricht für die Angeklagte. Seit dem Aufkommen der Verdächtigungen hat sie sich mit allen rechtlichen Mitteln gewehrt. In einer Vielzahl von öffentlichen Erklärungen, Interviews und Stellungnahmen hat sie sich überzeugend und glaubhaft mit ihrer ganzen Persönlichkeit gegen die Übermacht der politischen Strafverfolgung gestellt und sich mit ihrer ganzen Existenz für ihre Glaubwürdigkeit verbürgt.
Sie hat dies von 1992 bis zum heutigen Tage durchgängig und widerspruchsfrei getan. Als Stationen der Einlassung sollen hier noch einmal kurz rekapituliert werden:
Erste und spontane Erklärungen anläßlich der Haftbefehlseröffnung beim Ermittlungsrichter des AG Frankfurt am 21.03.92.
Hier ging es in der Befragung durch Oberstaatsanwalt Kouril bereits um die Frage, ob Monika Haas von Boock etwas zu befürchten hätte. Dies hat sie ohne Zögern nachdrücklich verneint.
Sie hat auch darauf hingewiesen, daß es sich bei dem Verlöbnis mit Werner Hoppe um ein Zweckbündnis handelte, das eingegangen worden war, um durch ihre Besuche die damalige Haftisolation Hoppes zu lindern.
Bei der Vorführung zum Ermittlungsrichter des BGH am 25.03.92 hat Monika Haas sich umfassend zu ihrer politischen Vorgeschichte geäußert, insbesondere zu Nairobi und zu den Verdächtigungen, denen sie in der Folge ausgesetzt war. Sie hat eindeutig und entschieden angegeben, daß sie seit der Geburt ihrer Tochter bis zum 18.10.77 Aden nicht verlassen hatte und als Beleg dafür die schwere Erkrankung ihrer erst zwei Monate alten Tochter und die Behandlung durch Dr. Taraboulsi angeführt. Sie hatte auch den Angestellten der kuwaitischen Fluggesellschaft , den Zeugen Dejani benannt, der den Kontakt zu den Ärzten hergestellt hatte.
Damals schlug ihr der Spott der Bundesanwaltschaft entgegen. Man wollte ihr nicht glauben und warf ihr Lüge vor.
In dieser Vernehmung übergab Monika Haas die eingangs erwähnten beiden Schreiben des BfV und der STASI. Sie äußerte sich ausführlich dazu. Es stellte sich dabei heraus, daß diese Schriftstücke von den Verfolgungsbehörden nicht zu den Akten gegeben worden waren. Hätte es sich aus der damaligen Sicht um belastendes Material gehandelt, so wäre es angesichts der sonst mageren Beweislage mit Sicherheit in das Verfahren eingeführt worden.
Nachdem aber die Angeklagte dies tat, wurde der Spieß einfach umgedreht. Das BfV versuchte nun, auf dem Weg über das unter geheimdienstlicher Zielstellung verfaßte Schreiben den angeblichen Informationen ihrer sog. Quelle nachträglich Beweiswert zukommen zu lassen. Dieses Unterfangen ist ein sich selbst fütterndes System. Es dient in seiner zirkulären Vorgehensweise der wundersamen Schöpfung von Indizien, die in Wirklichkeit keine sind oder keinen nachprüfbaren Bezug zur Realität haben.
Es bleibt festzuhalten, daß es bei vorhandenem Täterwissen selbstzerstörerisch wäre, solch ein Schreiben der Polizei zu übergeben. Wäre Monika Haas die Täterin, hätte es Sinn gemacht, sofort die Flucht zu ergreifen, ohne die Polizei einzuschalten. Dies aber zu tun und gleichzeitig schnellstens außer Landes zu gehen, kann nur mit der Angst von Monika Haas bei gleichzeitig fehlendem Täterwissen erklärt werden.
Diese ominösen Schreiben haben die Bundesanwaltschaft nicht etwa zu weiteren Ermittlungen über deren Herkunft und ihre Hintergründe veranlaßt. Warum sind die Agenten des BfV dazu nicht vernommen worden? Dies hätte zur Entlastung der Angeklagten beitragen können. Man hätte bereits damals feststellen können, wenn man nicht schon davon ausgegangen war, daß Monika Haas Opfer geheimdienstlicher Aktionen mit falschen Anschuldigungen und Verdächtigungen geworden war. Die Hintergründe aufzuklären, war allerdings nicht opportun.
Statt dessen konzentrierte man sich weiter darauf, das Alibi von Monika Haas zu durchlöchern.
Zum einen setzte man dabei auf die Zeugen Dr. Taraboulsi und Dejani, zum anderen waren die Hoffnungen auf Peter-Jürgen Boock gerichtet, dem bei der Überführung von Monika Haas eine Schlüsselrolle zugewiesen wurde. Dazu aber später.
In ihren beiden ausführlichen Prozeßerklärungen in der hiesigen Hauptverhandlung vom 31.10.96 und 21.01.97 hat Monika Haas die Einlassungen noch einmal eingehend dargestellt. Deren vollständige Wiederholung verbietet sich hier aus Zeitgründen. Im übrigen liegen beide Erklärungen dem Senat schriftlich vor.
Monika Haas hat sich darüber hinaus in einer eigens für diesen Zweck anberaumten Hauptverhandlung, nämlich am 18.09.97, den Fragen des Gerichts und der Verfahrensbeteiligten gestellt. Hier hat sie noch einmal auf die Frage, was sie ab Juli 1977 gemacht habe, ausgeführt:
Nach dem Geburtstag ihrer Tochter sei sie 2 bis 3 Wochen an einer Brustentzündung erkrankt gewesen. Die Familie hätte damals bei einem Bekannten des Ehemanns gelebt, der im Jemen arbeitete, aber nicht politisch organisiert war. Sie habe sich damals aus dem politischen Leben zurückgezogen, weshalb es ihr auch nicht möglich gewesen sei, einen offiziellen politischen Status im Office einzunehmen. Nach ihrer Genesung habe man eine neue Wohnung bezogen. Dies sei zu der Zeit gewesen, als Hanna mindestens 4 Wochen alt war. Diese neue Wohnung habe in einem Flachbau mit einem einzigen Obergeschoß gelegen und nicht in dem von Boock beschriebenen Apartmenthaus.
An diesem Umzug könne sie auch festmachen, daß die Aussage Boocks, er habe sie bereits vor der Geburt von Hanna in der Wohnung aufgesucht, nicht stimme. Boock sei weder in der alten noch in der neuen Wohnung gewesen; seine Beschreibung der Wohnung sei falsch.
Nach dem Umzug sei Hanna an einer lang anhaltenden schweren Durchfallerkrankung erkrankt, deretwegen sie mit Hanna mehrmals das örtliche Krankenhaus aufgesucht habe, ohne daß die dort verabreichten Medikamente gewirkt hätten. Im Gegenteil sei der Zustand von Hanna immer bedrohlicher geworden. Deshalb habe ihr Mann Herrn Dejani von den Kuwait Airlines angesprochen - in der Hoffnung, er könne Medikamente aus Kuwait beschaffen. Dieser habe auf das BP-Krankenhaus und Dr. Taraboulsi verwiesen und den Kontakt zu diesem hergestellt. Monika Haas sei zweimal bei Dr. Taraboulsi gewesen, der einen britischen Arzt hinzugezogen und über ihn Medikamente besorgt habe.
Zwischen November 1977 und Anfang Januar 1978 sei sie zusammen mit ihrem Mann nach Bagdad gereist, um dort einzukaufen, auch Medikamente für das Kind.
Sie sei sich hundertprozentig sicher, daß diese Reise nach Bagdad die erste seit der Geburt ihrer Tochter Hanna war. Auch während der Schwangerschaft habe sie ihrer Erinnerung nach keine Reisen ins Ausland unternommen.
Die Ablehnung dieser Beweisanträge, die auf die Bestätigung der Einlassung und des Alibis der Angeklagten zielten und der Überprüfung der Glaubhaftigkeit des Zeugen Boock dienen sollten, stellt eine unerträgliche Behinderung der Verteidigung dar.
Der Zeuge Dejani, der seinerzeit den Kontakt zu Dr. El-Taraboulsi hergestellt hatte, hat angegeben, daß Hanna, als er von Monika Haas angesprochen wurde, etwa 2 Monate alt war. Sie sei wirklich sehr krank und seines Erachtens nicht in der Lage gewesen, mit einem Flugzeug zu verreisen. Hinsichtlich der zeitlichen Einordnung ist der Aussage des Zeugen Dejani folgendes zu entnehmen: Ab Mitte September 1977 (Hanna war ca. 2 Monate alt) hat Monika Haas mit dem Zeugen Verbindung aufgenommen. Zu dem Zeitpunkt war Hanna etwa 25 Tage erkrankt. Dejani hat dann den Kontakt zu Dr. El-Taraboulsi hergestellt. Später dann hat Dr. Taraboulsi das Kind untersucht. Dejani hat Monika Haas zwar im Oktober nicht mehr gesehen, allerdings ergibt sich aus seinen Angaben, daß Monika Haas Anfang Oktober noch in Aden war. Der Zeuge hatte bekundet:
Der Zeuge Taraboulsi hat gegenüber Oberstaatsanwalt Kouril wiederholt und übereinstimmend angegeben, daß das Kind zum Zeitpunkt des Beginns seiner Behandlung eher 3 Monate alt war als jünger. Diese feste Bekundung deckt sich mit den Angaben des Zeugen Dejani. Daraus kann nur der Schluß gezogen werden, daß die Behandlung erst Anfang Oktober 1977 begann und Hanna nicht vor dem 8. 10. 77 reisefähig war.
Ferner hat der Zeuge bekundet, daß sich das Kind nach der Einnahme der von ihm beschafften Medikamente in wenigen Tagen erholte. Danach sei Monika Haas noch einmal bei ihm zu Hause zur Untersuchung des Kindes erschienen. Er meinte auch in diesem Zusammenhang erneut, daß das Kind eher 3 Monate alt war als jünger.
Damit steht aufgrund der Angaben von Monika Haas und der Zeugen Dejani und Dr. El-Taraboulsi fest, daß die Erstbehandlung durch Dr. El-Taraboulsi erst Anfang Oktober 1977 begann. In der Folgezeit stand Dr. El-Taraboulsi mit dem Zeugen Dejani mehrfach in Verbindung und informierte ihn über den Gesundheitszustand. Es müssen also zwischen der Erstbehandlung und der zweiten Untersuchung mehrere Tage verstrichen sein. Daraus folgt, daß Monika Haas in der 40. Kalenderwoche, vom 03. bis 09.10.1977, Aden nicht verlassen hat.
Der Zeuge Frank Landgraf hat in der Hauptverhandlung bekundet, daß er sich an die Erkrankung seiner Schwester und deren Behandlung sehr gut erinnern kann.
Er habe vom Flachdach ihres Wohnhauses mit dem Feldstecher Schiffe beobachtet und dabei zufällig die Maschine der Lufthansa im Landeanflug gesehen, die dann durchstartete, was sehr ungewöhnlich gewesen sei. Abends seien sie alle vier, d.h. Mutter, Stiefvater und Hanna dann zum Flughafen gefahren. Er könne definitiv sagen, daß seine Mutter an diesem Abend dabei war.
Seiner Erinnerung nach war die Mutter in den Tagen davor und seit der Geburt der Schwester nicht von zu Hause weg gewesen. Ihm sei auch bildhaft in Erinnerung, daß Hanna schwer an Austrocknung erkrankt und die Mutter in hoher Angst war. Er könne sagen, daß seine Mutter seit Hannas Geburt bis zu der Landung der Lufthansa-Maschine nicht verreist gewesen ist. Er mache das an der Krankheit der Mutter und der seiner Schwester fest. Er habe damals Schulferien gehabt. Für ihn sei die neu geborene Schwester sehr aufregend gewesen. Wenn sie und die Mutter in dieser ersten Zeit verreist gewesen wären, könnte er sich sicher daran erinnern, zumal er anfangs auf das Neugeborene eifersüchtig gewesen sei.
Alle Aussagen sind von einem großen Detailreichtum gekennzeichnet. Dabei sind besonders die getrennt voneinander gemachten in sich schlüssigen und zu einander passenden Angaben der völlig unbeteiligten Zeugen Dejani und Taraboulsi hervorzuheben. Bedeutsam ist der Umstand, daß die Zeugen trotz der lange zurück liegenden Zeit die Angaben von Monika Haas einschränkungslos in allen Punkten bestätigt haben. Allen Aussagen kommt daher eine hohe Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit zu.
Bislang wurde in verschiedenen Beschlüssen des Senats und in einem Haftfortdauer-beschluß des BGH immer nur darauf abgestellt, daß weder Monika Haas noch die beiden Zeugen jeweils exakte Daten über den Behandlungsablauf genannt hätten.
Dieser Einwand verkennt, daß die Erwartung exakter datumsmäßiger Zeitangaben bei 16 bis 20 Jahren zurück liegenden Ereignissen eine Überforderung des Erinnerungsvermögens darstellt. Dies darf nicht gegen die Angeklagte gewendet werden.
Zudem wurde außer acht gelassen, daß die Zusammenschau der Angaben von Monika Haas zur eigenen Erkrankung, zum Zeitpunkt des Umzugs, dem Beginn und Verlauf der Krankheit, der Zeit der erfolglosen Behandlung in jemenitischen Krankenhäusern, der Kontaktaufnahme mit dem Zeugen Dejani und anschließend mit Dr. Taraboulsi, der Zahl der Arztbesuche, dem Zeitpunkt der Medikamentengabe und dem Genesungsverlauf sämtlich mit den Angaben der Zeugen Dejani, Taraboulsi und Landgraf übereinstimmen und eine zuverlässige zeitliche Festlegung des Krankheitszeitraums in der gebotenen Zusammenschau ermöglichen. Demnach war Hanna jedenfalls von Mitte September bis 8. Oktober erkrankt und reiseunfähig.
Somit konnte Monika Haas nicht schon Ende September/Anfang Oktober mit Boock in Bagdad zusammengetroffen und später über Algier nach Mallorca weitergereist sein. Dabei sind auch die Reisezeiten und die Aufenthaltsdauer in Bagdad zu berücksichtigen. Es wäre völlig lebensfremd anzunehmen, daß eine Reise Aden-Bagdad-Algier-Mallorca mit einem Kleinkind innerhalb von nur 4 bis 5 Tagen zurückgelegt werden kann.
Gerade der Umstand, daß
von Boock, möglicherweise mit Bedacht, keine zeitliche Festlegung
der angeblichen Begegnung in Bagdad zumindest in Relation zu den übrigen
Geschehnissen bis zu seiner Abreise nach Algier zu erhalten ist, erschwert
die Führung des Alibi-Beweises. Auch hier sind wegen der außergewöhnlichen
Länge der verstrichenen Zeit die Anforderungen an die Beweisführung
zugunsten von Monika Haas maßgeblich zu senken.
Die Bundesanwaltschaft stützt sich auf ihren Zeugen Boock, um die Einlassung von Monika Haas zu durchbrechen. Die beweiswürdigenden Ausführungen im Schlußvortrag waren oberflächlich, einseitig und keineswegs überzeugend.
Ich werde mich mit der Aussage des Zeugen in vier Schritten befassen:
1. Aussageinhalt
2. Glaubhaftigkeit der Aussage
3. Wahrnehmungstüchtigkeit
4. Glaubwürdigkeit des Zeugen
- im weiteren Sinne
- im engeren Sinne in Bezug auf die Person von Monika Haas
1.
Der beweiserhebliche Aussagenteil, also der Aussagenkern bezieht sich auf die angebliche Begegnung mit Monika Haas im Haus der PFLP in Bagdad im September 1977.
Hierzu hat der Zeuge in der Hauptverhandlung vom 14. 11. 1996 ausgesagt. Es war auffällig, daß Boock es in seiner zu Beginn zusammenhängend gemachten Aussage vermied, von sich aus die Begegnung in Bagdad anzusprechen. Weitschweifige Ausführungen befaßten sich mit seiner Mitgliedschaft in der RAF, der Beteiligung an der Schleyer-Entführung, seiner Reise im September 1977 von Den Haag über Brüssel nach Bagdad, mit seiner Medikamentenabhängigkeit, seinen schon länger andauernden Darmbeschwerden, der Einnahme von Opiaten und starken Schmerzmitteln. Er berichtete über seine Anwesenheiten in Aden und seine erste Begegnung mit Monika Haas. Dann äußerte er sich zum Kontakt der RAF-Gruppe mit Abu Hani, und seiner eigenen beratenden Tätigkeit als Waffenexperte. Er sagte aus, daß Mohnhaupt, Albrecht, Helbing und glaublich Sternebeck dort gewesen seien. Einige dieser Frauen seien ebenso wie er nicht in die Gespräche mit Abu Hani eingebunden gewesen.
Monika Haas erwähnte er unaufgefordert nicht.
Als das Gericht dann fragte: Haben sie Monika Haas in Bagdad getroffen?
kam die Antwort:
Am Ende dieser Vernehmung wurde Boock noch einmal zum Zeitpunkt der Begegnung gefragt. Boock sagte jetzt nur noch einschränkend: (SAO 16.2 Bl. 150, 152):
In der Hauptverhandlung hat der Zeuge auf Vorhalt bestätigt, diese Angaben so gemacht zu haben.
Damit steht fest: Boock war sich in seiner ersten und zugleich zeitnächsten Vernehmung im März 1992 nicht sicher, ob die Begegnung vor oder nach der Entführung der Lufthansamaschine stattfand. Er glaubte es zwar, schränkte aber zugleich ein, für diesen Glauben keine sonstigen tatsächlichen Anhaltspunkte zu haben, die seine Erinnerung stützen könnten. Er habe nämlich vom Waffentransport nach Europa überhaupt nichts gewußt und auch nichts von einer Beteiligung von Monika Haas.
In der Hauptverhandlung hatte sich Boock ebenfalls sehr vorsichtig und zurückhaltend zu seiner Wahrnehmung geäußert und diese ausdrücklich mit der Einschränkung versehen: ,,Soweit ich mich erinnere....". Auf dem Hintergrund der Aussage vom 24. 3. 1992 kann und darf dies nicht als eine bedeutungslose Einleitungsfloskel verstanden werden. Vielmehr hat Boock damit seine eigenen Zweifel an der Zuverlässigkeit seiner Wahrnehmung und der Angabe über die zeitliche Einordnung der Begegnung zum Ausdruck gebracht.
Boock mußte auf Fragen der Verteidigung einräumen, daß er durch die vielfachen Vernehmungen nicht mehr in der Lage sei, zwischen wirklichen Erinnerungen und Kenntnissen aus anderen Vernehmungen zu unterscheiden.
Der Erklärungsinhalt ist daher grundsätzlich unsicher und zweifelhaft. Boock konnte in der Hauptverhandlung zwar im wesentlichen seine in früheren Vernehmungen gemachten Aussagen reproduzieren, eine zuverlässige Zuordnung zu bestimmten Erinnerungsbildern in seiner heutigen Vorstellungswelt konnte er nicht vornehmen. Seinen Angaben in der Hauptverhandlung fehlt daher die Authentizität der erinnerten Wahrnehmung. Damit entfällt jeglicher Beweiswert.
Diese Schwäche hatte die Bundesanwaltschaft im späteren Verlauf der Ermittlungen ebenfalls erkannt. Grund zur Beunruhigung gab eine Aussage von Monika Helbing aus dem Jahr 1990, die sich ebenfalls zum Aufenthalt in Bagdad im Herbst 1977 geäußert hatte. Nachdem die Gefahr bestand, daß diese Aussteigeraussage sich als Mine unter dem Aussagenkonstrukt Boocks erweisen könnte, unternahm OstA Homann - um allen Risiken vorzubeugen - einen sehr ungewöhnlichen Vorstoß.
Am 10. März 1993 schrieb er seinem Zeugen an seine Gefängnisanschrift einen persönlichen Brief, der objektiv als Zeugenbeeinflussung und Warnung an den Zeugen verstanden werden muß. Das Schreiben hat folgend Inhalt: (SAO 16.2 Bl. 280)
Zitieren!
(Schreiben ist in Kopie als Anlage beigefügt)
Man stelle sich vor: Ein Bundesanwalt schreibt einem Top-Terroristen einen Brief ins Gefängnis und teilt ihm die Gefahren mit, die seiner Aussage drohen können. Er bittet um Mitteilung, ,,ob es sich bei der von Monika Helbing geschilderten deutschen Frau um Monika Haas" handele, und er ist ihm ,,dankbar" für die Mitteilung der Anzahl der Bagdad-Aufenthalte von Monika Haas.
Der so programmierte Zeuge hat es vorgezogen, dieser Bitte schriftlich nicht nachzukommen, obgleich die gewünschte Antwort sehnsüchtig erwartet wurde. So hatte Bundesanwalt Kouril im Oktober 1993 und im Februar 1994 vermerkt, das bislang kein Antwort eingegangen sei.
Als im Komplex ,,Monika Haas" die nächste, diesmal ermittlungsrichterliche Vernehmungsrunde begann, war Boock also bestens präpariert.
Am 15. 3. 1994 machte er die Sache dicht. An dieser Vernehmung wirkte - wie zuvor - Rechtsanwalt Sternsdorff als Zeugenbeistand mit. Auch in dieser Vernehmung sprach Boock über alles andere, aber nicht über die Begegnung mit Monika Haas, bis es zu einer Unterbrechung der Vernehmung für eine halbe Stunde kam. Warum sie an dieser Stelle erfolgte und was in der Pause gesprochen wurde, wissen wir nicht. Jedenfalls wurde die Vernehmung dann mit der Frage des Bundesanwalts Kouril fortgesetzt, wann Boock Monika Haas in Bagdad wiedergesehen habe. Boock gab, nunmehr erwartungsgemäß, zu Protokoll:
Boock rüstete seine Aussage jetzt nachträglich mit Details auf, die der Glaubhaftigkeit Vorschub leisten sollten. Allerdings hat er seine Aussage auch hier, vorsichtig wie er ist, unter den Vorbehalt ,,Wenn ich mich recht erinnere, ging es darum..." gestellt.
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, daß Boocks Aussage in der Hauptverhandlung
mit Vorbehalten versehen war, ebenso die erste Vernehmung vom 24. 3. 1992. Dem Aussageinhalt kann nicht mit Gewißheit entnommen werden, daß die Begegnung nur vor der Landshut-Entführung stattgefunden haben kann. Der Aussagenkern beruht nicht auf einer in der Erinnerung des Zeugen sicher verankerten Wahrnehmung. Diese verschwindet hinter der in vielzähligen Vernehmungen eingetretenen Überlagerung von Gesagtem und Erinnertem.
Hinzu kommt, daß zwischen dem Ereignis und der ersten Aussage ein Zeitraum von ca. 17 Jahren liegt, in dem die Erinnerung naturgemäß verblaßt. Demzufolge kann der Zeuge nicht mehr zwischen Erinnerung an seine Wahrnehmung und Reproduktion der nur geglaubten Erinnerung unterscheiden.
Die ursprüngliche und zeitnächste Aussage reduziert das Geschehen auf den kurzen Moment einer flüchtigen Begegnung. Sehr wichtig dabei ist, daß diese Momentaufnahme von dem Zeugen ursprünglich nicht in einen Sinnkontext eingeordnet werden konnte. Der Zeuge wußte weder etwas von dem Waffentransport, noch von einer Beteiligung von Monika Haas, noch von einen sonstigen Grund für ihre etwaige Anwesenheit.
Das in späteren Vernehmungen hinzukommende Beiwerk (Nicht-gesehen-werden-wollen) vermag daran nichts zu ändern. Dabei handelt es sich nicht um die Wahrnehmung eines äußeren Geschehens, sondern um einen subjektiven Eindruck des Zeugen, den er ursprünglich nicht berichtet hatte. Es ist nicht feststellbar, ob der Eindruck früher schon vorhanden war oder nachträglich vom Zeugen hinzugedichtet wurde. Für letzteres spricht Vieles. Deshalb kommt der Aussage de Zeugen Boock kein Beweiswert zu.
2. Zur Glaubhaftigkeit des Aussagenkerns
Diese Anreicherung geriert sich als wundersame Wahrheitsmehrung, nach dem Motto: Je später die Vernehmung, desto wahrer die Aussage.
Boock hatte bei der Erfüllung der an ihn gerichteten Wünsche übertrieben.
Um die Begegnung mit Monika Haas zeitlich auf den September 1977 zu fixieren, mußte ein Kontext geschaffen werden, aus dem heraus die Begegnung dem gewünschten Zeitpunkt zugeordnet werden konnte.
Im Gegensatz zu der ursprünglichen Aussage, in der es noch völlig vage hieß:
,,in einem der Häuser der PFLP",
ist jetzt ,,das andere Haus" im Spiel, das Boock zusammen mit der legitimierten Person aufgesucht haben will, weil Abu Hani die beiden habe sprechen wollen.
Das bedeutet, daß das ,,eine" Haus jenes wäre, von dem sie zu dem ,,anderen" gegangen sind. Das eine wäre dann jenes, in dem sie sich normalerweise aufhielten und auch das, in dem auch die anderen aus der Gruppe, so auch Monika Helbing wohnten. Da aber Monika Helbing politisch nicht so wichtig war wie unser Zeuge und infolgedessen keinen Zugang zum ,,anderen" Haus hatte, kann Boock mit seiner Begegnung mit Monika Haas, die er in das andere Haus verlegt, nicht mehr in Widerspruch zu der Aussage Monika Helbings geraten. Dies muß als Folge der staatsanwaltschaftlichen Intervention mit ihrem Schreiben an Boock gedeutet werden.
Welch erschreckendes Szenario, in dem die Bundesanwaltschaft und ihr Zeuge sich die Bälle so geschickt zuspielen, daß man fast nicht mehr merkt, wer hier mit wem spielt.
Aber die Wichtigkeit, die Boock für sich in Anspruch nimmt, wenn er dem Ruf des großen Abu Hani gefolgt sein will, hat auch ihre Tücken. Es heißt nämlich anschließend in der ermittlungsrichterlichen Vernehmung vom 15. 3. 1994 weiter:
Dem ist zu entnehmen, daß Boock von diesen Gesprächen nur vom Hörensagen erfahren, nicht aber selbst an ihnen teilgenommen hat. Anders kann diese Aussage nicht interpretiert werden, weil er sonst an mehreren Gesprächen teilgenommen hätte, während in der richterlichen Vernehmung nur von einem Gespräch mit einem bestimmten Gesprächsinhalt die Rede ist.
Daraus folgt: Books Aussagen zum Kerngeschehen sind
- von außen beeinflußt
- nicht konstant
- in sich widersprüchlich
- und von taktisch motivierten fabulierenden Elementen geprägt.
Monika Haas hat in der Hauptverhandlung dargelegt, daß Boock und sie erst nach der Entführung der ,,Landshut" in Aden bekannt geworden sind. Boock habe sie daher im September 1977 noch gar nicht gekannt und deshalb auch nicht wiedererkennen können.
Die Angaben Boocks zu seinen Aufenthalten in Aden bis September 1977 sind in Bezug auf die Häufigkeit, den Zeitpunkt und Dauer völlig widersprüchlich. Er paßt seine Aussagen dem jeweiligen Ermittlungsstand opportunistisch an.
In der Hauptverhandlung vom 14. 11. 1996 gab er folgende Darstellung:
Die Antwort des Zeugen in der Hauptverhandlung lautete wörtlich:
Mit einer solchen Aussage
ist kein Staat zu machen. Der Zeuge bekundet kein Wissen von seiner Wahrnehmung,
sondern produziert eine Schlußfolgerung, wie sich auch aus der weitergehenden
Antwort ergibt, mit der er seine flapsige Bemerkung unterfüttern will.
Er setzt fort:
Mit anderen Worten: Boock
verknüpft seine auf einen segmenthaft ausgestanzten Kernsachverhalt
reduzierte Aussage mit auratischem Umfeldgeraune, dies regelmäßig
um des guten Eindrucks willen mit scheinbar Monika Haas entlastenden Zusatzangaben.
So war es bei der Begegnung
von Bagdad: Da hat er Monika Haas, sozusagen kontextlos, über den
Flur huschen sehen, um zugleich gnädig hinzufügen, warum sie
dort gewesen sei, entziehe sich seiner Kenntnis, vom Waffentransport überhaupt
oder von einer Reise Monika Haas nach Algier oder gar einer Beteiligung
am Waffentransport wisse er überhaupt nichts.
So ist es auch hier: Er hat
sie am Flughafen gesehen, aber nicht mit ihr gesprochen, sich von anderen
aber sagen lassen, daß sie nicht zur RAF gehört habe.
Bei genauer Betrachtung
erschließt sich das Strukturprinzip der Boock'schen Aussagenproduktion:
Es ist gekennzeichnet von dem raffinierten Kalkül, dem geneigten Hörer
Bekundungen von scheinbar nebensächlichen Begebenheiten zu liefern,
um sich zugleich durch das allgemeine entlastende Beiwerk dem Vorwurf des
Belastungseifers zu entziehen.
Diese Pseudonaivität
kann man Boock natürlich nicht abnehmen. Er weiß nur all zu
genau, worauf es ankommt, und was der Vernehmer von ihm hören will.
Er weiß, daß seine Aussagen eine zentrale Belastungsfunktion
haben und er ist - darauf werde ich bei der Untersuchung seiner Glaubwürdigkeit
im engeren Sinne zurückkommen - von Anfang an auf dieses Kernproblem,
angesetzt worden.
Er wußte, an welcher
Stelle der Beweisführung er zur Schließung der Lücken aufgerufen
war.
Es bleibt festzuhalten, daß
Boocks Aussagen zum Zeitpunkt des ersten Kennenlernens unüberbrückbar
widersprüchlich geblieben sind. Dies nachzuweisen, ist Zweck der nachstehenden
Zitatensammlung, deren chronologische Genese ein Schlaglicht auf die Unglaubhaftigkeit
wirft. Die zitierten Passagen wurden sämtlich durch Vorhalte in die
Hauptverhandlung eingeführt.
In seiner ersten Vernehmung
vom 24. 3. 1992 heißt es:
Nur eine Woche später,
am 1. 4. 1992 verlegt er das Ankunftsdatum auf Juli/August 1976. Diese
neue Version hat er in der Zwischenzeit ,,auschecken" können, um in
seiner Sprache zu bleiben. Jetzt nämlich gibt er an, daß er
schon wieder in Europa gewesen war, als Haag festgenommen wurde, nennt
aber das Festnahmedatum nicht, weil dessen Erinnerung nicht glaubhaft wäre.
An diesem Beispiel zeigt sich sehr gut, wie bei Boock der Vorgang der Konstruktion
einer Erinnerung funktioniert. In der Vernehmung liest sich das folgendermaßen:
Ich selbst war drei
bis vier Monate in Aden, wobei ich generell sagen möchte, daß
ich hinsichtlich solcher zeitlicher Dimensionen Schwierigkeiten der konkreten
Einordnung habe. Jedenfalls waren wir schon wieder in Europa zurück,
als Siegfried Haag und Roland Mayer verhaftet wurden." (Bl. 164/65)
Natürlich hatte Boock
richtig gerechnet. Die Festnahme war am 30. 11. 1976.
Zur vorsorglichen Absicherung
heißt es dann einige Abschnitte später:
,,Ich kann nicht ausschließen,
daß ich hinsichtlich dieses Aufenthalts in Aden manches verwechsele,
weil ich mich schon im Frühjahr 1977 dort erneut für 2 bis 3
Wochen aufhielt." (Bl. 167) Als nächstes äußert
er sich erst wieder in der ermittlungsrichterlichen Zeugenvernehmung vom
15. 3. 1994, in der er das Ankunftsdatum auf Mitte 1976 fixiert. Im Verlauf
der Vernehmung fragte der Ermittlungsrichter nach zusätzlichen Wahrnehmungen,
mit denen er die zeitliche Einordnung belegen könnte. Erstaunlicherweise
erwähnte er die Festnahme Haags als Orientierungspunkt nicht, weil
er diesen früheren Erklärungsversuch nicht mehr parat hatte.
Statt dessen griff er, auf eine derartige Frage offenbar nicht vorbereitet,
auf eine andere Szene aus dem Fundus seiner Phantasieproduktion zurück,
indem er im Brustton der Überzeugung formulierte:
Diese Geschichte ist beweisbar
eine faustdicke Lüge. Boock konnte von der Schwangerschaft während
seines 3-monatigen Aufenthalts von Mitte 1976 an noch gar nichts erfahren
haben, weil Monika Haas zu dieser Zeit nicht einmal empfangen hatte. Zudem
hatte Boock in der zuvor diskutierten Vernehmung angegeben, daß er
jedenfalls zum Zeitpunkt der Festnahme Haags am 30. 11. 1976 schon wieder
in Europa war, so daß er auch nach seinen eigenen Angaben Monika
Haas nicht in schwangerem Zustand hätte sehen können. An diesem
paradigmatisch aufgezeigten Beispiel wird deutlich, daß Boock sich
sogar selbst der Lüge überführt.
In seiner zweiten ermittlungsrichterlichen
Vernehmung vom 22. 3. 1994 setzt er noch eins drauf:
Diese Aussage müßte
man, wenn sie nicht von einem so skrupellosen Lügner stammte, als
eine Lachnummer par excellence bezeichnen. Hier finden wir ein zweites
Beispiel dafür, wie Boock, einmal der Unwahrheit überführt,
zu seiner Rechtfertigung gleich die nächste produziert. Da konnte
auch der Ermittlungsrichter nicht mehr folgen und setzte nach:
Ich bringe einiges
durcheinander. Wenn dies so war, wie mir vorgehalten wird, dann muß
die Begegnung, bei der Frau Haas das lange, wallende Kleid trug, im Winter
1976/77 oder im Frühjahr 1977 stattgefunden haben." (Bl. 319) Eine schiere Ausflucht, verbunden
mit einer weiteren Lüge. Hatte Boock nicht anfangs derselben Vernehmung
zu Protokoll gegeben, Monika Haas zwischen Oktober 1976 bis September 1977
nicht gesehen zu haben!,,Uns wurde gesagt, daß
Monika Haas wegen Zaki aus der RAF raus sei. Es gab keine Gespräche
mit ihr, und sie war nicht an unseren Planungen beteiligt. Monika Haas
war ,,off limits". Ich kannte Monika Haas vor dem Flughafen nicht. Ich
habe aus Erklärungen von anderen geschlossen, daß sie vorher
nicht bei der RAF war."
Hier zeigt sich in typischer
Weise Boocks System der Produktion von Aussagen. Er behauptet ein isoliertes
Ereignis, stellt diese Behauptung vorsichtshalber unter den Vorbehalt seiner
jetzt noch vorhandenen Erinnerung und belegt seine Wahrnehmung dann mit
allgemeinem Wissen vom Hörensagen Dritter, ohne allerdings die Umstände
und Zusammenhänge dieses Wissens mit der spezifischen Wahrnehmung
des Kerngeschehens zu verbinden.
,,Ich habe sie Ende 1976
/ Anfang 1977 in Aden kennengelernt als ich dort zum ersten Mal zu Ausbildung
war."
,,Dann flogen wir nach Aden.
Ich meine, daß wir dort im Juli/August 1976 eintrafen. Ich selbst
bin ca. 1 bis 2 Monate nach den übrigen Gruppenmitgliedern in Aden
angekommen....(Bl. 158)
,,In den Monaten nach meinem
Eintreffen war die Beschuldigte schwanger. Hierüber war ich bereits
bei meinem ersten Aufenthalt in Aden, der etwa 2 bis 3 Monate dauerte,
unterrichtet worden."
,,In der Zeit zwischen Oktober
1976 und September 1977 habe ich Monika Haas nicht gesehen. ...Außerdem
habe ich nach meiner Erinnerung in dem Zeitraum zwischen Ende 1977 und
meiner Festnahme in Zagreb im Mai 1978 die Beschuldigte noch ein weiteres
Mal in Aden gesehen. An dieses Treffen kann ich mich deshalb noch erinnern,
weil die Beschuldigte damals ein langes, wallendes Kleid trug und weil
sie schwanger war. Ich glaube, daß ich von Siegfried Haag über
die Schwangerschaft unterrichtet wurde und zwar verbunden mit der ziemlich
zynischen Bemerkung, das habe sie nur gemacht, um ,,Seki" an sich zu binden.
Ich denke, diese Äußerung hörte ich noch in Aden."
,,Auf Vorhalt, daß
die Beschuldigte am 17. 7. 1977 entbunden habe und sie deshalb im September/Oktober
1977 nicht mehr bzw. noch nicht wieder schwanger war:
Nach der ermittlungsrichterlichen Einvernahme des Zeugen Boock am 15. und 22. 3. 1994 setzte wieder eine Serie polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Korrekturvernehmungen ein. Natürlich hatte man erkannt, daß mit den bis dahin angefallenen Produkten kein Staat und schon gar kein ,,Staatsschutz" zu machen war.
An diesen neuen Vernehmungen zeigt sich, und insofern sind sie wiederum ein Beweis für die Unglaubhaftigkeit der Angaben, daß auch hier, wie schon in den diskutierten Fällen von Boock das bekannte Kombimodell angewendet wurde: Es besteht aus einer unverfänglichen, auf einen möglichst engen Kernsachverhalt begrenzten Aussage einerseits und andererseits aus weitschweifig ausgebreitetem Pseudowissen über Monika Haas vom Hörensagen Dritter und das alles zur scheinbaren Anreicherung der Kernaussage.
Einmal will er bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Monika Haas in Begleitung von Siegfried Haag gesehen haben, ohne sie vorher gekannt zu haben. Auf der Fahrt in die Stadt will er über die beiden informiert worden sein (ER ZV v. 22. 3. 1994), dann wieder heißt es in einer Vernehmung durch Bundesanwalt Kouril vom 19. 1. 1995 im Widerspruch dazu:
Demnach hätte Boock erst später und nicht schon auf der Fahrt vom Flughafen in die Stadt etwas über Monika Haas erfahren, weil die Information von Haag persönlich stammen sollte, er aber laut einer früheren Vernehmung mit ihm gar nicht in die Stadt gefahren sein will.
Man kann es drehen und wenden wie man will, von Boock war und ist keine eindeutige und sichere Auskunft zu erhalten. Er hält sich stets eine Hintertür offen, indem er sich entweder auf seine eingeschränkte Erinnerung oder auf seine zeitliche Desorientiertheit beruft oder aber weil er die Unwahrheit sagt.
Was Boock bei seinen durchtriebenen Belastungsversuchen nicht wußte:
Monika Haas war bei seiner Ankunft, als er sie im Juni 1976 so bildhaft auf der Terrasse des Flughafens gesehen haben will, gar nicht in Aden.
Sie war im Frühsommer 1976 nach Deutschland gereist, weil Sie sich um das Befinden Ihres Sohnes Frank sorgte. Sie besuchte ihn bei der Pflegefamilie Geissler. Dort entschloß sie sich, Frank mit nach Aden zu nehmen. Sie fuhr nach Frankfurt und bereitete die Heimreise vor. Frank wurde, wie der Zeuge Geissler in der Hauptverhandlung bekundet hat, von ihm nach Frankfurt gebracht. Die geschah, nachdem der Sohn das Abschlußzeugnis vom 23. 6. 1976 erhalten hatte. Das Zeugnis findet sich im SAO 22 Bl. 48. Monika Haas ist nicht vor der Flugzeugentführung in Entebbe, die am 27. 7. 1976 geschah, in Aden eingetroffen.
Die Zeitangaben Boocks für das erste Eintreffen schwanken zwischen Juni 1976 bis Ende 1976 und Anfang 1977. In der Hauptverhandlung vom 14. 11. 1996 sprach Boock erstmals vom Juni/Juli 1976. Dabei orientierte er sich dieses Mal an der Flugzeugentführung in Entebbe am 27.7.1976, weil er sich erinnerte, daß er die Nachricht in Aden erfahren habe. Wiederum nennt er das Datum aus wohlbekannten Gründen nicht. Er konnte nicht wissen, daß Monika Haas in Deutschland war und daß er sich mit der Entebbe-Version ein letztes Mal in der Hauptverhandlung ein Bein gestellt hat.
3. Wahrnehmungstüchtigkeit
Peter Jürgen Boock war von Anfang 1976 an medikamenten- und drogenabhängig. Er selbst hat in der Hauptverhandlung angegeben, daß der Konsum von 1976 bis zu seiner Festnahme in Jugoslawien massiv anstieg. Er sei -wie er sich ausdrückte - zweimal wegen Drogenkonsums vollständig ausgefallen. Während der Schleyer-Entführung sei sein Zustand so schlecht gewesen, daß er der Gruppe zu unzuverlässig erschien, die ihm übertragenen Bewachungsaufgaben zu erfüllen.
Seine Drogenabhängigkeit sei für ihn persönlich der Hauptgrund gewesen, weshalb er, begleitet von einer anderen Person, im September 1977 nach Bagdad flog. Bagdad sollte ein Ruheraum sein.
In seinem eigenen Strafverfahren hatte Boock seine verantwortliche Beteiligung an der Schleyerentführung in Abrede gestellt und sich auch für diesen Zeitraum auf seine Drogenabhängigkeit berufen. Boock hat sich vor dem OLG Stuttgart in seinem ersten Prozeß dahingehend eingelassen (Urteil des OLG Stuttgart vom 7. 5. 1984, SAO 24 S. 295,
Boock hatte kurz nach seiner Verhaftung im Februar 1981 dem SPIEGEL ein Interview gegeben, in welchem er sich zu seinem Drogenkonsum im Jahre 1977 äußerte. Interviewer war der damalige SPIEGEL-Redakteur Hans-Wolfgang Sternsdorff, der anschließend die Verteidigung Boocks im Stuttgarter Verfahren übernahm und , wie wir aus der Hauptverhandlung wissen, Boock bis heute vertritt. Die spezifische Verbindung BOOCK - SPIEGEL werde ich im nachfolgenden Abschnitt erörtern, wo ich mich mit der speziellen Glaubwürdigkeit Boocks befassen werde.
Im hiesigen Zusammenhang der Drogenabhängigkeit sind die Aussagen Boocks im SPIEGEL-Interview von Bedeutung: (SPIEGEL Nr. 9, 1981, S. 116)
BOOCK: Alles, Heroin, Dolantin, Morphium, Kokain. 1977 habe ich täglich zwischen 4 und 8 Ampullen gebraucht. Ich hatte durch ne gesundheitliche Geschichte einen gewissen Vorwand, an diese Sachen ranzukommen und deswegen wurde es für besser befunden, daß ich aus Europa abhaue.
Ich will diese Phase künftig ,,Umkehr I" nennen im Unterschied zu Books ,,Umkehr II", die mit dem Verfahren gegen Monika Haas verknüpft ist und
- wie später dargelegt wird - wiederum aus der Zusammenarbeit mit dem SPIEGEL hervorging.
Boock hatte in dem SPIEGEL-Interview versucht, durch falsche Angaben den Höhepunkt seiner Drogenabhängigkeit vorzuverlagern auf Sommer bis Mitte September 1977, also auf den Zeitraum der ihm damals zur Last liegenden Taten. Das OLG Stuttgart hat sich davon nicht täuschen lassen und zugleich, wohlgemerkt bereits im Jahre 1984 aufgrund der Beweiserhebungen und der in der Hauptverhandlung gehörten psychiatrischen und toxikologischen Sachverständigen Feststellungen getroffen, die auch in unserem Verfahren für die Bewertung der Beeinträchtigung der Wahrnehmungstüchtigkeit Boocks von Bedeutung sind. Dazu heißt es im Urteil (S. 445):
Auf diesen Feststellungen baute auch das zweite Urteil des OLG Stuttgart vom 28. 11. 1986 auf. Das Gericht hatte sich nach der Aufhebung des Ersturteils im Schuldspruch erneut mit der Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit Boocks zu befassen. Hinsichtlich des in unserem Verfahren relevanten Zeitraums von Mitte September 1977 bis zur Ermordung von Dr. Schleyer am 18./19. 10. 1977 hatte der Senat Boock eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit zugebilligt, weil sich seit dem Beginn der Entführung am 5. 9. 1977 der Zustand Boocks, wie im Vorurteil rechtskräftig festgestellt, weiter verschlechtert hatte und er deshalb am 25. September nach Bagdad ausgeflogen wurde. (Urteil S. 66)
Bis dahin hatte Boock über seinen Aufenthalt in Bagdad geschwiegen. Im Zusammenhang mit der ,,Umkehr II" machte er hinsichtlich seiner Drogenabhängigkeit ab Mitte September 1977 sehr zurückhaltende Angaben.
Demgegenüber hat die Zeugin Monika von Seckendorff, die sich bei der Ankunft Boocks bereits in Aden befand, in der Hauptverhandlung bekundet, daß es im September1977 mit Boock schwerwiegende Probleme wegen seiner Medikamentensucht gab. Für die Palästinenser sei der Zustand unhaltbar gewesen. Um die Probleme abzuschwächen hätte die Gruppe eine Hochzeit mit Brigitte Mohnhaupt arrangiert.
Daß man zu einer solchen Gegenmaßnahme greifen mußte, zeigt, wie desolat der Zustand Boocks in dieser Zeit in Aden gewesen ist und wie negativ er sich auf dessen Zuverlässigkeit in den Augen der Palästinenser ausgewirkt hat. Sonst hätte man nicht zu deren Beruhigung eine Hochzeitsschau inszeniert, damit - wie die Zeugin von Seckendorff es formulierte - von der Autorität Brigitte Mohnhaupts wenigsten ein Stück Glanz auf Boock abfalle.
Im Grunde bestätigt Boock diesen Zustand auch selbst, führt ihn aber nicht auf seinen Medikamenten- und Drogenmißbrauch, sondern auf seine Darmerkrankung zurück. Diese war jedoch, das ist vom OLG Stuttgart festgestellt worden, ein lediglich geschickt eingefädelter Vorwand für den Erhalt von Drogen.
Dementsprechend hat Boock in seiner Vernehmung vom 28. 4. 1992 aus der ,,Nothochzeit" eine ,,höhere Weihe" gemacht. Es heißt dort: (Bl. 251)
In Wirklichkeit war Boock aus der Sicht er Palästinenser objektiv ein Sicherheitsrisiko und nur noch durch die schützende Hand Brigitte Mohnhaupts zu retten. Seine Darstellung hingegen ist Ausdruck eines krankhaft übersteigerten Selbstwertgefühls.
Boock will uns mit seinen großspurigen Wichtigtuereien Glauben machen, er sei im September 1977 von den Palästinensern zum absoluten Fachberater in Waffenfragen auserkoren worden. Die Palästinenser hätten damals vor dem unlösbaren Problem gestanden, wie man Waffen durch die Kontrollschleusen an Flughäfen schmuggeln könne. Dies wäre ihnen, kurz vor der Entführung der ,,Landshut" ein dringliches Problem gewesen.
Er, Boock sei der Retter in der Not gewesen und habe als erster den bahnbrechenden Vorschlag gemacht, die Transportbehälter von innen mit Blei auszukleiden, um die Waffen auf dem Durchleuchtungsbildschirm unsichtbar zu machen. Welch grandiose Idee und welch lernwillige Palästinenser!
Eine solche Selbst- und Fremdwahrnehmung kann nur einem kranken, durch Medikamentenmißbrauch und Drogenentzug aus dem Gleichgewicht geratenen Hirn entspringen. Die Vorstellung eines Terroristen am Kontrollgerät des Flughafens mit der bleischweren black-box unterm Arm und von den gläubigen Augen der Kontrolleure, die vor lauter Schwarz nichts sehen und deshalb dem Terroristen freundlich eine gute Reise wünschen, hat etwas Naives, vergleichbar dem Kinderwunsch, sich unsichtbar zu machen, indem man sich die Hände vor das Gesicht hält.
Dabei handelt es sich nicht um ein Einzelbeispiel. Auch die Sache mit der Glasgranate entspringt seiner krankhaft gestörten Wahrnehmung
.
Boock ist ein Egozentriker, der in der damaligen Zeit aufgrund seiner Entzugssymptomatik jeden vernünftigen Realitätsbezug verloren hat. Er ist in seiner verschrobenen Selbstsicht der Fachberater, der Stratege, der Mann, der von den Großen um Rat gefragt wird, und einer, der über alles Bescheid weiß. Er entwickelt Waffen zur Überwindung von Kontrollen, -so als ob die bevorstehende Flugzeugentführung für die Palästinenser die erste gewesen wäre-, er hilft in der Druckerwerkstatt, beteiligt sich an der Einfädelung der politischen Kontakte der Gruppe zu den Palästinensern - er konferiert, wie er in der Hauptverhandlung bekundet hat, mit Abu Hani- er feiert eine glanzvolle Hochzeit, - dies alles in einem Zeitraum von knapp 10 Tagen, in denen er zweimal ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte, davon einmal als Notfall, und während dem er die meiste Zeit im Bett verbrachte, wie er selbst in einer Vernehmung angegeben hatte.
All das läßt sich nicht miteinander in Einklang bringen und kann nur auf krankhaften Größenideen auf dem Hintergrund einer Störung der Fähigkeit zur Realitätsprüfung beruhen. Aussagen über Wahrnehmungen, die unter solchen Bedingungen zustande gekommen sind, entbehren jeglicher Glaubhaftigkeit und sind völlig ohne Beweiswert.
Bezogen auf die zentralen Aussageinhalte bedeutet das, daß die Einlassung von Monika Haas, sie sei seit der Geburt ihrer Tochter Hanna und bis zum Zeitpunkt der Entführung der ,,Landshut" nicht in Bagdad gewesen, durch die Aussage Boocks nicht widerlegt ist.
Es kann also nicht mit sicherer Überzeugung festgestellt werden,
2. daß, wenn er sie überhaupt einmal in Bagdad gesehen habe, dies mit Sicherheit nur vor der Entführung der ,,Landshut" gewesen sein kann.
a)
Seit der Festnahme im Januar 1981 hat Boock es verstanden, seine Verteidigung
in einer Mischung von Schweigen gegenüber den Ermittlungsbehörden und Gerichten und Sprechen in den Medien zu organisieren. Dies alles war gepaart mit dem Schein der reumütigen Umkehr und moralisch ausstaffiert mit der Beteuerung, niemals zum Verräter zu werden.
So gab Boock wenige Wochen nach seiner Festnahme dem damaligen Spiegel-redakteur Hans-Wolfgang Sternsdorff im Hamburger Untersuchungsgefängnis ein ausführliches Interview. (SPIEGEL 1981 Nr. 9 S. 110 ff)
In dem bereits zitierten SPIEGEL-Interview (SPIEGEL 1981 Nr. 9 S 110ff) baut Boock die Legende seiner Umkehr auf und strukturiert zugleich seine Verteidigung. Mit diesem Versuch hat er allerdings, wie die beiden Urteile des Oberlandesgerichts Stuttgart zeigen, Schiffbruch erlitten und zwar nicht nur hinsichtlich der von ihm abgestrittenen Tatbeteiligungen, heruntergespielten Tatbeiträge und seiner vorgeblichen Drogenabhängigkeit in der Zeit vor September 1977, sondern - und das ist für unser Verfahren von Bedeutung - in Hinblick auf seine allgemeine Glaubwürdigkeit.
Die Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts Stuttgart ist durchzogen von mehrfach festgestellten Widersprüchen in seinen Angaben, gerade auch in Bezug auf die von ihm im SPIEGEL-Interview öffentlich zelebrierte Trennung von der RAF. (Urteil S. 195, 196)
Aufgrund des Einlassungsverhaltens, des persönlichen Eindrucks und des Ergebnisses der Beweisaufnahme hat das OLG Stuttgart eine vernichtende Ein-schätzung der Glaubwürdigkeit Boocks getroffen. Im Urteil heißt es dazu: (S. 275 f)
Auch in der Einlassung, die der Angeklagte zum versuchten Anschlag auf die Bundesanwaltschaft abgegeben hat, wurde in mehreren Punkten deutlich, daß ihm die Wahrheit wenig galt und er sich über sie hinwegsetzte, sobald es ihm tunlich erschien."
Diese zweckrationale, stets auf den eigenen Vorteil ausgerichtete skrupellose Mißachtung des Prinzips der Wahrhaftigkeit ist im Charakter des Zeugen Boock - möglicherweise als Folge seines Medikamenten- und Drogenmißbrauchs - strukturell verankert. Deshalb kann bei ihm auch nicht von wahrheitsgemäßen Aussagen in anderen Bereichen auf die allgemeine Glaubwürdigkeit geschlossen werden.
Heute wissen wir nicht nur, daß die Feststellungen des OLG Stuttgart zutreffend waren, sondern auch, daß Boock über Jahre hinweg jeden Menschen, seine Freunde, seine Helfer und Unterstützer, die Staatsanwälte der Bundesanwaltschaft, die Gerichte und die Öffentlichkeit angelogen und seine Lügen als seine große Umkehr verkauft hat. Das ging bis Ende 1991 / Anfang 1992, als er noch die Kaltblütigkeit besaß, wider besseren Wissens und unter Aufrechterhaltung seiner Umkehr-Version I aus dem Jahr 1981 an den Bundespräsidenten von Weizsäcker ein Gnadengesuch zu richten.
b)
Die generelle Unglaubwürdigkeit nimmt im Fall von Monika Haas sehr konkrete Gestalt an. Hierbei spielt die Verbindung Boocks zu seinem früheren Interviewer und späteren Verteidiger und Rechtsbeistand, Rechtsanwalt Sternsdorff, eine zentrale Rolle. Es liegt der Verteidigung fern, hierzu inhaltliche Spekulationen anzustellen. Deren bedarf es aber auch zur Aufklärung der Hintergründe nicht, weil der SPIEGEL selbst die Anknüpfungstatsachen für die Annahme der externen Beeinflussung des Zeugen Boock mitgeteilt hat. Zugleich wird deutlich, daß umgekehrt auch Boock den SPIEGEL bei der Inszenierung seiner ,,Umkehr II" für sich funktionalisiert hat.
Die objektiven Daten sind bekannt: Spätestens Anfang 1992 hatte der SPIEGEL den ,,OV Wolf" in den Händen. Dessen Veröffentlichung gingen mehrfache Haftbesuche von Stefan Aust voraus. Auch Rechtsanwalt Sternsdorff hatte in dieser Zeit besonders intensiven Kontakt mit seinem Mandanten.
Der SPIEGEL-TV - Sendung folgte die Verhaftung von Monika Haas und exakt vier Tage später wurde Boock in Hamburg vernommen. Diese Vernehmung war der Auftakt einer Vernehmungsserie in einem Umfang von ca. 200 Blatt.
Der OV Wolf war Boock spätestens seit der SPIEGEL-Veröffentlichung bekannt, wenn nicht schon vorher, wofür seine persönlichen Kontakte zum SPIEGEL sprechen.
Erstaunlich ist das timing der ersten Vernehmung. Es liegt auf der Hand, daß sich Boock bereits vor der Festnahme von Monika Haas angeboten hatte, gegen sie auszusagen. Mit der Durchführung der Vernehmung hatte man jedoch zugewartet, bis ihre Einlassung bekannt war.
Unmittelbar vor der Ausstrahlung der TV-Sendung hatte der SPIEGEL der Bundesanwaltschaft die bevorstehende Veröffentlichung des ,,OV Wolf" angekündigt. Diese Ankündigung war Gegenstand einer Abteilungsleiterbesprechung in der Bundesanwaltschaft am 28. Februar 1992. Ergebnis dieser Besprechung
- einen Tag vor der Sendung - war, daß man nun das Ermittlungsverfahren gegen Monika Haas einleiten müsse.
Hierzu enthalten die Akten der Bundesanwaltschaft nach der Überzeugung der Verteidigung wesentliche Vorgänge, die dem Gericht vorenthalten blieben. Zu einem Antrag der Verteidigung auf Beiziehung dieser Aktenteile gab die Bundesanwaltschaft eine die Zweifel an der Aktenvollständigkeit nicht ausräumende Erklärung ab. Dennoch wurde der Beiziehungsantrag abgelehnt.
Bis zu dieser Zeit hatte Boock seine mit der ,,Umkehr I" eingenommene Position nicht verändert gehabt. Inzwischen wissen wir aber auch aus dem SPIEGEL, daß Boock schon mehrere Monate vor der SPIEGEL-Veröffentlichung mit seinem Anwalt Sternsdorff die Inszenierung der ,,Umkehr II" plante. Dies geschah zu einer Zeit, als der SPIEGEL bereits im Besitz des ,,OV Wolf" war.
Nach den ersten Vernehmungen vom 24. 3. bis 28. 4. 1992 erhielt Boock vom SPIEGEL Schützenhilfe für die Glaubhaftmachung seiner ,,Umkehr II". Gerhard Mauz schreibt unter dem Titel: (Heft 21 vom 5. Mai 1992, S. 97)
,,Doch da ist auch der Rechtsanwalt Hans-Wolfgang Sternsdorff, 60, bis zum Vorruhestand hochangesehener Redakteur des SPIEGEL und Anwalt Boocks von seiner Verhaftung im Jahr 1981 in Hamburg-Wilhelmsburg an. Ihn hat Boock von den um ihn bemühten Menschen vielleicht am Schrecklichsten betrogen, doch er hat sich von diesem Mandanten nicht losgesagt. Daß Boock sich zur Wahrheit entschloß und jetzt sprach, ist wohl in erster Linie ein Verdienst von Sternsdorffs monatelangem Ringen. Das ist aber auch ein Argument dafür, daß diese späte Wahrheit keine taktische ist - sondern tatsächlich ein Versuch sein kann, nun die ganze Wahrheit zu sagen."
Hierin liegt der Grund für das außergewöhnliche und übersteigerte Engagement der SPIEGEL-Redaktion in Sachen Monika Haas. Sie erscheint als die einzige, die aus der Zeit der terroristischen Hochaktivität in den 70-iger Jahren noch übrig und unbehelligt geblieben ist. Zudem hatte sie sich bereits gegen die Veröffentlichung von Müller und Kanonenberg zivilrechtlich zur Wehr gesetzt. Nun galt es, mit Hilfe von Boock an der Überführung von Monika Haas zu arbeiten. Ihre Überführung ist mit der Rehabilitierung des SPIEGEL untrennbar verknüpft.
Überführungsjournalismus macht blind. So hat der SPIEGEL in dem Wunsch nach Selbstrehabilitierung nicht begriffen, daß es wiederum Boock ist, der ihn für seine Zwecke erneut funktionalisiert. hat.
Inzwischen hat Boock sein Ziel scheinbar erreicht. Er ist nach ca. 16 Jahren aus der Haft entlassen worden, ohne seine Taten im eigenen Strafverfahren je gestanden zu haben und ohne daß in seiner Person die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Kronzeugenregelung jemals vorgelegen hätten. Vorläufig für ihn einer großer, allerdings mit der Rechtsordnung nicht in Übereinstimmung zu bringender Erfolg.
Bei der ,,Umkehr I" hatte das OLG Stuttgart Boock die Schranken gewiesen.
Wird es bei der ,,Umkehr
II" das OLG Frankfurt sein?
V
Zeuginnen aus der Zeit in Bagdad im Herbst 1977
Die Zeugin Brigitte Mohnhaupt
hat am 6. 11. 1997 ausgesagt, daß Monika Haas an der Entführung
der Landshut nicht beteiligt war. Sie habe Monika Haas erstmals Ende 1978
gesehen. In Bagdad habe sie sie nicht getroffen.
Sie könne definitiv
sagen, daß Monika Haas an der Aktion gegen Dr. Schleyer nicht beteiligt
war.
Hinsichtlich der ,,Landshut"
wisse sie, daß die Beteiligten ausschließlich Mitglieder der
palästinensischen Organisation waren. Monika Haas habe als Ehefrau
nicht dazu gehört. Es habe eine Regel bei den Palästinensern
gegeben, daß Ehefrauen von Genossen nicht in politische Aktionen
eingebunden werden. Das sei ihrer Auffassung nach auch bei Monika Haas
so gewesen.
1978 habe sie Monika Haas
in Aden erlebt und etwas näher kennengelernt. Sie habe sie gemocht.
Monika habe dort ein hartes Leben geführt. Sie habe erzählt,
wie sie sich entschieden hatte, Zaki Helou zu heiraten. Mit der Eheschließung
und dem Entschluß, weitere Kinder zu bekommen, hätte sie nach
den Prinzipien der PFLP automatisch die Organisation verlassen. Während
der gesamten Zeit ihres Aufenthalts im Jemen habe sie Monika Haas nie bei
der PFLP gesehen, obwohl sie selbst mit der Organisation in enger Verbindung
stand.
Monika Haas` Verhältnis
zur PFLP sei distanziert gewesen. Sie sei dort sehr einsam gewesen und
habe niemanden gehabt, mit dem sie hätte reden können. Dies habe
sich verboten, weil ihr Mann in der Organisation war. Sie habe auch nichts
von der RAF wissen wollen und auch nicht von der BRD. In den Gesprächen
mit Monika über ihr distanziertes Verhältnis zu PFLP sei nie
angeklungen oder gesagt worden, daß sie von seiten der PFLP irgendwelchen
Angriffen oder Vorwürfen ausgesetzt gewesen war oder sei. Auch über
Werner Hoppe sei nicht gesprochen worden.
Brigitte Mohnhaupt machte
deutlich, daß sich Ehe und Kinder mit der Teilnahme an politischen
Aktionen für eine Frau nicht vereinbaren lassen. Sie sagte:
Die Schwierigkeit der Lebensweise
in der traditionellen arabischen Welt habe für Monika Haas darin bestanden,
nur Hausfrau sein zu dürfen. Jede politische Betätigung sei für
sie als Mutter tabu gewesen. Diese Lebensführung habe in Widerspruch
gestanden zu ihrem Bedürfnis, als europäische Frau zu arbeiten
und am Lebenserwerb mitzuwirken. Dies sei auch der Grund für ihre
Rückkehr nach Deutschland im Jahre 1980 gewesen.
Auf Vorhalt der Aussage des
Zeugen Boock in der Hauptverhandlung, er habe Monika Haas im September/Oktober
in Bagdad gesehen und das Gefühl gehabt, sie nicht sehen zu sollen,
erklärte die Zeugin:
Das hat er so dazu
erzählt, wie immer, wenn die Zeit günstig ist, um sich Öffentlichkeit
zu verschaffen.
Ein Beispiel, wie er lügt:
Während des Golfkriegs habe ich mal morgens das Radio angemacht, da
hat er in Englisch zum Golfkrieg erzählt: Jedes Mal wenn sie (meint
Mohnhaupt und Boock) nach Bagdad gekommen seien, hätte Saddam Hussein
sie dort persönlich empfangen. So ein Zeug behauptet der. ...
Saddam Hussein hat
uns ganz sicher nicht empfangen. Es gibt so viele Beispiele, wo der gelogen
hat. Meiner Meinung nach hat er Monika Haas auch damals noch nicht gekannt." Boock habe ihr auch nie davon
erzählt, daß er Monika Haas 1976 bei seiner Ankunft in Aden
auf der Flughafenbalustrade gesehen hätte und man ihm gesagt habe,
die sei nicht mehr in der RAF.
Die Zeugin sei selbst Ende
September / Anfang Oktober 1977 nach Bagdad gekommen und habe in einem
Haus der PFLP gewohnt. In dieser Zeit und auch später habe sie habe
keinen Anhaltspunkt dafür gehabt, daß Monika Haas damals anwesend
war. Auch später, als sie dann wieder in Bagdad war, habe sie nichts
dergleichen gehört.
In dieser Zeit in Bagdad
sei Boock sehr krank gewesen, er habe seine Krebsgeschichte verbreitet.
Auf Vorhalt der Bundesanwaltschaft,
Boock habe den Palästinensern Handgranaten aus Glasfaser vorgeschlagen,
antwortete die Zeugen:
Die Zeugin Mohnhaupt hat
ihre Aussage klar, überzeugend und frei von Widersprüchen gemacht.
In ihrer hervorgehobenen Position als politische Gefangene und Mitglied
der zwischenzeitlich aufgelösten RAF wäre eine falsche Aussage
für die Zeugin politisch und persönlich unvertretbar. Soweit
es um Fragen ging, die ihre eigene Beteiligung an den Vorbereitungen zur
Landshut-Entführung betrafen, verweigerte sie die Aussage. Daraus
läßt sich aber keinesfalls der Schluß ziehen, sie hätte
in Bezug auf Monika Haas nur Teilangaben gemacht. Jede Monika Haas betreffende
Frage wurde von Brigitte Mohnhaupt beantwortet, und dies ohne Zögern
und ohne Einschränkungen.
Aus ihrer Abneigung gegen
Boock hat sie keinen Hehl gemacht und gerade dadurch die Glaubhaftigkeit
ihrer Angaben bestärkt. Die Zeugin hat einen ausgesprochen glaubwürdigen
Eindruck hinterlassen.
Mit ihrer Aussage hat die
Zeugin Mohnhaupt Monika Haas entlastet und wesentliche Anknüpfungstatsachen
für die Bewertung der Aussagen des Zeugen Boock geliefert.
Besonders schwer zugunsten
der Angeklagten wiegt die Bekundung der Zeugin, daß Boock ihr weder
im Herbst 1977 noch später etwas von seiner behaupteten Begegnung
im PFLP-Haus in Bagdad und seinem Gefühl, daß sie nicht habe
gesehen werden wollen, erzählt hat. Gerade wenn Boock schon bei seiner
ersten Ankunft in Aden im Jahr 1976 durch ein RAF-Mitglied vor Monika Haas
wegen der Nairobi-Sache gewarnt und sie ihm als Ehefrau des Ausbildungsleiters
in Aden bezeichnet worden wäre, hätte die Begegnung mit ihr im
PFLP-Haus in Bagdad eine für die Risikoeinschätzung der bevorstehenden
Aktion alarmierende Bedeutung haben müssen. Dies hätte der intelligente
und umsichtige Boock ohne Zögern der ,,beauftragten Person", also
der Zeugin Mohnhaupt mitgeteilt. Solches hat allerdings nicht einmal der
Zeuge Boock selbst behauptet.
Die Zeugin Mohnhaupt bestätigt
die Einlassung von Monika Haas, wonach sie sich nach der Aktion von Nairobi
vollständig aus dem politischen Leben zurückgezogen und sich
entschieden hat, das schwere Leben einer europäischen vormals politischen
Frau in der arabischen Welt zu führen. Die beiden haben bereits 1978
hierüber ausführlich miteinander gesprochen. Brigitte Mohnhaupt
hat bekundet, daß diese Entscheidung nach den damaligen Angaben von
Monika Haas bereits im Jahre 1976 gefallen war. Deren Ernsthaftigkeit wurde
durch die Geburt der Tochter Hanna manifestiert. An dieser Entscheidung
gibt es nicht den leisesten Zweifel.
VI
Die erfolglose Motivforschung
der Bundesanwaltschaft 1.
Damit sind der Bundesanwaltschaft
die Grundlagen für das Monika Haas unterstellte Motiv für den
behaupteten Waffentransport entzogen. Die Anklagebehörde kann nicht
einen einzigen tatsächlichen Anhaltspunkt für ihre Verdächtigung
vorweisen. Sie ist einer in westlichen Kategorien denkenden Populärpsychologie
entlehnt, keineswegs aber mit der Persönlichkeit von Monika Haas in
Einklang zu bringen.
Völlig unvereinbar sind
die Ergebnisse dieser Motivforschung mit der tatsächlichen von strengsten
religiösen, sittlichen und soziokulturellen Werten geprägten
arabischen Lebenswelt.
Das Monika Haas angedichtete
Motiv impliziert nämlich gleichermaßen, daß Zaki Helou
als Ehemann und als Vater seiner nicht einmal drei Monate alten Tochter
eine solche Risikoaktion hätte zulassen müssen. Diese Annahme
ist schlicht unvorstellbar. Ein arabischer Mann schickt sein eigenes hilfloses
Kind nicht in den politischen Kampf und setzt es dem Risiko aus, im Falle
des Scheiterns ohne Mutter aufwachsen zu müssen. Er würde nie
dulden, daß die Mutter seines Kindes sich selbst und seine Tochter
solchen Gefährdungen aussetzt, die -man stelle sich das einmal vor-
mit dem Transport von gebrauchsfertigen Handgranaten verbunden sind.
Die Bundesanwaltschaft hat
dies in ihren Schlußausführungen nicht bedacht.
Das behauptete Motiv läßt
sich bei Kenntnis arabischer Lebensgrundsätze nicht aufrecht erhalten,
weil ein arabischer Ehemann und Vater jegliche Selbstachtung und Achtung
verlieren würde, wenn er Frau und Tochter zur Durchsetzung persönlicher
und politischer Ziele ins Feuer schicken würde. Kein noch so ausgeprägter
politischer Fanatismus arabischer Kämpfer kann sich über diese
sein Fühlen, Denken und Handeln bestimmenden ethischen Normen hinwegsetzen.
Das von der Bundesanwaltschaft
dermaßen aufgebaute Motiv trägt unter jedem erdenklichen Gesichtspunkt
die Voraussetzung seines Scheiterns in sich.,,Wenn ich geheiratet und
Kinder bekommen hätte, wäre ich auch nicht in der RAF. Man kann
doch nicht Kinder haben und eine Aktion machen, für die man lebenslänglich
riskiert. So etwas hat es doch noch nie gegeben."
,,Das hat er damals nie
gesagt. Ich glaube ihm das auch nicht. Das hätte er doch erzählt,
wenn er das gesehen hätte, dem hätte er doch Bedeutung beigemessen.
In den ganzen Jahren gab es doch nie einen Anhalt, daß sie dabei
war.
,,Die Idee gab's wesentlich
früher, das hatten die schon ausprobiert, das hat mir einer erzählt."
2.
Die Anklage behauptet, Monika Haas hätte im Frühsommer 1981 die BRD verlassen, weil sie befürchten mußte, von Boock nach dessen Festnahme belastet zu werden. Sie übernimmt diese Behauptung kritiklos aus dem ,,OV Wolf". Jedoch ist die Schlußfolgerung fehlerhaft, Gegenstand der Befürchtung könne nur die Belastung wegen der Landshut-Entführung sein.
Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß Boock keinerlei Wissen über einen angeblichen Waffentransport hatte. Somit kann auch kein Zusammenhang zwischen einer befürchteten Aussage Boocks und dem Waffentransport hergestellt werden.
Tatsächlich hatte Monika Haas Anlaß zu der Sorge, wegen anderer Straftaten (zu Unrecht) verfolgt zu werden:
Aus dem Bericht im SPIEGEL vom 25.01.82 (in Fotokopie im OV Wolf abgelegt, S.21) geht hervor, daß Monika Haas schon früher bei einer Lichtbildvorlage von der Ehefrau Ponto identifiziert worden sei.
Zudem bestand zu jener Zeit nach wie vor ein Verdacht wegen der Reise nach Nairobi. Auch insoweit hätte, wenn man von der Richtigkeit der Stasi-Darstellung ausginge, ein Grund bestanden, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Keineswegs wäre die Stasi-Variante zwingendes Motiv ausschließlich in Hinsicht auf die Landshut-Entführung.
3.
In ihrem Plädoyer
hat die Bundesanwaltschaft immer noch an dem Motiv ,,Befreiung von Werner
Hoppe" festgehalten. Hierfür gibt es nicht die geringsten Anhaltspunkte.
Monika Haas hat stets darauf hingewiesen, daß Hoppe ihr nie so nahe
stand, daß sie sich auch noch nach ihrer Distanzierung vom Umfeld
der RAF und nach ihrem politischen Rückzug in Aden für seine
Befreiung in strafbarer Weise hätte einsetzen wollen. Diese Annahme
ist gerade auch wegen der zwischenzeitlichen Eheschließung und Familiengründung
unter Berücksichtigung der arabischen Lebensverhältnisse abwegig.
VII
1. Unverwertbarkeit beider Vernehmungen zu Lasten der Angeklagten
In der Hauptverhandlung wurde festgestellt, daß der Beschuldigte Slim vor Beginn der im Wege der Rechtshilfe durch die libanesische Sicherheitspolizei am 5., 6. und 10. März 1997 durchgeführten Vernehmungen nicht belehrt wurde. Dies ergibt sich aus der Einvernahme der Zeugen Wolff und Simons, sowie der auszugsweisen Verlesung der Vernehmungsniederschrift. Die Verlesung erfolgte lediglich zur Überprüfung der Einhaltung der wesentlichen Förmlichkeiten bei der Belehrung. Der Inhalt der Aussage wurde dadurch nicht in die Hauptverhandlung eingeführt.
Die Belehrung ist nach deutschem Recht unverzichtbar. Sie hätte gem. § 136 Abs. 1 StPO bei Beginn der Vernehmung erfolgen müssen. Auch nach Art. 70 des CODE DE PROCEDURE PENAL der Libanesischen Republik ist der Beschuldigte über sein Recht zu belehren, daß er ohne Anwesenheit eines Anwalts nicht zur Aussage verpflichtet ist. Auch diese Belehrung ist unterblieben.
Die unterbliebene Belehrung hätte sich auf folgende Rechte des Beschuldigten erstrecken müssen:
das Recht auf Aussagefreiheit gem. § 136 Abs. 1 StPO, d.h. das Schweigerecht ohne Angabe von Gründen
das Recht auf Auskunftsverweigerung gem. §§ 55 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 StPO
Die Verletzung des Konsultationsrechts und der Belehrungspflichten führt im vorliegenden Fall trotz der grundsätzlichen geltenden Rechtskreistheorie aus zwei Gründen zur Unverwertbarkeit:
1. Slim wurde durch eine falsche Belehrung in die Irre geführt. Mit der Protokollverlesung ist bewiesen, daß der Beschuldigte nach deutschem Recht ausschließlich über sein Beweisantragsrecht gem. § 136 I 3 StPO belehrt wurde. Auf Bl. 114/143/144 heißt es:
,, Frage: Können Sie uns weitere Angaben zu den genannten Personen machen oder Informationen geben, die der Ermittlung nützlich sein können bzw. helfen, die Personalien dieser Personen, von denen Sie bereits gesagt haben, daß Sie sie nicht kennen, aufzudecken? Und im positiven Fall, sagen Sie uns alles, was Sie wissen und wir machen Sie darauf aufmerksam, daß Sie nach dem deutschen Recht einzelne Beweiserhebungen zu Ihrer Entlastung beantragen können, falls durch die Ermittlungen erwiesen wird, daß Sie von Anschuldigungen, die gegen Sie gerichtet sind, betroffen sind, entsprechend der Ihnen von uns gestellten Fragen, wie sie in dem internationalen Rechtshilfeersuchen des Generalbundesanwalts beim Gerichtshof unter Nr. 2 BJs 15/92-3 gemacht wurden."
Diese Belehrung ist nicht nur unvollständig und falsch, sondern auch irreführend. Nach dem Protokollinhalt ist sie die einzige Belehrung nach deutschem Recht. Dies wurde von den Zeugen Wolff und Simons in der Hauptverhandlung bestätigt.
Sie ist erst am Ende des ersten Vernehmungstages erfolgt und nicht, wie § 136 Abs. 1 StPO unverzichtbar vorschreibt, bei deren Beginn.
Irreführend und damit täuschend im Sinne des § 136 a StPO ist die Belehrung deshalb, weil sie gegenüber dem Beschuldigten den falschen Eindruck erweckt, daß er nach deutschem Recht nur das Recht hat, einzelne Beweiserhebungen zu seiner Entlastung zu beantragen.
Damit wurde der Beschuldigte nicht nur über seine Aussagefreiheit nicht belehrt, sondern explizit falsch belehrt und in die Irre geführt dahingehend, daß ihm gegen die erhobenen Anschuldigungen als einzige Möglichkeit der Verteidigung nur das Beweisantragsrecht zu seiner Entlastung gewährt sei.
Der Beschuldigte hätte bei korrekter Belehrung von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen können. Die partielle und irreführende Belehrung übte gegen Slim einen Zwang aus, da er annehmen mußte, darüber hinaus kein Auskunfts- oder Aussageverweigerungsrecht zu haben. Dieser Zwang zur Aussage stellt eine verbotene Vernehmungsmethode i. S. v. § 136 a StPO dar.
2. Verletzung des Auskunftsverweigeungsrechts gem. §§ 55, 52 StPO
Im vorliegenden Fall hätte er sich jedoch bei ordnungsgemäßer Belehrung über sein Schweigerecht dazu entschließen können, keine Aussage zu machen.
Unter den durch die fehlerhafte Belehrung selbst geschaffenen Voraussetzungen aber hätte der mit der Zeugenpflicht belastete Beschuldigte unbedingt gem. §§ 55 Abs.1 i.V.m. 52 Abs. 1 StPO auch über sein Auskunftsverweigerungsrecht sowohl hinsichtlich der Gefahr der Selbstbelastung als auch in Bezug auf die Verfolgungsgefahr von Angehörigen belehrt werden müssen.
Als Angehörige ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme Souhaila Andrawes anzusehen.
Das OLG Hamburg hat dazu folgende Feststellungen getroffen, die durch Verlesung des Urteils hier eingeführt sind:
,,...In der Folgezeit flog die Angeklagte jeweils auf Weisung von Soudgi mehrfach mit dem Flugzeug von Kuwait nach Bagdad/Irak zu Treffen mit namentlich nicht bekannten PFLP-Führern. Um den wahren Zweck der Reisen gegenüber Dritten zu verschleiern, ging die Angeklagte mit einem in Bagdad ansässigen libanesischen Kaufmann zum Schein ein Verlöbnis ein. Dieser Mann wurde von der Angeklagten nicht über ihre wahren Gründe für diese Verlobung informiert. Bei ihm handelte es sich um einen Moslem, und um die Täuschung zu verstärken, trat die Angeklagte trotz ihrer christlichen Erziehung zum moslemischen Glauben über....
1977 wurde zwischen der Familie der Angeklagten und ihrem Verlobten über den Abschluß eines Ehevertrag verhandelt, was nach außen bedeutete das die Angeklagte als verheiratet galt. In Wahrheit war auch dies eine konspirative Maßnahme, denn nun war es noch weniger auffällig, wenn sie nach Bagdad reiste, vorgeblich um mit ihrem Verlobten zusammensein zu wollen, tatsächlich aber um an Treffen der PFLP teilzunehmen. Die Verbindung zwischen der Angeklagten und jenem Libanesen wurde 1979 wieder aufgehoben."
Bei diesem libanesischen Kaufmann handelt es sich um Said Ali Slim.
Die Feststellungen des Urteils beruhen auf den Angaben von Souhaila Andrawes in der Hauptverhandlung. Darüber hinaus hatte sie sich zu diesem Mann bereits gegenüber Oberstaatsanwalt Hohmann am 12. 1. 1996 (SAO 16 I Bl. 76/71) geäußert:
,,Auf Frage: ,,Zwei bis drei Monate vor der Flugzeugentführung bin ich mit meiner Mutter nach London gereist, um ein Hochzeitskleid zu kaufen. Ich wollte einen reichen Libanesen heiraten, einen Besitzer mehrerer Tankstellen. Er hatte nichts mit Politik im Sinn. Ich habe ihn vor 1976 im Libanon kennengelernt. Er war drei Jahre älter als ich. Er war Moslem, ich war Christin. Ich bin nicht zum islamischen Glauben übergetreten, das ist bei einer derartigen Eheschließung für eine Frau nicht erforderlich.....
Frage: Waren Sie mit dem Tankstellenbesitzer verlobt?
Antwort: Theoretisch war ich mit ihm sogar verheiratet. Wir hatten bereits den Ehevertrag unterschrieben. ....
Er hatte keine Universitätsausbildung, allerdings das Gymnasium abgeschlossen.
Wir sind 1979 vor einem Gericht im Libanon geschieden worden."
Den zugunsten der Angeklagten verwertbaren Angaben des Said Slim ist zu entnehmen:
Er ist am 15. 4. 1950 geboren, Souhaila Andrawes am 28. März 1953. Das entspricht exakt dem von Andrawes angegebenen Altersunterschied.
Er ist libanesischer Staatsangehöriger.
Die neue Ehe mit Nadia Fares wurde nach seinen Angaben ca. 15 Jahre vor seiner Einvernahme, also ca. im Jahr 1982 geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt war die erste Ehe bereits geschieden.
Zu seinem Werdegang ist festgehalten (Bl. 140):
,,Ich habe von 1975 bis 1980 bei meinem Vater an der ihm gehörenden Station in EL-Ghbairi in der Nähe der Polizeistation Haret Harik gearbeitet... Ich habe keine handwerklichen oder beruflichen Fähigkeiten erlernt."
Bei der Station handelt es sich um die Tankstelle des Vaters.
Diese Angaben stimmen ebenfalls exakt mit denen von Souhaila Andrawes überein.
In der ersten Vernehmung am 5. 3. 1997 wurde Slim ein Lichtbild vorgelegt, welches ihn als jüngeren Mann zeigt. Dieses Bild wurde von einem deutschen Beamten zur Vorlage überreicht. Slim war überrascht, bestätigte seine Identität und sagte wörtlich: (Bl. 142)
,,Es verwundert mich, daß dieser Beamte ein Lichtbild besitzt, das mich zeigt und das sehr alt ist."
Anschließend stellt der Vernehmungsbeamte, wahrscheinlich sogar einer der beiden deutschen Polizeibeamten einen Zusammenhang zwischen dem Lichtbild und den im Rechtshilfeersuchen enthaltenen Fragen her und hält dem Beschuldigten vor, daß die vorhandenen Erkenntnisse mit Sicherheit bestätigten, daß der Beschuldigte die in die Aktion verwickelte Person sei. Im folgenden wird er gefragt, ob er eine Frau namens Amal kenne. (S..143)
,,Nein, nein, aber ich kenne eine Freundin von mir namens Mona. Ich kannte sie, bevor ich geheiratet habe, und ich habe 1980 geheiratet.... Ich habe sie seit meiner Heirat nicht mehr gesehen.."
Dann lenkt Slim plötzlich ab und erzählt von einer jungen, damals 16-jährigen Frau, deren Beschreibung nicht auf Andrawes zutrifft.
Tatsächlich aber nannte Souhaila Andrawes sich damals Mona. Die Antwort, Amal nicht zu kennen, aber spontan an eine frühere Mona zu denken und zwar im Kontext der ihm bekannten Fragen des Rechtshilfeersuchens, verweist - notabene neben der darin liegenden Entlastung von Monika Haas - auf Souhaila Andrawes. Auch Slim hatte den Zusammenhang zwischen dem alten Foto und seiner früheren Ehefrau hergestellt.
Daß Slim der Ehemann von Andrawes war, wird vollends bewiesen durch die Tatsache, daß das ihm vorgelegte Foto, (es handelt sich um das in Originalgröße und Vergrößerung auf Bl. 114/35 befindliche,) bei der Durchsuchung der Wohnung von Souhaila Andrawes in Norwegen sichergestellt und anschließend den deutschen Behörden zugänglich gemacht wurde.
Oberstaatsanwalt Homann hatte eben dieses Foto in der Hauptverhandlung vom 21. 11. 1996 Monika Haas vorgelegt, mit der Frage, ob sie diesen Mann kenne, was sie verneinte.
(Während des Plädoyers wurde beantragt, Herrn OStA Homann zur Herkunft des Fotos und zum Inhalt der Angaben von Andrawes als Zeugen zu vernehmen.)
Damit steht die Ehe zwischen Souhaila Andrawes und Said Slim zweifelsfrei fest.
Die Verteidigung bezweifelt, daß es sich aus der Sicht von Souhaila Andrawes wirklich nur um eine Zweckehe gehandelt habe. Darauf kommt es jedoch bei § 52 StPO nicht an. Jedenfalls aber war Slim von der Ernsthaftigkeit der Ehe überzeugt, wie Andrawes selbst sagt.
Demnach bestand die Belehrungspflicht gem. §§ 136, 55, 52 StPO im Hinblick auf die Verfolgungsgefahr der früheren Ehefrau.
Die Unterlassung der gebotenen Belehrung führt zur Unverwertbarkeit der Aussage.
Hier ist die Verwertbarkeit nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil Slim die Ehe mit Andrawes verschwiegen hatte. Dies gilt jedoch nicht in den Fällen, in denen die Tatsache der Ehe mit einer bestimmten Person bereits belastend sein kann und der Beschuldigte deshalb nach § 55 Abs. 1 i.V.m. 52 StPO hätte belehrt werden müssen, was im vorliegenden Fall jedoch prozeßordnungswidrig unterblieben ist.
Auf die Verletzung der Belehrungspflicht kann sich die Angeklagte im hiesigen Verfahren auch berufen, da sie - Slim und Andrawes - zum Zeitpunkt der Vernehmung des Slim Mitbeschuldigte wegen derselben Tat waren. Eine weitere Aufklärung war wegen der Ablehnung der Beiziehungsanträge der Verfahren Slim und Andrawes nicht möglich. Der Verfahrenszusammenhang hat bis zum 8. Mai 1995 bestanden, wie sich aus der Abtrennungsverfügung vom 8. 5. 1995 ergibt. (SAO 27 Bl. 51)
Das Verwertungsverbot entfällt nicht, weil Souhaila Andrawes zum Zeitpunkt der Vernehmung bereits rechtskräftig verurteilt war. Das wäre nur dann der Fall, wenn Slim Kenntnis davon gehabt. Dies ist zu fordern, weil bei fehlender Kenntnis die Konfliktlage des zu Vernehmenden angedauert hat.
Das Verwertungsverbot erstreckt sich auch auf die Vernehmung durch das Rechtshilfegericht vom 27. 10. 1997. Der Zeuge wurde zwar gem. § 55 StPO allgemein belehrt, er hätte jedoch nach den im deutschen Recht geltenden Grundsätzen qualifiziert belehrt werden müssen, d.h. er hätte darauf hingewiesen werden müssen, daß seine früheren Angaben wegen der Verstöße gegen
§ 136 Abs. 1 StPO - Aussagefreiheit, Konsultationsrecht
§ 136 a StPO - Aussagezwang
§§ 55, 52 StPO - Angehörigeneigenschaft
nicht verwertbar wären, wenn er sich in der neuen Vernehmung auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen würde. Damit wirkt der Rechtsverstoß aus der vorangegangenen Vernehmung fort und begründet das Verwertungsverbot auch hinsichtlich der neuen Vernehmung.
Hinzu kommt, daß auch diese Vernehmung unter Verletzung des in Art. 70 CODE PROCEDURE PENAL statuierten Konsultationsrechts zustande gekommen ist.
2. Beweiswert der Aussagen
Zwei Tage nach Verkündung des Urteils gegen Souhaila Andrawes in Hamburg präsentierte OStA Homann in unserer Hauptverhandlung mit unverholenem Stolz Said Ali Slim als den Mann, ,,der die Angeklagte 1977 beim Transport der Waffen für die Landshut nach Mallorca begleitet hat". Allerdings belegt das von ihm damals vorgelegte Material diese Behauptung gerade nicht. Danach habe Slim in einer Befragung am 23. 9. 1996 durch einen deutschen Kriminalbeamten, die ohne Belehrung gem. §§ 136, 55 , 52 StPO erfolgt war, angegeben, vor ca. 20 Jahren eine von Beirut ausgehende Reise nach Algier und Mallorca durchgeführt zu haben. Er habe eine Nacht dort in einem Hotel verbracht. Zweck der Reise sei die Übergabe eines Briefes an einen Plästinenser namens JAMAL TERAOUI im Auftrag der PFLP gewesen. Der von ihm auf der Reise benutzte Namen sei ihm nicht erinnerlich. Auf Vorhalt habe Slim mehrfach betont:
- allein gereist zu sein und
- keine Waffen oder Sprengstoff mitgeführt oder übergeben zu haben.
In der Slim bereits zu diesem Zeitpunkt vorgelegten Lichtbildmappe, die auch ein Foto von Monika Haas enthielt, hatte der Zeuge sie nicht erkannt.
Welche Erkenntnisse OStA Homann damals veranlaßten, entgegen der dem Gericht übergebenen Aktenstücke Said Slim als den Begleiter von Monika Haas aufzubauen, blieb in der Hauptverhandlung im Dunkeln.
Eindeutig läßt sich indessen die Frage beantworten, weshalb dieser ,,neue Zeuge" erst nach Abschluß des Verfahrens gegen Andrawes aufgedeckt wurde, obgleich man Slim spätestens seit Juli 1996 auf der Spur und er bereits im September erstmals befragt worden war. Es hätte also noch genügend Zeit bestanden.
Die Präsentation von Said Slim in der Hamburger Hauptverhandlung wäre jedoch mit dem Risiko verbunden gewesen, Souhaila Andrawes durch die Einführung ihres früheren Ehemannes und Kampfgenossen als Begleiter von Monika Haas beim Waffentransport zu einer nicht gewollten Reaktion und zum Aufgeben ihres taktischen Schweigens zu provozieren.
Wie wir wissen, hatte Andrawes die 1977 geschlossene Ehe mit Said Slim, ohne dessen Identität aufzudecken, in der Hauptverhandlung in ihre Verteidigungsstrategie eingebaut. Zu jener Zeit wußte sie allerdings noch nicht, daß die Bundesanwaltschaft ihm bereits auf der Spur war.
Wenn seine Identität und Verfügbarkeit im Hamburger Prozeß rechtzeitig bekannt gewesen wäre, hätte das Gericht diesen Zeugen zur Überprüfung der Anwendung der Kronzeugenregelung vernehmen lassen müssen. Wie wir aus dem verlesenen Urteil wissen, ist das Hamburger Gericht allzu bereitwillig den Monika Haas belastenden Angaben in Norwegen gefolgt, ohne daß Andrawes sich in der Hauptverhandlung dazu äußern mußte. Die Überprüfung der Voraussetzungen für die Anwendung der Kronzeugenregelung hat es ausschließlich anhand der dort eingeführten Zwischenentscheidungen des hiesigen Senats vorgenommen, weil dem Hamburger Senat keine weiteren unmittelbaren Beweismittel bekannt waren. Mit der Einführung des Zeugen Slim wäre - das hat die zwischenzeitliche Beweisaufnahme in unserem Verfahren ergeben - die Anwendung der Kronzeugenregelung für Souhaila Andrawes wie eine Luftblase zerplatzt. Eben dies durfte nicht passieren und entsprach nicht den Absprachen. Deshalb durften weder die Hamburger Richter noch Andrawes mit dem neuen Beweismittel konfrontiert werden.
Eine schlimme Vorstellung: Sollte die Zurückhaltung des Beweismittels in Hamburg auch den Zweck gehabt haben, die Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben von Souhaila Andrawes in Norwegen bis zum Abschluß des Verfahrens unangetastet zu lassen, um dann an Hand der nicht weiter überprüften, aber durch die Verurteilung festgeschriebenen Anschuldigung Monika Haas der Verurteilung zuzuführen?
Je mehr man sich diesem Gedanken überläßt, desto unerträglicher ist er: Slim wurde deshalb zurückgehalten, weil sonst das System der sich aus sich selbst speisenden Glaubwürdigkeitsproduktion gesprengt worden wäre.
Auf diesem Hintergrund erschließt sich die Parallelität der Aussagengenese bei den Vernehmungen in Norwegen und jenen im Gefängnis von Roumieh im Libanon:
- Beiden wurde die bedrohliche Situation in den Befragungen, an denen stets deutsche Beamte teilnahmen, nachdrücklich klar gemacht.
- Beiden wurde signalisiert, daß das primäre Interesse der deutschen Behörden an der Überführung von Monika Haas liege.
- Beide wurden als Beschuldigte und nicht als unter Wahrheitspflicht stehende Zeugen vernommen.
- Beiden wurden die erst durch die Vernehmung zu beweisenden Tatsachen bereits vor der Vernehmung als gesichertes Wissen bekannt gegeben: ,,The Police had the informations." (Andrawes, Erklärung vom 19. 1.1996) und bei Slim nach vollständiger Verlesung des Fragenkatalogs des Rechtshilfeersuchens, aus dem der Kontext des Geschehens rekonstruierbar ist, der Zeuge Simons: ,,Wir wissen, daß sie lügen." Damit ist der Aussageninhalt beider polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen von vornherein durch Fremdeinfluß beeinträchigt worden.
- Beide haben die frühere Ehe verschwiegen, um damit ihre mittäterschaftliche Beteiligung an der Landshut-Entführung nicht aufdecken zu müssen.
- Beide haben ein Interesse an der Belastung von Monika Haas.
- Beide wurden unter Ausschluß der Verteidigung vernommen.
- Beide haben sich der Überprüfung ihrer Angaben in der Hauptverhandlung entzogen, Andrawes durch das Schweigen in ihrer und in unserer Hauptverhandlung, Slim durch die Weigerung, vor einem deutschen Gericht auszusagen.
- Beide sind für ihre Aussagen belohnt worden.
Die Aussage des Zeugen Said Slim vom 27. 10. 1997 bedarf noch einer genaueren Analyse:
Die Vernehmung beginnt mit der Bestätigung einer Einlassung vor dem Zentralen Kriminalamt vom 7. 2. 1997. Aus den vorliegenden Protokollen ergibt sich indessen, daß an diesem Tage keine Vernehmung stattgefunden hat und protokolliert ist. Slim wurde erst am 5., 6. und 10. März vernommen. Aus der Bezugnahme auf eine frühere Einlassung dürfen keine Schlußfolgerungen zum Nachteil der Angeklagten gezogen werden, weil nicht feststeht, ob überhaupt eine der drei und gegebenenfalls welche von ihnen gemeint ist.
Zwei Dinge sind aus der Aussage des Zeugen Slim besonders hervorzuheben:
Slim gibt an, er sei von Bagdad nach Algier allein geflogen, habe dort das Mädchen getroffen und dann nach Mallorca begleitet, sie hätten im Hotel, in welchem sagt er nicht, in getrennten Zimmern übernachtet. Am nächsten Tag sei er alleine nach Algier zurückgekehrt, die Frau sei in Mallorca geblieben.
Die Aussage des Zeugen Said Slim steht in unüberbrückbarem Gegensatz zur Tatversion der Anklage. Sie macht die Schlüsse zunichte, die die Anklage aus den sog. Ermittlungen in Spanien zieht. Sie widerlegt die Quellen und versagt ihnen zugleich die Bestätigung, die zur Überprüfung ihres Wahrheitsgehalts notwendig gewesen wäre. Die Aussage des Said Slim brachte das sehr morsch gewordene Gebäude der Anklage endgültig zum Einsturz.
Der Versuch, den scheinbar objektiven Gehalt der Quellenmeldungen durch ein System von Beweisanzeichen nachträglich zu bestätigen, ist fehlgeschlagen. Die Bundesanwaltschaft steht heute mit leeren Händen da:
Getäuscht und belogen wurden wir vom OV Wolf, u. a. hinsichtlich des in das Wissen des IM Baade gestellten Geständnisses, wie auch in Bezug auf die sog. Quelle Ahmet Ali.
Getäuscht und belogen wurden wir von Peter-Jürgen Boock.
Getäuscht und belogen wurden die Vernehmungsbeamten in Norwegen von Souhaila Andrawes. Sie machte als Beschuldigte Angaben, die sie dem Wissen der Polizei entlehnte und entzog sich einer Überprüfung des Wahrheitsgehalts ihrer Aussage.
Getäuscht, belogen und verwirrt wurden wir von Said Slim, dessen Angaben zu Lasten von Monika Haas nicht verwertbar sind.
Am Ende der Beweisaufnahme gibt es nicht ein einziges tatnahes und unmittelbares Beweismittel für die Täterschaft von Monika Haas. Die Erkenntnisquellen in diesem Verfahren waren denkbar ungesichert, zu viele Akten blieben geschlossen, zu viele Beweisanträge wurden abgelehnt und zu lange liegt das Tatgeschehen zurück.
Die Angeklagte konnte sich deshalb auch nicht effektiv verteidigen. Die Strafjustiz ist in diesem Verfahren längst an die Grenzen ihrer Erkenntnismöglichkeiten gestoßen. Was bleibt, ist die Einlassung von Monika Haas:
Monika Haas war nie in Mallorca, sie hat die Waffen nicht überbracht.
Wir stehen vor dem Abschluß eines Verfahrens, in dem sich die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland seit dem Aufkommen des Terrorismus und dessen ebenso harter Bekämpfung durch die Strafverfolgungsbehörden ,,spiegelt".
Abgründe geheimdienstlicher Zusammenarbeit zwischen West und Ost haben sich aufgetan. Wir haben das Versteckspiel der westlichen Behörden um ihre Quellen miterleben müssen. Wir haben Kollaborateure erlebt, Informelle Mitarbeiter, wir haben Verräter gehört oder ehemalige Stasi-Offiziere aus der Abteilung des Ministeriums für Staatssicherheit, die mit Terroristen zusammenarbeitete, und deren einer deshalb zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Wir haben Zeuginnen und Zeugen aus dem entführten Flugzeug gehört, die unter ihrer Aussage litten und nicht verstehen konnten, warum und wofür sie nach zwanzig Jahren des Vergessens oder des Verdrängens wieder in den Zeugenstand gezwungen wurden.
Der Terrorismus hat abgedankt, die RAF hat sich aufgelöst, die einstige politische Trennungslinie in unserer Gesellschaft existiert nicht mehr. Niemand versteht heute, warum dieser Prozeß sein mußte und warum er so lange dauerte.
Dieses ist schließlich auch ein Verfahren, in dem der unmittelbare Einfluß der Medien auf die Einleitung und Durchführung der Ermittlungen ein noch nie gekanntes Ausmaß erreicht hat. Monika Haas war dem Zangengriff von Presse und Polizei wehrlos ausgeliefert. Sie hat knapp tausend Tage in Untersuchungshaft verbringen müssen, sie ist dort so krank geworden, daß die Hauptverhandlung ausgesetzt werden mußte, sie hat ihre Arbeit und Existenz verloren, nicht aber ihre Kinder und ihre Freunde und auch nicht ihren Mut im Kampf um ihren Freispruch.
Vor zwei Jahren, am 19. November 1996 rief Souhaila Andrawes, nachdem ihr Urteil gesprochen und sie von der Last des drohenden ,,Lebenslänglich" befreit war in norwegisch, ihrer zweiten Muttersprache in den Gerichtssaal:
,,Monika Haas hat die Waffen nicht gebracht!"
Die Verteidigung beantragt
Freispruch
und Entschädigung für die zu Unrecht erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen